„Immer auf der Suche, unsere Kräfte zu stärken“

    Interview mit Clare Doyle über die Geschichte des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale

    Internationalismus gehört zur DNA des Marxismus und damit auch zur Sol. Im April 1974 wurde das Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) in London gegründet, deren Sektion in Deutschland heute die Sol bildet. “sozialismus heute” sprach mit Clare Doyle, die über viele Jahre im Internationalen Sekretariat und in verschiedenen Ländern die Internationale mit aufgebaut hat, über die Geschichte und Bedeutung des CWI.

    Du hast 1974 an der Konferenz teilgenommen, als 46 Marxist*innen aus zwölf Ländern das CWI gründeten. Bevor wir fragen, wie es dazu kam, wollen wir fragen: Warum braucht es überhaupt eine Internationale?

    Internationale Analyse und grenzüberschreitende Solidarität sind heute genauso wichtig wie zu Zeiten von Marx und Engels, als im 19. Jahrhundert die Erste und Zweite Internationale gegründet wurden. Oder von Lenin und Trotzki, als die Dritte Internationale auf der Grundlage der erfolgreichen sozialistischen Revolution in Russland gegründet wurde. Ganz einfach, weil der Kapitalismus ein Weltsystem ist, das nur international überwunden werden kann.

    Die jungen deutschen Revolutionäre Karl Marx und Friedrich Engels erlebten 1848 im belgischen Exil – wo sie das “Kommunistische Manifest” verfassten –, wie sich die Revolution über Europa ausbreitete. Später sahen sie den heldenhaften Kampf der Pariser Kommune 1871 und wie das Eingreifen einer ausländischen Macht dazu beitragen konnte, eine Revolution in Blut zu ertränken. Sie lernten aus dem bitteren Scheitern der Kommune, dass die Arbeiter*innenklasse, wenn sie an die Macht kommt, die wichtigsten Hebel der Wirtschaft und des Staates selbst in die Hand nehmen muss.

    Die Zweite Internationale entwickelte große Organisationen, brach aber als Kraft für revolutionäre sozialistische Veränderungen zusammen, als die Sozialdemokrat*innen im deutschen Parlament und anderswo 1914 für den imperialistischen Krieg stimmten. 

    Die Dritte Internationale wurde dann 1919 gegründet, um die Revolution auf der ganzen Welt zu fördern. Die tapferen Versuche der Revolutionär*innen in Deutschland, den Kapitalismus zu stürzen und die Isolation der Russischen Revolution zu beenden, scheiterten jedoch tragisch.

    Die politische Konterrevolution unter Stalin nach Lenins Tod führte dazu, dass die “Komintern” zu dem wurde, was Trotzki  “Wächterin” zum Schutz von Stalins Regime in der UdSSR bezeichnete. In den 1930ern ging die massenhafte Unterdrückung und das Abschlachten von Millionen von Menschen im eigenen Land mit der Niederschlagung von Revolutionen im Ausland einher – vor allem während des Bürgerkriegs in Spanien und der massiven Sitzstreiks in Frankreich. Stalins Politik des “Sozialfaschismus” zerstörte zuvor die gemeinsamen Aktionen der Arbeiter*innen gegen den Faschismus in Deutschland. Dadurch konnte Hitler an die Macht kommen, was zu einem weiteren Krieg und dem Tod von zig Millionen Soldaten und Zivilist*innen führte, auch in der UdSSR selbst. 

    Im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges operierte der im Exil lebende Revolutionsführer Leo Trotzki mit nur wenigen Kräften auf internationaler Ebene – hauptsächlich in den USA und einigen wenigen Anhänger*innen anderswo. Nach dem Sieg Hitlers, der keine ernsthafte Debatte innerhalb der Komintern auslöste, hielt er es für notwendig, eine neue, vierte revolutionäre Internationale ins Leben zu rufen. So entwarf er 1938 ein “Übergangsprogramm”, in dem er aufzeigte, dass alle grundlegenden und vernünftigen Forderungen der Arbeiter*innen und Jugendlichen nur auf der Grundlage der Beseitigung des Kapitalismus verwirklicht werden können. Dieser Ansatz ist auch heute noch ein unschätzbarer Grundstein, auf den sich alle Teile unserer Internationale stützen können.

