Gegen Rassismus und Diskriminierung – Demokratische Rechte verteidigen!
Der gesellschaftliche Umgang mit dem Nahost-Konflikt in Deutschland ist von doppelten Standards geprägt. Palästinenser*innen, Araber*innen und Muslime und Muslimas sind einer Welle staatlicher Repression und Rassismus ausgesetzt. Jegliches Entsetzen über die brutalen Angriffe des israelischen Militärs und die Solidarisierung mit Palästinenser*innen gerät unter den Verdacht des Antisemitismus. Menschen, denen auf Grund ihres Aufenthaltsstatus grundsätzliche demokratische Freiheiten verweigert werden oder die tagtäglich von Rassismus betroffen sind, werden jetzt noch mehr in die Enge getrieben. Und nicht nur das: Inzwischen debattieren die etablierten Parteien offen darüber demokratische Rechte einzuschneiden und die Anerkennung des Existenzrchts Israels zur Grundvoraussetzung zu machen, um in Deutschland eingebürgert zu werden.
Von Jens Jaschik, Sol Dortmund
In Berlin waren die Repressionen in den letzten Wochen besonders krass. Nicht nur löste die Polizei viele Demonstrationen brutal auf und kriminalisierte Aktivist*innen, sondern marschierte sie durch Neukölln, um Palästina-Fahnen von Geschäften und Wohnungen zu entfernen. An Berliner Schulen ist das Tragen von Palästinenser-Schals verboten. In einer Grundschule müssen Schüler*innen laut Berichten einen Gesinnungstest ausfüllen, wie sie zum aktuellen Konflikt stehen. Wer „Freiheit für Palästina“ ruft, begeht ein Gedankenverbrechen. Selbst eine Kundgebung der Jüdischen (!) Stimme für gerechten Frieden in Nahost wurde verboten, weil – so die Polizei Berlin – die Gefahr bestand, dass von dieser Antisemitismus und Gewalttätigkeiten ausginge. Jegliche Solidarität mit Palästina und Kritik am brutalen Vorgehen Israels wird als Antisemitismus denunziert. Der Krieg soll auf eine einfache Frage reduziert werden: Entweder man ist bedingungslos für Israel oder man ist ein*e Hamas-Unterstützter*in.
Die Bundesregierung steht bedingungslos an der Seite der israelischen Regierung und ignoriert die Verbrechen des israelischen Staates. Das hat einen einfachen Grund: Der Staat Israel spielt im Nahen Osten für die Aufrechterhaltung der bestehenden Weltordnung eine zentrale Rolle, er ist der Brückenkopf des Imperialismus in einer öl- und rohstoffreichen Region. Aus historischen Gründen ist das Bekenntnis zu diesem Staat und seine Unterstützung für den deutschen Kapitalismus von großer Bedeutung und gehört zur deutschen Staatsräson. Im Zuge der globalen Instabilität ist die Unterstützung Israels für das deutsche Kapital wichtiger denn je. Die Spirale von Terror und Gewalt im Nahen Osten hat ihre Ursache in der Besatzung bzw. Abriegelung palästinensischer Gebiete durch den Staat Israel und der Verweigerung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung der Palästinenser*innen. Dies ist untrennbar verbunden mit den Interessen des westlichen Imperialismus in der Region, der den Staat Israel als seinen Vorposten betrachtet.
SPD-Mitglied und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschuss im Bundestag, Michael Roth, erklärte bei Markus Lanz, dass man Israel in seinem Krieg gegen Gaza unterstützen muss – auch wenn es bedeutet, „dass dies nicht mit schönen Bildern verbunden ist“ und es allen klar sein muss „dass es schrecklich wird“. Aber nicht alle Menschen sind bereit, angesichts der schrecklichen Bilder aus Gaza und den Entwicklungen im Westjordanland diese Erzählung zu akzeptieren und vielepositionieren sich gegen den Krieg gegen Gaza.
Wir müssen deutlich sagen: Die Gegnerschaft der Palästinenser*innen gegen Besatzung und Unterdrückung durch den Staat Israel ist legitim – und Palästinenser*innen haben ein Recht auf Widerstand. Das zu sagen, heißt nicht dass man den Terror der Hamas gegen Zivilist*innen unterstützt. Wir sind stattdessen für eine demokratisch organisierte Massenbewegung der Palästinenser*innen gegen ihre Unterdrückung. Angesichts der gewaltigen Verbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung ist es absolut notwendig, seine Solidarität zu zeigen und sich dem Mantra der deutschen Regierung entgegenzustellen. Wir treten dafür ein, im Rahmen des palästinensischen Befreiungskampfes reaktionäre bürgerlich-nationalistische und islamistische Ideen zurückzudrängen und die Frage der nationalen Befreiung Palästinas mit einer sozialistischen Perspektive zu verbinden.Das beinhaltet die Idee, die gemeinsamen Klasseninteressen der arabischen und jüdischen Lohnabhängigen und der Armen herauszustellen und den Kampf für sie zu befördern. Wir weisen alle Versuche zurück, den palästinensischen Widerstand per se als antisemitisch zu diffamieren. Hier und hier könnt ihr unsere aktuellen Erklärung zum Krieg gegen Gaza lesen.
