Ampelschaden und Gefahr von Rechts

Zu den Landtagswahlen in Hessen und Bayern

In Hessen und Bayern wurde gewählt und das Ergebnis ist vor allem eines: der nächste Tiefschlag für die Ampel-Regierung in Berlin. Es sind die aktuellen Schockwellen der Eskalation im Nahen Osten, die die Landtagswahlen trotzdem in den Hintergrund gerückt haben. Dabei warfen sie zum ersten Mal ernsthaft die Frage nach dem Fortbestand der Koalition bis zum Ende der Legislatur auf und werden in jedem Fall große Folgen haben. Sie sind sowohl Ausdruck als auch Verstärker der politischen Entwicklungen der letzten Zeit.

von Tom Hoffmann, Sol-Bundesleitung

Wahlgewinner waren CDU und CSU, AfD und Freie Wähler. Die CDU gewinnt in Hessen deutlich und die Söder-CSU wird in Bayern wieder stärkste Kraft – allerdings erneut weit entfernt von einer absoluten Mehrheit. Die AfD holt ihre stärksten Ergebnisse in Westdeutschland bis dato und liegt jeweils vor der SPD, die ja immerhin den Bundeskanzler stellt. Die Freien Wähler legen in Bayern deutlich zu (aber auch in Hessen liegen sie mit 3,5 Prozent mittlerweile vor der LINKEN) und gewinnen zum ersten Mal zwei Direktmandate, u.a. durch Parteichef Aiwanger, dem die Flugblattaffäre nicht geschadet sondern genützt zu haben scheint.

Ampel-Parteien angeschlagen

Alle Ampel-Parteien verlieren hingegen. Die SPD sammelt weiter historische Tiefstwerte ein. In Hessen, wo die Partei bis 1999 über vierzig Jahre den Ministerpräsidenten stellte, wird deutlich, wie sehr sich die Partei von ihrer einstigen Massenbasis in der Arbeiter*innenklasse entfernt hat. Dass die derzeitige Bundesinnenministerin Faeser als Spitzenkandidatin antrat, aber die Chuzpe besaß, von Beginn an auszuschließen, im Falle einer Niederlage von ihrem Posten zu weichen, hat dem nur das I-Tüpfelchen aufgesetzt.

Auch die Grünen, die in Hessen mit der CDU regierten und im Bund besonders für zum Beispiel unsoziale Energiepolitik stehen, verzeichnen Verluste. Auch gibt es einen besonders spürbaren Hass aus Teilen der Bevölkerung auf sie, auf den sie im Wahlkampf vor allem in Bayern trafen. Trotzdem fährt sie in Hessen ihr zweitbestes Ergebnis ein und bleibt die soziale Basis der Partei stabil, insbesondere in Großstädten. Ohnehin setzt sich bei dieser Wahl der Trend fort, dass in Stadt und Land und zum Teil innerhalb verschiedener Stadtteile sehr unterschiedlich gewählt wird. Das deutet auf eine wichtige Dimension der anhaltenden politischen Polarisierung hin. Die AfD verliert zum Beispiel in hessischen Großstädten sogar, während sie landesweit zulegt. Die Freien Wähler profitieren ebenfalls vor allem auf dem Land. Die Grünen hingegen können in Großstädten trotz der Gesamt-Verluste teilweise stärkste Kraft werden und Direktmandate holen.

Die FDP fliegt in Bayern aus dem Landtag und schafft es in Hessen mit Ach und Krach über die Fünf-Prozent-Hürde. Damit ist sie bei vier der letzten sieben Landtagswahlen aus dem Parlament geflogen.

DIE LINKE setzt ihr Trauerspiel fort, halbiert ihr Ergebnis in beiden Bundesländern und fliegt damit in Hessen aus dem Landtag. Sie ist damit in keinem westdeutschen Flächenland mehr parlamentarisch vertreten.

