Großbritannien: Rechtsextreme Übergriffe und massenhafte Gegenproteste

Sozialistische Positionen für die Einheit der Arbeiter*innenklasse gegen rassistische Spaltung

Vorbemerkung: Wir veröffentlichen hier eine Stellungnahme der Socialist Party in England und Wales (Schwesterorganisation der Sol) vom 5. August zu den rechtsextremen Ausschreitungen der letzten Woche. Seitdem hat es weitere antirassistische Massendemonstrationen gegeben, an denen die Socialist Party in England und Wales und Militant Left in Nordirland beteiligt waren. Dazu finden sich hier einige Berichte.


Am Wochenende (3./4. August) spielten sich in Großbritannien schreckliche Szenen ab, als sich Hunderte von Menschen vor Hotels, in denen Asylbewerber*innen untergebracht sind, in Rotherham und Hull versammelten, Ziegelsteine und Flaschen warfen und in Rotherham einbrachen und das Haus anzündeten. Da die Bilder überall im Fernsehen, in der Presse und in den sozialen Medien gezeigt wurden, sind viele Schwarze, Asiat*innen und Migrant*innen jetzt verständlicherweise verängstigt.


Von der Socialist Party in England & Wales


Mehr als dreißig rechtsextreme “Proteste” wurden in Städten im ganzen Land ausgerufen. Diese rassistischen, islamfeindlichen Veranstaltungen, die für die Vertreibung von Migrant*innen organisiert wurden, folgten auf die landesweite Kundgebung des Rechtsextremisten Tommy Robinson am Samstag, dem 27. Juli, auf dem Trafalgar Square, an der Tausende teilnahmen.



Gegenproteste


Diese Ereignisse sind schrecklich und müssen bekämpft werden, obwohl es auch wichtig ist, festzustellen, dass die rassistischen Proteste von sehr unterschiedlicher Größe waren. Viele der Proteste zählten eher Dutzende als Hunderte von Teilnehmer*innen. In vielen Fällen waren die lokalen rechtsextremen Proteste durch Gegendemonstrationen von örtlichen Gewerkschaftern, Anwohner*innen und antirassistischen Aktivist*innen zahlenmäßig weit unterlegen. Mitglieder der Socialist Party nahmen an diesen Demonstrationen teil und halfen, sie in der lokalen Gewerkschaftsbewegung und in den Gemeinden aufzubauen.

In Gegenden wie Sunderland und Bolton mobilisierte die muslimische Jugend, um die Moscheen zu verteidigen und sich gegen die Rechtsextremen zu stellen.

Die rechtsextremen Veranstaltungen werden von der großen Mehrheit der Menschen in allen Gemeinschaften abgelehnt. In allen Fällen, in denen es zu Gewalt und Vandalismus kam, halfen die lokalen Gemeinschaften anschließend bei den Aufräumarbeiten.

In den etablierten Medien wurde bewusst nicht über die Zehntausenden berichtet, die am Samstag, dem 3. August, im Zentrum Londons gegen den Krieg gegen den Gazastreifen demonstrierten und denen sich eine kleine rechtsextreme Gruppe von etwa 100 Personen entgegenstellte, oder über die riesige Trans Pride-Demonstration, ebenfalls mit Zehntausenden, die am Samstag, dem 27. Juli, zeitgleich mit der Kundgebung von Tommy Robinson stattfand. Ereignisse, die die Einheit und Stärke der Arbeiter*innenklasse demonstrieren, dürfen anscheinend nicht von den Medien der Kapitalist*innen gefördert werden!



Polizeibefugnisse


Die neue Labour-Regierung und die Medien diskutieren jetzt darüber, ob die Polizei mehr Befugnisse braucht. Die Polizeichefs haben schnell gesagt, dass sie nicht genug Ressourcen haben. Viele Menschen erwarten von der Polizei, dass sie ihre Gemeinden verteidigt und Gewalttäter*innen verhaftet, doch die verstärkten Befugnisse könnten auch gegen muslimische Jugendliche eingesetzt werden, die ihre Gemeinden verteidigen, gegen Kriegsgegner*innen oder aktive Gewerkschafter*innen.

Rechtsextreme wie Tommy Robinson versuchen, die tief sitzende Entfremdung und Verzweiflung von Menschen auszunutzen, die durch jahrzehntelange Armut und Sparmaßnahmen in den Abgrund getrieben wurden.

Kapitalistische Sündenbocksuche – Tory und Labour


Kapitalistische Politiker*innen – sowohl die Tory- als auch die New-Labour-Partei – machen Migrant*innen zum Sündenbock, indem sie mit dem Finger auf die Menschen zeigen, die in kleinen Booten ankommen, während sie öffentliche Dienstleistungen bis zur Zerstörung zusammensparen und privatisieren und Löhne und Sozialleistungen kürzen. Gleichzeitig ermöglichen sie es den Reichen, immer reicher zu werden.

Die Regierung von Keir Starmer ist mit dem geringsten Stimmenanteil aller Regierungsparteien in der Geschichte gewählt worden, und es ist klar, warum. Für einen Teil der Arbeiter*innenklasse gibt es keine Hoffnung, dass sich unter dieser neuen Regierung irgendetwas verbessert. Die schrecklichen Morde und Messerangriffe auf Kinder in Southport waren der Auslöser für die Ereignisse der letzten Woche, aber die Bedingungen, die es der extremen Rechten ermöglichten, Wut und Verzweiflung auszunutzen, waren bereits gegeben.



