Von der ISA zum CWI – welche Aufgaben haben Marxist*innen heute

Stellungnahme von ehemaligen Mitglieder der ISA Österreich

Vorbemerkung: Wir dokumentieren hier eine Stellungnahme von fünf ehemaligen Mitglieder der ISA Österreich, von denen sich drei schon dem CWI angeschlossen haben und zwei mit dem CWI über einen Wiederbeitritt diskutieren. Dem CWI schon angeschlossen haben sich Anna Hiermann, Gerhard Ziegler und Sonja Grusch, die über viele Jahre Sprecherin des CWI bzw. nach der Spaltung der ISA in Österreich und auch Mitglied der internationalen Leitung der ISA war.

Wir begrüßen es, dass diese Genoss*innen in der Lage waren, die Entwicklungen von ISA und CWI in den letzten fünf Jahren zu bilanzieren und die eigenen Entscheidungen in Frage zu stellen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, über den eigenen Schatten zu springen und die politischen Fragen in den Mittelpunkt, persönliche Fragen in den Hintergrund zu stellen. Das verdient unseren Respekt.

Wir haben in ausführlichen Diskussionen Übereinstimmung in den wesentlichen grundsätzlichen politischen Fragen festgestellt. Das bedeutet nicht Übereinstimmung in jeder Detailfrage, was das CWI auch nicht erwartet, wenn sich Aktivist*innen aus anderen Organisationen oder Traditionen uns anschließen wollen.

Wie aus dem Text der Genoss*innen hervor geht, gibt es auch weiterhin unterschiedliche Blickwinkel auf verschiedene Aspekte des Fraktionskampfs im CWI 2018/19 und der damaligen Spaltung. Wir stimmen zum Beispiel nicht damit überein, dass die ISA ein „Experiment“ war und sind auch davon überzeugt, dass die Beteiligten dies damals nicht so gesehen haben. Beide Seiten respektieren aber unterschiedliche Blickwinkel auf die Vergangenheit und das ist kein Hinderungsgrund gemeinsam an den Aufbau einer revolutionär-marxistischen Organisation zu gehen.

In diesem Sinne laden wir Mitglieder bzw. ehemalige Mitglieder der ISA ein, dem Beispiel der österreichischen Genoss*innen zu folgen und mit dem CWI in Diskussion zu treten.

Zentrale Aufgaben für Revolutionär*innen in dieser komplizierten Periode

Im folgenden Text beschreiben wir ein paar Gedanken zu zentralen Aufgaben für Revolutionär*innen in dieser sehr komplizierten Periode. Dieser Text ist weder vollständig noch ausführlich, sondern beschreibt nur einige aus unserer Sicht wichtige Eckpunkte, die uns – neben einer Reihe anderer Fragen – dazu bewogen haben, uns von der ISA zu trennen und dem CWI beizutreten.

Ein Zeitalter von Chaos und Konflikten braucht Klassenstandpunkt und politische Klarheit

Wir leben in einem Zeitalter von Krisen, Chaos und Neuordnung. Die USA, die ihre Vormachtstellung auf Weltebene zu verteidigen sucht, und China, das wirtschaftlich mittlerweile die zweitstärkste Macht darstellt, stehen in einer Auseinandersetzung um die Vormachtstellung. Es ist ein Rennen um Einfluss und Märkte, teilweise ausgetragen als Handelskrieg (auch auf technologischer Ebene), das sich immer mehr zuspitzt und alle Teile der Welt erreicht hat.

Rund um die beiden imperialistischen Hauptmächte ordnet sich die Welt zusehends in zwei Blöcken neu. Dabei versuchen allerdings eine Reihe von Staaten (z.B. zahlreiche Staaten in Asien) durch Lavieren zwischen den beiden Blöcken Sondervorteile rauszuschlagen. Eine direkte militärische Konfrontation der beiden Hauptmächte ist aktuell keine wahrscheinliche Perspektive, auch wenn es von Zeit zu Zeit (z.B. um die Frage Taiwan) deutliches Säbelrasseln gibt. Dennoch steigt die Gefahr militärischer Konflikte weltweit an, durch Stellvertreterkriege im Rahmen des Hauptkonflikts USA-China, aber auch in Folge der zunehmenden Spannungen innerhalb der Blöcke. Der massive Anstieg von Rüstungsausgaben ist ein deutliches Zeichen, der allerdings zu Lasten der Arbeiter*innenklasse und der Armen geht.

Wenn auch die zunehmende Bipolarität die dominante Komponente in der aktuellen Weltpolitik mit regionalen Stellvertreterkriegen rund um den Globus darstellt, sehen wir auch eine gegenseitige Abhängigkeit der USA und Chinas, die die zentrale Achse der Weltwirtschaft bleiben, wie es Hannah Sell im September 23 in “Das Ende der goldenen Äras” beschreibt (https://www.socialistworld.net/…/the-end-of-golden-eras/). Die politische und wirtschaftliche Lage, die Abhängigkeiten, Konflikte und Widersprüche sind komplex und sehen neben Zusammenarbeit auch Widersprüche zwischen wie innerhalb der beiden Blöcke, wenn Teile der herrschenden Klassen Eigeninteressen voranstellen. Die herrschende Klasse ist alles andere als homogen, zwischen den Blöcken, innerhalb der Blöcke und auch innerhalb einzelner Staaten prallen unterschiedliche Kapitalinteressen aufeinander. Das sehen wir aktuell auch in Bezug auf den Gazakrieg, wo das israelische Regime mit seinem genozidalen Krieg gegen die palästinensischen Massen teilweise sogar in Widerspruch zu den Interessen ihres Hauptverbündeten, des US-Imperialismus, sowie von Teilen der eigenen herrschenden Klasse gerät und wo diverse israelische Verbündete auf Abstand gehen.

