Gegen den Klassenkampf von oben

Gewerkschaften müssen jetzt Widerstand organisieren – Flugblatt der Sol zum 1. Mai

Es vergeht kaum ein Tag, an dem Vertreter*innen von Arbeitgeberverbänden, von CDU/CSU und FDP, sowie pro-kapitalistische Ökonom*innen und Journalist*innen nicht Wirtschafts“reformen“ anmahnen würden. Das ist nur Schönsprech für massive Verschlechterungen der sozialen Rechte und des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung, um die Profite der Kapitalist*innen zu steigern. Dem müssen Gewerkschaften, Linke und soziale Bewegungen massiven Widerstand entgegensetzen.

Wirtschaftskrise

Hintergrund ist die Krise der kapitalistischen Wirtschaft. Deutschland bewegt sich zwischen Rezession (Rückgang der Wirtschaftsleistung, wie 2023 um 0,3 Prozent) und Stagnation (für 2024 werden vom IWF gerade noch 0,2 Prozent Wachstum erwartet). Das ist Teil des Niedergangs des kapitalistischen Systems weltweit. Dafür wollen die Eigentümer*innen der Banken, Konzerne und Unternehmen die Masse der Bevölkerung zahlen lassen – der Reichtum der einen ist die Armut der anderen!

Was droht?

Den feuchten Träumen der Unternehmer*innen scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Unter anderem fordern sie:

  • Senkung der Unternehmenssteuern
  • Verlängerung und Flexibilisierung von Arbeitszeiten
  • Abbau von Sozialleistungen
  • Sanktionen für Bürgergeldempfänger*innen
  • Verschlechterungen bei der Rente, wie Erhöhung der Rentenbeiträge, Abschaffung der Rente ab 63 und Erhöhung des Renteneinstiegsalters
  • Einschränkungen des Streikrechts

Zukunftsmusik?

Aber das ist keine Zukunftsmusik, denn es wird ja schon auf allen Ebenen gekürzt. Auch 2025 droht der nächste Kürzungshaushalt, der zu weiteren Einschränkungen führen wird. Nicht zuletzt vielen Kommunen drohen große Defizite, die zu Kürzungen in der Jugendförderung, beim Breitensport, Kultureinrichtungen etc. führen werden. 

Gleichzeitig werden die Ausgaben für die Bundeswehr massiv erhöht, damit die deutschen Konzerne weltweit ihre Interessen durchsetzen können. Es zeigt sich wieder einmal: Aufrüstung und Sozialabbau sind zwei Seiten derselben Medaille.

Appellieren oder kämpfen?

Die Gewerkschaften haben zusammen mit Sozial- und Umweltverbänden nun einen Appell an die Bundesregierung veröffentlicht, indem sie sich gegen Kürzungen, für Investitionen und ein Ende der Schuldenbremse aussprechen. Der Appell ist inhaltlich viel zu begrenzt und macht sich vor allem Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, aber zumindest haben sie scheinbar erkannt, wo die Reise hingehen soll. Aber Appelle an die Regierenden werden nichts bewirken. Nötig sind Massenmobilisierungen Widerstand und Streiks!

Aktionsplan nötig!

Wir schlagen dazu vor:

  •  Informationskampagne in allen Betrieben und in der Öffentlichkeit durch Betriebs- und Gewerkschaftsversammlungen, Massenflugblätter, Plakatkampagnen
  •  Durchführung lokaler, regionaler und bundesweiter Aktionskonferenzen, die gewerkschaftliche und andere Aktive zusammenbringen und einen Aktionsplan ausarbeiten
  •  Ein solcher Aktionsplan könnte mit dezentralen und betrieblichen Aktionen beginnen und über lokale und regionale Demonstrationen zu einer bundesweiten Großdemonstration in Berlin führen
  •  Diese Situation muss dazu führen, dass in den Gewerkschaften der Kampf um den politischen Streik geführt wird und deutlich gemacht wird: ohne Verzicht auf Kürzungen und Verschlechterungen wird auf einen 24-stündigen Generalstreik hingearbeitet

Wofür kämpfen?

Eine solche Kampagne kann nur erfolgreich sein, wenn sie für Forderungen geführt wird, für die es sich zu kämpfen lohnt. Das müssen Forderungen sein, die darauf abzielen, sich mit dem Kapital wirklich anzulegen, statt darauf die Profitbedingungen für die Kapitalist*innen zu verbessern, wie es DGB-Vorsitzende Fahimi tut, oder begrenzte staatliche Investitionen zu fordern, wie es von anderen Gewerkschaftsführungen kommt. Stattdessen müssen die Gewerkschaften endlich einen radikalen Kurswechsel weg von der Politik der Sozialpartnerschaft einleiten. Die Sol schlägt dazu unter anderem folgende Forderungen vor: 

  •  Nein zu jeglichen Kürzungen und Verschlechterungen von Rechten der abhängig Beschäftigten – Hände weg vom Streikrecht 
  •  Für eine massive Erhöhung der Steuern auf Gewinne und Vermögen der Banken, Konzerne und Superreichen
  •  Für die Abschaffung der Schuldenbremse
  •  Für Milliardeninvestitionen in Bildung, Gesundheit, Klima und Soziales – statt Milliarden für die Bundeswehr
  •  Rekommunalisierung und Ausbau von Krankenhäusern, ÖPNV, Wohnungsbaugesellschaften unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung
  •  Verstaatlichung des Energiesektors unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung, um die Preissteigerungen für die Masse der Bevölkerung zu stoppen und eine ökologische Energiewende ohne Verlust von Arbeitsplätzen demokratisch geplant durchzuführen

Pferde scheu machen?

