20. Juli 1944: Stauffenberg-Attentat auf Hitler

Berlin-Plötzensee.- Berthold Schenk Graf von Stauffenberg und andere Angeklagte am 10. August 1944 beim Prozess gegen die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 vor dem "Volksgerichtshof", zwischen Polizisten sitzend ((c) Bundesarchiv, Bild 146-2008-0185 / CC-BY-SA 3.0)

“… um das Reich zu retten.”

Anlässlich des 70. Jahrestages des Attentats veröffentlichen wir erneut einen Artikel der zuerst 2004 erschien und der an seiner Relevanz für heute nichts eingebüßt hat.

Wenn die Regierung und die bürgerlichen Medien dem Widerstand gegen das NS-Regime gedenken, dann heben sie in der Regel den militärischen Widerstand hervor. Nach dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg wurden eine Kaserne und 300 Straßen benannt. Besonders in diesem Jahr, zum 60. Jahrestag, ist viel von Zivilcourage und Demokratie die Rede. Was hat es auf sich mit dem militärischen Widerstand? Warum gedenken die Bürgerlichen gerade Stauffenberg? Und wer brachte den Faschismus an die Macht und wer stürzte ihn?

Stauffenberg stand 1944 als Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres im Mittelpunkt eines Netzwerkes von etwa 200 Oppositionellen. Über Jahre hinweg hatten Offiziere, die dem NS-Regime zunächst loyal gegenüber standen, diese Opposition im Staatsapparat aufgebaut und auch Verbindungen zur zivilen Opposition hergestellt. Nach mehreren misslungenen Attentaten schlug am 20. Juli 1944 auch der letzte Versuch fehl. Hitler überlebte Stauffenbergs Sprengstoffanschlag bei einer militärischen Lagebesprechung im Hauptquartier “Wolfsschanze”.

Stauffenberg stammte aus einer standesbewussten katholischen Adelsfamilie. Die Novemberrevolution von 1918 und die Abdankung des Kaisers kränkte das adlige Selbstwertgefühl. Stauffenberg wollte sich dem “erhabenen Kampf für das Volk opfern” und wurde Berufsoffizier. Da er die Ideen der Nazis von einem Führerprinzip und der Volksgemeinschaft teilte, begrüßte er Hitlers Regime. Trotzdem bewahrte er eine kritische Distanz, die von einer standesbedingten Verachtung des Nazi-Pöbels herrührte. Als Adliger und Soldat fühlte er sich überlegen. Stauffenberg fügte sich in die Wehrmacht ein und trug den Krieg – für ihn ein “völkischer Entscheidungskampf um Sein oder Nichtsein der Nation”- bis 1942 mit. Als er jedoch zur Überzeugung kam, dass sein “Vaterland” unter Hitlers Führung geradewegs auf den Abgrund zusteuert, schloss er sich dem bürgerlich-militärischen Widerstand an.

Gedenken und Rüsten

Im westlichen Teil Deutschlands wurde Stauffenberg und seinen Mitverschwörer nach 1945 zunächst nicht offiziell gedacht. Soldaten, die während eines Krieges den Führer ermorden wollten, galten noch lange als Verräter. Marion Gräfin Dönhoff hatte aber schon 1946 darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, diese “Menschen, aus deren Sein und Handeln, aus deren Wesen und Erkennen die geistige Erneuerung und der Wiederaufbau des Landes Gestalt gewinnen sollte” zu ehren. Ebenso befassten sich die Historiker Hans Rothfels und Gerhard Ritter gezielt mit dem konservativen Widerstand, um eine positive Kontinuität der deutschen Geschichte zu konstruieren. Als erster Bundespräsident gedachte Theodor Heuss 1954 dem Widerstand. Die Männer des 20. Juli 1944 seien für das andere, das bessere Deutschland gestorben, zu dem auch “das recht verstandene preußische Erbe” gehöre. “Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt.” Diese Worte lassen klar erkennen, worum es ging und worum es auch heute geht.

Denn auch heute sehen die Bürgerlichen in Stauffenberg und seinen Mitstreitern das “bessere Deutschland”. Sie sollen einen Nationalstaat repräsentieren, dessen Herrschende sich nicht mit dem Blut von Auschwitz besudelt haben.

