Weckruf gegen die extreme Rechte

Tobias Ginsburgs lesenswertes Buch „Die Reise ins Reich“

Die AfD erklimmt derzeit einen Umfragerekord nach dem anderen. In Sachsen erreicht die in weiten Teilen rechtsextreme Partei derzeit bis zu 37 Prozent und ist damit stärkste Partei. Bleibt das so bis zum Wahltag am 1. September, käme dies einem politisches Erdbeben gleich. Es wäre auch eine weitere Ermutigung für die gesamte extreme Rechte.

Von Torsten Sting, Rostock

Vor diesem Hintergrund ist es lohnenswert, dass Buch von Tobias Ginsburg „Die Reise ins Reich“ zu lesen. Es hat zwar schon ein paar Jahre auf dem Buckel und wurde größtenteils noch vor der Corona-Pandemie geschrieben. Es erfuhr aber im Zuge der rechten Bewegung gegen die damaligen Maßnahmen, eine Neuauflage mit einigen Ergänzungen.

Das Reich

Der Autor begab sich für einen Zeitraum von mehreren Jahren immer wieder undercover in die rechtsextreme Szene. Sein bevorzugtes Objekt waren die sogenannten Reichsbürger*innen. Diese kennzeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht akzeptieren. In ihren Augen hat das Deutsche Reich nie aufgehört zu existieren. Die deutsche Regierung wird mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 und seit 1990 mit seiner gesamtdeutschen Fortsetzung, als Büttel der USA betrachtet. Infolgedessen wird auch die staatliche Autorität nicht anerkannt. Eigene „Staaten“ wurden bereits innerhalb der bundesdeutschen Grenzen ausgerufen und eine eigene „Währung“ ausgegeben.

Krude Ideen

Diese zutiefst heterogene Bewegung, hat viele durchgeknallte Selbstdarsteller*innen in ihren Reihen. Da ist zum Beispiel Peter Fitzek. Der Herr hat sich zum König ausrufen lassen und herrschte über ein Gebiet von ein paar Quadratmetern in der ostdeutschen Provinz. Sein Glück währte jedoch nicht lange. Aufgrund von diversen Betrügereien wurde seine Hoheit vom bürgerlichen Staat ins Gefängnis geworfen. Ginsburg vermag es mit seinem bissigen Humor, die immer wieder unfassbar abgefahrenen Theorien von Mitgliedern der Reichsbewegung erträglich zu machen. Diese sind letztlich ein Mischmasch aus schwer verdaulichen Zutaten: Rassismus, Verschwörungstheorien, denen keine noch so absurden Grenzen gesetzt sind und Esoterik bis zum Abwinken. Man neigt dazu, die handelnden Personen als Witzfiguren abzutun. Doch das sollte man nicht.

Putsch-Fantasien

Er berichtet von einem Treffen bei dem verschiedenste Organisationen und Einzelpersonen zusammen kamen um über eine große Bewegung zu diskutieren mit dem Ziel, eine Massendemonstration auf die Beine zu stellen. Als „seriöser“ Schirmherr fungierte der ehemalige ARD-Journalist Christoph Hörstel, der die Partei „Deutsche Mitte“ gründete und 2017 in den Bundestag einziehen wollte. Zur illustren Runde zählten Hippies, die an die Heilkraft von Steinen glauben, militante Nazis und gescheiterten Existenzen. Es werden leidenschaftliche Debatten über Reform und Revolution geführt.

Die Heterogenität und die ihr innewohnenden Widersprüche bringen das Projekt zum scheitern. Doch es gibt auch ernsthaftere und gefährlichere Kräfte der Reichsbewegung. Dies zeigen die Verhaftungen die Ende 2022 stattfanden. Den Beteiligten wird vorgeworfen konkrete Putschpläne gegen die Bundesregierung gesponnen zu haben. Darunter waren eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD, die zuletzt als Richterin arbeitete, frühere Elitesoldaten und Menschen aus dem etablierten Bürgertum. Dies zeigt, dass man das Phänomen ernst nehmen muss. Im Jahre 2022 gab es laut Bundesamt für Verfassungsschutz 23.000 Menschen die sich dieser Bewegung zugehörig fühlten. Ginsburg nennt einige Morde, die auf das Konto von Reichsbürger*innen gehen, ohne dass diese von den Behörden als politische Taten gewertet wurden.

Schnittstelle der extremen Rechten

Wie oben bereits erwähnt sind die Reichsbürger*innen und deren Aktivitäten ein Kristallisationspunkt für faschistische Kräfte. Auch wenn die AfD keine Nazi-Partei in Gänze ist, so wird sie doch im Osten Deutschlands von extrem rechten Kräften dominiert, die keine Berührungsängste zu militanten Faschisten haben.