    Als der Zweite Weltkrieg ausbrach und Trotzki 1940 von Stalins Agenten Ramon Mercader ermordet wurde, zählten die Kräfte des echten revolutionären Marxismus im Weltmaßstab nur noch einige Tausend. 

    Warum wurde es notwendig, mit den Kräften zu brechen, die nach Trotzkis Tod die Vierte Internationale führten und wie ist es dazu gekommen?

    In den beiden Jahrzehnten nach dem Krieg gab es sowoh einen vorübergehenden Aufschwung des Kapitalismus, als auch einen Triumphzug von Stalin und den so genannten “kommunistischen” Parteien in aller Welt. Es war eine schwierige Zeit für die Handvoll Trotzkist*innen in Großbritannien, die in den 1940er Jahren in der Revolutionary Communist Party organisiert waren. 

    Die Führer der kleinen Kräfte der Vierten Internationale (der wir historisch angehörten) waren verwirrt durch die Situation nach 1945, die nicht den Erwartungen Trotzkis entsprach. Es gab eine revolutionäre Welle, aber der Kapitalismus konnte sie mit Hilfe der Sozialdemokratie und der kommunistischen Parteien eindämmen. Auf internationaler Ebene ging der Stalinismus enorm gestärkt daraus hervor. Die Führer der Vierten Internationale mit Sitz in Paris, an deren Spitze Ernest Mandel, Michel Pablo, Pierre Frank und Livio Maitan standen, gerieten politisch immer mehr auf Abwege.Zuerst erkannten sie nicht, dass der Kapitalismus in eine Boomphase eingetreten war, dann übertrieben sie die Auswirkungen dieses Booms auf das Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse.  Manchmal suchten diese trotzkistischen “Führer” nach Abkürzungen und unterstützten einzelne “abtrünnige” Stalinisten, wie Tito in Jugoslawien. Später wandten sich diese “Führer” sogar von den Arbeiter*innen ab und zogen es vor, “revolutionäre” Studierende und “Guerilla”- und Bauernbewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika als Schlüssel zur sozialistischen Revolution zu betrachten.

    Diese Fragen spitzten sich Mitte der 1960er Jahre zu. Unsere kleine Gruppe in Großbritannien, die damals in der Labour Party arbeitete, begann 1964 mit der Herausgabe der Monatszeitschrift Militant. Technisch gesehen waren wir immer noch Mitglieder der “Vierten Internationale”, aber wir traten für ein anderes Programm und eine andere Perspektive ein. Von zentraler Bedeutung war für uns der Aufbau einer Basis unter den Lohnabhängigen und der Kampf um Unterstützung für marxistische Ideen in der organisierten Arbeiter*innenbewegung. 1965 reisten Peter Taaffe und Ted Grant zu einer Weltkonferenz der Vierten Internationale, nur um festzustellen, dass ihre Dokumente nicht einmal an andere Sektionen verteilt worden waren! 

    Unserer Revolutionary Socialist League wurde umgehend mitgeteilt, dass sie nicht länger eine vollwertige Sektion der Internationale sein würde, sondern eine “sympathisierende Sektion” zusammen mit einer anderen Gruppe in Großbritannien – einer Gruppe, mit der es sich zuvor als unmöglich erwiesen hatte, politisch zusammenzuarbeiten, da sie Material mit einem begrenzten, nicht-sozialistischen Programm produzierte. Wir entschieden uns daraufhin, uns auf den Aufbau unserer eigenen Organisation zu konzentrieren.

    Unsere Genossinnen und Genossen arbeiteten damals als Mitglieder der Labour Party, die damals eine bürgerliche Arbeiter*innenpartei mit starken Wurzeln in der Arbeiter*innenklasse war. Seit Mitte der 1920er Jahre hatten ihre prokapitalistischen Führer versucht, revolutionäre Marxist*innen aus der Partei zu vertreiben. Die Labour Party in Großbritannien befand sich damals nicht in einem solchen Aufruhr wie die französische “Sozialistische Partei” Mitte der 1930er Jahre, als Trotzki seinen französischen Anhängern riet, in ihr zu arbeiten. Als jedoch die Intensität des Klassenkampfes in Großbritannien zunahm, gelang es uns, sowohl innerhalb der Labour Party als auch in den Gewerkschaften eine bedeutende Unterstützung aufzubauen. Im Jahr 1970 gewannen wir eine Mehrheit in der Jugendorganistion der Labour Party, den Young Socialists (LPYS), und bauten diesen zu einer schlagkräftigen Organisation von Arbeiterjugendlichen auf.