Hintergrund ist die angespannte ökonomische Lage. Die Folgen der 2008/9er Krise sind – v.a. in Form der massiven Verschuldung – nicht überwunden. Dazu kommen die ökonomischen Effekte von Corona mit u.a. Liefer- und Produktionsausfällen und die Inflation der letzten Jahre. Die nächste Wirtschaftskrise steht bereits vor der Tür. In Zeiten wirtschaftlicher Probleme stärkt das Kapital die Position seiner “Homebase” und setzt den jeweiligen eigenen Staat zentral ein: wirtschaftlich durch staatliche Unterstützung in Form von Umverteilung nach oben, Steuerreformen, Protektionismus, Subventionspolitik etc. Zur Durchsetzung bzw. Unterstützung der wirtschaftlichen Interessen bedient sich das Kapital aber auch der militärischen Mittel “seines” jeweiligen Staates. Das eigene Hemd ist hier jedem nationalen Kapital näher als die Hose des jeweiligen Blocks.

Am Beispiel des Ukraine-Krieges zeigt sich, dass auch spezielle regionalimperialistische Interessen bei Konflikten eine Rolle spielen können, die sich nicht einfach in die grundlegende Gesamtsicht der 2 Blöcke einordnen lassen, auch wenn diese ein zentraler Faktor sind. So hat der US-imperialistische Block den Krieg erfolgreich dazu genutzt, die NATO aus der Krise zu holen, (zumindest vorübergehend) zu stabilisieren und auszubauen. Auch der chinesische Imperialismus (obwohl offiziell sehr reserviert gegenüber dem Krieg) zieht seinen Vorteil aus der Konzentration und Bindung von Ressourcen des US-Blocks (finanzielle Hilfen und Waffenlieferungen) in der Ukraine, um seine wirtschaftliche und politische Macht in anderen Teilen der Welt (va. Lateinamerika und Afrika, aber auch teilweise in Asien) leichter ausbauen und festigen zu können. Gleichzeitig hat der russische Imperialismus eigene wirtschaftliche und geopolitische Interessen, die sich nicht einfach mit den chinesischen decken. Denn die wirtschaftlichen Folgen des Krieges haben dramatische Folgen für die Weltwirtschaft und damit auch für die Absatzmärkte Chinas – was keineswegs erwünscht ist.

Auch in Europa erleben wir laufend die Spannungen zwischen den Staaten – bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Blocks EU. Der “alte Kontinent” ist wirtschaftlich zunehmend abgehängt: bei Produktivität, Technologie, Investitionen. Hinzu kommen die Wahlerfolge von rechten und rechtsextremen Kräften. Vor diesem Hintergrund setzen auch konservative Kräfte immer stärker auf Nationalismus und Rassismus. Das zeigt sich nicht nur innerhalb der Staaten, sondern auch bei unterschiedlichen, teilweise kontroversen Positionen von EU- bzw. Nato-Staaten im Ukraine-Krieg, zu China, zu russischem Gas/Öl etc.

Angesichts des Horrors der Kriege für die Zivilbevölkerung und der Tatsache, dass elementare nationale und Menschenrechte mit Füssen getreten werden, haben viele “Linke” eine stillschweigende Burgfriedenspolitik bzw. ein Bündnis mit imperialistischen Kräften eingeschlagen. Ein politischer Zugang, der auf emotionale Betroffenheit setzt, führt zu solchen Bündnissen. Die Lage in Palästina ist katastrophal, jeder Mord an einer Frau aufgrund ihres Geschlechts ist schockierend, das Elend der Flüchtlinge ist himmelschreiend – all das stimmt und es ist wichtig, die Wut über den Wahnsinn des Kapitalismus auch zu spüren. Und dann?

Als während des 2. Weltkriegs die Verbrechen, die Massenmorde, die Menschenversuche, die Tötungen, Vergasungen und der gesamte Horror bekannt wurden, stand “die Linke” vor der Frage: was tun? Viele wussten um die Verantwortung des westlichen “demokratischen” Imperialismus für den Aufstieg des Faschismus. Dennoch hatten sie das Gefühl, dass es angesichts des unaussprechlichen Horrors nötig sei, alles, wirklich alles zu tun, um das zu stoppen. Das war die Basis dafür, dass die Errungenschaften der spanischen Republik zurückgenommen wurden in der Hoffnung auf Unterstützung durch bürgerliche Kräfte gegen den Faschismus. Das war die Basis dafür, in imperialistischen Armeen für imperialistische Kriegsziele zu kämpfen. Das war die Basis dafür, auf Klassenkämpfe gegen die eigene, “demokratische” herrschende Klasse zu verzichten. Es war die Basis für Burgfrieden und Volksfrontpolitik. Doch der Feind waren nicht die deutschen Arbeiter*innen, weder jene, die in Dresden bombardiert wurden und nicht einmal jene, die in den Uniformen der Wehrmacht steckten. Sie waren die Instrumente eines Imperialismus gegen einen anderen (bzw. gegen die Sowjetunion). Das Zurückstellen des Klassenkampfes hinter ein Bündnis aller “demokratischen” Kräfte gegen den Faschismus (in Wirklichkeit gegen den deutschen Imperialismus) war absolut verständlich aus dem Wunsch, den Horror zu beenden. Doch die mittel- und langfristige Folge war, dass das kapitalistische System, das den Horror erzeugt hat, blieb. Und damit die Apartheid in Südafrika, die zugespitze nationale Frage im Nahen Osten, die Zerstörung der Umwelt, die systematische Objektifizierung der halben Weltbevölkerung, die Versklavung von Kindern, Menschenhandel – um nur einige zu nennen. Der Vergleich mag krass erscheinen, doch ist es stets wichtig, die Konsequenz einer Position bzw. Entwicklung in ihrer vollen Tragweite zu betrachten.

