„Megabedrohung“ Kapitalismus

Nouriel Roubinis „Megathreats“ liefert ein niederschmetterndes Bild des globalen Kapitalismus und seiner Zukunft

Viele bürgerliche Ökonom*innen neigten bisher dazu, die tiefe Systemkrise, mit der der Weltkapitalismus konfrontiert ist, zu beschönigen. Sie griffen oft diese oder jene kleine „gute“ Nachricht auf, um daraus empirisch zu schließen, dass dieses oder jenes Problem gelöst ist – bis das nächste auftauchte. Angesichts des Zusammentreffens mehrerer Krisen – sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Art – sehen sich viele nun gezwungen, sich endlich dem zu stellen, was das CWI schon länger argumentiert – nämlich, dass der globale Kapitalismus mit einer verheerenden Situation konfrontiert ist.

von Tony Saunois, Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale

Auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) 2023 waren 66 Prozent einer Gruppe von Wirtschaftswissenschaftler*innen aus dem privaten und öffentlichen Sektor der Meinung, dass es 2023 wahrscheinlich zu einer weltweiten Rezession kommen wird. Das spiegelt den Pessimismus der herrschenden Klasse über die Zukunft ihres Systems wider. Zwei von fünf Chef*innen globaler Unternehmen befürchten, dass ihre Unternehmen innerhalb eines Jahrzehnts nicht mehr lebensfähig sein werden. Nach dem WEF haben der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und einige Kommentator*innen erneut versucht zu argumentieren, dass die Dinge gar nicht so schlimm sind, und sich dabei auf empirische Beweise gestützt, dass zum Beispiel die Inflation nicht so stark gestiegen ist, wie ursprünglich befürchtet.

Es gibt jedoch einige interessante Ausnahmen vom Empirismus vieler bürgerlicher Ökonom*innen. Nouriel Roubini ist eine von ihnen. Roubini ist kein Marxist (obwohl er als junger Mensch durch sein Studium von Marx zur Ökonomie hingezogen wurde, bevor er Keynes entdeckte). Aber Roubini hat sich konsequent mit den zugrunde liegenden Trends in der kapitalistischen Wirtschaft auseinandergesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass „wir jetzt an einem Abgrund taumeln, während der Boden unter unseren Füßen wegbricht… Neue Warnzeichen sind klar und deutlich erkennbar. Wirtschaftliche, finanzielle, technologische, handelspolitische, geopolitische, gesundheitliche und ökologische Risiken haben sich zu etwas viel Größerem entwickelt. Willkommen in der Ära der ‚Megathreats’ (Megabedrohungen, A.d.R.); sie werden die Welt, die wir zu kennen glaubten, verändern.“

Roubini hatte sich schon davor in bestimmten Fällen gegen die „konventionelle Weisheit“ der Mehrheitsmeinung der kapitalistischen Kommentator*innen gestellt. Er wurde belächelt, als er 2006 vor einem bevorstehenden Finanzcrash warnte, der 2007/8 eingetreten ist, wie es auch das CWI vorausgesehen hatte. Später warnte er, wie das CWI, vor einer drohenden Stagflation/Inflation im Jahr 2021, also noch vor dem derzeitigen globalen Preisanstieg.

Wurde er früher noch als „dissidenter“ bürgerlicher Wirtschaftswissenschaftler abgetan und als „Dr. Doom“ bezeichnet, sind viele von Roubinis Warnungen heute Realität. Roubinis neuestes Buch, „Megathreats: 10 Bedrohungen unserer Zukunft – und wie wir sie überleben“, ist eine verheerende Entlarvung des heutigen globalen Kapitalismus und eine Warnung vor der Zukunft, sollte dieser weiter bestehen. Roubini deckt viele Themen ab: politische, wirtschaftliche, ökologische und geopolitische, die nicht alle in einer einzigen Rezension behandelt werden können. Vieles von dem, was sein Buch enthält, ist nicht neu, insbesondere für das CWI und seine Unterstützer*innen. Das wirtschaftliche Material ist oft etwas gedrängt, aber es ist aufschlussreich über das Ausmaß und die Tiefe der vielfältigen Krisen, mit denen der globale Kapitalismus konfrontiert ist. Die Veröffentlichung eines solchen Werkes durch einen bürgerlichen politischen Ökonomen zu diesem Zeitpunkt ist sehr bedeutsam. Es ist ein ernsthafter Versuch, darüber nachzudenken, wie wirtschaftliche, geopolitische, politische, ökologische und technische Trends und Ereignisse die Gesellschaft in den kommenden Jahren beeinflussen werden.

