Präsident Reagan: „Unsere Tage der Schwäche sind vorbei“

Foto: Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/US-Invasion_in_Grenada#/media/Datei:US_Army_Rangers_parachute_into_Grenada_during_Operation_Urgent_Fury.jpg)

US-Invasion auf Karibikinsel Grenada im Oktober 1983

Am Morgen des 25. Oktober 1983, vor genau vierzig Jahren, begann „Operation Urgent Fury“, und damit der Einmarsch von US-Truppen auf der Insel Grenada, die nordöstlich von Venezuela liegt. Innerhalb weniger Tage nahmen über 7000 US-amerikanische Soldaten die Insel, die nicht mal die Hälfte der Fläche Berlins hat, ein.

von Chiara Stenger, Berlin

Die Insel in der Karibik sieht mit ihren weißen Stränden und dem blauen Meer aus wie aus einer Rafaelo Werbung. Doch die Geschichte des kleinen Inselstaates ist alles andere als idyllisch. Zur Kolonialzeit wurde die karibische Bevölkerung komplett ausgerottet, verschleppte afrikanische Sklav*innen mussten für die Kolonialherren Zuckerrohr anbauen. In Kriegen und Friedensverträgen fiel die Insel abwechselnd an Frankreich und Großbritannien, bis sie endgültiger Teil des britischen Kolonialreiches war. 1974 wurde die Insel politisch unabhängig, blieb jedoch in wirtschaftlicher Abhängigkeit. Premier des unabhängigen Grenada wurde Eric Gairy. Dieser gründete 1950 eine Gewerkschaft für Plantagenarbeiter*innen, aus der seine Partei „Grenada United Labour Party“ entstand. Als Premierminister regierte er jedoch zunehmend diktatorisch, baute eine Geheimpolizei auf, um Gegenbewegungen zu unterdrücken und erhielt sogar Waffenlieferungen von Chiles Diktator Pinochet, der einer seiner einzigen Verbündeten war.

Soziale Verbesserungen…

Eric Gairy wurde 1979 in einer Machtübernahme von der linken Bewegung „New Jewel Movement“ (NJM) und ihrer Nationalen Befreiungsarmee unter Maurice Bishop abgesetzt. Bishop sagte: “Wir sind ein kleines Land, wir sind ein armes Land mit einer Bevölkerung, die größtenteils afrikanischer Abstammung ist, wir sind ein Teil der ausgebeuteten Dritten Welt, und wir haben definitiv ein Interesse daran, eine neue internationale Wirtschaftsordnung zu schaffen, die dazu beiträgt, wirtschaftliche Gerechtigkeit für die unterdrückten und ausgebeuteten Völker der Welt zu gewährleisten.” Die neue linke Regierung führte viele soziale Reformen durch, die das Leben der Menschen spürbar verbesserten und zu massenhafter Unterstützung der Regierung führten. Die Arbeitslosigkeit sank von 49 Prozent auf 14 Prozent und die Wirtschaft des Inselstaates wuchs um 5,5 Prozent. Das Bildungssystem wurde besser, es wurden Schulen gebaut und die Alphabetisierungsrate stieg, Arztbesuche wurden kostenlos, Kinder und Schwangere erhielten Milch. Hunger und Elend nahmen stark ab. Es gab Investitionen in Infrastruktur, Straßen und den Tourismus.

ein Dorn im Auge der US-Regierung

Maurice Bishop wollte blockfrei bleiben und setzte seinerseits auf gute Beziehungen zu anderen Staaten, so auch zu den USA, der die sozialen Reformen, aber auch die gleichzeitige gute Zusammenarbeit mit Kuba und der Sowjetunion jedoch ein Dorn im Auge waren. Die US-Regierung versuchte durch Gerüchte der grenadischen Tourismusindustrie, einer wichtigen Einnahmequelle, zu schaden. Außerdem veranlasste sie den Internationalen Währungsfonds dem Inselstaat Kredite nicht zu genehmigen. Durch Lügen-Propaganda über vermeintliche sowjetische Waffenlieferungen, den angeblichen Bau einer U-Boot-Basis oder Lieferungen von Kampfhubschraubern verfolgte die US-Regierung das Ziel, ein mögliches Eingreifen zu legitimieren. Schließlich hieß es, auf der Insel solle ein Flughafen als Militärstützpunkt für Kuba und die Sowjetunion entstehen. Tatsächlich wurde ein internationaler Flughafen gebaut, der u.a. von Kuba unterstützt wurde, aber auch von über 20 anderen Staaten, darunter auch Kanada, Venezuela oder verschiedenen europäischen Ländern. Die Unterstützung der Bishop-Regierung erregte Zorn in den Vereinigten Staaten, die weder ein weiteres Kuba „vor ihrer Haustür“, noch ein Überschwappen der Ideen und Politik Grenadas auf größere karibische Länder wie das nahe gelegene Trinidad und Tobago oder Jamaika wollten.

