Großbritannien: “Harte Entscheidungen”

Rachel Reeves und Keir Starmer, © UK Parliament / Maria Unger, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rachel_Reeves_and_Keir_Starmer.jpg (CC BY 3.0)

Labour-Regierung spricht von Kürzungen bei Sozialleistungen und Infrastruktur

Wir veröffentlichen hier das Editorial des “Socialist”, der Wochenzeitung der Socialist Party England & Wales (Schwesterpartei der Sol und Sektion des CWI) vom 26. Juli 2024

Sir Keir Starmer’s New Labour verbrachte den Wahlkampf damit, endlos zu wiederholen, dass sie im Amt “harte Entscheidungen” treffen müssten. Jetzt legen sie noch eine Schippe darauf und behaupten, sie seien überrascht über das schreckliche “schwarze Loch” von 22 Milliarden Pfund, das die Tories in den öffentlichen Finanzen hinterlassen haben.

In Wirklichkeit war es jedem klar, dass Sunaks Tory-Regierung bei ihren Haushaltsentscheidungen im Interesse der superreichen kapitalistischen Elite handelte und nicht im Interesse der Mehrheit der Arbeiter*innenklasse und der Mittelschicht. Das Gerede der neuen Regierung über “harte Entscheidungen” soll uns darauf vorbereiten, dass sie beabsichtigt, sich im Grunde genauso zu verhalten.

“Denn wenn wir es uns nicht leisten können, können wir es auch nicht tun”, wiederholte Finanzministerin Rachel Reeves, als sie Kürzungen bei der Winterheizungsbeihilfe für Rentner*innen, bei Schienen- und Straßeninfrastrukturprojekten, bei der Sanierung von Krankenhäusern und bei der Abschaffung der geplanten Obergrenze für die Sozialleistungen für Erwachsene ankündigte.

Aber ‘wir’ können uns das leisten! In Großbritannien herrscht kein Mangel an Wohlstand. Während der Regierungszeit der Tories wuchs allein das Vermögen der zehn reichsten Menschen des Landes von 47 Milliarden Pfund auf 182 Milliarden Pfund, eine Steigerung um 281 Prozent. Und doch sagt uns New Labour, es sei kein Geld da, um sicherzustellen, dass Eltern ihre Kinder ernähren können.

Die Weigerung der Labour-Regierung, die 2017 von den Tories eingeführte Obergrenze für das Kindergeld (welches nur bis zum zweiten Kind ausgezahlt wird) aufzuheben, obwohl dies 330.000 Kinder sofort über die offizielle Armutsgrenze heben würde, ist ein Beispiel für ihre Entschlossenheit, die Erwartungen von Millionen Menschen zu dämpfen, dass mit einer neuen Regierung ein “Wandel” eintreten wird. Die Suspendierung von sieben Abgeordneten der Labour-Partei im Parlament, weil sie es gewagt haben, für die Aufhebung der Obergrenze zu stimmen, ist ein weiteres Beispiel.

Die suspendierten Sieben

Die Suspendierung der sieben Abgeordneten ist sogar noch drakonischer als unter Blairs erster New Labour-Regierung. Damals rebellierten 47 Abgeordnete gegen die von der Regierung vorgenommenen Kürzungen bei den Leistungen für Alleinerziehende, aber es wurden keine Maßnahmen gegen sie ergriffen. Heute, nachdem die Kapitalist*innenklasse durch die Anti-Austeritäts-Stimmung in der Gesellschaft, die sich in Jeremy Corbyns Führung der Labour Party ausgedrückt hatte, erschüttert und alarmiert wurde, ist Starmer entschlossen, selbst die kleinste linke Opposition innerhalb der Labour Party zu zerschlagen.

Infolgedessen fanden nur einzelne der wenigen Labour-Abgeordneten, die noch der linken “Socialist Campaign Group” angehören, den Mut, für den Änderungsantrag zu stimmen. Einige enthielten sich der Stimme oder waren nicht anwesend, darunter Diane Abbott, die öffentlich erklärte, sie hätte für den Änderungsantrag gestimmt, wenn sie anwesend gewesen wäre, doch beschämenderweise stimmten einige angeblich linke Abgeordnete mit der Regierung, darunter Dawn Butler, Clive Lewis, Kat Smith und Tahir Ali.

Die sieben, die Mut bewiesen haben, werden aus den Erfahrungen dieser Woche die notwendigen Konsequenzen ziehen müssen, ebenso wie die Arbeiter*innenbewegung insgesamt. In dem Schreiben von Sir Alan Campbell, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Labour Party, an die Sieben wurden sie für sechs Monate suspendiert und es hieß, dass am Ende dieses Zeitraums über ihre Wiederaufnahme in die Fraktion der Labour Party auf der Grundlage ihres “Verhaltens während der Suspendierung” und ihrer “Bereitschaft, sich in Zukunft der Führung der Partei zu unterwerfen” entschieden würde.

Das Schlimmste, was die Sieben tun könnten, wäre, diesem Druck nachzugeben, sich zu beugen und mit der Regierung zu stimmen, wenn diese es nicht schafft, für die Arbeiter*innenklasse zu sorgen. Leider wird es zahlreiche andere Themen geben, bei denen die gleiche prinzipientreue Haltung wie bei der Begrenzung des Kindergeldes erforderlich sein wird. Dazu gehören beispielsweise Aspekte des gewerkschaftsfeindlichen “Trade Union Act” von 2016, die Labour nicht zurücknimmt, die Nichteinführung von Mietpreiskontrollen, Kürzungen bei der Studienfinanzierung, ein mieser Deal mit Tata Steel statt einer Verstaatlichung oder die Nichtrücknahme von Waffenexportlizenzen an Israel.