Als revolutionäre Sozialist*innen brauchen wir eine Positionierung gegen jeden Krieg zwischen imperialistischen Staaten, der im Verständnis wurzelt, dass die Trennung nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen den Klassen verläuft. Das ist keine moralische Frage. In beiden aktuellen Hauptbrennpunkten der Welt sehen wir, dass die nationalen Probleme Ukraine / Russland / Krim bzw. Israel / Palästina mit einem militärischen Sieg einer der beiden Seiten (die ohnehin unwahrscheinlich sind) nicht gelöst werden könnten. Jede Lösung im Rahmen des Kapitalismus kann bestenfalls eine Atempause bringen, bzw. eine, die mit massiver Repression und ethnischer Säuberung verbunden ist. Eine sozialistische Lösung unter Berücksichtigung voller nationaler und Minderheitenrechte ist notwendig, um dauerhaft Frieden zu schaffen.

Wir orientieren uns daher in unserem Kampf gegen den Krieg an den besten Traditionen der Antikriegspolitik der internationalen revolutionären Arbeiter*innen-Bewegung. Diese stellt dem imperialistischen Krieg unter dem Motto “der Hauptfeind steht im eigenen Land” verstärkten Klassenkampf mit dem Ziel, das gesamte, aber unmittelbar das eigene, herrschende System zu stürzen, entgegen. Neben Agitation und Propaganda gegen den Krieg auf internationaler Ebene, der Verteidigung der demokratischen, gewerkschaftlichen und politischen Rechte in den kriegführenden Ländern, dem Aufruf zu Streiks und Blockaden in den Rüstungsbetrieben und beim Transport von Rüstungsgütern, kämpfen wir gegen die verstärkte Aufrüstung und Erhöhung der Militärbudgets v.a. auch in den eigenen imperialistischen Ländern und fordern die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie unter Arbeiter*innenkontrolle.

Die Arbeiter*innenklasse betritt die Bühne – aber mit niedrigem Bewusstsein und wenig Erfahrung. Der notwendige Kampf um Ideen in und um die Gewerkschaften

Der Kapitalismus ist auf allen Ebenen in der Krise, beginnend von der Wirtschaft, über die Politik bis zu seiner Legitimität an sich. Die ökonomische Krise erhöht nicht nur die Spannungen in und zwischen den Blöcken, sondern auch die Notwendigkeit, aus Sicht des Kapitals die Ausbeutung von Mensch und Natur zu erhöhen. Klimapolitik wird von Seiten der Herrschenden zunehmend wieder hinten angestellt (Von der Leyens Positionswechsel ist hier typisch) und damit wird sich die ökologische Krise weiter zuspitzen.

Auch die Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse wird weiter zunehmen. Der Kapitalismus ist längst weltweit wieder in seinem Normalzustand angekommen, in dem die Errungenschaften der Nachkriegs-Sonderperiode in weiten Teilen zerschlagen wurden. Das geschieht vor dem Hintergrund eines sich verändernden Bewusstseins. Unter Corona wurde deutlich, wer alles am Laufen hält. Das hat Selbstbewusstsein in der Arbeiter*innenklasse geschaffen. Auch wurde sehr sichtbar, wie viel Geld da ist, wenn und wo die Herrschenden es für nötig halten. Das Verständnis dafür, dass angeblich “kein Geld” für Bedürfnisse der Arbeiter*innenklasse da ist, war entsprechend beschränkt. In Kombination mit der Teuerungskrise war all das Grund für eine Zunahme von Klassenkämpfen. Die konkrete Ausprägung, welche Schichten der Klasse, in welchem Umfang und in welcher Form diese Kämpfe stattfinden, variieren von Land zu Land und verändern sich auch – aber dass die Arbeiter*innenklasse die Bühne des Klassenkampfes betreten hat, ist ein Fakt.

Die neuen Klassenkämpfe finden aber unter schwierigen Bedingungen statt. Das Klassenbewusstsein ist – im Vergleich zu den 1920er/30er Jahren, aber auch zu den 1960er/70er Jahren – nach wie vor zurückgeworfen. Es fehlt an Erfahrung und Klassenkampf-KnowHow. Doch all das nimmt wieder zu und eine Umkehr ist hier aktuell nicht zu erwarten.

Dass sich dieser Prozess verzögert, ist auch eine Folge der Verbürgerlichung der traditionellen Arbeiter*innenparteien und damit der Tatsache, dass in den meisten Ländern politische Organisationen der Arbeiter*innenklasse fehlen und die Gewerkschaftsführungen in der Regel zögerlich, bremsend und tief in sozialpartnerschaftlicher Logik gefangen sind.

