Krieg gegen Gaza

Foto: Wafa (Q2915969) auf Wikicommons

Der Kapitalismus bietet der Region keinen Ausweg aus dem Teufelskreis

Vorbemerkung: Dieser Artikel stammt aus der Nummer 230 der sozialistischen Zeitung Solidarität und wurde vor dem Ende der Feuerpause und der Fortsetzung der militärischen Offensive der israelischen Armee in Gaza verfasst.

Ende November, da dieser Artikel für die Solidarität geschrieben wird, dauert Israels Krieg gegen Gaza schon acht Wochen. Über 13.000 Palästinenser*innen wurden getötet, 1,7 Millionen mussten ihre Häuser verlassen und vor der israelischen Armee fliehen. Der Staat Israel hat den Terror der Hamas vom 7. Oktober, dem über eintausend israelische Zivilist*innen zum Opfer fielen, mit massivem Staatsterror beantwortet. Das Leid der Palästinenser*innen erreicht nach Jahrzehnten der Vertreibung und Unterdrückung einen neuen Höhepunkt.

von Tom Hoffmann, Sol-Bundesleitung

Die israelische Armee ist nach wochenlangen Luftangriffen bis zur Umzingelung von Gaza-Stadt im Norden vorgerückt. Willkürliche Tötungen, Bombardierungen von Krankenhäusern, massive Zerstörung von Wohnhäusern und Infrastruktur und die weitgehende Blockade überlebenswichtiger Güter haben eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. Aber auch im Westjordanland, wo nicht Hamas sondern die Fatah-dominierte Autonomiebehörde unter israelischer Besatzung „regiert“, wurden radikale Siedler*innen mit Waffen ausgerüstet und über 200 Palästinenser*innen bei Angriffen getötet.

All das zeigt, dass es dem israelischen Staat nicht nur um die Hamas geht. Es zeigt auch, dass es ein asymmetrischer Konflikt ist, in dem Israel als vom Westen hochgerüstete und mit Atomwaffen ausgestattete Nation die militärische Übermacht gegenüber der Hamas hat. Das macht das Leid der zivilen Opfer und Geiseln aus Israel und ihrer Angehörigen nicht weniger furchtbar und darf nicht dazu führen, den Terror der Hamas gegen Zivilist*innen zu rechtfertigen, der dem berechtigten Kampf der Palästinenser*innen nicht hilft. Aber durch Jahrzehnte von Besatzung und Unterdrückung tragen israelische Regierungen die Verantwortung für den Horror auf beiden Seiten.

Kein schnelles Ende

Ende November kam es zu einer Feuerpause und einem Austausch von israelischen und ausländischen Geiseln gegen palästinensische Gefangene, vor allem Frauen und Kinder. Die Regierung Netanjahu steht unter massivem innenpolitischen Druck zur Befreiung der Geiseln. Die Hamas steht ebenfalls unter Druck, eigene „Erfolge“ zu präsentieren und sich militärisch neu zu gruppieren. Zu Redaktionsschluss scheint es daher möglich, dass die Feuerpause verlängert wird. 

Aber auch wenn das passiert, spricht das nicht für ein schnelles Kriegsende. Alles, was die Netanjahu-Regierung im Amt hält, ist angesichts der massiven Unzufriedenheit in der israelischen Bevölkerung die Kriegssituation. Es ist aber auch gut möglich, dass Netanjahu vor Kriegsende gehen muss. Selbst, wenn das passiert: Andere pro-kapitalistische Politiker*innen aus der Opposition würden den Krieg vielleicht anders, aber trotzdem für eine Zeitlang fortsetzen, um die Hamas zu schwächen. Wichtiger ist: Keine Kraft im israelischen Staatsapparat kann eine Lösung des nationalen Konflikts anbieten.

Scheitern des Kapitalismus

Die aktuelle Situation ist auch Ergebnis des Scheiterns des Osloer Prozesses für eine Zwei-Staaten-Lösung unter kapitalistischen Bedingungen. Dieser gab den Palästinenser*innen kein Recht auf Selbstbestimmung. Hardliner aus den Reihen der israelischen Regierung wollen jetzt eine vollständige Vertreibung der Palästinenser*innen – ein Regierungsminister wurde suspendiert (nicht entlassen!), weil er den Einsatz einer Atombombe erwägte! Doch eine weitere Vertreibung aus Gaza wäre nicht nur ein furchtbares, blutiges Unterfangen, es würde auch die Einbeziehung anderer Kräfte wie der Hisbollah oder arabischer Staaten in einen regionalen Krieg riskieren, deren Regierungen zwar am liebsten weiter keine Verantwortung für die Palästinenser*innen übernehmen würden, aber unter dem Druck „ihrer“ Massen im Inland stehen. Revolutionäre Bewegungen, wie im Arabischen Frühling zu Beginn des letzten Jahrzehnts, sind angesichts des sozialen Elends in den Ländern des Nahen Ostens früher oder später wieder auf der Tagesordnung. Dieses Szenario ängstigt die Herrschenden weltweit aufgrund der unabsehbaren Folgen für die Stabilität ihres Systems in der Region. 

Eine militärische Besatzung durch Israel würde keine Stabilität bringen. Dasselbe gilt für die Installation einer von Israel oder der UN abhängigen Administration in Gaza, wie im Westjordanland unter der dort verhassten Palästinensischen Autonomiebehörde. Solche Szenarien würden am Elend und der Entrechtung nichts ändern. Zusammen mit der schon jetzt barbarische Ausmaße annehmenden Zerstörung und Tötung von Palästinenser*innen würde das auch den Nährboden für rechte islamistische Kräfte, ob Hamas oder in anderer Form, neu anreichern. Weder die einfachen Palästinenser*innen, noch die einfachen Menschen in Israel wären einem Leben in Frieden, Wohlstand und Selbstbestimmung einen Schritt näher – obwohl sie alle daran ein Interesse haben.

Aufbau sozialistischer Organisationen nötig

Das deutet auf die Wurzel des Problems hin: Keine einzige pro-kapitalistische Kraft hat eine Lösung im Interesse der arbeitenden und armen Massen aller Nationen anzubieten. Solange dieses System existiert, bleiben die Menschen der Region Spielball von kapitalistischen Regierungen und ihren Interessen. Nur durch den Aufbau von Organisationen der Arbeiter*innen und Armen in allen betreffenden Ländern – die sich gegen die Eliten richten, die gemeinsamen Interessen der Arbeiter*innen und Armen aller Länder in den Vordergrund stellen und die nötigen sozialistischen Schlussfolgerungen daraus ziehen – kann sich eine Perspektive eröffnen, die aus dem Teufelskreis ausbricht. Gestützt auf Massenbewegungen könnte der Kapitalismus überwunden werden und tatsächlich demokratisch gewählte Vertreter*innen könnten gemeinsam einen Weg für ein friedliches und solidarisches Zusammenleben und die Entwicklung der Region finden – auf Basis des Selbstbestimmungsrecht aller Nationen und Minderheiten und von Gemeineigentum der ökonomischen Schalthebel und natürlichen Ressourcen der Region. 

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