Jeremy Corbyn und die anderen vier unabhängigen Abgeordneten haben den sieben suspendierten Labour-Abgeordneten schriftlich angeboten, eng mit ihnen zusammenzuarbeiten. Dies bietet die Möglichkeit eines Blocks von Abgeordneten in Westminster, die für die Interessen der Gewerkschaftsbewegung und der Arbeiterklasse insgesamt kämpfen. Am wichtigsten ist, dass die Gewerkschaftsbewegung aus diesen ersten Erfahrungen mit Starmers New Labour in der Regierung Lehren ziehen sollte.

Löhne im öffentlichen Sektor

Millionen von Beschäftigten des Gesundheitswesens, Lehrer*innen, Beamt*innen und andere haben auf eine Lohnerhöhung gehofft, die die Reallohnkürzungen der letzten zehn Jahre von über 10 Prozent wieder wettmacht. Die Labour-Partei hat sich mit den BMA1-Vorsitzenden auf eine Gehaltserhöhung von 22 Prozent für Ärzte in der Ausbildung über einen Zeitraum von zwei Jahren geeinigt, vorausgesetzt, die Mitglieder stimmen zu. Viele Beschäftigte werden wieder einmal feststellen, dass Streiks funktionieren.

Die Regierung hat den Gewerkschaftsmitgliedern auch Empfehlungen der Tarifkommission für den öffentlichen Sektor vorgelegt. Lehrer*innen und vielen NHS2-Beschäftigten wurden 5,5 Prozent angeboten, und für Beamt*innen wurde beispielsweise eine Gehaltserhöhung von 5 Prozent festgelegt. Die Mitglieder der meisten Gewerkschaften der Kommunalverwaltungen haben bereits dafür gestimmt, das ihnen von den Tories unterbreitete Angebot abzulehnen (1290 Pfund pro Jahr – 5,7 Prozent für die niedrigsten Gehälter).

Reeves räumte ein, dass einer ihrer Hauptgründe für eine Gehaltserhöhung “die Kosten eines Arbeitskampfes” seien. Mit anderen Worten, es handelt sich um die anhaltenden Auswirkungen der Streikwelle von 2022/23 – der größten seit mehr als drei Jahrzehnten – und die Androhung weiterer Streiks, die immer noch mehr einbringen könnten.

Reeves beziffert die Kosten für die Finanzierung der Lohnabschlüsse auf neun Milliarden Pfund. Aber werden sie auch finanziert werden? Nein, nur etwa zwei Drittel davon. Die Ministerien haben bis zum Herbsthaushalt am 30. Oktober Zeit, Kürzungen in Höhe von drei Milliarden Pfund vorzunehmen.

Den Lehrer*innengewerkschaften wurde gesagt, die Lehrergehälter seien vollständig finanziert, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Die Gewerkschaften müssen die volle Finanzierung fordern.

Die Arbeiter*innenbewegung wird von Starmers Labour-Partei nichts gewinnen, wenn sie den Minister*innen leise Worte ins Ohr flüstert, sondern nur, wenn sie bereit ist zu kämpfen. Das National Shop Stewards Network3 wird im September beim Trades Union Congress4 (TUC) darauf hinwirken, dass dieser kämpferische Ansatz angenommen wird.

Eine Stimme der Arbeiter*innen

Dieser Kampf wird gestärkt, wenn die Gewerkschaften im Parlament eine eigene Stimme haben, die sich für die Forderungen der Beschäftigten einsetzt. Viele Gewerkschaften haben eine parlamentarische Gruppe, die diese Aufgabe übernehmen soll. Die meisten setzen sich hauptsächlich aus Labour-Abgeordneten zusammen, die in sehr unterschiedlichem Maße Kampagnen führen oder für die Politik der Gewerkschaften stimmen. Wie viele Mitglieder dieser Gruppen haben gegen die Aufhebung der Obergrenze für Kindergeld gestimmt, obwohl dies die Politik des TUC war?

In der gesamten Gewerkschaftsbewegung muss eine Diskussion darüber geführt werden, wie sichergestellt werden kann, dass die Mitglieder der parlamentarischen Gruppen tatsächlich für die Forderungen der Gewerkschaften eintreten. Besser eine kleine Gruppe von Abgeordneten, die für die Interessen der Arbeiter kämpfen, als falsche “Verbündete”, die für die prokapitalistische Politik von Starmers Labour-Regierung stimmen. Im Jahr 1906 hatte das Labour Representation Committee, der Vorläufer der Labour Party, nur 29 Abgeordnete, aber es war dennoch ein wichtiger Faktor, um Druck auf die liberale Regierung auszuüben, damit diese einige Reformen durchführt und gewerkschaftsfeindliche Bestimmungen aufhebt.

Schon im ersten Monat von Starmers Labour-Regierung zeigt sich sehr deutlich, warum die Arbeiter*innenklasse ihre eigene Partei mit einem sozialistischen Programm braucht. Wenn ihr helfen wollt, die sozialistische Opposition gegen Starmer’s Labour aufzubauen – tretet heute der Socialist Party bei.

  1. British Medical Association, Gewerkschaft der Mediziner*innen ↩︎
  2. National Health Service, das britische Gesundheitswesen. ↩︎
  3. Nationales Vertrauensleute Netzwerk ↩︎
  4. Britischer Gewerkschaftsdachverband, vergleichbar mit dem DGB ↩︎