Für einen sozialistischen Weg zu Frieden und Selbstbestimmung für alle Völker im Nahen Osten
Der israelische Staat beansprucht, zionistisch zu sein. Kritiker*innen werden jedoch als antisemitisch diffamiert. Aber was ist Zionismus und warum sollten Linke ihn ablehnen?
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Während die jüdische Religion Jahrtausende alt ist, ist der Zionismus eine politische Strömung, die erst Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Es stimmt, dass der Zionismus eine Reaktion auf den Antisemitismus war. Jedoch war er nicht der Versuch, diesen zu bekämpfen. Der Zionismus propagiert eine Flucht vor dem Antisemitismus, akzeptierte ihn faktisch und sah die Rettung davor in der Bildung eines jüdischen Staates. Allein dieser Umstand weist auf den reaktionären Charakter des Zionismus hin, der die Diskriminierung der Jüdinnen und Juden nicht durch den Kampf um Gleichstellung aufheben wollte und dementsprechend auch der sich verstärkenden Assimilierung der Jüd*innen in die Arbeiter*innenklassen Europas entgegenstand, sondern die Trennung manifestieren wollte.
Rassistisch
Auch wenn es in der zionistischen Bewegung Debatten darüber gab, ob ein solcher Staat an einem anderen Ort als Palästina, der historischen Heimstätte der Jüdinnen und Juden, gebildet werden könnte (im Gespräch waren unter anderem Uganda und Patagonien), setzte sich der Plan durch im damaligen Palästina in Kooperation mit – erst türkischen und dann britischen – Fremdherrscher*innen und mit reaktionären arabischen Großgrundbesitzer*innen die überwiegend bäuerliche arabische Bevölkerung von ihrem Land zu vertreiben, um einen jüdischen Staat zu bilden. Das zeigt, dass der Zionismus eine rassistische Ideologie ist, die ein von einer anderen Ethnie besiedeltes Land für sich beansprucht und diese vertreiben will.
Sozialistischer Zionismus?
Es stimmt, dass im Zionismus zeitweise Strömungen dominierten, die sich als „sozialistisch“ bezeichneten. Aber das sagt mehr über die Stärke der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung in der damaligen Zeit als über den Charakter des Zionismus aus. Die junge Kommunistische Internationale lehnte dementsprechend auch Eintrittsgesuche “links”zionistischer Organisationen ab und forderte diese zur Auflösung auf.
Zionismus und Imperialismus
Nach dem Ersten Weltkrieg unterstützte der britische Imperialismus die zionistische Einwanderung nach Palästina. Ziel war die Schaffung eines Vorpostens in dieser wichtigen Region. Im Krieg hatte er den Araber*innen Selbstbestimmung versprochen, jetzt nutzte er den Zionismus als reaktionäres Bollwerk gegen die Wut der betrogenen arabischen Verbündeten. Leidtragend war die Bevölkerung Palästinas, egal ob sie muslimisch, christlich oder jüdisch war.
Der Zionismus war in den ersten Jahrzehnten nach seiner Entstehung eine relativ kleine Minderheitenströmung unter den jüdischen Menschen. Er gewann massiven Zulauf aufgrund des durch die Nazis betriebenen Holocausts und der Unfähigkeit der Arbeiter*innenbewegung diesen zu verhindern. Trotzdem ist der Zionismus nur eine Strömung unter Jüdinnen und Juden und repräsentiert er bis heute nicht alle oder auch nur die Mehrheit der Jüdinnen und Juden auf der Welt. Auch deshalb ist Antizionismus etwas anderes als Antisemitismus.
Nakba und Staat Israel
Die Gründung Israels im Jahr 1948 wurde von den Palästinenser*innen zu Recht als Nakba (“Katastrophe”) bezeichnet. Hunderttausende wurden vertrieben, der im Staat Israel verbliebene Teil wurde und wird auf verschiedene Weise diskriminiert. In den nach 1967 besetzten Gebieten wurde der Siedlungsbau mit dem strategischen Ziel betrieben, die Gebiete dauerhaft unter israelische Kontrolle zu bringen.
In der jüdischen Bevölkerung hatte der Staat Israel große Unterstützung durch sein Versprechen von Schutz und Sicherheit, sowohl militärisch als auch sozial. Seitdem der Staat Israel in den 1980er Jahren zu neoliberaler Politik überging, ist von der sozialen Sicherheit nur noch ein Scherbenhaufen übrig. Physische Sicherheit konnte er den Jüdinnen und Juden nie gewähren, weil er ein Stachel im Fleisch der arabischen Bevölkerung war und ist, der Widerstand hervorrufen musste und muss. Wahrscheinlich ist Israel heute der unsicherste Ort für Jüd*innen auf der Welt. Die Voraussage des russischen Revolutionärs Leo Trotzki, dass ein jüdischer Staat in Palästina zu einer tragischen Falle für die Jüd*innen werden würde, hat sich bewahrheitet.
Die sozialistische Alternative
Marxist*innen haben den Zionismus immer abgelehnt und 1948 auch die Gründung des Staates Israel in Palästina nicht unterstützt, weil dieser auf Terror und Vertreibung begründet wurde (nicht weil sie grundsätzlich gegen die Bildung eines Staates durch Jüdinnen und Juden waren).
Wir fordern das Selbstbestimmungsrecht für die Palästinenser*innen und ein Ende des Krieges, der Unterdrückung und Besatzung.
Aber längst leben Millionen jüdische Menschen in Israel, von denen siebzig Prozent dort geboren wurden. Nach über siebzig Jahren hat sich dort ein neuer Nationalstaat und eine Klassengesellschaft herausgebildet, deren Existenz nicht ignoriert werden kann. Wir vertreten das Recht auf Selbstbestimmung für alle Völker in der Region.
Im Kapitalismus, der auf Ausbeutung, Unterdrückung und Teile-und-Herrsche-Politik beruht, wird dieses den Palästinenser*innen jedoch verwehrt bleiben, was einen Weg zu Frieden und Kooperation zwischen den Völkern verhindert. Deshalb treten wir für ein unabhängiges sozialistisches Palästina neben einem sozialistischen Israel (mit vollen Rechten für alle Minderheiten in beiden Staaten) im Rahmen einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens ein.