    Wie hat der Aufbau von Militant zur Gründung des CWI geführt?

    Es dauerte fast ein weiteres Jahrzehnt, bis die Gründungskonferenz des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale stattfand, aber das bedeutete nicht, dass wir untätig waren. Ganz im Gegenteil! In Großbritannien analysierten wir ständig das Weltgeschehen und suchten nach Möglichkeiten, unsere Kräfte international zu stärken. 

    Wir verfolgten verschiedene Verbindungen zu Leuten, die wir kannten und die sich als Trotzkist*innen bezeichneten – in Schottland und in Irland, im Norden und im Süden. In den späten 60er und frühen 70er Jahren bauten wir die LPYS von einer kleinen Organisation, als wir zum ersten Mal die Mehrheit gewannen, zu einer Organisation auf, die später nicht weniger als 2000 junge Leute auf ihren jährlichen nationalen Konferenzen haben sollte.

    Leider hatten wir nicht die Möglichkeit, bei den revolutionären Ereignissen im Mai 1968 in Frankreich zu intervenieren. Aber im Spanien der frühen 1970er Jahre nahm die Herausforderung der Franco-Diktatur von unten ebenfalls an Fahrt auf. Wir führten eine massive Verteidigungskampagne für die spanischen Jungsozialisten durch, organisierten Vortragsreisen durch Großbritannien, Besuche bei illegalen Konferenzen der spanischen Jungsozialisten in Südfrankreich und transportierten Drucker ins Land!

    Im Jahr 1970 haben wir das “Programm der Internationale” erstellt. Es fasst unsere internationalen Erfahrungen seit dem Ende des Krieges zusammen. Wir hielten in London eine Konferenz über unser weiteres Vorgehen ab und beschlossen, nicht zu versuchen, der bestehenden “Vierten” wieder beizutreten. Wir würden daran arbeiten, international Unterstützung aufzubauen, indem wir mit anderen revolutionären und linksgerichteten Kräften diskutieren. Wir würden unsere Position in den LPYS nutzen, um neue Schichten in den Jugendsektionen der sozialdemokratischen und anderer Parteien anzusprechen, wo immer wir können. 

    In Deutschland schlossen sich einige Mitglieder der Jusos (Jungsozialisten) uns an, als sie die Kampagnenarbeit der LPYS sahen. Bereits im Jahr der Gründung des CWI – 1974 – wurde die Zeitung Voran herausgegeben. Sie stieß auf eine sehr positive Resonanz, die Mitte der 1980er Jahre erheblich zunahm.

    Sri Lanka ist die Heimat der ersten Massenpartei des Trotzkismus – der LSSP. Wir hatten bereits Kontakt zu Mitgliedern dieser Partei, die sich gegen ihre zunehmend reformistische Politik wandten. Ted Grant und Peter Taaffe trafen bei Besuchen in Sri Lanka und Indien junge Revolutionäre, darunter Jagadish Chandra und Siritunga Jayasuriya, die sich dem CWI anschlossen. 

    Es kam sowohl in den 1960er als auch in den 1970er Jahren zu großen Aufständen und sogar zu revolutionären Situationen. Wie hat das CWI in solche Bewegungen eingegriffen?

    In der Zeit vor der Gründung des CWI stand Griechenland in Flammen. Im November 1973 verübte das Militärregime einen mörderischen Anschlag auf die radikalen Studierenden des Athener Polytechnikums. Im Juli 1974 brach die Obristenjunta, das Militärregime, das Griechenland seit 1967 regiert hatte, zusammen. Es begann eine Zeit revolutionärer Entwicklungen. Ein ungewöhnlicher Sozialist, Andreas Papandreou, gründete die Partei PASOK, die daraufhin schnell wuchs und sich weit nach links bewegte. Es eröffneten sich Möglichkeiten für den Aufbau einer Sektion unserer neuen Internationale. 