Doch es ist eine Sache, die Krankheit zu diagnostizieren, und eine ganz andere, ein Heilmittel zu finden. Als bürgerlicher politischer Ökonom bleibt Roubini im Kapitalismus gefangen, und seine begrenzten Lösungsvorschläge zur Abwendung der „dystopischen“ Welt, die er voraussieht, bieten keine dauerhafte Alternative oder einen Ausweg aus der bestehenden Systemkrise.

Wie er richtig feststellt, steht die Welt heute vor einer Reihe miteinander verbundener, multipler Krisen, die immer stärker verschmelzen und verbunden sind, wie das CWI argumentiert hat. Die „zehn Megathreats“, die Roubini identifiziert – Schuldenkrise, privates und öffentliches Politikversagen, demografische Veränderungen, billiges Geld, Stagflation, Deglobalisierung, künstliche Intelligenz, der neue „kalte Krieg“ und die Umwelt – sind allesamt zentrale Aspekte der aktuellen Krisen, die sich entwickeln.

Schuldenkrise

Die Explosion der weltweiten Verschuldung ist ein entscheidender Faktor dafür, wie sich die Wirtschaftskrise in den kommenden Jahren entwickeln wird. Schuldenkrisen haben die neokoloniale Welt in früheren Perioden kapitalistischer Turbulenzen erschüttert, insbesondere in Lateinamerika in den 1980er Jahren. Es gibt jedoch in dieser Krise einen entscheidenden Unterschied, der für die gegenwärtige Ära teilweise bestimmend ist. Das ist die massive Zunahme der Verschuldung der großen imperialistischen Mächte. Die USA sind bereits der größte Schuldner der Welt – in Höhe von 50 Prozent des BIP bzw. 13 Billionen US-Dollar an Auslandsverbindlichkeiten.

Ende 2021 lag die weltweite öffentliche und private Verschuldung bei weit über 350 Prozent des weltweiten BIP. Jetzt ist sie sogar noch höher. Sollte sich das durchschnittliche Schuldenwachstum der letzten 15 Jahre fortsetzen, werden sich die weltweiten Schulden auf 360 Billionen US-Dollar belaufen – 85 Billionen US-Dollar mehr als heute. Schulden in einer solchen Größenordnung sind nicht rückzahlbar. Die Bedienung der Schulden, insbesondere wenn die Zinsen erhöht werden, wird unmöglich. Das wird jedoch wirtschaftliche und soziale Umwälzungen auslösen, wie wir sie seit einer Generation nicht mehr erlebt haben, wie etwa in Sri Lanka. Dies wird sich in der nächsten Zeit in einer Reihe von Ländern wiederholen. Pakistan ist möglicherweise der nächste Kandidat. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren 70 Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika zahlungsunfähig sein werden.

Weder China noch die USA werden einer Schuldenkrise entgehen. Zwar haben die imperialistischen Länder im Gegensatz zur neokolonialen Welt in Asien, Afrika und Lateinamerika größere Möglichkeiten, eine Schuldenkrise zu bewältigen und Maßnahmen zu ergreifen, um das Problem auf später zu verschieben. Aber auch sie laufen Gefahr, in eine große Schulden- und Finanzkrise zu geraten.