Die Gewerkschaftsführungen hoffen darauf, dass die SPD in der Bundesregierung die schlimmsten Angriffe auf die Rechte der Lohnabhängigen verhindern wird. Doch darauf zu hoffen, ist naiv. Es war die SPD, die uns zusammen mit den Grünen die Agenda 2010 und Hartz IV eingebrockt hat und die ebenso eine Politik im Interesse des Kapitalismus betreibt, wie CDU/CSU und FDP. Es mag sein, dass die schwache Ampel-Regierung nicht zu einer neuen Agenda 2030, wie sie von vielen Kapitalist*innen gefordert wird, fähig sein wird. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht spürbare Kürzungen umsetzt und vor allem wird das nur heißen, dass es früher oder später zu einem Regierungswechsel im Interesse der Kapitalist*innen kommen wird.

Deshalb läuten wir die Alarmglocken und fordern gewerkschaftlichen Widerstand jetzt!

Politische Alternative nötig

Doch um ihre Interessen durchzusetzen braucht die Arbeiter*innenklasse ihre eigene starke Partei, eine Arbeiter*innenpartei mit sozialistischem Programm. Eine solche Partei könnte die vielen verschiedenen Kämpfe und Bewegungen bündeln und gegen die Ursache der sozialen Probleme richten – das kapitalistische System. Denn nur wenn Wirtschaft und Staat nicht mehr im Interesse der Profitmaximierung einiger Weniger funktionieren, sondern im Interesse von Mensch und Natur, können diese Probleme gelöst werden. Deshalb kämpfen wir für eine sozialistische und demokratische Veränderung der Gesellschaft. Dafür sind Sol-Mitglieder in den Gewerkschaften, der Partei Die Linke und sozialen Bewegungen aktiv. Wir laden Dich ein, dabei mitzumachen!

Die Sol unterstützt den Gewerkschafter*innen-Aufruf www.wir-schlagen-alarm.de

Der Kampf gegen die Agenda 2010

Als Deutschland zu Beginn der 2000er Jahre als der „kranke Mann Europas“ galt und das Kapital, ähnlich wie heute, weitreichende Sozial- und Arbeitsmarktreformen forderte, setzte die damalige SPD/Grüne-Regierung unter Gerhard Schröder die Axt an die sozialen Sicherungssysteme an. Mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen organisierte sie den größten Angriff auf die sozialen Rechte der Arbeiter*innenklasse seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Anfangs hatten sich die Gewerkschaftsführungen an von der Regierung eingesetzten Kommissionen zur Ausarbeitung dieser Gesetze beteiligt statt von Anfang ernsthaften Widerstand dagegen zu organisieren. Im Frühjahr 2003 organisierten sie ein paar Alibi-Proteste, um dann deutlich zu machen, dass diese nicht weiter gehen würden.

Es waren damalige SAV-Mitglieder (die Sol ist 2019 aus der SAV entstanden und setzt deren politische Tradition als deutsche Sektion des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale fort), die in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen dafür argumentierten, den Widerstand gegen die Agenda 2010 weiter auf die Straße zu tragen. Auf einer Aktionskonferenz kamen dann Aktive zusammen und riefen für den 1. November 2003 zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin auf. Mit der Unterstützung von linken Gewerkschafter*innen, insbesonder dem ver.di Bezirk Stuttgart, gelang es dann 100.000 Menschen zu mobilisieren. „Da staunen die Gewerkschaftsbosse und hätten wohl gerne am Rednerpult gestanden. 100.000 Unzufriedene haben die Veranstalter des Berliner Protestzugs gegen die Regierungsreformen auf die Beine gebracht, zehntausend mehr also, als der Gewerkschaftsbund Ende Mai motivieren konnte“, schrieb damals die Stuttgarter Zeitung. Diese Demonstration war der Auslöser für betriebliche Proteste in den darauffolgenden Monaten, für die Bewegung der Montagsdemonstrationen und für gewerkschaftliche Demonstrationen mit einer halben Million Beteiligten im Frühjahr 2004. 

Auch wenn die Situation von damals nicht eine zu eins auf heute übertragbar ist, gibt es doch einige Parallelen und sollte auch heute gelten: wenn die Gewerkschaftsführungen den Protest blockieren, stehen linke Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen in der Pflicht, alles zu tun, um Widerstand gegen die drohenden Angriffe von unten zu organisieren. 

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