    In Portugal wurde nur vier Tage, nachdem sich unsere Genoss*innen und Sympathisant*innen in der Londoner Kneipe “Old Mother Redcap” getroffen hatten, um das CWI zu gründen, die vierzig Jahre währende Diktatur von Salazar-Caetano gestürzt. Eine Gruppe von Offizieren der Armee ergriff die Macht und setzte eine sogenannte “Übergangsregierung” ein. Wir brachten schnell ein Flugblatt heraus – “Portugal – die sozialistische Revolution hat begonnen” – und ließen es ins Portugiesische übersetzen. Bob Labi wurde nach Lissabon entsandt, um zu intervenieren, obwohl er der Sprache nicht mächtig war.

    Im Jahr 1979 brach im Iran die Revolution gegen den Schah aus. Bob Labi wurde erneut von unserer Internationale entsandt, ohne die Sprache des Landes zu kennen, um mit den dortigen Marxist*innen Kontakt aufzunehmen. Wir hofften, dass es möglich sein würde, in der Hitze der Revolution den Keim einer lebensfähigen Sektion unserer Internationale zu entwickeln, was leider nicht gelang.

    Von 1979 bis 1981 spielte Tony Saunois, derzeitiger Sekretär des CWI, eine wichtige Rolle als LPYS-Vertreter im Nationalen Vorstand der Labour Party. Er besuchte Irland auf dem Höhepunkt der “Unruhen”, diskutierte mit den Hungerstreikenden des H-Blocks und anderen Kämpfer*innen und warb für unseren prinzipienfesten, sozialistischen Ansatz in der nationalen Frage. 1984 zog Tony mit zwei Genossen aus dem Umfeld der chilenischen Sozialistischen Partei nach Santiago de Chile, um sich an der wachsenden Untergrundrevolte gegen die Pinochet-Diktatur zu beteiligen und eine Basis für unsere trotzkistischen Ideen zu finden. 

    Etwa zur gleichen Zeit lernten wir auf einer Buchmesse in London Nigerianer kennen, die unser Material in Nigeria verbreiten wollten. Im Jahr 1985 unternahm Bob Labi den ersten von vielen folgenden Besuchen in Nigeria. Er traf Gewerkschafter und sozialistische Studierende, die dem CWI beitraten und durch mutige und energische Kampagnen in diesem riesigen Land eine Sektion aufbauten, die für eine Zeit lang zur zweitgrößten des CWI wurde. 

    Du selbst hast verschiedene Länder besucht und versucht, die Kräfte des Marxismus aufzubauen. Kannst du uns ein wenig mehr darüber erzählen, wie du und ihr die Internationale in verschiedenen Ländern aufgebaut habt? 

    In den turbulenten 60er und frühen 70er Jahren, bevor unsere Internationale offiziell gegründet wurde, reiste ich nach Frankreich und Italien, wo der Klassenkampf “heiß” war, und suchte nach “Unterstützungspunkten”. Ich besuchte auch Genoss*innen und “Sympathisant*innen” in Irland (Nord und Süd) und fuhr zusammen mit einem von ihnen, John Throne, mit Geld und Ausrüstung für die dort illegal arbeitenden Sozialist*innen nach Franco-Spanien. Kurz nach der Gründung des CWI haben wir fleißig Gelder gesammelt, um Genoss*innen in verschiedene Länder zu schicken, damit unsere Internationale Fuß fassen konnte. 

    In London halfen wir den südafrikanischen Genossen im Exil, Unterstützung aufzubauen, indem wir eine Zeitschrift mit dem Titel “Inqaba Ya Basebanzi” (Arbeiterfestung) herausgaben, die ein Kampfprogramm zur Vereinigung der Arbeiter*innen gegen Apartheid und Kapitalismus enthielt und die Genossinnen und Genossen im Land selbst gewinnen konnten. 1990/91 kehrten sie nach Südafrika zurück, als Nelson Mandela freigelassen wurde und der Stalinismus zusammenbrach. Heute sind sie die Marxistische Arbeiter*innenpartei (MWT).

    Ende der 1980er Jahre, als fünf Mitglieder der Militant-Redaktion aus der Labour-Partei ausgeschlossen wurden, hatten wir über 8000 Arbeiter*innen und junge Menschen als Mitglieder und Tausende weitere Unterstützende. Wir waren die größte trotzkistische Organisation in Europa, die wie keine andere Massenkämpfe geführt hat. 