Wahlen und Umfragen zeigen weitverbreitete Sorgen

Landespolitische Themen spielten insbesondere in den letzten Wochen des Wahlkampfes kaum noch eine Rolle. Die angespannte wirtschaftliche Entwicklung, Klimawandel und Zuwanderung waren laut Nachwahlbefragung die wichtigsten Wahlthemen. Viele Wähler*innen nutzten die Gelegenheit, um den Regierungsparteien im Bund einen Denkzettel zu verpassen. Die Wahlen brachten damit die enorme Unzufriedenheit mit der Ampel zum Ausdruck, aber auch wie weit verbreitet Sorgen zu allen möglichen gesellschaftlichen Themen sind. Das gilt insbesondere für das Thema Zuwanderung, wo sich eine deutliche Mehrheit für eine Begrenzung ausspricht.

Laut ARD-DeutschlandTrend blicken vier von fünf Menschen beunruhigt in die Zukunft – ähnlich viele wie im letzten Herbst, als eine Energieversorgungskrise drohte. Nicht vergessen sollte man zudem, wie viele Menschen erneut bei keiner Partei ihr Kreuz machten und, von allen Parteien enttäuscht, zuhause blieben – in Hessen sind die Nicht-Wähler*innen „stärkste Partei“, in Bayern nur knapp hinter der CSU.

Rechte Gefahr und Migrationsdebatte

Sind diese Landtagswahlen ein mittelgroßes Erdbeben für die Ampel-Koalition und schwächen diese zusätzlich, so sind rechts von ihr Union, AfD und Freie Wähler gestärkt. Das ruft nachvollziehbarerweise Ängste vor einer weiteren Rechtsverschiebung auf der politisch-parlamentarischen Ebene und in der öffentlichen Debatte hervor. Schon wenige Tage nach den Wahlen ist klar, dass die Regierenden mit einer weiteren Verschärfung in der Migrationspolitik – das heißt vor allem mit der weiteren Beschneidung des Asylrechts und der Rechte von Geflüchteten – reagieren.

Die Eskalation im Nahost-Konflikt verzahnt sich mit der Migrationsdebatte. Nicht wenige bürgerliche Politiker*innen versuchen mit populistischer Rhetorik zu punkten und heizen rassistische Stimmungen an. So will CDU-Generalsekretär Linnemann zum Beispiel Palästinenser*innen, die jetzt auf die Straße gehen, die Staatsbürgerschaft entziehen. Aber die letzten Wochen haben auch bewiesen, dass es in der CDU auch Skeptiker*innen eines populistischeren Kurses gibt und die Partei nicht vor einer neuen Debatte um ihre Ausrichtung gefeit ist.

Die eigentlichen sozialen Probleme (Wohnungsnot, kaputtgesparte öffentliche Infrastruktur, marodes Gesundheitswesen, Personalmangel), auf deren Grundlage die Sorgen in der Bevölkerung vor Zuwanderung überhaupt erst entstehen können, wird keine der etablierten Parteien beheben. Wie wir an anderer Stelle erklärt haben, müssen Linke deshalb im Kampf gegen Rechts die gemeinsamen sozialen Interessen der Bevölkerungsmehrheit unabhängig von Herkunft und Hautfarbe betonen – ohne aufzuhören für die Wiederausweitung des Asylrechts, ein Bleiberecht für Alle und der Rechte von Geflüchteten einzustehen. Denn das ist weiter ohne Einschnitte für die Masse der Bevölkerung möglich, wenn das Vermögen der Super-Reichen und die Rekordprofite der Banken und Konzerne angezapft und genutzt würden, um zum Beispiel Wohnungsmangel, marode Gesundheitsversorgung und kaputt gesparte Infrastruktur im Interesse aller zu bekämpfen.