Doch gerade jetzt, wo die Schuldenfrage als so kritisches Thema explodiert, schieben viele „Linke“ die Forderung nach Verweigerung der Schuldentilgung, Verstaatlichung der Banken und Einführung von Kapitalverkehrskontrollen beiseite. Diese Frage ist nicht nur in der neokolonialen Welt von entscheidender Bedeutung – sie ist jetzt auch ein Faktor in den imperialistischen Ländern. Roubini benennt die toxischen Folgen der Schuldenblase, aber eine Lösung dafür werden wir in seinem Buch vergeblich suchen.

Unabhängig aber dennoch mit der Schuldenkrise verbunden ist das Wiederaufleben der Inflation und einer Krise der Lebenshaltungskosten (die nun ein globales Phänomen ist) sowie die Gefahr von Stagnation. Die herrschenden Klassen in den wichtigsten imperialistischen Zentren haben die Zinssätze erhöht und damit die Ära des „billigen Geldes“ – die so genannte „Great Moderation“ von den 1990er Jahren bis zum frühen Teil des 21. Jahrhunderts – beendet. Dies ist ein verzweifelter Versuch, die Inflation in den Griff zu bekommen und sie auf ein ihrer Meinung nach beherrschbares Niveau von etwa zwei Prozent zu senken. Die Vertreter*innen der Bourgeoisie machen den Ukraine-Krieg für die Inflation verantwortlich. Aufgrund der Stagnation und des Rückgangs der Löhne in den letzten Jahrzehnten können sie die Inflation nicht wie in den 1970er/80er Jahren auf „überhöhte Lohnforderungen“ schieben. Also suchen sie nach einem anderen Dämon, den sie für das Problem verantwortlich machen – Putins Einmarsch in der Ukraine. Sie haben den Anstieg der Inflation vor dem Einmarsch Russlands unter den Tisch fallen lassen.

Der sprunghafte Anstieg der Gas- und Ölpreise hat den Inflationsdruck verstärkt, ist aber nicht die Hauptursache des Problems. Denn das ist die Geldpolitik der Regierungen und die massiven Geldspritzen der Regierungen und Zentralbanken in den imperialistischen Ländern, die dem Problem zugrunde liegen. Die massive Ausweitung von „Quantitative Easing“ nach dem Crash von 2007/8 (in Form von Geldspritzen an die Banken, aber nicht in Form von Investitionen in die Infrastruktur oder die Wirtschaft) und dann mit der Pandemie die Explosion von Billionen von US-Dollar, die in die Weltwirtschaft gepumpt wurden, um einen totalen Zusammenbruch abzuwenden, sind entscheidende Faktoren für den derzeitigen Inflationsanstieg. Diese staatlichen Interventionen verschafften Zeit, aber zu einem hohen Preis. Andere Faktoren wie Lieferkettenprobleme verschärfen das Inflationsproblem ebenfalls.

Als Reaktion darauf werden die Zinssätze hochgepumpt, um den Fluss des „billigen Geldes“ abzuschneiden und die Volkswirtschaften so in die Stagnation oder Rezession gedrückt. Die Zentralbanken stellen sich vor, dass sie die Inflation mit einem einfachen Dreh an der Zinsschraube in den Griff bekommen und dass dann alles wieder in Ordnung ist.

Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn die Inflation bereits in die Wirtschaft eingesickert ist – sie wird zu einem längerfristigen Problem. Wie bei anderen Aspekten der Wirtschaftspolitik verfolgen die herrschenden Klassen heute kein kohärentes Wirtschaftsprogramm oder eine kohärente Wirtschaftspolitik – ein Punkt, den Roubini erkennt. Sie haben keine Wirtschaftsgurus wie Adam Smith oder Hayek, wie es sie in anderen historischen Epochen gab. Bestenfalls haben sie auf der einen Seite die Moderne Geldtheorie (MMT) oder Versionen davon. Dabei handelt es sich um eine überarbeitete Version des Keynesianismus, die bereits teilweise eingesetzt wird, aber nicht zur Lösung der Krise beiträgt. Auf der anderen Seite erhöhen sie die Zinssätze, was einen rezessiven Druck hervorruft und den Markt weiter beschneidet, zusammen mit einer Verschärfung der Austeritätspolitik.