Die Niederlage des Zweiten Weltkriegs hatte die Möglichkeiten der deutschen Kapitalist*innen eingeschränkt. Lange mussten sie sich der Führung der USA unterordnen. Mit der Wiedereinführung des Kapitalismus in Osteuropa und der Wiedervereinigung Deutschlands sind die Chancen des deutschen Kapitals, wieder eine eigenständige Weltmachtposition einzunehmen, deutlich gestiegen. Osteuropa steht ihnen wieder als Markt zur Verfügung. Deutsche Soldat*innen sind wieder weltweit im Einsatz, um den “freien Zugang zu Rohstoffen und Märkten” zu gewährleisten. (Verteidigungspolitische Richtlinien, 1992) Die deutschen Herrschenden wollen uns also wieder an Kriegseinsätze gewöhnen, um nicht nur eine wirtschaftlich dominante Stellung zu haben, sondern auch wieder politisch „zu den Großen“ zu gehören.

Aber viele Menschen haben noch nicht vergessen, dass die Expansion des deutschen Imperialismus der Welt schon einmal Tod und Zerstörung brachte. Deshalb soll Stauffenberg als Beweis dafür herhalten, dass Teile der Elite der Nation den Faschismus nicht wollten. Schon 1954 ließ Heuss einige Tatsachen unter den Tisch fallen: Stauffenberg und seine Mitstreiter waren keine Demokraten, die meisten von ihnen hatten Hitlers Politik unterstützt und seinen Krieg mitgeführt. Bei den heutigen Ehrungen sollen die Männer des 20. Juli immer noch „die positive Kontinuität“ des deutschen Staates verdeutlichen.

Widerstand wird uns dargestellt als Widerstand der Eliten. So sagte Willy Brandt 1990 im Bundestag: “Wir sind dem Erbe des deutschen Widerstandes verpflichtet. In dieser Stunde denke ich an Julius Leber und an den Grafen Stauffenberg.” Nur kurz vorher hatte die “Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten” Material über den “Widerstand von unten” zusammengetragen, um der Fixierung auf die Eliten entgegenzuwirken. Kein Wort davon. Dabei waren es gerade die Eliten, die Hitlers Bewegung aufgebaut und an die Macht gebracht haben.

Steigbügel und Kettenhunde

Die herrschende Klasse lässt Faschist*innen dann an die Macht, wenn die Herrschaftsmethoden des bürgerlichen Staates nicht mehr ausreichen, um einer starken Arbeiter*innenbewegung Herr zu werden. Die deutsche Arbeiter*innenklasse stand 1918 mit der Novemberrevolution kurz davor, die Staatsmacht zu ergreifen und die Kapitalist*innen zu enteignen. Damals kam die SPD dem Kapital zu Hilfe. Die Kapitalist*innen konnten weiter herrschen, aber das parlamentarische System beinhaltete immer auch Elemente des Kompromisses mit der Arbeiter*innenklasse.

Eigentlich ist bürgerlicher Parlamentarismus die ideale Form bürgerlicher Herrschaft, weil er die Arbeiter*innenklasse zu einem gewissen Grade integriert, ohne das Privateigentum in Frage zu stellen. Dadurch erhält das System seine Stabilität. Anfang der 30er Jahre aber hatte der Parlamentarismus für die Herrschenden ausgedient.

Von Anfang an war die faschistische Bewegung auch vom Großkapital finanziert worden. Einige der ersten Großspender*innen waren zum Beispiel die Industriellen Ernst von Borsig, Hugo Stinnes, Emil Kirdorf und Fritz Thyssen. Die Partei bestand zunächst vor allem aus Soldaten der unteren und mittleren Offiziersränge, die von Hass erfüllt waren über den Ausgang des Ersten Weltkriegs, die Novemberrevolution und ihr verlorenes Ansehen.

Ende der 20er Jahren zog die NSDAP dann Massen von Kleinbürger*innen an, die von der wirtschaftlichen Entwicklung ruiniert wurden. Bis 1923 gingen große Teile des Kleinbürgertums noch mit der Arbeiter*innenklasse. Aber die Unfähigkeit der Arbeiter*innenparteien, einen wirklichen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen, trieb immer mehr in die Arme Hitlers. 1933 war “der breite Mittelstand völlig dem Sog der nationalsozialistischen Propaganda erlegen”, wie der Historiker Hans Mommsen feststellte.

