Friedlich und nicht antisemitisch gegen Besatzung und Krieg
In Aachen haben am Samstag 400 Menschen gegen Israels Krieg gegen Gaza demonstriert. Aufgerufen hatten Menschen aus der palästinensischen Community. Gleichzeitig fanden ähnliche Proteste in anderen Städten statt – in manchen wurden sie aber auch verboten.
Von Christian Walter, Aachen
Die Demo in Aachen war durchweg friedlich. Dabei würde die aktuelle Berichterstattung über palästina-solidarische Proteste anderes vermuten lassen: Demnach würden dort in hohem Maß die Morde an Zivilist*innen in Israel durch Hamas-Kämpfer gefeiert, die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Israel gefordert und insgesamt vor allem antisemitische Parolen gerufen. Ich weiß nicht, ob an dieser Darstellung hinsichtlilch einzelner Demonstrationen etwas dran ist. An der Aachener Demo habe ich aber teilgenommen und kann sagen: Sie passt nicht in dieses Bild.
Verzweiflung
Organisiert und aufgerufen hatten Menschen aus der palästinensischen Gemeinde, und auch der Großteil der Teilnehmenden dürfte eine entsprechende Migrationsgeschichte haben. Mehrere Redner*innen haben teils sehr emotional berichtet, dass sie Verwandtschaft in Gaza haben. Die Verzweiflung war spürbar: Die israelische Armee fordert die Menschen in Gaza zur Flucht auf, hält Gaza aber gleichzeitig unter Belagerung und die Grenze nach Ägypten ist geschlossen. Währenddessen fliegt die israelische Luftwaffe nonstop Angriffe. Zu ihren Zielen gehören neben Wohnhäusern auch Krankenhäuser, Rettungsdienste, Schulen und andere zivile Einrichtungen – angeblich alles auch von der Hamas genutzt. Zehntausende Menschen wurden dadurch bereits obdachlos, über 2000 Menschen sind getötet worden, zum Großteil Zivilist*innen. Ebenfalls hat Israel die Energie-, Wasser- und Güterlieferungen blockiert. Medizinische Einrichtungen warnen vor dem vollständigen Kollaps und dem unvermeidlichen Tod von Patient*innen, die beispielsweise auf Beatmung oder Dialyse angewiesen sind. Hunger nimmt zu, auch eine Wasserkrise droht – 95 Prozent des Wassers im Gazastreifen sind nicht trinkbar, der Landstrich ist auf Importe angewiesen. Der Gazastreifen ist gerade einmal halb so groß wie die StädteRegion Aachen, aber über zwei Millionen Menschen leben dort – damit gehört er zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt.
Schon vor einer Woche war die Lage im Gazastreifen schlimm. Aber nach den terroristischen Angriff der Hamas und dem daraufhin von Israel begonnenen Krieg ist Gaza zu einem „Höllenloch“ (UN) geworden.
Mit dem drohenden Einmarsch der israelischen Armee und der Vertreibung der Bevölkerung drohen „ethnische Säuberungen“ oder gar ein Völkermord, wie mehrere Redner*innen warnten. Führende israelische Politiker haben angekündigt, Gaza in Schutt und Asche zu legen. Netanjahu hatte schon vor dem Angriff der Hamas eine Karte der Region präsentiert, in der die palästinensischen Gebiete nicht eingezeichnet waren. Die Sorge vor massenhafter, brutalster Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung durch Israel ist vor dem Hintergrund sehr gerechtfertigt.
Entmenschlichung
Nach dem Hamas-Angriff auf Israel vor einer Woche war die Empörung groß – zu recht. Rechte Politiker in Israel haben das genutzt, um ihre rassistische Agenda auf die Spitze zu treiben: Palästinenser*innen wurden als „menschliche Tiere“ bezeichnet, so beispielsweise von Yoav Gallant, dem israelischen Kriegsminister. Ähnliche Bezeichnungen gibt es viele – und entsprechende Handlungen beispielsweise von rechten israelischen Gruppen, die die Siedlungspolitik im Westjordanland vorantreiben. Auch wenn deutsche Politiker*innen solche Bezeichnungen nicht übernehmen: Widerspruch gibt es auch nicht. Und in der Schlussfolgerung steht man bedingungslos hinter Israel. So meinte beispielsweise der CDU-Generalsekretär Linnemann, man müsse die „unschönen Bilder aushalten“. Damit dürfte er die Bilder eines in Trümmer gebombten Gazastreifens und unzähliger Leichen von Palästiner*innen gemeint haben. Das Rüstzeug dafür liefert Deutschland auch: Es steht ohne Bedingungen für Waffenlieferungen bereit, ergänzt nur um geheuchelte Appelle, Israel solle das Völkerrecht und humanitäre Grundsätze achten – obwohl allen klar ist, dass dies nicht geschieht.