Für Revolutionär*innen ergibt sich daraus die Notwendigkeit, Teil der Klassenkämpfe zu sein und in und um die Gewerkschaften den Kampf um die Köpfe zu führen. Das wurzelt nicht in einer Romantik gegenüber den Gewerkschaften sondern im Verständnis, dass Klassenkämpfe mit und um die Gewerkschaften entstehen, dass kämpfende Beschäftigte auf die Gewerkschaften orientieren (und sei es auch nur in einem wütenden “wo ist die Gewerkschaft wenn man sie mal braucht”). Hier daneben zu stehen wäre fatal. Diese Arbeit bedeutet zuerst einmal, sich mit Entwicklungen in und um die Gewerkschaften auseinander zu setzen, darunter auch mit (vermeintlich) neuen Methoden wie z.B. dem aus den USA kommenden Organising Konzept (siehe dazu: https://solidaritaet.info/…/wert-und-grenzen-von…/). In den Kämpfen geht es auch darum, Vorschläge einzubringen, WIE Kämpfe gewonnen werden können, den Blick auf die größeren Zusammenhänge im Rahmen des Kapitalismus zu lenken, vor der Beschränktheit reformistischer Konzepte zu warnen, die Rolle des Staates aufzuzeigen und systemsprendgende Alternativen wie gesellschaftliche Planung, Arbeiter*innenkontrolle und –verwaltung etc. einzubringen. “Kämpferische und demokratische Gewerkschaften” zu fordern muss mehr als eine Propagandaforderung sein. Sie muss vielmehr in den konkreten Kämpfen als Notwendigkeit und als Möglichkeit erklärt, auf die konkrete Situation heruntergebrochen und zum Schlachtruf der Arbeiter*innen werden. Das ist aktuell eine der zentralen Aufgaben von Sozialist*innen. Vielen Linken ist diese Aufgabe zu mühsam und verspricht keine unmittelbaren Erfolge, gerade auch nicht im Aufbau der eigenen Organisation. Doch die Entwicklung von Klassenkämpfen und Klassenbewusstsein wird sich maßgeblich (wenn auch nicht ausschließlich) in und um die Gewerkschaften ausdrücken. Auch bei der Bekämpfung der verschiedenen Spaltungen der Arbeiter*innenklasse führt kein Weg an den Organisationen der Klasse vorbei, auch wenn in diesen Organisationen selbst oft konservative “Werte” dominieren. Es gibt keine einfache oder angenehmere Abkürzung zu diesem mühsamen Weg des Kampfes um sozialistische Ideen in der Arbeiter*innenklasse und es ist auch keine Aufgabe die auf “später” verschoben werden kann.

Für die Einheit der Arbeiter*innenklasse und den Kampf gegen jede Form von Unterdrückung und Diskriminierung

Das Wiedererwachen der Arbeiter*innenklasse vor dem Hintergrund der multiplen Krisen des Systems ist für die herrschende Klasse ein potentiell tödliches Problem. Darauf reagiert sie mit dem Ausbau der Repression – und mit “Teile und Herrsche”. Die Arbeiter*innenklasse war und ist alles andere als homogen. Sie war stets bunt/divers mit unterschiedlichem kulturellen, religiösen, nationalen und ethnischen Background, mit unterschiedlichen Geschlechtern und sexuellen Orientierungen. Diese Diversität war immer hoch und eigentlich nur in der Sonderperiode des Nachkriegsaufschwungs in den entwickelten kapitalistischen Ländern konnten Teile der Klasse Elemente von bürgerlichen Lebensformen erfahren. Diese Inhomogenität war stets ein Ansatzpunkt für die herrschende Klasse, um verschiedene Spaltungsinstrumente einzusetzen – Rassismus, Sexismus, Homophobie, Chauvinismus, religiöse und nationale Spaltungen. Gleichzeitig haben stets auch Teile der herrschenden Klasse sich als vermeintliche “Bündnispartner” präsentiert und sich selbst ein progressives Mäntelchen umgehängt – von der bürgerlichen Frauenbewegung über liberalen Antirassismus bis zum Regenbogen-Kapitalismus. Vermeintlich eben genau deshalb, weil sie weitgehend auf Symbolpolitik und formale Verbesserungen bzw. Verbesserungen für die herrschende Klasse setzen, aber an den Ursachen selbst, nämlich dem kapitalistischen System, das diese Spaltung benötigt, nichts ändern, sondern dieses mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Je niedriger das Klassenbewusstsein in der Arbeiter*innenklasse ist, bzw. in jenen Teilen, die ein niedrigeres Bewusstsein haben, können diese Spaltungsinstrumente besser ansetzen. Die Arbeiter*innenklasse ist dagegen nicht immun, aber sie hat – im Gegensatz zur herrschenden Klasse – kein natürliches Interesse an einer Spaltung.

Das sind allgemeine Feststellungen, die dennoch die Grundlage für sozialistische Politik darstellen müssen. Denn eine zentrale Aufgabe ist es, die Spaltungen in der Klasse zu überwinden und den Spaltungsversuchen – egal ob sie von außen oder aus der Klasse selbst kommen – entgegen zu wirken. Gleichzeitig ist es die Aufgabe von Sozialist*innen, Bewegungen und Kämpfe gegen Unterdrückung aufzugreifen und ein Programm anzubieten, auch wenn dieses scheinbar nur einen Teil der Klasse betrifft. Denn die Klasse als Ganzes kann nicht befreit sein, solange Teile noch nicht befreit sind.

Was bedeutet das nun konkret?

In so gut wie allen Umfragen (Stand 2024 für Österreich) dominieren die Angst vor Krieg und die Sorge angesichts der sozialen Lage und der Inflation. Migration ist meist nicht bei den ersten Sorgen, die genannt werden. (ORF-Umfrage auf Platz 6 sogar nach dem Klimawandel, in Gen Z dominiert bei statista mit 42% die Sorge um Lebenshaltungskosten, bei einer Kurier-Umfrage ist Teuerung für 31% die Hauptsorge, Migration nur für 20% und auch in einer Standard-Umfrage haben mehr Menschen etwas oder große Sorgen bei sozialen Fragen als bei Migrationsfragen).

