Einheitsfront und kein deutscher Oktober

Arbeiterversammlung auf dem Gelände der Krupp-Werke in Essen am 31. März 1923.

Manifest Verlag: Zweiter Teil von Pierre Broués Klassiker über die deutsche Revolution erschienen

Nach dem ersten Band, der den Zeitraum vom Ersten Weltkrieg bis zur Auswertung der gescheiterten Märzaktion 1921 behandelte, geht es im zweiten um die folgenden zweieinhalb Jahre.

von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

Wann endete die 1918 begonnene Novemberrevolution? Für viele schon mit der Niederlage des Januaraufstandes 1919, des sogenanntes Spartakusaufstandes und der Wahl der Weimarer Nationalversammlung oder spätestens mit dem Generalstreik gegen den Kapp-Putsch 1920. Demnach war die Revolution weitgehend spontan. Je nach politischer Einstellung feiert man die spontane Massenbewegung, die den Krieg beendete, die Monarchie stürzte und eine demokratische Republik erkämpfte, oder verurteilt die Führung der Sozialdemokratie, die dafür sorgte, dass die alten Kräfte die Macht in Wirtschaft und Staatsapparat behielten, die diese Macht dann 1933 dazu nutzten, um Hitler und seinen Mörderbanden den Staatsapparat auszuliefern. Beide Sichtweisen beschreiben Aspekte der Novemberrevolution. Beide lassen die Revolution enden, bevor sich eine revolutionäre Massenpartei herausgebildet hatte. Dadurch haben sie gemeinsam, dass nach ihnen der Sturz des Kapitalismus in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg nicht auf der Tagesordnung gestanden habe.

Wenn man stattdessen mit Pierre Broué den ganzen Zeitraum bis zum Herbst 1923 in den Blick nimmt, ergibt sich ein anderes Bild. Zuerst hatte die Masse der deutschen Arbeiter*innen riesige Illusionen in die Sozialdemokratie. Die Erfahrungen des Weltkriegs und der Revolution kurierten immer breitere Schichten der Arbeiter*innen von diesen Illusionen. Die Linksabspaltung von der SPD, die USPD, wurde zur Massenpartei, in ihr entwickelte sich ein revolutionärer Flügel, der dann Ende 1920 mit der KPD fusionierte, die so zur Massenpartei wurde. Das waren zentrale Themen des ersten Bandes von Broués Buch.

Einheitsfront und Ruhrkrise

Der jetzt erschienene zweite Band schildert, wie die KPD durch die von der Kommunistischen Internationale entwickelte „Einheitsfrontpolitik“ lernte, sich auf die Lage nach dem Abflauen der ersten Welle der Revolution einzustellen und in die politische Offensive kommen konnte.

Schließlich fand mit der Ruhrbesetzung durch Frankreich und Belgien Anfang 1923 und dem von der deutschen Regierung ausgerufenen passiven Widerstand die wirtschaftliche Stabilität ein drastisches Ende und eine neue revolutionäre Welle entwickelte sich. Die Lage stellte die KPD vor neue Herausforderungen: wie kann man von Abwehrkämpfen gegen die Verelendung durch die galoppierende Inflation zu einer neuen revolutionären Offensive kommen? Was bedeutet das für die „Einheitsfrontpolitik“? Welchen Stellenwert hat die Forderung nach einer „Arbeiterregierung“?

Als im August 1923 ein Generalstreik die rechte Cuno-Regierung stürzte, versuchten KPD und Kommunistische Internationale, den revolutionären Sturz des Kapitalismus vorzubereiten. Broué schildert, warum dieser Versuch scheiterte, warum 1923 keine deutsche „Oktoberrevolution“ stattfand. Diese Niederlage beendete die deutsche Revolution. Das Buch zeigt, dass dieses Ergebnis nicht von vornherein vorausbestimmt, sondern das Ergebnis des Kampfes lebendiger Kräfte war.

Lehren

Im 20. Jahrhundert gelang es in mehreren Ländern (Russland, China, Kuba etc.) den Kapitalismus zumindest für Jahrzehnte zu stürzen. Da das vergleichsweise rückständige Länder waren, ziehen viele die Schlussfolgerung, so etwas wäre in hoch entwickelten, kapitalistischen Ländern nicht möglich gewesen. Aber Deutschland, wo 1923 der Sieg der sozialistischen Revolution nur um Haaresbreite misslang, war damals eines der entwickeltesten Länder. Eine erfolgreiche Revolution in Deutschland hätte die Isolation der Russischen Revolution beendet und verhindert, dass sich dort unter Stalin eine Karikatur auf den Sozialismus entwickelte. Deshalb sind die Erfahrungen der deutschen Revolution für alle wichtig, die erkennen, dass wir den Kapitalismus loswerden müssen.

Print Friendly, PDF & Email