Aber selbst mit kapitalistischen Wirtschaftsgurus – wären sie in der Lage, eine dauerhafte Lösung für die systemische Krise zu finden, mit der sie konfrontiert sind? Heute sind die herrschenden Klassen dazu verdammt, von einer Krise in die nächste zu taumeln, wie ein Betrunkener, der versucht, im Dunkeln den Weg nach Hause zu finden. Sie kleben ein Pflaster auf einen Knochenbruch, indem sie eine kurzfristige Politik nach der anderen verfolgen. Heute werden die Zinssätze erhöht; die Fed und andere Zentralbanken leiten eine weitere Zinserhöhung ein, die kurzfristig zu einer weltweiten Rezession führen könnte. Morgen könnten sie die Zinsen wieder senken, um zu versuchen, die rezessiven oder depressiven Folgen dieser Politik abzuwenden – und so die Inflation weiter anheizen. Das Problem wird sein, dass dieser Weg irgendwann an sein Ende kommt und das System in eine noch tiefere Krise stürzt. Heißt das, wir stehen vor einer „finalen Krise“ des Kapitalismus? Eine solche Schlussfolgerung wäre ein Fehler. Solange er nicht gestürzt wird, kann der Kapitalismus auch in einer langwierigen Krise, wie wir sie jetzt erleben, fortbestehen. Er steht jedoch vor einem Abgrund, stolpernd in eine noch nie dagewesene, langwierige Ära des Aufruhrs und der Erschütterungen, in der mehrere Schocks und Krisen zusammenkommen.

Das System ist mit einem grundlegenden Widerspruch konfrontiert. Der Lebensstandard sinkt, ebenso wie das Reallohnniveau, aber es werden dringend neue Märkte benötigt. Aber wo sie zu finden sind, ist das Dilemma, vor dem der Kapitalismus steht. Wir leben in einer Situation, die Albert Einstein als „wirtschaftliche Anarchie der kapitalistischen Gesellschaft“ beklagte. Das blinde Spiel der Produktivkräfte, wie Marx es ausdrückte.

USA und China

Mit dem relativen Niedergang des US-Imperialismus und dem Aufstieg Chinas bricht eine neue Weltära an. Roubini erkennt dies als entscheidend an. Der starke Trend zur Deglobalisierung der Weltwirtschaft und die Debatten über diesen Wandel in der Weltwirtschaft werden durch den Aufstieg Chinas geprägt. Roubini warnt zu Recht vor dem Trend zur „Balkanisierung“ der Weltwirtschaft und dem Ende der „Hyperglobalisierung“. Die massive Verschärfung von Handelssanktionen, Zöllen und anderen Maßnahmen, die stattgefunden haben, deuten darauf hin. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich alle vollständig hinter nationale Schranken zurückziehen werden. Der Grad der Integration der Weltwirtschaft verhindert dies. Die Folge sind jedoch mehr regionaler Handel, Blöcke und instabile Bündnisse sowie mehr Handel und Abkommen innerhalb dieser Blöcke.

Der Zusammenstoß zwischen dem US-Imperialismus und China ist die alles überragende Frage in der neuen Weltlage. Roubini bezeichnet dies, wie viele andere auch, als „neuen kalten Krieg“. Was er dabei übersieht, ist, dass der erste „kalte Krieg“ zwischen zwei antagonistischen Gesellschaftssystemen stattfand – dem Kapitalismus und der stalinistischen Systeme mit einer zentralen Planwirtschaft und bürokratischen bonapartistischen Regimes. Die beiden Gesellschaftssysteme standen in einem ideologischen Konflikt zueinander. Der gegenwärtige „kalte Krieg“ findet zwischen dem westlichen Kapitalismus und dem modernen China (und seinen Verbündeten) mit seiner besonderen Form des Staatskapitalismus statt. Diese besondere Form des Staatskapitalismus geht auf den ehemaligen deformierten Arbeiter*innenstaat zurück, der den Kapitalismus und die Gutsherrschaft gestürzt und Staatseigentum und Planung eingeführt hatte, allerdings mit einem maoistischen bürokratisch-bonapartistischen Regime.