Die Nazis waren (und sind) die Kettenhunde des Kapitals. So charakterisierte der russische Revolutionär Leo Trotzki ihre Diktatur treffend: “Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen, Gewalttaten, Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustande erzwungener Zersplitterung zu halten. Hierzu ist die physische Vertilgung der revolutionärsten Arbeiterschicht ungenügend. Es heißt alle selbständigen und freiwilligen Organisationen zu zertrümmern, alle Stützpunkte des Proletariats zu vernichten und die Ergebnisse von dreiviertel Jahrhundert Arbeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften auszurotten. Denn auf diese Arbeit stützt sich in letzter Instanz auch die kommunistische Partei.” (aus: Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, 1932)

Ohne all das wäre es nicht möglich gewesen, in den Betrieben das Führerprinzip einzuführen, den Lebensstandard der Werktätigen nachhaltig zu senken und die Bedingungen für eine erneute kriegerische Expansion zu schaffen.

Somit ist der Faschismus die zugespitzteste, radikalste Form bürgerlicher Herrschaft, die für die Kapitalist*innen ein großes Risiko beinhaltet. Sie geben ihre Kontrolle über den Staatsapparat nicht ohne Not an eine faschistische Bewegung ab. 1932 sprachen NS-Funktionäre vor großen Versammlungen von Industriellen. Die Herrschenden sollten ihre Zweifel ablegen, ob Hitler wirklich befähigt ist, die Staatsgeschäfte zu lenken und die Profitbedingungen zu verbessern. Hitler versprach über 400 Vertreter*innen der Industrie aus dem Rhein/Ruhr-Gebiet, den “Marxismus bis zur letzten Wurzel” auszurotten und das Volk in eine “Schule eiserner Disziplin” zu nehmen. Er bekannte sich klar zur “privaten Wirtschaft”.

1933 schienen die Methoden parlamentarischer Herrschaft ausgeschöpft. Das kapitalistische Krisenmanagement erforderte eine qualitative Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Die Historiker Pätzold und Weißbecker schreiben über die Stimmungslage der Unternehmer*innen: “So gelangten auch jene, denen diese Hitlersche ‚Arbeiterpartei‘ ungenehm war, ungeheuer, weil unberechenbar vorkam, zu dem Schluss, dass man es mit diesem ‚Führer‘ würde versuchen müssen. Das begünstigte das Projekt der Kanzlerschaft Hitlers, für das sich eine Minderheit unter den mächtigsten Kapitaleignern und Großagrariern vehement verwandte. Ihre Stärke resultierte aus dem Einfluss, über den sie geboten, aber sie wurde durch den Umstand erheblich vergrößert, dass es ein überzeugendes Konkurrenzprojekt nicht mehr gab.”

Klasse und Widerstand

Die Entstehung der NS-Diktatur führte sofort zum Widerstand der Arbeiter*innenbewegung. So erzählte der im Jahre 2000 als SAV-Mitglied verstorbene Horst Steinert, der 1933 Jung-Kommunist war: “Wir wollten kämpfen. Hunderttausende wollten kämpfen. In der Nacht vom 30. Januar saß ich gemeinsam mit anderen KPD-Mitgliedern in einem Berliner Keller; wir waren bewaffnet, und warteten auf das Signal zum Aufstand. Ich erinnere mich noch genau. Zwei Tage warteten wir damals auf einen Befehl der KPD-Führung. Aber nichts kam. Kein Befehl. Nichts. Versagt haben damals nicht die Tausende von Mitgliedern der KPD, sondern die Parteiführung.”

Dass die Kapitalist*innenklasse ihre Kontrolle über den Staatsapparat weitgehend abgegeben hatte, schuf aber auch die Bedingungen für die Entstehung einer bürgerlichen Opposition. Deren Ziel war es, den Nazi-Pöbel zu entmachten und selbst wieder die politische Verwaltung des Kapitalismus zu übernehmen. Zunächst jedoch lebten Kapital und alte Eliten gut mit dem Faschismus.

