Europa in Zeiten zunehmender Klassenkämpfe

CWI-Sommerschulung diskutiert Streikwelle und politische Prozesse in Europa

In Europa wie weltweit befinden wir uns in einer Zeit der multiplen Krise – zunehmende Polarisierung des Wohlstands und in der Politik, Krieg und Militarisierung, Klimakrise und steigende Lebenshaltungskosten. All diese Krisen haben eine radikalisierende Wirkung auf Arbeiter*innen und Jugendliche und das Potenzial, das politische Bewusstsein zu verändern.

In Europa hat das Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) zum jetzigen Zeitpunkt die meisten seiner Kräfte. Die Plenardiskussion über Europa auf der CWI-Schulung 2023 in Berlin diente dazu, die Entwicklungen auf dem Kontinent zu erörtern und die notwendigen Schlussfolgerungen über unsere Aufgaben zu ziehen. “Lernen, um zu handeln”, wie Sascha Staničić, Bundessprecher der Sol (CWI in Deutschland), die Diskussion einleitend formulierte.



Von allen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Europa ist die wichtigste der Aufschwung des Klassenkampfes. In vielen Ländern finden Arbeiter*innenstreiks vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise statt – einer Krise, die sich durch den Krieg in der Ukraine und die Covid-19-Pandemie verschärft hat, sich aber bereits unabhängig davon entwickelte,.

Das Leben der Arbeiter*innen in den meisten europäischen Ländern wird von einer durch die Inflation angeheizten Lebenshaltungskostenkrise beherrscht. Hinzu kommt ein schwaches oder nicht vorhandenes Wirtschaftswachstum.

In dem Bemühen, soziale Explosionen während der Pandemie zu vermeiden, haben die europäischen Regierungen enorme Summen ausgegeben und eine untragbare Staatsverschuldung aufgebaut. Nun folgen Haushaltskürzungen, außer bei den Militärausgaben, und überall werden Angriffe vorbereitet.



Eine Folge der Wirtschaftskrise ist die politische Instabilität der kapitalistischen Regierungen. Eine ganze Reihe von ihnen befindet sich in der Krise, steht kurz vor dem Zusammenbruch oder ist kürzlich zusammengebrochen.

Die kapitalistischen Staaten innerhalb der EU fallen immer mehr hinter die anderen kapitalistischen Blöcke zurück und sind dadurch zu einer stärkeren Zusammenarbeit motiviert. Zumindest in dieser Phase übt der Krieg in der Ukraine die gleiche Kraft aus.

Aber dieselben Widersprüche, die vor zehn Jahren mit der Entwicklung der Staatsschuldenkrisen den Fortbestand der EU in Frage gestellt haben, sind nicht gelöst worden und werden in einer bestimmten Phase wieder zum Vorschein kommen. Ein Auseinanderbrechen der EU bzw. der Eurozone wird erneut eine Möglichkeit sein.

In den Diskussionsbeiträgen wurde über die Streikwellen berichtet, die auf unterschiedliche Weise Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie andere Orte, wie Nordrland, erfasst haben.

Entsprechend den sich entwickelnden Streikwellen mit ihren unterschiedlichen Merkmalen haben CWI-Mitglieder konkrete nächste Schritte für die Kämpfe vorgeschlagen. Bei den französischen Streiks gegen die Rentenreform von Präsident Macron plädieren die CWI-Genoss*innen dafür, dass die Gewerkschaften breitere Forderungen aufstellen, um eine größere Zahl von Menschen zusammenzubringen. In Deutschland plädierten wir für eine Koordinierung der Streiks über verschiedene Sektoren hinweg, und in Großbritannien riefen die Genossen zum “gemeinsamen Streik” auf, wobei sie in einer bestimmten Phase auch die Parole eines 24-stündigen Generalstreiks ausgaben.

Die Arbeiter*innen, die sich an den Streiks beteiligen, viele zum ersten Mal, lernen durch den Kampf .