Ohne die Existenz dieses früheren Regimes hätte China nicht das Entwicklungstempo erreichen können, das es in den letzten Jahrzehnten erreicht hat. Dies ist ein entscheidender Faktor. Die von Modi und anderen geweckte Aussicht, dass Indien das erreichen könnte, was China erreicht hat, kann aus diesem Grund nicht verwirklicht werden. Der indische Kapitalismus und der Großgrundbesitz wurden nie überwunden. Dies wird verhindern, dass Indien in der Lage ist, das zu wiederholen, was in China geschehen ist.

Der Aufstieg Chinas ist aus historischer Sicht extrem schnell verlaufen. Kann er jedoch weitergehen? Das Regime von Xi Jinping sieht sich mit einem wachsenden Widerspruch konfrontiert, der sich aus dem Charakter des Staates und der von ihm eingeführten besonderen Form des Staatskapitalismus ergibt. Diese Form des Staatskapitalismus, die auf den ursprünglichen deformierten Arbeiterstaat folgte, ist nicht dasselbe wie die staatskapitalistischen Unternehmen (Unternehmen oder Gesellschaften im Besitz des kapitalistischen Staates), die es beispielsweise in Indien gibt oder gab. Roubini verwechselt die beiden in seiner Beschreibung der „pseudo-sozialistischen“ Wirtschaft in Indien – d.h. der verstaatlichten Unternehmen.

Das Regime in China will Kapitalismus, aber einen Kapitalismus, der von Partei und Staat gelenkt wird. Dies hat unweigerlich zu einem Konflikt geführt, da einige zunehmend unabhängige Teile der kapitalistischen Klasse keine Einmischung und Lenkung durch den Staat oder die KPCh wünschen. Dies hat sich auf dem jüngsten Kongress der Kommunistischen Partei Chinas und in den von Xi unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung ergriffenen Maßnahmen gegen Teile der kapitalistischen Klasse gezeigt. Das Verschwinden von Boa Fan, einem hochrangigen chinesischen Banker, der für seine Geschäfte im boomenden Technologiesektor bekannt war, verdeutlicht dies. Obwohl sich die chinesische Wirtschaft nach den COVID-Beschränkungen geöffnet hat, wird der Aufschwung wahrscheinlich begrenzt sein. Die Wirtschaft hat ihr Wachstumstempo im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten verlangsamt. Sie hat massive Schulden (330 Prozent des BIP), Immobilienblasen und andere Zeitbomben angehäuft, die alle auf grundlegende Probleme hindeuten, die sich nun in der chinesischen Wirtschaft entwickeln.

Auch bei der für das Regime so wichtigen Produktion von Computerchips liegt das Land derzeit hinter den USA und Taiwan zurück. Allerdings ist China dem Westen in der wichtigen Arena der KI-Forschung und -Entwicklung voraus. Roubini erkennt zwar die Probleme in China an, unterschätzt aber das Potenzial für den Ausbruch einer ernsten Krise in diesem Land.

Der Konflikt zwischen den USA und China ist das beherrschende Thema der geopolitischen Beziehungen in dieser Zeit. Es ist nicht auszuschließen, dass der Wirtschaftskrieg zu einem militärischen Zusammenstoß wird, insbesondere im Südchinesischen Meer, wo das aufstrebende China mit Japan, den Philippinen, Malaysia und anderen Ländern über eine Reihe von Ansprüchen streitet. Peking hat auch ein Auge auf die Wiedereingliederung Taiwans in China geworfen. Viele der Mächte in dieser Region bereiten sich zweifellos auf eine militärische Auseinandersetzung mit China vor. Weitere militärische Konflikte, wie sie sich in der Ukraine widerspiegeln, werden sich unweigerlich aus der Entstehung der multipolaren Welt ergeben, die nun Gestalt annimmt.