Angeblicher Militärflughafen als Vorwand

Der damalige US-Präsident Ronald Reagan behauptete, der geplante Flughafen könne aufgrund seiner Größe nur für militärische Zwecke gedacht sein. Und das obwohl selbst US-amerikanische Verteidigungsbeamt*innen bestritten, dass der Flughafen eine militärische Bedrohung für die USA darstellten könnte. Und auch britische Unternehmen, die am Bau beteiligt waren, bestritten, dass es sich um eine militärische Landebahn handeln könne. Auch die Regierung Grenadas wies die Anschuldigungen Reagans zurück und konnte die geplante zivile Nutzung belegen. Premierminister Bishop besuchte sogar die USA, um deren Zweifel einzudämmen. Doch als er zurückkam, brach ein offener Machtkampf zwischen Fraktionen der New Jewel Movement und der Armee aus und das Militär unter Führung seines innerparteilichen Konkurrenten Bernard Coard und General Hudson Austin putschte am 12. Oktober 1983. Bishop und seine Kabinettsmitglieder wurden verhaftet und schließlich hingerichtet, Coard und Austin übernahmen die Führung. Hintergrund des Konflikts waren Uneinigkeiten bzgl. der Beziehungen zu den USA und der Sowjetunion. Bernard Coard war Teil des stalinistischen Flügels und stand für eine stärkere Orientierung auf die Sowjetunion und auf Kuba. Er sammelte einflussreiche Mitglieder des NJM um sich. Demonstrationen gegen die Verhaftung Bishops wurden blutig niedergeschlagen, ca. 100 Menschen wurden erschossen. Dieser gewaltsame Staatsstreich stellte eine willkommene Gelegenheit für Reagan & Co. dar, um die lang geplante Intervention nun militärisch umzusetzen. Als Vorwand diente einerseits die Gefährdung von US-Bürger*innen auf der karibischen Insel, aber auch „dem Chaos zuvorzukommen“. Klar ist jedoch auch: Selbst ohne diesen Putsch hatten die USA eine Invasion vorbereitet, die sie durch die Verbreitung von Unwahrheiten legitimieren wollten. Selbst wenn einige der Anschuldigungen wahr gewesen wären, hätte das aber selbstverständlich kein derartiges militärisches Eingreifen gerechtfertigt.

Asymmetrische Kräfteverhältnisse: US-Militär vs. Inselstaat

Der Erfolg der Invasion stand von Anfang an außer Frage, da die US-Armee den grenadischen Regierungstruppen personell und materiell weit überlegen war. Tatsächlich war der Sieg aber vor allem dem zahlenmäßig stark unterlegenen Gegner geschuldet, denn die Invasionsgruppen nutzen zur Navigation Kopien von Karten für touristische Zwecke, und ein Offizier musste von einem Münztelefon aus seinen Stützpunkt in North Carolina anrufen, um Luftunterstützung anzufordern, weil die Kommunikation ausgefallen war. Während der Invasion bombardierten US-Militärs zivile Ziele, darunter ein Krankenhaus in der Hauptstadt St. Georges. Insgesamt starben fast einhundert Menschen. Hunderte wurden verwundet.

Invasion als Lösung politischer Probleme

Als Voran-Gruppe (Vorgängerorganisation der Sol) schrieben wir 1983: „Reagan will seinen Feldzug gegen den ‘Weltkommunismus’ in einem Land führen, wo der Erfolg relativ sicher ist.“ Eine solche „erfolgreiche“ Invasion hatte Reagan aber auch aus innenpolitischen Gründen dringend nötig, da nur zwei Tage vor der Invasion große Kritik der US-Bevölkerung hagelte, als über 200 US-amerikanische Soldaten der sogenannten UNO-Friedenstruppen im Libanon getötet wurden. Die erfolgreiche Invasion des karibischen Inselstaates von tausenden US-Soldaten gegen die zahlenmäßig kleinen Milizen auf Grenada hob Reagan wieder in ein Umfragehoch. Nachdem er eine Insel mit nur 90.000 Einwohner*innen besetzt hatte, erklärte er absurderweise: “Unsere Tage der Schwäche sind vorbei”.