Die etablierten Parteien aber sagen wenig zu sozialen Problemen, dafür viel zu Migration und “spezieller Unterdrückung”. Entweder in einer pseudo-Verteidigung oder einer skandalisierenden Panikmache über einen angeblichen Verlust “unserer Kultur und Normalität”. In beiden Fällen werden Fragen von Unterdrückung von sozialen Fragen getrennt und zu Fragen von “Kultur” oder “Moral” gemacht. Die Zuordnung von Menschen erfolgt über ihr Geschlecht (“alle Frauen”), ihre Religion (“alle Muslime”), ihre Nationalität (“die Türk*innen) oder ihre sexuelle Orientierung. Diese (idealistische) Schubladisierung greift aber zu kurz und ignoriert, dass wir alle einer sozialen Klasse angehören und unsere daraus resultierende Stellung in der Gesellschaft zentral für unsere Möglichkeiten ist. Auch große Teile der “Linken” bleiben bei dieser Schubladisierung stecken. Die Auswirkungen der Postmoderne sind bis heute v.a. in akademischen Kreisen stark. Das trifft auf das zurückgeworfene ideologische Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse. Das Verständnis für die Notwendigkeit einer materialistischen Analyse und Sichtweise ist auch in den Organisationen der Arbeiter*innenklasse kaum vertreten. In der politischen Praxis und Theorie gibt es eine absolute Dominanz idealistischer Sichtweisen – die radikale Linke bis hin zu “marxistischen” Organisationen ist davon nicht ausgenommen.

Das Ansetzen bei der unmittelbaren Betroffenheit ist eine Stärke – und eine Schwäche, da das oft dazu führt, dass das Trennende über das Einigende gestellt wird. Die Aufgabe von Revolutionär*innen ist es, Menschen in ihrem Kampf zu unterstützen und diese Kämpfe in den größeren Kontext des Kapitalismus und seiner Wirkungsweisen zu setzen. Für übergriffiges Verhalten und Diskriminierung ist kein Platz in sozialistischen Organisationen. Gleichzeitig muss stets klar sein, dass jedeR von der Gesellschaft, in der wir aufwachsen und leben, geprägt ist. Jede idealistische Darstellung, weiße Menschen könnten Rassismus nicht verstehen, da sie nicht selbst davon betroffen sind, oder Frauen könnten Sexismus per se besser verstehen, ist im Grunde genommen reaktionär. Dadurch werden diese Unterdrückungsformen nämlich (bewusst oder unbewusst) als biologische Tatsache und damit als unüberwindbar dargestellt.

Im Gegensatz dazu müssen wir geduldig erklären, warum ein solches Verhalten den Betroffenen und der gesamten Klasse schadet. Wir müssen aber auch aufzeigen, dass die Ursachen weniger beim Individuum als beim System liegen – und entsprechend auch die Lösungen. Die Analyse muss also in einem materialistischen Verständnis liegen und die Lösungen dürfen nicht bei unmittelbarer Hilfe stecken bleiben. Natürlich verweisen auch die meisten Linken auf den größeren gesellschaftlichen Rahmen. Doch in der Praxis bleibt es dann oft praktisch als Minimalforderung beim Kampf um die eine oder andere Verbesserung (was nicht falsch ist, aber nur ein Ansatzpunkt sein kann) und die Maximalforderung einer nötigen anderen Gesellschaft wird angehängt – ohne jede Verbindung und damit ohne Konsequenz. Lenin beschreibt bezüglich des Umganges mit der Religion, dass wir uns “auf keinen Fall verleiten lassen (dürfen), die religiöse Frage abstrakt, idealistisch, ‘von Vernunft wegen’, außerhalb des Klassenkampfes zu stellen, wie das radikale Demokraten aus der Bourgeoise häufig tun.” Wenn wir “religiöse Fragen” mit “Fragen von Sexismus/Rassismus/ nationalem Chauvinismus/Homo-/Transphobie” ersetzen und “radikale Demokraten” mit “fortschrittliche Bürgerliche wie die Grünen etc”, dann sehen wir die Aktualität dieses Textes.

Eine der größten unmittelbaren Bedrohungen ist der neuerliche Aufstieg des Rechtsextremismus. Die aktuelle Entwicklung und die damit verbundenen Debatten und taktischen Schritte von Linken in Frankreich zeigen die Brisanz wie auch mögliche Fallstricke. Von der Regierungspolitik dieser Parteien und auch von den gewalttätigen Aktivitäten der Aktivist*innen geht eine ernsthafte Bedrohung für die Arbeiter*innenklasse als Ganzes und einzelne Teile in besonderer Form aus. Ein differenzierter Blick darauf, warum diese Parteien erstarken, welche Rolle sie fürs Kapital spielen, woher ihre Wähler*innen kommen und welche Rolle sie in der Arbeiter*innenklasse spielen, ist zentral, um einen effektiven Kampf gegen diese Bedrohung führen zu können.

Rechte und Konservative führen einen aggressiven “Kulturkampf”, bei dem sie vermeintlich “traditionelle” Werte, Rollen- und Geschlechterbilder durchzusetzen versuchen. Das ist nichts Neues. Was aber zunimmt ist, dass sie dabei Unterstützung aus relevanten Teilen der herrschenden Klasse und des Kapitals bekommen – weil diese “Werte” zu den kapitalistischen Notwendigkeiten passen. Die Wähler*innen stammen zu wesentlichen Teilen aus verunsicherten Schichten des Kleinbürgertums, die Abstiegsängste haben oder bereits deklassiert wurden. Für Sozialist*innen von zentraler Bedeutung ist, welche Rolle reaktionäre Ideen und Organisationen in der Arbeiter*innenklasse spielen.