So wie Anfang der 30er Jahre die Situation des bürgerlichen Parlamentarismus erst eine neue Qualität der Ausweglosigkeit erreichen musste, damit die Kapitalist*innen Hitler zur Macht hoben, so musste das faschistische Regime erst die bürgerliche Herrschaft an sich gefährden, um dem bürgerlichen Widerstand immer mehr Auftrieb zu geben.

Wenn auch einzelne Industrielle wie Dahrendorf, ein führender Manager des Energiekonzerns Preussag, oder Lobbyisten des Kapitals wie Carl Goerdeler oder Ulrich von Hassel, an den Staatsstreichplänen um Stauffenberg beteiligt waren, so war es doch vor allem das Militär, das den bürgerlichen Widerstand ausmachte.

Das Verhältnis der Offiziere zur NS-Bewegung war unterschiedlich. Während untere und mittlere Offiziere ab 1918/19 zu den konterrevolutionären Freikorps und zum Grundstein der Nazi-Bewegung gehörten, standen die führenden Ränge des Militärs den Nazis eher kritisch gegenüber. Mit ihrer adligen Herkunft blickten sie verächtlich auf den “Kleinbürger” Hitler und die “braune Pest” herab, wie es Stauffenberg formulierte.

Vom Wertekodex und den politischen Zielen her kamen sich Offizierskorps und Nazi-Bewegung aber sehr nahe. Auch die Offiziere wollten eine autoritäre Staatsform und eine nationale und antiliberale Gesellschaft, auch sie wollten ein Wiedererstarken des Militärs und eine deutsche Hegemonie über Europa. Der “Schandfrieden” von 1918 sollte rückgängig gemacht werden.

Hitler war zunächst auf die Unterstützung des Militärs angewiesen. Durch den Ausbau seines Herrschaftsapparates, den Aufbau eigener bewaffneter Organe, die Ausschaltung unliebsamer Offiziere und durch seinen Oberbefehl über die Wehrmacht entzog sich Hitler aber immer mehr einer vermeintlichen Kontrolle durch die Offiziere, die sich einige von diesen erhofft hatten.

Das war der eine Grund für eine wachsende Bereitschaft einiger Offiziere zum “Widerstand”. Der weitaus wichtigere Grund aber bestand darin, dass die etwas weitsichtigeren Teile des Staatsapparates im verbissenen Kriegskurs der Staatsführung eine zunehmend existenzielle Bedrohung der Herrschaft des deutschen Bürgertums sahen. Im Laufe der Jahre 1942/43 wurde dafür dann immer weniger Weitsicht nötig.

Schon im November 1937 warnten Feldmarschall von Blomberg, Armeegeneral von Fritsch und Reichsaußenminister von Neurath vor einem zu aggressiven Kriegskurs. Sie meinten, dass das Reich für einen größeren Konflikt militärisch und wirtschaftlich noch nicht genügend vorbereitet war.

1938 spitzte sich die Situation weiter zu. Marion Gräfin Dönhoff, bemüht die imperialistischen Absichten der Offiziere zu verbergen, schrieb 1946: “Der erste Versuch, eine planmäßige Opposition zu organisieren, fällt in das Jahr 1938, nachdem im Frühjahr jenes Jahres durch die Besetzung Österreichs klar geworden war, dass die Außenpolitik des Nationalsozialismus zwangsläufig zu einer europäischen Katastrophe führen musste.”

Im August 1938 übte Generaloberst Ludwig Beck scharfe Kritik an Hitler, weil er befürchtete, dass dessen Vorgehen gegen die Tschechoslowakei verfrüht sei und Deutschland in eine Niederlage treiben würde. Beck befürchtete einen Sieg der politischen Linken. Sein Gegenmittel: “Für den Führer, gegen den Krieg”. Beck trat zurück. Die Heeresführung verbündete sich kurz darauf zum ersten Mal gegen Hitler. (Es sollte das einzige Mal bleiben.) Für den Fall eines Angriffs auf die Tschechoslowakei sollte Hitler festgenommen werden. Als Hitler auf der Münchner Konferenz eine diplomatische “Lösung” der “Sudetenfrage” erreichte, nahm die Heeresführung von ihren Plänen Abstand, weil ihre Befürchtungen von einem zu überhasteten Vorgehen verflogen waren.