    Zwischen 1983 und 1987 führten wir den sozialistischen Labour-Stadtrat von Liverpool. Unter unserer Führung widersetzte sich die Arbeiter*innenklasse der Stadt der Regierung von Margaret Thatcher, der “eisernen Lady” und erkämpften wichtige Verbesserungen für die Bevölkerung. UNter dem Motto “Besser das Gesetz zu brechen, als den Armen das Rückgrat” weigerte sich der sozialistische Stadtrat Kürzungen umzusetzen, die die Zentralregierung forderte, und mobilisierte stattdessen die Arbeiter*innenklasse der Stadt gegen Thatcher. Wir mobilisierten Tausende von Mitgliedern und Anhänger*innen, um die Londoner Albert Hall zu füllen – zweimal – und dann, 1988, den riesigen Alexandra Palace.  Einige Jahre später führten wir die größte Bewegung des zivilen Ungehorsams in der Geschichte des Landes, als 18 Millionen Bürger*innen sich weigerten, das Gesetz zu befolgen und die Kopfsteuer (Poll Tax) zu zahlen. 

    Eine große Wende in der Geschichte war der Zerfall der stalinistischen Staaten und die Wiederherstellung des Kapitalismus in diesen Staaten. Du und andere sind nach Russland gereist. Was waren Eure Erfahrungen? Wie hat das CWI auf diese Entwicklungen und ihre Folgen für die Arbeiter*innenbewegung reagiert? 

    Ja, gegen Ende der 1980er Jahre versuchte Michail Gorbatschow – als Präsident der UdSSR und Generalsekretär der regierenden Kommunistischen Partei – verzweifelt, dem erstarrten stalinistischen “Sowjetsystem” neues Leben einzuhauchen. Aus der Sicht des CWI kämpfte er vergeblich um die Einführung von Glasnost (Öffnung) und Perestroika (Umstrukturierung), um eine politische Revolution der Arbeiter*innen gegen die zwanzig Millionen starke parasitäre Bürokratie der Kommunistischen Partei in seinem riesigen Land zu verhindern. Er versuchte auch, die revolutionären Umwälzungen in Osteuropa zu verhindern. 

    Unsere Internationale rief eine Reihe von Genossinnen und Genossen auf, sich in all diese “stalinistischen Staaten” – von der Tschechoslowakei über Rumänien, Polen und Ungarn bis hin zu Ostdeutschland und der UdSSR – zu begeben und dort zu leben. Das Ziel war nicht nur, direkt zu beobachten und zu berichten, sondern auch zu versuchen, neue Kräfte mit unseren trotzkistischen Ideen und unserem Programm aufzubauen, die in der Region aufgrund der jahrzehntelangen stalinistischen Unterdrückung so gut wie unbekannt waren. 

    Die Berichte, die wir alle damals für das CWI schrieben, zeigten, dass sich eine revolutionäre Gärung entwickelte, enthüllten aber auch die Realitäten des Lebens unter “sowjetischer” Herrschaft – die positiven und die negativen. Es war zu spät, um die Flut aufzuhalten, die auf eine Restauration des Kapitalismus hinauslief. 

    Es gab einige Mitglieder des führenden Gremiums des CWI – des Internationalen Sekretariats –, die sich weigerten zu glauben, was wir berichteten. Zu ihnen gehörte nicht zuletzt die bis dahin hoch geachtete Gründungsfigur unserer Organisation – Ted Grant. Er und Alan Woods sowie einige andere weigerten sich zu glauben, dass die Restauration des Kapitalismus zum Zeitpunkt des gescheiterten Putsches im August 1991 bereits unumkehrbar war. Dies und unsere Entscheidung, aus der Labour Party auszutreten (lange nachdem die Massenausschlüsse vollzogen und die LPYS faktisch aufgelöst worden waren), führte 1991 zur Spaltung des CWI. 

    Die 1990er Jahre waren eine schwierige Zeit für Marxist*innen, als der Kapitalismus in die Offensive ging. In den frühen 2000er Jahren gab es einen Aufschwung einer internationalen Bewegung gegen die Globalisierung. Wie hat sich das CWI in dieser Zeit entwickelt? 

