„Ich konnte es kaum glauben“

Interview mit Anja Voigt über die Pläne, das Gesundheitswesen „kriegstüchtig“ zu machen

Anja Vogt ist Intensivpflegefachkraft. Sie lebt in Berlin und war führend an der Krankenhausbewegung beteiligt, die einen Tarifvertrag zur Personalbemessung an den Charité- und und Vivantes-Kliniken erkämpfte.

In einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) im März diesen Jahres, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), das deutsche Gesundheitswesen müsse sich besser auf „große Katastrophen und eventuelle militärische Konflikte“ einstellen. Es sei, so Lauterbach weiter, „albern zu sagen“, wenn man sich nicht auf einen Krieg einstelle, „wird er auch nicht kommen“.

Solidarität: Was ging Dir durch den Kopf, als Du von Lauterbachs Ankündigung gehört hast, das deutsche Gesundheitswesen solle „kriegstüchtig“ werden.

Anja Vogt: Ich konnte das kaum glauben. Mir ist auch nicht wirklich klar, was er damit überhaupt meint. Sollen wir uns jetzt alle im Behandeln von Kriegsverletzungen weiterbilden? Bei uns im Krankenhaus bereitet sich niemand auf einen Kriegsfall vor. Ganz nebenbei: Wir schaffen ja unseren Alltag kaum, weil alle überarbeitet sind. Wie sollen wir uns da auf irgendetwas Zusätzliches vorbereiten.

Lauterbach hat ja in dem Interview viele Dinge miteinander vermengt, die so nicht zusammengehören. Er sprach auch von einer verbesserten Vorbereitung auf Katastrophen und Pandemien.

AV: Ja, und das wäre sicherlich sinnvoll, aber auf eine verbesserte Vorbereitung auf Katastrophen und Pandemien warte ich jetzt schon seit 2020. Da hat sich nichts getan. Auch wenn es dringend nötig wäre die Coronajahre einer Bilanz zu unterziehen.

Wenn Lauterbach will, dass wir uns besser auf solche Szenarien einstellen, dann müsste er vor allem mehr Geld ins System bringen. Die von ihm geplante Krankenhausreform, wird eher dazu führen, dass die finanzielle Ausstattung der Kliniken noch schlechter werden wird. 

Du sprichst davon, dass Ihr mehr Geld benötigt, um Euch auf Pandemien oder Katastrophen vorzubereiten. Danach sieht es aber im Moment nicht aus.

AV: Das ist ja gerade das Problem. Der Rüstungsetat soll als einziger im kommenden Haushalt keine Kürzungen erleben. Den will man sogar noch erhöhen. Ausgerechnet im Gesundheitswesen sollen die Mittel aber um ein Drittel gekürzt werden. 

Plötzlich ist auch keine Rede mehr von „Revolution“ oder dem „Ende des Profitstrebens“ im Gesundheitswesen. Es ist lange her, dass Lauterbach seine Reform mit solchen Wörtern verschönern wollte.

In Wirklichkeit droht uns bundesweit ein Krankenhaussterben. Lauterbach sagt ganz offen, dass man sich defizitäre Kliniken nicht weiter leisten wolle. Gerade auf dem Land werden Kliniken verschwinden, wenn Lauterbachs Pläne umgesetzt werden sollten. Die Krankenhauslandschaft wird gerade dort, wo sie jetzt schon reichlich knapp ist, noch weiter ausgedünnt werden. Das ist besorgbiserregend.

Wenn man auf dem Land erfolglos einen Kreißsaal sucht, hilft dann auch kein Gerede von „Kriegstüchtigkeit“ mehr. 

Die Situation ist wirklich jetzt schon schlimm und wird durch Lauterbachs Reform noch schlimmer werden. Es fehlt an Anschluss-Rehas. Wir machen im Krankenhaus viel, was eigentlich Teil ambulanter Versorgung sein müsste. Nur fehlt es auf dem Land an niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Machen die Kliniken auch noch dicht, bricht die Versorgung zusammen. So geht es nicht weiter. Das System droht uns um die Ohren zu fliegen. Und dann kommt Lauterbach damit, dass wir „kriegstüchtig“ werden sollen. Es wäre lächerlich, wenn es nicht so schlimm wäre.

Die groß von Karl Lauterbach angekündigte Reform hilft Euch in den Krankenhäusern nicht, ganz im Gegenteil, seine markigen Sätze von der „Kriegstüchtigkeit“ auch nicht. Aber was müsste denn aus Deiner Sicht geschehen?

AV: Vor allem braucht es mehr Geld. Der Investitionsstau in den Krankenhäusern ist riesig. Wir brauchen dringend mehr Personal. Im Moment wird mitunter sogar an Ärztinnen und Ärzten gespart, weil das nicht refinanziert wird. Aber auch Pflegepersonal ist viel zu wenig auf den Stationen.

Wir müssten auch darüber nachdenken, was für ein Gesundheitswesen wir wollen. Eins, in dem der Profit über allem steht? Wo man eine im Sterben liegende Patientin in hohem Altern noch intensivmedizinisch betreut, damit die Kasse klingelt, was für sie eher eine Qual ist.

Wollen wir ein Gesundheitswesen, in dem der Mensch im Vordergrund steht, müsste es in öffentlicher Hand sein. „Kriegstüchtigkeit“ hilft da nicht. 

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