Bei der Kundgebung in Aachen gab es eine große Empörung darüber. In Reden wurde gesagt, man müsse nicht für ein freies Palästina sein, aber zumindest solle man Palästinenser*innen als Menschen ansehen. Auf einem Transparent war zu lesen: „Wir sind keine Tiere“.
Hamas
In der omnipräsenten Hetze in allen Medien werden palästina-solidarische Proteste unter den Generalverdacht gestellt, den Terror der Hamas zu unterstützen. Mit dieser Begründung wurden in vielen Orten Demonstrationen kurzerhand verboten, ebenfalls werden Vereinsverbote vorbereitet und sogar Abschiebungen drohen. In Aachen war davon nichts spürbar. Redner*innen betrauerten zivile Opfer, explizit auch die in Israel. Zitat einer Rednerin: „Wir stehen hier in Solidarität mit Palästina. Aber wir bekunden auch unser Beileid mit den Toten der Gegenseite, den Zivilisten, die ihr Leben verloren haben.“ In mehreren Reden wurde ein Bild eines Nahen Ostens gezeichnet, in dem Menschen unterschiedlicher Religion friedlich zusammen leben. Eine Rednerin schilderte die Erzählungen ihres Großvaters, wonach in seinem Dorf Moslems, Juden und Christen in guter Nachbarschaft zusammen lebten.
Die zutiefst reaktionäre und arbeiter*innenfeindliche Hamas nährt sich aus israelischer Unterdrückung und dürfte solche Ideen fürchten. Die rechte israelische Regierung nährt sich wiederum aus dem Terror der Hamas, der die Bevölkerung Israels hinter der Regierung versammelt. Die Folge ist ein Teufelskreis, an dessen Anfang sicherlich nicht der Hamas-Terror von vor einer Woche steht, auch wenn er zu den Tiefpunkten gehört.
Auf der Aachener Kundgebung gab es keine deutlichen Distanzierungen von der Hamas als solcher. Das mag unterschiedliche Gründe haben: zum einen richtete sich die Demo gegen die Angriffe des Staats Israel auf Gaza. Es ist aber auch der Fall, dass die Hamas für viele Menschen aus Palästina nicht nur für Terrorangriffe, wie den vom 7.10. steht, sondern auch für Widerstand gegen die Besatzung und Unterdrückung und für Sozialprogramme, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung im Gaza-Streifen. Klar ist aber auch: Weder für die Politik, noch für die Methoden der Hamas gab es Unterstützung. Im Gegenteil: In Reden wurden Hoffnungen auf einen friedlichen, multiethnischen und multireligiösen Nahen Osten skizziert, die dem Programm der Hamas komplett entgegenstehen. Auch entgegen den reaktionären Vorstellungen der Hamas wurde die Kundgebung von Frauen dominiert, nur eine von einer Vielzahl an Reden wurde von einem Mann gehalten. Selbst Journalist*innen, die sich viel Mühe gegeben haben, Zitate zu bekommen, die später ins passende Bild gestellt werden könnten, waren nicht erfolgreich, denn es gab einfach keine. Ein Aachener Journalist fabrizierte daraus die Darstellung, solche Äußerungen habe es nur aufgrund polizeilicher Auflagen nicht gegeben. Doch die Wahrheit ist eine andere. Sol-Mitglieder, die u.a. auf einem Schild die Hamas klar abgelehnt haben, haben dafür von Demo-Teilnehmer*innen Zuspruch bekommen.
Religion
Bei der Kundgebung wechselten sich Beiträge voller Angst und Empörung, politische Forderungen und religiöse Ausrufe ab. Ein Großteil der Teilnehmer*innen kam aus der palästinensischen Community, von denen wiederum viele muslimischen Glaubens sind. „Allahu Akbar“ – „Gott ist groß“, dieser Ausspruch wurde oft gerufen. Eine Rednerin erklärte, was damit gemeint gewesen sei: Die Hoffnung, dass irgendwann Gerechtigkeit und Frieden herrschen. Sie erklärte auch, was nicht die Intention dieses Ausspruchs gewesen sei: Angst und Schrecken zu verbreiten. Eine notwendige Erklärung, wird unter „Allahu Akbar!“-Rufen auch Terror von islamistischen Attentätern verbreitet. Was mir als nicht-religiösem Menschen etwas befremdlich vorkam ist letztlich aber nichts ungewöhnliches, wenn es Leid, Trauer und Angst zu verarbeiten gilt: Dass eine politische Kundgebung Elemente eines Gottesdienstes enthält.