    Wir waren völlig anderer Meinung als der Akademiker Francis Fukuyama, der meinte, dass der “Sieg” des Kapitalismus in der stalinistischen Welt das Ende des Klassenkampfes bedeute. Wir waren der Meinung, dass das Bewusstsein der Arbeiter*innen von der Last des Stalinismus befreit werden würde, was die Entwicklung neuer Kämpfe fördern würde. Aber im Gegensatz zu einigen anderen Sozialist*innen glaubten wir nicht, dass dies die Notwendigkeit von starken Gewerkschaften, Arbeiter*innenparteien und einer klaren sozialistischen Führung ersetzen würde.

    Wir haben uns an den großen Antiglobalisierungsbewegungen beteiligt, die auf der ganzen Welt stattfanden. Wir hatten keine Illusionen, dass diese amorphe Bewegung, die damals 6,5 Milliarden Menschen auf der Welt repräsentieren wollte, die kapitalistischen Regierungen der auf diesen Gipfeln vertretenen Regierungen besiegen könnte. Dennoch haben wir begeistert an diesen Mobilisierungen – ob in Göteborg, Seattle oder Melbourne – teilgenommen und mit “International Socialist Resistance” eine sozialistische Jugendbewegung ins Leben gerufen. Schon davor hatten wir Anfang der 1990er Jahre die Initiative zur Gründung von Jugend gegen Rassismus in Europa (JRE) ergriffen und die größte internationale antirassistische Demonstration in der europäischen Geschichte mit 40.000 Teilnehmenden am 24.10. 1992 in Brüssel organisiert. 

    Wichtig für unsere Internationale waren die Massenbewegungen von Arbeiter*innen und Jugendlichen, die sich in Europa und in Asien entwickelten. Gegen Ende 1995 zum Beispiel waren wir in Frankreich auf der Straße im mächtigen Kampf der Beschäftigten des öffentlichen Sektors gegen die Regierung Chirac/Juppé. Im Jahr 1997 legte ein massiver Generalstreik die Wirtschaft des “asiatischen Tigers” Südkorea lahm – der erste große Kampf der Arbeiter*innen gegen die Globalisierung. Unsere Genoss*innen in Japan hatten die notwendigen Mittel für die Intervention des CWI zur Verfügung gestellt (in einem Land, in dem es illegal war, auch nur über den Sozialismus zu reden).

    Die Finanzkrise von 2007/08 war ein weiterer wichtiger Wendepunkt. Seitdem hat die multiple Krise des Kapitalismus ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Gleichzeitig haben die Arbeiter*innenbewegung und Marxist*innen immer noch mit den Rückschlägen der Vergangenheit zu kämpfen – aber auch mit dem Versagen und Verrat neuer linker Formationen. 

    Was sind deiner Meinung nach die zentralen Grundsätze des Ansatzes und der Analyse des CWI? 

    Kriege und Revolutionen sind die größten Prüfungen für revolutionäre Kräfte – nicht nur in Bezug auf die Aufrechterhaltung ihres organisatorischen Zusammenhalts, sondern auch in Bezug auf die Bewährung von Analyse und Programm. 

    Wir sind davon überzeugt, dass wir politisch diese Prüfungen bestanden haben, auch wenn unsere Kräfte global betrachtet noch schwach sind. Aber wir müssen mit den Folgen der Fehler der reformistischen und stalinistischen Massenorganisationen der Vergangenheit kämpfen, die es uns nicht leicht machen, Arbeiter*innen und junge Menschen davon zu überzeugen, sich unseren Reihen anzuschließen.

    Unsere Betonung der lebenswichtigen Bedeutung des Kampfes der Arbeiter*innenklasse und des Aufbaus von Parteien, die auf der Grundlage sozialistischer Programme kämpfen, ist jedoch eine unabdingbare Voraussetzung, ohne die revolutionäre Führungen nicht aufgebaut werden können. 