Nach der Eroberung Polens 1939 und den damit verbundenen Massenmorden wurde weiteren Offizieren mulmig. Stauffenbergs Mitverschwörer Hans-Bernd von Haeften nannte Hitler einen “Vollstrecker des Bösen”. Die anfänglichen Erfolge im Krieg hielten den Staatsapparat aber noch zusammen. Einige Militärs hatten Bedenken gegenüber dem Frankreich-Feldzug. Aber als Frankreich eingenommen war, war es wieder vorbei mit ihren Überlegungen zum “Widerstand”. Mit zunehmender Bedrohung nahmen die Spaltungen zu und immer mehr Offiziere waren bereit sich Hitler in den Weg zu stellen, “um das Reich zu retten” (Stauffenberg, Sommer 1943).

Der Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1940 stärkte zunächst das Bündnis zwischen dem Regime und der Wehrmachtsführung, da die Militärs die Sowjetunion auch als ideologischen Feind sahen. Aber der Feldzug brachte die Wende. Im Winter 1941/42 zeichnete sich eine Niederlage der Wehrmacht bereits ab. Fieberhaft bastelte Oberstleutnant Henning von Tresckow an der Ostfront und bis in zivile Berliner Kreise hinein an einem oppositionellen Netzwerk.

Im Januar 1943 stellten die Alliierten die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation auf. Das drängte den militärischen Widerstand zu Taten, weil das Attentat einer Niederlage zuvorkommen musste, um eventuell noch bessere Friedensbedingungen auszuhandeln. Andererseits bestanden Skrupel angesichts der Stärke der Roten Armee und der Drohung mit der bedingungslosen Kapitulation. Man wollte durch eine weitere Destabilisierung der militärischen Lage nicht als Verräter*in dastehen.

Die Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad im Februar 1943 machte letzte Illusionen zunichte. Stauffenberg kannte als Nachschubplaner den Zustand der Wehrmacht genau. Seine Hoffnungen, die Sowjetunion erobern zu können, um dann als Armee das “Gesetz des Handels” an sich zu reißen und die Staatsführung auszuschalten, waren dahin. Er stieß zu Tresckows Gruppe.

Im Laufe des Jahres scheiterten zwei Attentatsversuche von Offizieren in der Heeresgruppe Mitte um Tresckow nur knapp. Attentatsversuche von Offizieren, die mit Stauffenberg in Kontakt standen, scheiterten im November 1943 und im Januar 1944. Im März versuchte ein durch Tresckow überzeugter Offizier Hitler zu erschießen. Auch er scheiterte.

Das Vorrücken der Roten Armee war aus der Sicht adliger Offiziere eine Katastrophe. Es gefährdete unmittelbar ihren Besitz, ihre Stellung und ihr Leben und bedrohte ihre Klasse mit der Enteignung. Goerdeler, der im Falle eines erfolgreichen Staatsstreiches Reichskanzler werden sollte, schrieb 1943 in einer Denkschrift: “Die beiden angelsächsischen Großreiche haben wie Deutschland ein Lebensinteresse, dass der Bolschewismus nicht weiter nach Westen vordringt. Nur Deutschland kann den Bolschewismus aufhalten.” Das Attentat am 20. Juli 1944 war also ein letzter Versuch, durch die Beseitigung Hitlers aus Deutschlands Innerem heraus eine Niederlage abzuwenden, möglicherweise einen schnellen Frieden im Westen zu erreichen, um den Krieg gegen die Sowjetunion weiter führen zu können.

Um die Unabhängigkeit des deutschen Staates einigermaßen zu bewahren, musste aus der Sicht der Offiziere die Staatsführung ausgetauscht werden. Die “Ehre” der traditionellen herrschenden Klasse sollte bewahrt werden, um sich bessere Bedingungen für die zukünftige Herrschaft zu sichern. Goerdeler schreibt zu den Plänen des bürgerlich-militärischen Widerstands: “Deutschland bedarf einer monarchischen Spitze, die eine stetige Innen- und Außenpolitik gewährleistet. Eine wählbare Spitze vermag dies nicht.”