Verhältnisse zugunsten kapitalistischer Interessen in Gefahr

In der VORAN von 1983 schrieben wir richtigerweise: „Wenn nicht todernste politische und strategische Interessen auf dem Spiel ständen, wäre die Invasion auf Grenada fast lächerlich. Es geht weniger um einen vermeintlichen Militärflughafen im Süden der Insel als um die bedrohliche Lage in der Karibik. Diese Region umfasst 4,5 Millionen Einwohner und ist ein bemerkenswerter Absatzmarkt, vor allem für die USA. Wichtiger jedoch ist ihre politische Bedeutung, da aufgrund der schrecklichen Armut dort die Verhältnisse zuungunsten kapitalistischer Interessen umzukippen drohen. Diese ehemaligen Kolonien gingen verarmt und ausgebeutet in die Unabhängigkeit und können die einfachsten Bedürfnisse der Bevölkerung nicht befriedigen. Kein karibischer Staat kann sich auf dem Weltmarkt behaupten […].“ Wir unterstützen die Reformen der Bishop-Regierung, die das Leben der einfachen Menschen enorm verbesserten, und stellten uns gegen den Putsch der USA.

Notwendigkeit von Arbeiter*innendemokratie

Gleichzeitig kritisierten wir schon damals, dass die Bishop-Regierung, obwohl sie in Worten eine neue Wirtschaftsordnung anstrebte und wie bereits beschrieben „wirtschaftliche Gerechtigkeit für die unterdrückten und ausgebeuteten Völker der Welt“ gewährleisten wollte, einen Großteil der Wirtschaft in privater Hand ließ. Dazu kam der schwerwiegende Fehler, dass Bishops Regierung, die zwar durch die Reformen die Unterstützung der Massen hatte, jedoch nicht durch eine wirkliche Arbeiter*innenrevolution an die Macht kam. Für den Aufbau des Sozialismus wäre aber die aktive Beteiligung der grenadischen arbeitenden und armen Bevölkerung unabdingbar gewesen. Hätten Arbeiter*innenkomitees die Funktionen des Staates und des Militärs ausgeübt, wäre ein Putsch erschwert oder sogar unmöglich gemacht worden. Die Arbeiter*innen und Bauern hätten die Kontrolle und über die Wirtschaft, Produktion und Verteilung von Gütern haben und diese demokratisch verwalten müssen. Der Aufbau einer wirklichen Arbeiter*innendemokratie wäre notwendig gewesen, die Staat und Militär nicht nur kontrolliert, sondern durch den Aufbau unabhängiger und demokratischer Strukturen auch übernimmt. Das Beispiel Grenada zeigt aber auch, dass isolierte soziale Reformen eines Landes nicht ausreichen und dass internationale Zusammenarbeit und Solidarität der Arbeiter*innen, Bauern und armen Schichten nötig ist. Beispielsweise hätte ein Generalstreik der US-Arbeiter*innenklasse gegen die Militäroperation eine enorme Wirkung zeigen können und spätere US-Interventionen erschwert oder unmöglich gemacht. In der Voran-Ausgabe vom Dezember 1983 schrieben wir: „Arbeiter, Linke und Sozialisten in der ganzen Welt haben gegen die Grenada-Invasion protestiert und verstanden, daß der Kapitalismus keinen anderen Ausweg aus der Krise weiß als Unterdrückung und Gewalt – sei es in der Karibik, Mittelamerika oder der Dritten Welt.“ Deutlich wird aber auch, dass die gewaltsame Eroberung der Macht gegen die Bevölkerung durch eine Minderheit, wie es die stalinistische Clique um Coard versuchte, nicht funktionieren kann. Sie ist nicht vereinbar mit sozialistischen und demokratischen Prinzipien.

Was 1983 galt und auf traurige Weise verdeutlicht wurde, gilt heute noch immer: Der Kapitalismus kann uns keine lebenswerte Zukunft bieten, weder in der Karibik noch sonst wo. Auch wenn Reformen innerhalb dieses Systems erkämpft werden können und sie die Situation der arbeitenden und armen Bevölkerung zeitweilig verbessern können, können sie auch immer wieder rückgängig gemacht werden, vor allem, wenn die Massen sich nicht demokratisch und selbstständig organisieren. Grenada ist heute eines der ärmsten Länder der Karibik und eine der ärmsten Regionen der Welt. Dort, gilt ebenso wie für den Rest der Welt, dass wir wirklich demokratische, sozialistische Arbeiter*innenparteien brauchen, um Armut, Kapitalismus, imperialistische Kriege und Invasionen zu bekämpfen und für eine sozialistische Veränderung einzutreten.

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