Heuchelei und doppelte Standards
Natürlich gibt es auch Antisemitismus unter Palästinenser*innen und Araber*innen. Aber wenn Teile des deutschen Establishments von einem „importierten Antisemitismus“ sprechen, dient das als Grundlage für rassistische Hetze und ist das in dem Land, von dem der Holocaust ausging, eine mindestens ahistorische Behauptung. Das Ziel der Bundesregierung ist es nicht Antisemitismus zu bekämpfen, sondernanti-kolonialen Widerstand und Palästina-Solidarität an sich zu verunglimpfen. Palästinenser*innen, Araber*innen und Muslime und Muslimas werden nicht nur unter den Generalverdacht des Antisemitismus gestellt, sondern ihnen wird direkt gedroht, ihnen demokratischen Rechte zu nehmen und sie leichter und schnellerabzuschieben. Migrant*innen-Vereine, die eine kritische Position zu Israel haben, sollen in ihrer Arbeit und Finanzierung eingeschränkt werden. Die aktuelle Situation wird von der Politik gezielt genutzt, um Asylrechtsverschärfungen durchzusetzen und Abschiebungen umzusetzen.
Gleichzeitig lenkt man vom Versagen des politischen Establishment im Kampf gegen Antisemitismus und rassistische und rechtsextreme Ideen ab. Die größte Gefahr für Jüdinnen und Juden und antisemitische Straftaten gehen in Deutschland immer noch von deutschen Nazis aus (aber niemand diskutiert über die Aberkennung von deren Staatsbürgerschaft). In ganz Deutschland befindet sich die AfD im Aufschwung. Es ist kein Zufall, dass der Staat gegen rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr oder gegen Nazi-Aufmärsche nicht mit solch einer Härte vorgeht wie gegen die Palästinenser*innen.
Wir müssen uns diesen Angriffen entgegenstellen und die demokratischen Rechte aller Menschen, die in Deutschland leben verteidigen. Das beinhaltet den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus ebenso wie die Ablehnung von Verboten pro-palästinensischer Demonstrationen und Vereine, wie Samidoun. Als Sozialist*innen haben wir Kritik an Organisationen der palästinensischen Bewegung, die es für nötig halten, sich in ein Bündnis mit reaktionären Organisationen wie Hamas zu begeben. Sie zeigen damit keinen Weg für echte soziale und nationale Befreiung der Palästinenser*innen auf – auch weil sie keine Vorstellung entwickeln, wie man die israelisch-jüdische Arbeiter*innenklasse auf Basis eines sozialistischen Klassenprogramms für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen gewinnen kann. Die Sol nimmt einen unabhängigen Klassenstandpunkt ein, der für die Einheit der Arbeiter*innen und Armen und für eine sozialistische Lösung unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechts beider Völker eintritt. Doch Verbote des deutschen Staates richten sich gegen Palästina-Solidarität als Ganzes und sind kein Schlag gegen Antisemitismus.
Widerstand nötig!
Es ist notwendig, dass sich Gewerkschafter*innen, Sozialist*innen und Aktivist*innen mit der palästinensischen Bewegung solidarisieren und gegen die Einschränkung demokratischer Rechte stellen. Auf Grund der massiven Repressionen ist es für viele Palästinenser*innen und Araber*innen schwer, auf die Straße zu gehen, weil sie Angst haben, verhaftet und abgeschoben zu werden. Linke in Deutschland haben eine besondere Aufgabe ihre Solidarität zu zeigen. Wir müssen uns an Protesten und Demos beteiligen, Polizeiübergriffe dokumentieren, unsere Kolleg*innen und Freund*innen aufklären, in Vereinen und Gewerkschaften Resolutionen einbringen, um eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Wir müssen uns gegen Verbote, gegen rassistische Gesetzesnovellen und Abschiebungen stellen. Internationale Solidarität war immer ein Kernbestand der Arbeiter*innenbewegung – diese müssen wir verteidigen, auch wenn wir gegen den Strom schwimmen. Gleichzeitig müssen wir deutlich machen, dass nur der Aufbau einer starken Arbeiter*innenbewegung und der Kampf gegen jede Form von Spaltung – sei es Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus – und für eine sozialistische Alternative, die effektivsten Mittel sind, um der Propaganda der Medien und des politischen Establishments entgegenzuwirken.
Wir fordern:
- Das Recht auf Protest gegen die Kriegs- und Besatzungspolitik des Staats Israel
- Rücknahme des Verbots von palästinensischen Symbolen und Demonstrationsslogans
- Nein zur Einschränkung demokratischer Rechte für Palästinenser*innen
- Gegen Waffenlieferungen an Israel
Wir treten ein für:
- Für demokratisch organisierte lokale Verteidigungsausschüsse durch die sich die Menschen unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit gegen Angriffe verteidigen können
- Für einen Massenkampf der Palästinenser*innen unter ihrer eigenen demokratischen Kontrolle, um für ihre Befreiung zu kämpfen
- Für den Aufbau unabhängiger Arbeiter*innenparteien in Palästina und Israel und Verbindungen zwischen ihnen
- Für einen unabhängigen, sozialistischen palästinensischen Staat an der Seite eines sozialistischen Israels, mit Jerusalem/Al-Quds als gemeinsame Hauptstadt und garantierten demokratischen Rechten für alle Minderheiten, als Teil des Kampfes für einen sozialistischen Nahen Osten