Nur die Arbeiter*innenbewegung hätte den Faschismus verhindern können. Aber die Führung der Arbeiter*innenparteien KPD und SPD versagten. Ihre Politik war nicht dazu in der Lage, eine Einheitsfront der Arbeiter*innenklasse gegen die Nazi-Bedrohung aufzubauen.

Die KPD hatte nach dem Sieg der stalinistischen Bürokratie in der Sowjetunion und der Stalinisierung der Kommunistischen Internationale den Zickzack-Kurs von Stalins Außenpolitik mitgemacht. Als Stalin die Parole ausgab: “Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus”, bezeichnete auch die KPD Sozialdemokrat*innen als “Sozialfaschisten”. Im Kampf gegen die Nazis forderte die KPD die Mitglieder der SPD auf, sich für die Herstellung einer Einheitsfront der Führung der KPD unterzuordnen.

Trotzki und seine Anhänger*innen überschütteten die KPD mit Warnungen, dass dieser katastrophale Kurs die Arbeiter*innenklasse in die Niederlage treibt: “Ohne Verzug muss endlich ein praktisches System von Maßnahmen ausgearbeitet werden … mit dem Ziel des tatsächlichen Kampfes gegen den Faschismus. Die Frage des Betriebsschutzes, der freien Tätigkeit der Betriebsräte, der Unantastbarkeit der Arbeiter*innenorganisationen und -einrichtungen, der Waffenlager, die von den Faschist*innen geplündert werden können, Maßnahmen für den Fall der Gefahr, die Koordinierung der Kampfhandlungen der kommunistischen und sozialdemokratischen Abteilungen … Auf diesem Boden ist ein Übereinkommen mit den sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Organisationen nicht nur zulässig, sondern Pflicht. Darauf aus ‚prinzipiellen‘ Erwägungen verzichten (in Wirklichkeit aus bürokratischer Dummheit oder noch ärger: aus Feigheit), heißt, direkt und unmittelbar dem Faschismus zu helfen.”

Die SPD hingegen beschimpfte Kommunisten als “rotlackierte Faschisten”. In der Theorie kritisierte die SPD-Führung das kapitalistische Krisenmanagement der Brüning-Regierung zwar scharf, tolerierte Brüning aber als das “kleinere Übel”. Als Antwort auf das Wachstum der Nazi-Bewegung fielen der SPD-Führung nur Wahlaufrufe ein.

Der Preis war die Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung als eine der ersten Maßnahmen des neuen Regimes. Erst mit einer gebrochenen Arbeiter*innenbewegung stand den Kapitalist*innen der Weg zur erneuten Aufrüstung offen. Aber die Arbeiter*innenbewegung war nicht tot. Trotz Lebensgefahr kämpften ihre Aktivist*innen weiter gegen das Regime.

Bis in die 40er Jahre haben sie den Widerstand durchgehalten und die Hauptlast der Unterdrückung getragen. So meldete eine Polizeistatistik, dass der April 1939 ein durchschnittlicher Monat gewesen sei: Festgenommen wurden 357 Oppositionelle, davon 223 aus der KPD, 37 andere aus der Arbeiter*innenbewegung und 97 sonstige. Im April 1943 wurden 1387 Festnahmen aus der Arbeiter*innenbewegung und 529 Festnahmen aus dem bürgerlichen Lager vermerkt.

Leider konnte unter den Bedingungen faschistischer Herrschaft keine Bewegung aufgebaut werden, die die Nazi-Diktatur wirklich hätte stürzen können. Aber wie viele Traditionen erhalten blieben zeigte sich 1945, nach der Befreiung, als im ganzen Land “Antifa-Komitees” aus dem Boden sprossen. Arbeiter*innen organisierten sich sofort und begannen damit, Nazis von ihren Posten zu vertreiben und die herrschende Klasse für ihre Zusammenarbeit mit den Nazis anzugreifen.

Klasse und Krieg

Und trotz der katastrophalen Niederlage der Arbeiter*innenbewegung 1933 war es doch keine bürgerliche Kraft, die das Regime zerschlug. Es waren die Arbeiter*innen, Soldat*innen und Partisan*innen der Sowjetunion, die der Wehrmacht mit einer unglaublichen Kraftanstrengung das Genick brachen.