In der “Linken” sowie im “progressiven” Kleinbürgertum, werden die xenophoben, rassistischen und chauvinistischen Vorurteile von Seiten der “unreflektierten” Arbeiter*innenklasse beklagt. Im Zuge dessen folgen oftmals Moralpredigten oder Arroganz (“Deutschkurse für FPÖ-Wähler*innen”). Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass die Empfänglichkeit v. a. für Xenophobie (Angst vor “Fremden” allgemein) in einem zurückgeworfen Bewusstsein wurzelt und die Folge von Angst vor wirtschaftlichen/sozialen Schwierigkeiten ist. Wenn die Arbeiter*innenorganisationen nicht deutlich die gemeinsamen Interessen der gesamten Klasse nach vorne stellen und Kämpfe gegen soziale Probleme organisieren, dann können auch xenophobe und sexistische Ideen in der Arbeiter*innenklasse Unterstützung finden. Jahrzehnte von staatlichem Rassismus und einer Gewerkschaft, die auf “Österreicher*innen zuerst” setzt, sind hier zentral verantwortlich dafür, dass rechte Erklärungen, die Menschen mit Migrationshintergrund als Konkurrenz und Lohndrücker*innen darstellen, aufgegriffen und wiederholt werden. Doch ein tiefsitzender ideologischer Rassismus ist es bei den wenigsten.

Gegen Xenophobie, Sexismus, Rassismus und nationalem muss Kante gezeigt werden, aber nicht durch Moralpredigten, sondern durch das Aufzeigen des Spaltungspotenzials und des notwendigen gemeinsamen Kampfes aller Arbeiter*innen für ein besseres Leben. Durch diese gemeinsamen Kämpfe können Rassismus, Sexismus und Xenophobie viel eher abgebaut werden als durch moralische Appelle oder auch “zeigen, wie nett sie sind” Versuche – zahlreiche Beispiele belegen das.

Somit sind die mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden Wahlerfolge der FPÖ nicht primär der “Rückständigkeit” der österreichischen Bevölkerung geschuldet, sondern beruhen v.a. auf der Angst vor dem sozialen Abstieg. Diese Angst greift die FPÖ als einzige der bürgerlichen Parteien auf – und verdeckt dabei ihre neoliberale, gegen die Arbeiter*innenklasse gerichtete Politik. Gerade auch im Zuge von Corona ist die Unzufriedenheit mit der etablierten Politik, dem Establishment und diffus “dem System” gewachsen. Diese Stimmung hätte bei einem entsprechendem Angebot von Links bzw. aus der Arbeiter*innenbewegung zu einem starken Anstieg antikapitalistischer Ideen führen können. Doch diese Angebote haben gefehlt und so wurde dieses Vakuum von rechts bzw. verschwörungsmythischen Konzepten gefüllt.

Doch im Grunde genommen unterscheidet sich die FPÖ auch nicht qualitativ von anderen bürgerlichen Parteien, sie ist allerdings populistischer und aggressiver in ihrer Fremdenfeindlichkeit und ihrem Sexismus.

Die Angst vor der FPÖ wird in den kommenden Monaten ein zentraler Faktor in der Innenpolitik sein. Eine FPÖ-Regierungsbeteiligung bzw. sogar ein Kanzler Kickl machen zu Recht Angst – aber die Alternativen von Kombinationen der anderen bürgerlichen Parteien sind auch nicht viel besser. Auch diese stehen für Abschiebungen und rassistische Politik und Ausgrenzung von allem, was nicht “normal” sei. Die Angriffe auf demokratische Rechte werden aktuell nicht nur von ganz rechts wie Orban oder Meloni durchgeführt, sondern auch durch traditionell bürgerliche Parteien und Politiker*innen, wie Macron oder die CDU/CSU. In kommenden Wahlen und Protesten müssen Sozialist*innen deutlich aufzeigen, was die Ursachen für den Aufstieg des Rechtsextremismus sind: die Krise des Kapitalismus, die Schwäche der Arbeiter*innenbewegung und das Fehlen einer Arbeiter*innenpartei mit kämpferischer Politik und sozialistischem Programm. Dadurch ist ein Vakuum entstanden, das extreme Rechte füllen können. Jede Koalition ohne FPÖ, die die aktuelle Politik im Wesentlichen fortsetzt (und das werden alle etablierten Parteien), bereitet nur den Boden für kommende rechte Wahlerfolge. Jeder Kampf gegen die FPÖ, der auf der oberflächlichen moralisch-arroganten Ebene stecken bleibt, ist zum Scheitern verurteilt. Als Sozialist*innen unterstützen wir jeden Protest von Menschen mit Migrationshintergrund, von Trans-Personen, von Frauen gegen Angriffe. In diesen Protesten ist es unsere Aufgabe, die größeren Zusammenhänge des Kapitalismus, die Verantwortung der Arbeiter*innenbewegung und die Gemeinsamkeiten sowie die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes aufzuzeigen. In sozialen Kämpfen müssen wir die Notwendigkeit betonen, die ganze Klasse in den Kampf zu integrieren und so alle spaltenden Einflüsse zurückzudrängen. Immer müssen wir alle bürgerlichen Parteien zentral angreifen aufgrund ihrer Verantwortung für den kapitalistischen Wahnsinn und in die Kämpfe gegen diesen Wahnsinn möglichst weite Teile der Klasse einbeziehen. Wenn die FPÖ bei den kommenden Wahlen gut abschneidet – was zu erwarten ist – wird es nötig sein, die Gefahr, die von einer FPÖ-Regierungsbeteiligung ausgeht, offensiv aufzugreifen: Die Gefahren für die Arbeiter*innenklasse als Ganzes durch Angriffe auf Gewerkschaften und AK, auf Arbeitsschutz, Arbeitszeit und Rechte der Beschäftigten. Und die unmittelbaren spezifischen Gefahren für Teile der Arbeiter*innen durch die rassistische, sexistische und homo/transphobe Hetze der FPÖ, die auch hier Angriffe auf erworbene Rechte mit sich bringen kann und insbesondere den Hintergrund zu einer Zunahme auch von physischen Übergriffen darstellen kann. Diese Bedrohung ist sehr real und betrifft letztlich alle Teile der Arbeiter*innenklasse, da sie mit Teile und Herrsche beginnt, um alle zu schwächen und anzugreifen. Denn bürgerliche und rechte Kräfte benutzen Angriffe auf einzelne Gruppen auch ganz gezielt als Ablenkungsmanöver von direkten Angriffen auf die ganze Klasse. Die Antwort kann hier kein entweder oder, sondern muss ein sowohl als auch sein. Das aber geht nur mit einer kompromisslos antikapitalistischen Position, die die Arbeiter*innenklasse als die Kraft in der Gesellschaft erkennt, die in der Lage ist, den Kampf gegen die kapitalistische Klasse zu führen – und zu gewinnen.