    Das CWI hat in all den fünfzig Jahren seines Bestehens an Trotzkis Grundsatz festgehalten, dass eine wirkliche Arbeiter*inneninternationale nur dann genügend Kräfte sammeln kann, um die Umgestaltung der Gesellschaft durchzusetzen, wenn sie ein Programm mit “Übergangsforderungen” entwickelt. Damit meinte er, in jedem Land zu zeigen, wie die vernünftigsten Forderungen – nach Löhnen, Arbeitsplätzen, Bildung, Gesundheit, Wohnraum usw. – nur durch den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus erreicht und konsolidiert werden können. 

    Es ist nicht unmöglich, dass dort, wo das zahlenmäßige Gewicht der Arbeiter*innenklasse überwältigend ist, eine sozialistische Transformation friedlich durchgesetzt werden kann. Teile des Staatsapparats können für die Seite der Arbeiter*innenklasse gewonnen werden, insbesondere mit einem Klassenappell an ihre unteren Reihen. Aber wie wir schon so oft in der Geschichte gesehen haben, wird die herrschende Klasse nicht kampflos aufgeben, wenn sie die Kräfte zum Widerstand hat.

    Eine Partei, der die Arbeiter*innen vertrauen, mit weitsichtigen Führer*innen, die gewählt und sofort abberufen werden können und nicht mehr als einen Facharbeiter*innenlohn erhalten…  wie die bolschewistische Partei von Lenin und Trotzki – ist die einzige Kraft, die zur Beendigung des Kapitalismus auf nationaler und internationaler Ebene führen kann. 

    Unter den heutigen Bedingungen würde ein Aufruf von Arbeiter*innen, die in einem Land an die Macht kommen, ein Präriefeuer erfolgreicher Revolutionen über Grenzen hinweg entfachen. Die Kräfte unserer Internationale können schnell wachsen zu einer starken Kampforganisation, die einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, die Arbeiter*innenkämpfe weltweit zu vereinen, um die Zukunft der Menschheit auf der Grundlage von Sozialismus und Kommunismus zu verändern.

    Wie sind deiner Meinung nach die Aussichten für den Aufbau des CWI und einer revolutionären Internationale in den 2020er Jahren? 

    Die Bedingungen für den Aufbau einer wirklich revolutionären sozialistischen Internationale der Arbeiterorganisationen sind vielleicht komplizierter als vor fünfzig Jahren, als das CWI gegründet wurde. Wir sind von Kriegen, Umweltzerstörung und Wirtschaftskrisen umgeben, die viele Jugendliche und Arbeiter*innen radikalisieren. Aber ein klares Verständnis für die Notwendigkeit des Sozialismus hat sich noch nicht entwickelt. Wir sehen heldenhafte Massenbewegungen, denen aber ein Programm und eine erfahrene Führung fehlen. Das macht die Aufgabe, vertrauenswürdige und aufopferungsvolle revolutionäre Führungen aufzubauen, umso wichtiger. 

    Eine klare, weitsichtige Analyse und ein kühnes Übergangsprogramm sind für unsere Zeit genauso wichtig wie damals, als Trotzki beschloss, die Vierte Internationale zu gründen. Die Erfahrungen mit dem Stalinismus und mit Arbeiter*innenparteien, die eine prokapitalistische Politik betreiben, haben das Vertrauen der Arbeiter*innen und Jugendlichen in die Durchsetzbarkeit eines echten sozialistischen Wandels stark beeinträchtigt. Und das in einer Zeit, in der die Unzufriedenheit der Masse der Bevölkerung mit den herrschenden Eliten zunimmt. Unsere Aufgabe ist daher eine doppelte: die Beteiligung am Wiederaufbau kämpferischer Arbeiter*innenorganisationen und die Entwicklung eines Bewusstseins, dass der Sozialismus die Antwort ist und durch Massenaktionen erreicht werden kann einerseits und der Aufbau unserer revolutionär-marxistischen Organisation andererseits.

    Meine eigenen Erfahrungen in meiner lebenslangen revolutionären Arbeit haben mir immer wieder die absolute Richtigkeit unserer Analyse und unseres Programms bestätigt. 

    Eine neue Generation von Klassenkämpfer*innen wird in der Gluthitze der stürmischen Ereignisse in der ganzen Welt in die Umlaufbahn des CWI eintreten. Sie werden ebenso entschlossen sein wie die Pionier*innen aller früheren Internationalen, die Grundlage für den Sieg eines wirklich internationalen Sozialismus zu schaffen. 

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