Die Bürgerlichen ehren den Kampf der westlichen Alliierten. Mit großen Feierlichkeiten wurde der 60. Jahrestag des “D-Day” gefeiert, die Landung der britischen und US-Truppen in der Normandie. Es wird der Eindruck erweckt, als hätten die Westalliierten den Faschismus besiegt und Deutschland die Demokratie gebracht.

Doch was war der D-Day im Vergleich zu dem gewaltigen Blutzoll der Sowjetunion? Was war der militärische Beitrag der Westalliierten im Vergleich mit der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad? Wo waren die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Befreiung durch die Rote Armee am 8. Mai?

Wenn wir die Leistungen der Roten Armee und den proletarischen Klassencharakter der Sowjetunion betonen, dann muss besonders hervorgehoben werden, dass die stalinistische bürokratische Diktatur den antifaschistischen Widerstand, die sowjetische Wirtschaft und die Kampfkraft der Roten Armee erheblich schwächte.

Stalins Politik hat nicht nur den Widerstand vor 1933 sabotiert. Auch nach 1933 schwächte er den Widerstand, zum Beispiel durch die Auslieferung von 800 deutschen Antifaschist*innen an das Hitler-Regime und durch den Hitler-Stalin-Pakt, der die kommunistische Bewegung auf der ganzen Welt demoralisierte und auch in Deutschland zu einem Rückgang des Widerstands führte.

In der Sowjetunion wurde jegliche Arbeiter*innendemokratie erstickt. Planwirtschaft kann sich aber nur durch die direkte demokratische Kontrolle und Verwaltung der Arbeiter*innen entfalten. Deshalb wurde die Industrie nur mit erheblichen Ungleichgewichten aus dem Boden gestampft. Die Leistungen der sowjetischen Arbeiter*innenklasse im Zweiten Weltkrieg zeigen aber auch, wozu eine Planwirtschaft mit motivierten Arbeiter*innen in der Lage ist: 1523 Industriebetriebe wurden in der Sowjetunion abmontiert, außer Reichweite der Wehrmacht aufgebaut und wieder in Betrieb genommen.

Auch die Rote Armee litt unter der bürokratischen Engstirnigkeit der Führung. So wurde die Parole “Kein Schritt zurück!” ausgegeben. Allein in Stalingrad wurden 13.500 Rotarmisten als “Deserteure” hingerichtet, weil sie nicht geradewegs in den Tod gelaufen waren.

Trotz alledem zeigte der Sieg der Roten Armee die Überlegenheit der Planwirtschaft über den Kapitalismus. Der britische Trotzkist Ted Grant schrieb 1943: “Die beispiellosen Siege der Roten Armee stellen einen Faktor von welterschütternder Bedeutung dar. Es kann mit den Siegen von Napoleon in den Kriegen gegen das feudale Europa verglichen werden. … Trotz schrecklicher Niederlagen und Leiden hat sich die Rote Armee wieder gesammelt, wie es keine andere Armee in der Welt angesichts solcher Niederlagen gekonnt hätte. … Letztlich können diese Siege nur auf die ungeheuren materiellen und psychologischen Vorteile durch die Oktoberrevolution zurückgeführt werden.”

Nur der Kampf der Sowjetunion hat letztlich einen antifaschistischen Charakter getragen. Denn im Gegensatz zu den imperialistischen Staaten prägt eine Planwirtschaft nicht Kapitalakkumulation, sondern die Produktion von Gebrauchswerten. Deshalb wurde die sowjetische Politik auch nicht durch die Notwendigkeit angetrieben, Kapital zu exportieren.

Alle anderen Staaten, die auf der Basis des Kapitalismus agierten, vertraten notwendigerweise auch die Profit- und Machtinteressen der eigenen Kapitalist*innenklasse. In den 30er Jahren hatte zum Beispiel Großbritannien die Sowjetunion als den eigentlichen Feind angesehen und Nazi-Deutschland unterstützt. Churchill äußerte sich damals begeistert über Hitlers Beschäftigungspolitik und über die Ordnung, die Mussolini in Italien errichtet hatte. Britische und US-Truppen machten erst dann eine zweite Front in Europa auf, als klar wurde, dass die Rote Armee möglicherweise ganz Europa überrennen würde. 1945 meinte Churchill dann, entsetzt über die Siege der Sowjetunion, man hätte wohl „das falsche Schwein geschlachtet“.