Forderungen
Eine Rednerin stellte klare Forderungen auf:
– Deutschland solle auf Israel einwirken, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten
– Die Siedlungspolitik müsse gestoppt werden
– Die Entmenschlichung der Palästinenser*innen müsse ein Ende haben
– Es dürfe keine deutschen Waffenlieferungen an Israel geben und
– Vertriebene Palästinenser*innen müssten ein Recht auf Rückkehr haben.
Es wurde auch eindringlich gewarnt vor einer weiteren Fortsetzung der Gewalt-Spirale, die das Potenzial habe, die ganze Region in einen Flächenbrand zu versetzen.
Die Leidtragenden von Krieg und Terror sind nicht in erster Linie die Reichen, die es sich leisten können, sichere Bunker in ihren Villen zu haben. Die Leidtragenden sind einfache Menschen aus der Arbeiter*innenklasse – auf beiden Seiten der Mauer.
Wir von der Sozialistischen Organisation Solidarität sehen die Verbindung der palästinensischen, arabisch-israelischen und jüdisch-israelischen Arbeiter*innenklasse als entscheidend an, um Krieg und Elend zu stoppen. Und um eine Perspektive auf eine friedliche Zukunft zu erkämpfen, die im Kapitalismus undenkbar ist. Hier und hier erfahrt ihr mehr über unsere Antworten.
Demonstration
Im Anschluss an die Kundgebung gab es eine kraftvolle Demonstration durch die Stadt. Vielerorts bekam die Demo Zuspruch, Passant*innen klatschten, Autofahrer*innen hupten. Einzelne fragten, ob die Demo sich für die Hamas ausspreche, aber das konnte schnell geklärt werden – unter anderem durch das Schild der Sol, das das klar verneinte. Aber auch andere Teilnehmer*innen trugen Schilder, die beispielsweise Haldmond, Davidstern und Kreuz nebeneinander zeigten und damit den Wunsch nach einem friedlichen Miteinander von Menschen unterschiedlicher Religionen zum Ausdruck brachten. Es dominierten aber natürlich palästinensische Fahnen. Ich konnte nur eine Provokation beobachten: Nach dem offiziellen Ende beleidigte ein Passant Menschen aus der Kundgebung. Angesichts der massiven öffentlichen Kampagne zur Diskreditierung palästina-solidarischer Aktionen hätte man mehr Gegenwind erwarten können.
Die gesamte Kundgebung und Demonstration wurde von einem Großaufgebot der Polizei in Kampfmontur begleitet – obwohl es weniger Zwischenfälle als bei jedem Dorffest gab. Auch das muss als politisches Instrument gewertet werden, um in der Öffentlichkeit ein Bild zu zeichnen: Wo Menschen sich für Palästina oder gegen den israelischen Krieg gegen Gaza engagieren ist mit Gewalt zu rechnen.
Linke
Mehrere Genoss*innen der Aachener Sol beteiligten sich an der Demo. Wir verteilten 150 Exemplare von unserer Stellungnahme und Einladungen zum Aachener Sozialismustag am 28. Oktober. Wir waren mit einer Fahne und zwei Protest-Schildern sehr sichtbar und haben sozialistische Ideen in die Demo getragen.
Auch einige andere linke Gruppen haben teilgenommen. Neben uns war jedoch nur „Jugend für Sozialismus“ mit einer roten Organisationsfahne erkennbar, andere Gruppen beschränkten sich darauf, mit Palästina-Fahnen aufzutreten. Wir meinen, dass Sozialist*innen gezielt Ideen von Arbeiter*inneneinheit gegen Krieg und Terror verbreiten und entsprechend offen auftreten sollten.
Von der Partei DIE LINKE waren leider keine offiziellen Vertreter*innen gekommen. Entsprechend der Linie der Bundespartei ist sie dem Anpassungstrend gefolgt und hat mit allen anderen „demokratischen“ Parteien im Stadtrat für den Folgetag zu einer Kundgebung unter dem Motto „Solidarität mit Israel!“ aufgerufen.