AfD-Erfolge

Die AfD-Erfolge machen vielen am meisten Angst. Sie weisen erneut daraufhin, dass die Partei kein ostdeutsches Phänomen ist. In bundesweiten Umfragen liegt sie bei über zwanzig Prozent. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im nächsten Jahr liegt sie auf Kurs stärkste Kraft zu werden. Das wird die Instabilität des politischen Systems weiter verschärfen. Gleichzeitig sprechen Umfragen dafür, dass die Partei ihr Wähler*innenpotenzial zurzeit so gut wie völlig ausschöpfen kann – dieses aber selbst in den letzten Monaten nicht gewachsen ist und auch die Ablehnung der AfD nicht nachgelassen hat.1

Das macht die Entwicklung nicht ungefährlicher, aber es ist ein Hinweis darauf, dass die Rechtsverschiebung auf der parlamentarischen bzw. Umfrageebene nicht mit einem qualitativen Rechtsruck in der Gesellschaft, bei politischen Ansichten der Bevölkerung usw. verwechselt werden darf. Die Gefahr einer Zunahme rassistischer Stimmungen bis hin zu Angriffen auf Geflüchtete ist real. Die Verantwortung dafür trägt aber nicht nur die AfD, sondern auch Union und Ampel-Parteien, welche die Notwendigkeit einer Verschärfung in der Migrationspolitik herbeireden.

Ampel vor dem Ende?

Die Ampel-Koalition wird nach diesen Wahlen nicht weniger zerstritten sein, da alle ihre Bestandteile Federn lassen. Die SPD gerät in bundesweiten Umfragen wieder in Richtung der 15-Prozent-Marke. Dass die FDP aus dem Bundestag fliegen kann, beweist nicht nur die aktuelle Sonntagsfrage, sondern hat sie vor zehn Jahren schon einmal erlebt. Diese Perspektive kann zum Beispiel bei der FDP auch zu einer deutlicheren Infragestellung der Regierungsbeteiligung führen.

Der Kanzler suchte in den letzten Wochen bereits vermehrt die Kooperation mit der Union, was letztlich auch ein Ausdruck der internen Konflikte und eigenen Schwäche der Regierung ist. In einer Insa-Umfrage sprach sich nun eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent für vorgezogene Neuwahlen aus. Auch in der herrschenden Klasse und in den Parteispitzen wird die Frage eines vorzeitigen Auseinanderbrechens diskutiert.

Hinzu kommt: Teile des Kapitals dürften beginnen sich zu überlegen, ob sich eine CDU-geführte Deutschland-Koalition nicht in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen eher einig wird als unter Beteiligung der Grünen. Aus Kapitalsicht würde für Neuwahlen auch sprechen, dass man sich der LINKEN entledigen könnte, die wohl (auch wegen der Reform der Direktmandatsklausel) aktuell nicht mehr einziehen würde. Einer potenziellen Wagenknecht-Partei, deren Gründung durch die Landtagswahlen nochmals wahrscheinlicher geworden ist und welche aus Kapitalsicht die politische Instabilität genauso wie eine vermutlich stärkere AfD anheizen würde, würde man gleichzeitig weniger Zeit zur Vorbereitung geben. Die Veränderungen in der Parteienlandschaft, die bereits in den letzten Jahren stattgefunden haben, dürften fortschreiten.

Dass es nun unmittelbar zu Neuwahlen kommt, ist dennoch unwahrscheinlich – auch weil das Kapital kein Interesse aus der daraus resultierenden Instabilität und temporären Handlungsunfähigkeit angesichts der vielen, auch internationalen Krisen, hat. Dennoch haben die Landtagswahlen diese Möglichkeit ein Stückchen größer gemacht.

Es spricht einiges dafür, dass für Sozialist*innen und Linke nun schwierige Wochen bevorstehen. Die Stärkung rechtsbürgerlicher und rechtspopulistischer Parteien und eine von diesen Kräften dominierte Migrationsdebatte, welche sich mit der Debatte um den Nahost-Konflikt vermischt, ist kein leichtes Terrain für diejenigen, die die Grenze zwischen oben und unten ziehen und die Verantwortung für die sozialen Probleme nicht bei „den Ausländern“, Geflüchteten usw. sondern den Banken und Konzernen und der Regierung sehen.

Sozialistische und marxistische Ideen können dennoch ein Leuchtturm sein, weil sie nicht nur erklären, woher die relative Stärkung rechter und rechtspopulistischer Parteien kommt, sondern auch erklären, dass sie ihre Grenzen haben und zurückgedrängt werden können. Die Sol wird deshalb alles daran setzen, solche Ideen umso energischer zu verbreiten.

1https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-extra-afd-100.html

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