In vielem sind sich die extrem rechten Herrschaften eh einig. Im Grundsatzprogramm der AfD von 2016 übt sich diese in verschwörerischen Anspielungen: „Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien…Es handelt sich um ein politisches Kartell…“ Es ist typisch für die heutige extreme Rechte, dass sie sich in der Öffentlichkeit in düsteren Andeutungen beschränkt und Raum für Interpretationen lässt. Wenn sie sich unbeobachtet fühlen und unter sich sind, wird Klartext geschrieben. Der Autor zitiert aus einer 2013 geleakten E-Mail der heutigen Co-Vorsitzenden der AfD, Alice Weidel: „Diese Schweine, sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des 2.Weltkrieges und haben die Aufgabe, das deutsche Volk klein zu halten indem molekulare Bürgerkriege in den Ballungszentren durch Überfremdung induziert werden sollen.“

Womit wir bei einer Verschwörungs-Erzählung angelangt sind, die sich bei den verschiedenen Teilen der extremen Rechten großer Beliebtheit erfreut. Die deutsche Regierung sei, mehr oder weniger, willenlose Erfüllungsgehilfin fremder und feindlicher Mächte, gerade des US-Imperialismus. Diese wollen das deutsche Volk schwächen, in dem sie eine „Umvolkung“ durch „kulturfremde Völker wie Araber, Sinti und Roma“ (Alice Weidel, siehe oben) vornehmen. Damit knüpft Weidel, die lange als gemäßigtere Rechtspopulistin galt, nahtlos an der rassistischen Blut- und Boden.Ideologie von Hitler, Goebbels und Co. an.

Wenn man solcherlei Gedanken anhängt, dann ist es zur ultimativen Weltverschwörung nicht mehr weit. Seit dem Holocaust tarnt sich der klassische Antisemitismus häufig. Eine Methode ist, dass größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte anzuzweifeln oder gar komplett zu leugnen. Dies wird in der Öffentlichkeit aber nur von einer Minderheit der extremen Rechten gemacht. Dahinter stecken taktische Erwägungen, da auf die Leugnung des Holocaust in Deutschland Gefängnisstrafen drohen. Stattdessen werden gerne Codes verwendet, also alternative Begriffe, die in der Szene aber als Synonym für die Jüdinnen und Juden stehen – ob kosmopolitische Finanzelite, Zionisten oder internationale Logenszene.

In vielen Gesprächen die der Autor schildert, insbesondere wenn schon reichlich Alkohol dem rassistischen Kleinhirn des Gegenübers zugesetzt hatte, wurde Tacheles geredet. Tobias Ginsburg, selber Jude, wurde nachvollziehbarer Weise bei seiner Mission immer wieder an seine Grenzen gebracht. Bereits zu Beginn seines Buches kommt er zu einer schlimmen Diagnose: „Als ich mich auf meine Reise begab, war mir nicht klar, dass die Wahnvorstellung von der jüdischen Weltverschwörung wieder in so einem Ausmaß grassiert.“ Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass es sich hier wohl kaum um einen „importierten Antisemitismus“ handeln kann, von dem in den letzten Monaten so häufig die Rede war.

Fazit

Das Buch ist lesenswert. Der Autor hat eine mutige Expedition in die trüben und gefährlichen Gewässer der extreme Rechten unternommen. Dafür gebührt ihm großer Respekt. Es ist auch sein Verdienst, dass er uns Lesende in die Gedankenwelt einer nach außen hin schwer durchschaubaren Struktur wie die der Reichsbürger*innen mitgenommen hat. Ginsburg hat deutlich gemacht, dass es zwischen den verschiedenen Strömungen der extremen Rechten viele Gemeinsamkeiten gibt. Eine Kernbotschaft von ihm ist, dass rassistische Verschwörungstheorien in diesen Kreisen normal sind. Und er ordnet das Erlebte politisch ein. Er macht die politische Kontinuität der Altnazis der 1950er Jahre, die sich in Parteien wie der Deutschen Reichspartei (DRP) reorganisierten, bis hin zu den heutigen AnhängerInnen der Reichsbürger-Bewegung deutlich. Er wartet jedoch nicht mit einem politischen Programm auf, das war auch nicht sein Anspruch. Dennoch ist es ein wichtiges Buch, das dazu beitragen will, sich der Gefahr der extremen Rechten bewusst zu werden und sich dieser entgegenzustellen.

Was tun?

Immer mehr Menschen verstehen, dass sich der Kapitalismus in einer tiefen Krise befindet und suchen nach Antworten. Jeden Tag gibt es Horrormeldungen: Die Kriege in der Ukraine und in Gaza mit zehntausenden Toten. Die krassen Folgen des Klimawandels, der Menschen die Lebensgrundlagen zerstört und diese u.a. deswegen zur Flucht zwingt. Die absurden Privilegien von wenigen Superreichen und die empörende Armut von hunderten Millionen auf der anderen Seite. Rassismus, Sexismus, Homophobie…Es liegt auf der Hand, dass es so nicht weitergehen kann. Die große Frage ist jedoch, welche politische Kraft Alternativen zum Bestehenden anzubieten hat. Da linke Parteien fast überall versagen, sich an kapitalistischen Regierungen beteiligen und als Teil des politischen Establishments wahrgenommen werden, kann die extreme Rechte in vielen Ländern deutlich erstarken. Das ist insbesondere für Migrant*innen und Frauen, aber letztlich für die gesamte arbeitende Klasse sehr gefährlich. Umso wichtiger ist der Widerstand gegen die extreme Rechte im Verbund mit dem Kampf der Arbeiter*innenklasse für die gemeinsamen Interessen im hier und jetzt. Letztlich müssen wir jedoch das kapitalistische Übel an der Wurzel packen. Eine demokratische und sozialistische Gesellschaft, die allen Menschen eine gute Zukunft bietet, ist nötiger denn je.

Lesehinweise:

https://manifest-buecher.de/produkt/brandstifter-ebook/

https://manifest-buecher.de/produkt/sascha-stanicic-anti-sarrazin/

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