Die zentralste Aufgabe von Sozialist*innen im Kampf für die Rechte der Arbeiter*innenklasse als Ganzes sowie gegen die Diskriminierung einzelner Teile ist der Wiederaufbau der Arbeiter*innenbewegung an sich. Das bedeutet Kampf in den Gewerkschaften für eine klassenkämpferische und demokratische Ausrichtung. Und das bedeutet Kampf um den Aufbau neuer Parteien der Arbeiter*innenklasse. Dieser Aufbau war in den letzten 25 Jahren weit komplizierter und von größeren Rückschlägen gezeichnet als erhofft. Doch können aus den Fehlern der verschiedenen linken Formationen (Syriza, Podemos & Co.) wichtige Lehren gezogen werden: die Notwendigkeit einer Verankerung (nicht nur abstrakter Orientierung) in der Arbeiter*innenklasse und die Orientierung auf Klassenkämpfe und nicht primär auf Wahlen sind zwei Eckpunkte. Der jüngste Artikel des CWI zu den Erfahrungen mit Neuen Linken Formationen, der Doppelten Aufgabe und neuen Arbeiter*innenparteien ist hier eine lange notwendige Bilanz, die eine Reihe wichtiger Punkte zusammenfasst: https://www.socialistworld.net/…/tasks-and-challenges…/

Die Re-Organisierung der Arbeiter*innenklasse als zentrale Aufgabe – und der Aufbau des revolutionären Rückgrats

Der Aufbau neuer Arbeiter*innenparteien ist eine zentrale Aufgabe und ist untrennbar mit der Notwendigkeit des Aufbaus revolutionärer Parteien verbunden. Erstere werden ohne zweitere politisch und organisatorisch ohne Rückgrat bleiben – selbst wenn sie für eine Periode eine kämpferische Rolle spielen, werden sie dem objektiven Druck der Anpassung an die kapitalistischen Notwendigkeiten nachgeben, wenn sie ohne revolutionäre Analyse und Ausrichtung bleiben. Zweitere brauchen die Verbindung zu ersterer, da die Arbeiter*innenklasse in der Entwicklung von Bewusstsein auch organisatorisch eine Phase von Reformismus durchlaufen wird. Wie genau dieser Prozess ablaufen wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Auch das Verhältnis dieser zwei Aufgaben wird sich immer wieder ändern müssen und es wird auch einzelne Fälle geben, wo revolutionäre Massenparteien vor reformistischen Massenformationen entstehen. Klar ist, dass – eben weil der ökonomische Rahmen so instabil ist – auch solche neuen Formationen nicht so langlebig und stabil sein werden wie z.B. jene der Nachkriegsperiode. Aber die Aufgabe, reformistische oder auch weiter links stehende, zentristische Ideen herauszufordern und zu entlarven, kann nicht einfach übersprungen werden. Revolutionär*innen stehen heute vor einer ähnlichen Aufgabe wie an den Anfängen der Arbeiter*innenbewegung mit einem verwirrten Bewusstsein, ohne Massenorganisationen und einer bürgerlich-idealistischen Ideologie, die auch in der Arbeiter*innenklasse weit verbreitet ist. Die Balance in dieser Doppelten Aufgabe zu halten ist schwierig und die Schwerpunkte können sich verschieben – und müssen auch immer wieder korrigiert werden. In vielen Fällen wird sich dieser Kampf zwischen unterschiedlichen Organisationen abspielen, in manchen Fällen auch innerhalb einer Organisation. Es braucht eine große Offenheit gegenüber frischen Schichten, die in Kämpfe eintreten, gegenüber Teilen der Klasse, die nach vorne preschen und dem Wunsch sich zu organisieren. Doch Offenheit bedeutet nicht Opportunismus, dh “Sagen was ist” bzw. das größere Ziel über den unmittelbar nächsten Schritten nicht aus den Augen zu verlieren und auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen, sind absolut nötig. Eine kritische Position, die scheinbar leichtere Wege zurückweist, kann Revolutionär*innen unmittelbar in eine starke Minderheit bringen. Doch wenn sich Prozesse entwickeln und sich unsere Warnungen bewahrheiten, werden die besten Teile der Arbeiter*innenklasse unsere Positionen verstehen und so entsteht politisches Vertrauen und Verankerung.

Der Aufbau einer revolutionären Weltpartei ist oberste Aufgabe von Revolutionär*innen seit über 200 Jahren. Es ist ein harter und steiniger Weg mit vielen Rückschlägen. Der Druck von verschiedenen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologien, aus einem sozialen und beruflichen Umfeld, von Repression und Müdigkeit ist groß. Eine revolutionäre Partei ist auch ein Instrument, um als Kollektiv einzelne Mitglieder vor diesen Drücken zu warnen und diese bewusst zu machen. Wird darauf verzichtet, verändert das rasch den Charakter der gesamten Organisation und es folgt ein Abrutschen in Opportunismus bzw. Sektierertum.