Streiks und Inflation

Die Streiks mögen ihren ersten Höhepunkt erreicht haben, aber sie sind noch nicht vorbei. Die Inflation wird Beschäftigte weiterhin zum Kampf zwingen. In Frankreich, wo der Kampf um die Rentenreform zu Ende gegangen ist, kommt es jetzt zu Streiks um Löhne.

In Europa waren Streiks die wichtigste Form des Klassenkampfes. Aber es gab auch Proteste zu zahlreichen anderen Themen, zum Beispiel zur Verteidigung des Gesundheitswesens in Madrid, und das Thema Wohnen bleibt ein entscheidendes Thema, das zu Massenbewegungen und Kampagnen führen kann.

Die Jugendrevolte in Frankreich brachte die Wut und Frustration zum Ausdruck, die sich über Jahre hinweg angestaut hatte. Mitglieder der Gauche Révolutionnaire (CWI in Frankreich) griffen in die Bewegung ein, um sich mit ihr gegen die staatliche Repression zu solidarisieren. Sie machten aber auch deutlich, dass es notwendig ist, für den Sozialismus zu kämpfen, und legten eine Kampfstrategie vor, indem sie argumentierten, dass die Arbeiter*innenbewegung die Forderungen der Jugend aufgreifen sollte.

Praktisch keine der neuen linken Formationen, die in der vergangenen Periode in vielen europäischen Ländern entstanden sind, hat eine stabile Massenbasis geschaffen, und keine hat den Charakter von Arbeiter*innenmassenparteien angenommen. In einer Reihe von Ländern haben sie die Arbeiter*innenklasse im Stich gelassen. Dies kann dazu führen, dass sich Arbeiter*innen zumindest zeitweise vom politischen Feld abwenden.

Eine Folge des Mangels an politischer Vertretung der Arbeiter*innenklasse ist die massenhafte Wahlenthaltung, eine andere die Entwicklung rechtspopulistischer Kräfte. Rechtsextreme Kräfte haben in Südirland provokative Straßenveranstaltungen abgehalten, die sich gegen Geflüchtete und andere Minderheiten richteten und die Wohnungskrise und die Krise der Lebenshaltungskosten ausnutzten. Rechtspopulistische Kräfte sind u. a. in Ungarn, Finnland und Italien an der Regierung.

Aber in der Regel gibt es keine stabile Unterstützung der Bevölkerung für ihre Politik, und viele Arbeiter*innen, die sie vorübergehend bei Wahlen unterstützt haben, könnten für Arbeitermassenparteien gewonnen werden.

Politische Ausdrucksformen der Unzufriedenheit von Arbeiter*innen werden sich als Reaktion auf die anhaltende Lebenshaltungskostenkrise entwickeln. In vielen Ländern brachten CWI-Mitglieder die Notwendigkeit einer eigenen Partei für die Arbeiter*innenklasse vor, wobei sie sich in Bezug auf die bestehenden politischen Kräfte in den einzelnen Ländern unterschiedlich äußerten.

Berichte aus Österreich erläuterten den jüngsten deutlichen Anstieg der Unterstützung für die Kommunistische Partei und die Auswirkungen eines neuen linken Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei.

Die Mitglieder des CWI werden weiterhin den Ansatz verfolgen, die konkreten nächsten Schritte für die Bewegung vorzuschlagen und dafür zu kämpfen, dass diese Kräfte ein umfassendes sozialistisches Programm annehmen.

Neben der Unterstützung bei der Verbreitung sozialistischer Ideen und der Stärkung der breiten Organisationen der Arbeiter*innenklasse besteht die Hauptaufgabe der Sektionen des CWI darin, unsere eigenen Kräfte aufzubauen – diejenigen, die die notwendigen Schlussfolgerungen darüber gezogen haben, was notwendig ist, um dem Kapitalismus ein Ende zu setzen. Wir werden uns bemühen, das CWI als Keimzelle der revolutionären Massenpartei aufzubauen, die notwendig sein wird, um die Arbeiter*innenklasse bei der Übernahme der Macht und der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft zu führen.