Umwelt

Zwei weitere Faktoren müssen in diese neue Weltordnung einbezogen werden. Erstens, die Umweltkatastrophe, die sich täglich abspielt. Diese wirkt sich unmittelbar auf die globalen wirtschaftlichen und politischen Prozesse aus. Es ist offensichtlich, dass der Kapitalismus, insbesondere ein Kapitalismus im Zeitalter der Krise, nicht in der Lage ist, dieses Problem zu lösen.

Unter dem Eindruck von Krise und Deglobalisierung haben sie einige Umweltvereinbarungen aufgekündigt. China und das Vereinigte Königreich sind wieder zu einer verstärkten Kohleproduktion zurückgekehrt. Investitionen zur Eindämmung des Anstiegs des Meeresspiegels usw. sind viel zu kostspielig. Ohne einen globalen Plan werden sich alle ergriffenen Maßnahmen nur als Linderungsmaßnahmen erweisen. Ein globaler Plan ist in einer Ära der Deglobalisierung mit zunehmendem Protektionismus und Rückzug hinter regionale und nationale Grenzen noch weniger realisierbar als in einer Zeit relativer kapitalistischer Stabilität und Ausgeglichenheit.

Die andere entscheidende Entwicklung, die sich auf die Wirtschaft und jeden Aspekt der Gesellschaft auswirken wird, sind die halsbrecherischen Fortschritte und Entwicklungen in den Bereichen KI, Robotik, Nanocomputer usw. Es finden Sprünge nach vorn statt. Weitere Entwicklungen sind unvermeidlich, doch die Geschwindigkeit der jüngsten Fortschritte ist beeindruckend. Jede Entwicklung verläuft zwangsläufig nicht geradlinig. Rückschläge und Misserfolge gehören zu jedem Fortschritt in Wissenschaft, Technik, Politik und anderen gesellschaftlichen Bereichen. Ist der erste Versuch, ein Flugzeug zu bauen, gelungen? „Scheitern ist Erfolg in Entwicklung“, sagte Albert Einstein.

Große Unternehmen investieren in diesen Bereich und es herrscht ein intensiver Wettbewerb zwischen Ländern und Unternehmen. Es wird erwartet, dass die weltweiten Investitionen in diesem Sektor bis 2025 232 Milliarden US-Dollar erreichen werden. Ein intensiver Wettbewerb findet auch zwischen den großen Unternehmen statt. Die Muttergesellschaft von Google, Alphabet, hat vor kurzem „Bard“ als Konkurrent zu Microsofts ChatGPT eingeführt. Wahrscheinlich zu früh auf den Markt gebracht, kostete es Google 100 Millionen US-Dollar, da die Aktien abstürzten. Die allgemeine Geschwindigkeit der KI-Fortschritte hat sich jedoch dramatisch erhöht.

Künstliche Intelligenz und andere technische und wissenschaftliche Sprünge werden in allen Wirtschaftsbereichen eingeführt. Inwieweit der Kapitalismus in den verschiedenen Ländern in der Lage sein wird, in diese Techniken zu investieren und sie anzuwenden, ist ungewiss. Sie unterscheiden sich jedoch von früheren technischen und wissenschaftlichen Fortschritten insofern, als diese, wenn sie angewandt wurden, neue Jobs anstelle jener schufen, die sie verdrängten. Bei der KI und anderen Entwicklungen ist das nicht der Fall. Dies wird vor allem große Teile der Mittelschicht betreffen. Durch die neue KI droht ein massiver Verlust von Arbeitsplätzen. Die daraus resultierenden Störungen, Arbeitslosigkeit und sozialen Probleme werden die Probleme des Kapitalismus verschärfen, nicht lösen. Marx warnte, dass „die kapitalistische Produktion die Technik und die Verbindung verschiedener Prozesse zu einem gesellschaftlichen Ganzen nur dadurch entwickelt, dass sie die ursprüngliche Quelle allen Reichtums – den Boden und die Arbeitskraft – aussaugt.“

