Vor 20 Jahren: Montagsdemos gegen Agenda 2010 

Foto: Björn Láczay https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Welche Lehren können wir für heute ziehen?

Am 14. März 2003 verkündete Kanzler Gerhard Schröder seine Pläne für die Agenda 2010. Das löste große Proteste aus und führte zur Bildung einer neuen Partei.

Von Torsten Sting, ver.di-Mitglied, Rostock

Die Pläne umfassten neben den „Hartz-Gesetzen“, Erleichterungen zur Befristung von Arbeitsverträgen und die Ausweitung der Leiharbeit. Hinzu kamen Verschlechterungen im Gesundheitswesen und Steuergeschenke für die Konzerne. Das Ziel war, die Position der deutschen Konzerne – zulasten der Arbeiter*innenklasse – auf den Weltmärkten zu stärken. 

In vielen Orten bildeten sich aufgrund der Tatenlosigkeit der DGB-Spitze, Bündnisse von Gewerkschafter*innen, Erwerbslosen und sozialen Initiativen. Eine neue Bewegung entstand. Heutige Sol-Mitglieder waren Teil davon und warben für eine bundesweite Demonstration in Berlin, eine Aktionskonferenz beschloss diese dann für den 1. November 2003 in der Bundeshauptstadt. Am Ende stand ein großer Erfolg mit etwa 100.000 Teilnehmenden!

Montagsdemos

Die DGB-Führung geriet unter Druck und organisierte am 3. April 2004 Demonstrationen mit mehreren hunderttausend Menschen, die aber nur zum Dampf ablassen gedacht waren. Ab dem August 2004 entwickelten sich in vielen Städten, speziell in Ostdeutschland, große Demos, an denen sich bis zu einer Million Personen beteiligten und die Rücknahme der Agenda 2010 verlangten. 

In Rostock etwa ergriff die SAV (Vorläuferorganisation der Sol) die Initiative für eine Demonstration, zu der, trotz kurzer Mobilisierungsphase, etwa 5000 Menschen kamen. Die Stimmung war sehr kämpferisch und unsere Vorschläge, die unter anderem einen Generalstreik umfassten, wurden ebenso beklatscht wie die Idee, den Kapitalismus abzuschaffen. Von nun an gab es wöchentliche Demos, die zunächst immer größer wurden. Wir konnten unser Umfeld und die Mitgliederanzahl binnen weniger Wochen deutlich ausweiten und bei der Kommunalwahl im Juni einen Sitz gewinnen. Mit unserer Abgeordneten in der Bürgerschaft und Protesten, die wir zu den Sitzungen organisierten, entwickelte sich der Druck auf das lokale Establishment.

Da die Gewerkschaftsspitzen sich weigerten, die Gärung, die es damals auch in den Betrieben gab, aufzugreifen, war allerdings das Scheitern vorprogrammiert. Dieses zentrale Projekt der Herrschenden wäre nur mit Streiks zu stoppen gewesen. Mangels Perspektive, schrumpften die Demos zum Jahresende immer mehr und ab dem 1. Januar 2005 wurde die Agenda 2010 umgesetzt.

Neuer politischer Ansatz

Ein Teil der unteren Funktionär*innen in den Gewerkschaften brach mit der SPD und gründete zusammen mit anderen Aktiven die WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit). Wir hatten bereits seit Mitte der neunziger Jahre für den Aufbau einer neuen Arbeiter*innenpartei geworben. Mit der Gründung der WASG wurde ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Nachdem es zur Fusion mit der PDS zur Partei Die Linke gekommen war, war aus unserer Sicht die Anpassung an den Kapitalismus vorgezeichnet. Durch die Entwicklung der letzten Jahre sehen wir unsere Einschätzung leider bestätigt.  

Lehren für heute

Es gibt manche Parallelen zu heute. Erneut befindet sich der deutsche Kapitalismus in der Krise, Teile der Konzerne befinden sich unter großem Druck der Konkurrenz aus China und den USA. Seit Monaten werden soziale Einschnitte, längere Arbeitszeiten und die Einschränkung des Streikrechts gefordert. Bevor es zu einer solchen Entwicklung kommt und die Spitzen des DGB wieder Gegenwehr blockieren, sollten wir uns wappnen. Daher hat die Sol zusammen mit anderen Kolleg*innen aus den Gewerkschaften die Initiative „Wir schlagen Alarm“ ins Leben gerufen. 

Es ist zudem wieder nötig, Diskussionen über eine parteipolitische Vertretung für die Arbeiter*innen und wie sie entstehen kann, zu beginnen. Eine solche aus den Gewerkschaften heraus, mit Aktivist*innen der heutigen Linkspartei und sozialen Bewegungen aufzubauen und die aktuellen Kämpfe mit der Vision einer sozialistischen Demokratie zu verbinden, wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein. 

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