Die von der extremen Rechten angestrebte Spaltung würde es den Bossen und ihren pro-kapitalistischen politischen Parteien erleichtern, den Lebensstandard aller Arbeiter*innen weiter zu senken. Schon jetzt hat die Berichterstattung über diese rechtsextremen Proteste die Nachrichten über die Suspendierung von Abgeordneten durch Starmer, die für die Abschaffung der Obergrenze für das Kindergeld gestimmt haben, über die neuen Sparankündigungen von Rachel Reeves, mit denen ein “schwarzes Loch” von 22 Milliarden Pfund in den öffentlichen Finanzen gestopft werden soll, und über das Versprechen, keine Gelder für insolvente Universitäten bereitzustellen, schnell verdrängt.

Das Votum für die Reform-Partei bei den Parlamentswahlen war eine Warnung davor, wie rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte in das Vakuum treten könnten, wenn die Wut über eine Labour-Regierung wächst.

Aber die massive Streikwelle von 2022-23 hat gezeigt, dass die Arbeiter*innenklasse ein enormes Potenzial hat, dieses Vakuum mit dem Kampf für Löhne, Arbeitsplätze, Wohnungen und Dienstleistungen, die wir alle brauchen, zu füllen. Sich gegen Rassismus zu wehren, ist davon nicht zu trennen.



Gewerkschaftliche Führung


Eine ernsthafte gewerkschaftliche Mobilisierung gegen Rassismus und die extreme Rechte ist notwendig. Wenn dies mit dem Kampf für Löhne, Arbeitsplätze, Wohnungen und Dienstleistungen verbunden würde, könnten die Gewerkschaften bei Bedarf eine viel größere Zahl von Teilnehmer*innen zu antirassistischen Demonstrationen mobilisieren.

Eine solche Bewegung würde die Unterstützung für die Rechtsextremen erheblich schwächen, da sie ein Anziehungspunkt wäre, der alle Teile der Arbeiter*innenklasse vereinen könnte – sie würde die muslimische Jugend, die ihre Moscheen verteidigt, mit der organisierten Arbeiter*innenklasse jeglicher Herkunft zusammenbringen und hätte die potenzielle Macht, von dieser Regierung bessere Löhne, den Bau von Sozialwohnungen und die Finanzierung von Dienstleistungen zu erzwingen.

Im Jahr 2018 beschloss der Gewerkschaftskongress (TUC), eine Kampagne für “Arbeitsplätze und Wohnungen statt Rassismus” zu starten. Es ist an der Zeit, dass dies in die Tat umgesetzt wird. Dazu gehört auch ein ernsthaftes Konzept für die Mobilisierung zu lokalen Demonstrationen und die Bereitstellung von Ordner*innen. Sich nur auf den Schutz durch die Polizei zu verlassen, kann ein unnötiges Risiko für die Sicherheit der Teilnehmer*innen darstellen.

Der TUC und die Gewerkschaften sollten für Samstag zu einer landesweiten Notfall-Demonstration unter dem Motto “Einheit der Arbeiter*innen statt Spaltung – Arbeitsplätze und Wohnungen statt Rassismus” aufrufen.



Politische Stimme der Arbeiter*innenklasse


Und ein wesentlicher Teil des Kampfes gegen Rassismus und die extreme Rechte muss darin bestehen, eine politische Stimme für die Arbeiter*innenklasse aufzubauenn, die sich für eine sozialistische Politik einsetzt. Auf dem Höhepunkt der Bahn- und Poststreiks im Jahr 2022 riefen Mick Lynch, der Generalsekretär der Eisenbahngewerkschaft RMT, und Dave Ward, der Generalsekretär der Communication Workers Union, die Kampagne „Enough is Enough“ ins Leben. Eine halbe Million Menschen unterschrieben, viele in der Hoffnung, dass dies der Beginn einer neuen politischen Vertretung sein würde. Doch stattdessen ist Enough is Enough leider im Sande verlaufen, und die extreme Rechte beansprucht den Namen zynisch für sich.

Im Jahr 2010 initiierte der verstorbene RMT-Generalsekretär Bob Crow zusammen mit der Socialist Party und anderen ein Wahlbündnis gegen die Sparpolitik, die Trade Unionist and Socialist Coalition (TUSC). Eine der Fragen, die damals erwogen wurden, war, ob Bob gegen den damaligen Vorsitzenden der rechtsextremen British National Party (BNP), Nick Griffin, im Osten Londons antreten sollte, wo die BNP zwölf Ratsmitglieder hatte. Diese Art von Führung muss jetzt von der Gewerkschaftsbewegung übernommen werden. Da Starmers Labour-Regierung weiterhin eine arbeiter*innenfeindliche Politik verfolgt, sollten die Gewerkschaften eine Konferenz einberufen, um den Aufbau eines politischen Instruments für die Arbeiter*innen zu diskutieren.

Im Jahr 2017 führte Jeremy Corbyns Anti-Austeritäts-Manifest dazu, dass Labour eine Million Stimmen von der Vorgängerpartei von Reform, Ukip, gewinnen konnte. Eine Partei, die sich auf die organisierte Arbeiter*innenklasse stützt und für eine antirassistische, antikriegerische und sozialistische Politik kämpft – für Löhne, Arbeitsplätze, Wohnungen und Dienstleistungen, die wir alle brauchen -, würde die Unterstützung für rechtsextreme Gruppen untergraben und dazu beitragen, die wenigen gewalttätigen Individuen zu isolieren, die sie aufbauen wollen.