Protest vor der Nigerianischen Botschaft in Berlin
Am 08. August versammelten sich Mitglieder der Sol Berlin vor der nigerianischen Botschaft, um für die sofortige Freilassung von Adaramoye Michael, Babatunde Oluajo und Mosiu Sodiq zu protestieren.
Von Chiara Stenger, Berlin
Während der Proteste gegen die Preissteigerungen und den herrschenden Hunger wurden zwei Mitglieder der Democratic Socialist Movement Nigeria (DSM), der Schwesterorganisation der Sol in Nigeria, und ein Verwandter von einem der Aktivisten am 5. August nachts in ihren Häusern von der Polizei in Abuja festgenommen. Sie durften seitdem keine*n Anwält*in anrufen und sind ohne Begründung in Haft. Gegen diese enorme polizeiliche und staatliche Repression haben wir vor der Botschaft mit Reden, Schildern und der Übergabe eines Protestbriefes protestiert. Wir forderten die Vertreter*innen der Botschaft auf, sich für die sofortige und bedingungslose Freilassung von Adaramoye Michael, Babatunde Oluajo und Mosiu Sodiq einzusetzen. Bei dem Gespräch mit den Vertreter*innen stimmten diese zu, unsere Forderung an die Behörden in Nigeria weiterzugeben und über unseren Protest zu informieren. Bis zur Freilassung von Adaramoye Michael, Babatunde Oluajo und Mosiu Sodiq werden wir deutschlandweit und international weiter protestieren, wie es in einigen anderen Ländern und Städten bereits der Fall ist.
Unter dem Motto #endbadgovernanceinnigeria begannen Anfang August Proteste im ganzen Land als Reaktion auf diese Zustände und die weit verbreitete Korruption. Inspiriert wurden sie auch durch die vorherigen Massenprotesten in Kenia. So wie in Kenia “7 days of rage” ausgerufen wurden, wurden die Proteste in Nigeria als “10 days of rage” bezeichnet. Mitglieder der DSM waren an den Protesten beteiligt und einer der Inhaftierten, Adaramoye Michael, hielt zehn Stunden bevor seine Wohnung gestürmt wurde eine Pressekonferenz, bei der er die Regierung und ihre neoliberalen Maßnahmen kritisierte und zu friedlichen Protesten aufrief.
Gegen die zunächst friedlichen Proteste ging die nigerianische Polizei gewalttätig vor und mindestens 13 Menschen wurden durch die Polizei getötet. Berichten zufolge setzte sie nicht nur Tränengas, sondern auch Schusswaffen gegen die Demonstrierenden ein. In einigen Bundesstaaten wurden Ausgangssperren verhängt. Dazu kommen über 400 Verhaftungen, darunter auch die von Adaramoye Michael, Babatunde Oluajo und Mosiu Sodiq. Diese Repression ist Teil einer ganzen Reihe von repressiven Überwachungsmaßnahmen und Eingriffen in die Privatsphäre von politischen Aktivist*innen wie Adaramoye Michael.
Wir fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung unserer Genoss*innen und ihrer Verwandten sowie aller politischen Gefangenen! Die Proteste sind legitim und notwendig!
Die Proteste in Nigeria sind Ausdruck der katastrophalen Lebensbedingungen für Arbeiter*innen, Arme und Jugendliche im Land. Sie sind Folge einer Wirtschaftskrise, die durch neoliberale Politik vorangetrieben wird. Die neoliberalen Spardiktate von Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond werden durch die prokapitalistischen korrupten Politiker*innen in der Regierung Nigerias konsequent umgesetzt, wodurch sich die Situation stetig verschlimmert. Treibstoffsubventionen wurden zurückgenommen und Steuern erhöht, was bspw. eine starke Erhöhung des Benzinpreis zur Folge hat. Grundnahrungsmittel verzeichnen starke Preissteigerungen und die Menschen sind zurecht wütend, dass sie sich kein Essen leisten können. Die Inflationsrate lag im Juni bei 34,19 Prozent, höher als in den letzten dreißig Jahren.
DSM schreibt dazu in einem Flugblatt, das sie auf den Protesten verteilen:
“Eine schlechte Regierung ist in Nigeria nichts Neues. Traurigerweise wird es immer schlimmer. Viele Nigerianer*innen hatten geglaubt, dass das massenhafte Leid unter der Regierung von Muhammadu Buhari, die ein monumentaler Misserfolg war, nicht mehr übertroffen werden könnte. Aber die Regierung Tinubu hat in nur einem Jahr das Gegenteil bewiesen. Das liegt daran, dass die kapitalistische Politik der Deregulierung und Abwertung, die von der Buhari-Regierung umgesetzt wurde und die damals für die hohen Lebenshaltungskosten verantwortlich war, nun von Tinubu intensiviert wurde – und zwar mit einem viel größeren Engagement für die Diktate des IWF und der Weltbank. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass die Präsidentschaftskandidaten der anderen großen Parteien bei den letzten Wahlen, wie Abubakar Atiku und Peter Obi, dieselbe neoliberale Politik der Abschaffung der so genannten Kraftstoffsubvention und der Abwertung des Naira befürworteten. Nigeria würde also die gleiche wirtschaftliche Not erleben, wenn Atiku oder Obi Präsident wären. Man kann nicht die Dinge auf die gleiche Weise tun und ein anderes Ergebnis erwarten. Deshalb muss der Kampf gegen die Krise der Lebenshaltungskosten, die hohen Preise, die Angriffe auf das öffentliche Bildungs- und Gesundheitswesen, die Korruption usw. auch mit der Notwendigkeit einer echten Massenpartei der Werktätigen mit einem alternativen Wirtschaftsprogramm verknüpft werden, das sicherstellt, dass die enormen menschlichen und materiellen Ressourcen, mit denen Nigeria ausgestattet ist, zum Nutzen der großen Mehrheit und nicht für die Gier einiger weniger eingesetzt werden. Dieses alternative Programm ist Sozialismus, kollektives Eigentum und eine wirklich demokratische Kontrolle über die wichtigsten Wirtschaftssektoren, damit die Ressourcen des Landes für die Mehrheit genutzt werden. Das ist es, was wir brauchen, um die schlechte Regierungsführung in Nigeria zu beenden.”
Forderungen der Protestierenden und der Democratic Socialist Movement sind zudem u.a. Preiskontrollen und die Rücknahme der bisherigen Preissteigerungen, Preisgrenzen für Produkte aus Erdöl, ein Ende der Polizeigewalt, demokratische Rechte und freie Wahlen, einen neuen und höheren Mindestlohn und die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation, Arbeitslosengeld für junge Menschen die keinen Job finden und eine Ende der neoliberalen Politik.
Als Sol stehen wir solidarisch hinter den Protesten und diesen Forderungen und werden bis zur Freilassung der Aktivist*innen und Verhafteten weiter protestieren und auf die staatliche Repression und diesen Skandal aufmerksam machen. Doch wir werden auch danach weiterhin für eine Welt kämpfen, in der niemand mehr hungern muss, in der keine kleine Minderheit mehr über die Mehrheit herrscht und in der dieses Elend des Kapitalismus ein Ende hat.