Gedenken heißt Lehren ziehen

Bürgerliches Gedenken entspricht bürgerlichen Klasseninteressen. Die Wahrheit darüber, wer den Faschismus an die Macht brachte und wer ihn besiegte, wird von den Herrschenden heute verdreht, verschwiegen oder höchstens noch relativiert.

Wir gedenken der Opfer von Krieg und Faschismus, den Abermillionen, die für die Profitlogik sterben mussten.

Wir gedenken insbesondere der Abertausenden von Widerstandskämpfer*innen der Arbeiter*innenbewegung, die von Anfang an den Faschismus bekämpften. Nicht um die Ehre der Nation zu retten, nicht um die Alliierten von der Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation abzubringen, und schon gar nicht um dem Kapital eine neue und bessere Chance zur Herrschaft zu geben. Sie kämpften für das Leben, für die Freiheit, für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung.

Und wir gedenken der Arbeiter*innen, Soldat*innen und Partisan*innen der Sowjetunion, ohne deren Sieg die Welt heute wahrscheinlich noch sehr viel barbarischer aussähe.

Gedenken heißt für uns, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und für unseren heutigen Kampf für eine andere, bessere, sozialistische Welt zu beherzigen:

1. Nazis müssen mit allen notwendigen Mitteln bekämpft werden. Ihre Organisationen müssen zerschlagen werden, solange sie noch klein sind. Wir können uns dabei weder auf den Staat, noch auf bürgerliche Kräfte verlassen. Nötig sind Massenmobilisierungen der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften, von linken, antifaschistischen und Migranten-Organisationen, um alle Nazi-Aktivitäten zu verhindern.

2. Dabei muss auch gegen den Sozialkahlschlag mobilisiert werden, um zu verhindern, dass die Nazis mit ihrer sozialen Demagogie bei sozial Benachteiligten punkten. Auch der staatliche Rassismus ist mitschuldig am Anwachsen der Nazi-Banden und an der Spaltung der Beschäftigten in “Deutsche” und “Ausländer”. Deshalb sollte die Arbeiter*innenbewegung jegliche Benachteiligung von Menschen ohne deutschen Pass zurückweisen.

3. Die herrschende Klasse hat eindrucksvoll bewiesen, dass ihr System zu Faschismus und Krieg führt. Nur wenn wir den Kapitalismus abschaffen, können wir weitere Katastrophen verhindern. Das ist keine Frage einer fernen Utopie, sondern konkrete Notwendigkeit, wenn wir die sozialen Grausamkeiten der Herrschenden stoppen wollen. Wie Bernd Riexinger von verdi-Stuttgart auf dem Kongress der Wahlalternative am 20.6.2004 sagte: “Die Wirtschaft argumentiert ganz grundsätzlich, dass sie sich das Soziale nicht mehr leisten kann. Dann müssen wir uns auch fragen, ob wir uns diese Wirtschaft noch leisten können!”

4. Der Stalinismus in der Arbeiter*innenbewegung hat zu furchtbaren Niederlagen geführt. 1933 ist nur das schlimmste Beispiel von vielen. Nach 1945 halfen Kommunistische Parteien in ganz Europa mit, den Kapitalismus durch “Volksfront”-Regierungen mit bürgerlichen Kräften zu bewahren. Die Unterdrückung der Arbeiter*innenklasse in den stalinistischen Staaten hat den Boden dafür bereitet, dass Illusionen in den Kapitalismus entstanden und 1989-91 die Planwirtschaft zerstört werden konnten.

5. Wir sind überzeugt, dass nur eine sozialistische Welt eine lebenswerte Zukunft garantieren kann. Für eine Zukunft ohne Armut, Ausbeutung und Unterdrückung lohnt es sich zu kämpfen. Der mutige Einsatz der antifaschistischen Kämpfer*innen, von denen so viele Namen im Dunkel der Geschichte geblieben sind, ist uns Beispiel und Vorbild.

Dieser Artikel erschien erstmals 2004 auf der Webseite der Sol-Vorgängerorganisation sozialismus.info.