Implikationen von KI

Langfristig können die Entwicklung der KI und andere wissenschaftliche Entwicklungen möglicherweise Auswirkungen auf die Evolution der Menschheit haben. Ist die Evolution mit dem Homo sapiens, wie wir ihn heute kennen, beendet? Eine solche Schlussfolgerung wäre unwissenschaftlich. Wie sich dies entwickeln wird, ist ungewiss und liegt in der Zukunft. Doch welche Folgen könnte es haben, wenn die KI so weit fortschreitet, dass sich Homo sapiens und KI vereinigen? Solche Fragen, die von Roubini und vor ihm von vielen anderen wie Alan Turing gestellt wurden, werden sich langfristig stellen. Solche Spekulationen mögen phantasievoll erscheinen, aber die aufgeworfenen Fragen sind komplex und beginnen sich bereits abzuzeichnen. Darwin, Einstein, Marx und viele andere wurden belächelt, als sie begannen, ihre Ideen zu äußern. Die entscheidende Frage lautet: Kann man dem Kapitalismus solche Entwicklungen zutrauen, selbst wenn er sie anwenden kann? Der Kapitalismus wird nicht in der Lage sein, die Vorteile der künstlichen Intelligenz auf die Masse der Bevölkerung anzuwenden. Ein globaler Plan und eine demokratische Kontrolle durch die Arbeiter*innenklasse sind unabdingbar, um sicherzustellen, dass Fortschritte in der KI usw. mit allen notwendigen Sicherheitsvorkehrungen eingeführt werden, damit die Menschheit als Ganzes davon profitiert.

Megathreats zeigt die toxischen, verfaulenden Tendenzen auf, die in der Ära einer langwierigen Reihe von Krisen im Kapitalismus am Werk sind. Es ist eine alarmierende, beängstigende Perspektive, die Roubini für die Zukunft im Kapitalismus aufzeigt. Die Dringlichkeit, aus den Gefängnismauern des Kapitalismus auszubrechen, eine alternative sozialistische Zukunft zu sehen und für sie zu kämpfen, ist die Schlussfolgerung, die aus diesem Buch gezogen werden muss.

Eine Diagnose zu stellen, ist eine Sache. Die Heilung ist eine andere. Roubini bietet einige Lösungen an: Wachstum, eine stärkere globale Zusammenarbeit, den Einsatz von Computern, um uns zu „retten“, und die Einführung eines universellen Sozialsystems – UBS. Letzteres ist in gewisser Form in einigen Ländern nicht ausgeschlossen, wird aber nicht ausreichen, um die zugrunde liegenden Krisen zu lösen. Als Gefangener des Kapitalismus sieht Roubini keine Alternative außerhalb seiner Gefängnismauern. Die Zukunft, die sich ihm bietet, ist entweder ein dystopischer Alptraum oder eine, in der Maßnahmen ergriffen werden, bei denen wir „stolpern, aber nicht zusammenbrechen“, so Roubini, „auch wenn sie alles andere als ideal sind“. Mit anderen Worten: Wir müssen das Schlimmste verhindern und etwas akzeptieren, das schlimmer ist als das, was heute existiert.

Roubini kommt zu Recht zu dem Schluss, dass – wenn der Kapitalismus weiter bestehen sollte – „Megathreats auf uns zu steuern. Ihre Auswirkungen werden unser Leben erschüttern und die globale Ordnung in einer Weise umwälzen, wie sie noch niemand zuvor erlebt hat. Schnallen Sie sich an. Es wird eine holprige Fahrt durch eine sehr dunkle Nacht werden.“

Die Aufgabe der Arbeiter*innenklasse und von Marxist*innen besteht darin, Licht in die Dunkelheit zu bringen und die Aussicht auf eine neue Gesellschaft zu eröffnen, die aus den Folgen der Megathreats des Kapitalismus ausbricht. Die Notwendigkeit einer Vision einer neuen globalen sozialistischen Alternative und die Notwendigkeit einer Bewegung, die in der Lage ist, sie zu verwirklichen, ist dringender und wichtiger denn je.

Nouriel Roubini: „Megathreats: 10 Bedrohungen unserer Zukunft – und wie wir sie überleben“, Ariston Verlag, 384 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3424202816