Für eine revolutionäre Organisation ist Internationalismus eine lebende Notwendigkeit und bedeutet mehr als internationale Solidarität. Er bedeutet das gemeinsame Analysieren, Diskutieren und Erarbeiten der nächsten Schritte auf nationalstaatlicher Ebene, aber in einem internationalen Rahmen und auch auf internationaler Ebene. Er bedeutet, Initiativen zu setzen und gemeinsam erarbeitete Prioritäten gemeinsam umzusetzen. Nationale/Regionale Unterschiede sind zu berücksichtigen und es kann keine erzwungene Homogenität geben. Doch bei internationalen Entwicklungen und Trends, bei Kriegen, Krisen und Bewegungen kann und muss es eine gemeinsame internationale Antwort geben und man muss an einem Strang ziehen.

Von der ISA zum CWI

Wir alle haben Jahre, teilweise Jahrzehnte, politischer Arbeit hinter uns. Diese waren oft anstrengend und doch sind wir nicht erschöpft, sondern blicken voll Optimismus auf die neuen Entwicklungen, die Wut und das Engagement von Jugendlichen auf der ganzen Welt, auf die Proteste und Streiks und das Zurückkommen der Arbeiter*innenklasse als Klasse. Wir haben in den letzten Jahren viel Energie in den Aufbau des Experiments ISA gelegt und dabei viele wichtige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit engagierten und mutigen Kämpfer*innen gemacht. Doch wir müssen auch bilanzieren, dass die ISA ihre Geburtsfehler nicht einmal im Ansatz überwinden konnte. Während zu Beginn der ISA betont wurde, dass es darum ginge, die besten Traditionen des CWI zu sichern und wieder zu beleben, geht es nun darum, genau diese über Bord zu werfen und durch einen idealistisch geprägten neuen Kurs zu ersetzen. Wir haben in den letzten Jahren einen Prozess in der ISA miterleben müssen, der im Gegensatz zu dem steht, was für uns eine revolutionär-marxistische Internationale ausmacht. Im dritten Jahr des Ukraine-Krieges gibt es in der ISA mindestens 3 unterschiedliche Positionen. Eine Reihe von Sektionen und zumindest Teile der internationalen Führung haben materialistische Analysen durch emotionale Effekthascherei ersetzt. Rosa mit einem politisch breiteren Programm und Auftreten und mit wachsenden Einflüssen aus einem identitätspolitischen Lager ersetzt zunehmend die Organisation an sich. Die ISA insgesamt hat als Zusammenschluss ohne politische bzw. programmatische Basis begonnen. Das war uns durchaus bewusst – wurde aber nicht überwunden und auch nicht offensiv versucht zu überwinden. Weil aber unterschiedliche Zielsetzungen existierten, hat das zu zahlreichen Abspaltungen und Dauerkrisen geführt und wird wohl in der nahen Zukunft die nächste Spaltung bedeuten. Wir sehen keine Perspektive, hier das Ruder nochmal herum zu reißen und die ISA zu der Internationale zu machen, die nötig ist. Im Gegensatz dazu sehen wir im CWI eine Kontinuität aber auch die Bereitschaft, offene Fragen aus der Spaltung von 2018/19 zu diskutieren. Positiv hervorheben möchten wir hier eine differenzierte Position zur Frage der wachsenden innerimperialistischen Widersprüche, eine klare Position zum Ukraine-Krieg sowie zum Nahen Osten, eine konkrete Orientierung auf die Gewerkschaften und eine klare Ablehnung identitätspolitisch-spaltender Zugänge.

Die Gefahr, dass viele wertvolle Aktivist*innen der ISA frustriert das Handtuch werfen, ist angesichts zu erwartender weiterer Abspaltungen bzw. Spaltungen groß. Die ideologischen Schwächen der Arbeiter*innenbewegung und die Dominanz idealistischer, kleinbürgerlicher Ideen auch in der Linken und der Arbeiter*innenklasse sind lange unterschätzt worden. Die Krise, in der sich viele linke Organisationen befanden und befinden, ist der Preis dafür. Wir müssen zurückkehren zu einem umfassenden materialistsch-dialektischen Verständnis, einer revolutionären Weltpartei und einer Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse in ihrer Diversität und ihrer Gesamtheit.

Bei der Spaltung des CWI 2018 standen für jene von uns, die damals Teil der Auseinandersetzung waren, organisatorische Kritikpunkte im Zentrum und wir haben Debatten zu einigen Fragen vermisst. Wir hatten damals nicht das Ziel einer Spaltung, sondern hofften auf eine Debatte und Korrektur im CWI. Auch wenn diese Punkte nicht alle behoben sind, so sehen wir doch, dass sich viele der damaligen Warnungen des CWI bezüglich der politischen Entwicklung und Degeneration als korrekt herausgestellt haben. Auch sehen wir beim CWI eine politische Klarheit bezüglich internationaler Entwicklungen, die wir für eine notwendige Grundlage für künftige politische Arbeit halten und die es möglich und nötig machen, den Kampf gemeinsam zu führen und nicht als einzelne zu kapitulieren. Wir laden alle, die diese – zugegebenermaßen kurze und unvollständige – Analyse teilen, dazu ein, mit uns in Kontakt zu treten bzw. so wie wir die Diskussion mit dem CWI über einen (wieder) Beitritt zu suchen.

Anna Hiermann

Gerhard Ziegler

Margarita Wolf

Sonja Grusch

Thomas Hauer