Nazis mobilisieren gegen CSDs in Ostdeutschland 

Gemeinsamer Kampf aller Arbeiter*innen nötig, um LGBTIQ+-Rechte zu verteidigen 

Am 10. August fand in Bautzen die jährliche Christopher Street Day Parade statt. Mit 1000 Demonstrant*innen war diese zwar gut besucht, hatte aber mit 700 Gegendemonstrant*innen, von denen die meisten organisierte Neonazis waren, eine für viele überraschend große Reaktion gefunden.

von Christoph Martin, Mainz

Organisiert wurde die Gegendemo vom Jugendverband der Partei “Die Heimat”, welche vielen noch unter ihrem alten Kürzel “NPD” ein Begriff ist. Einige weitere Gruppen des rechtsextremen Spektrums mobilisierten ebenfalls gegen den Bautzener CSD. Über den politischen Charakter dieses Gegenprotests lässt sich also nicht streiten.

Proteste gegen CSDs oder andere Pride-Paraden sind leider nichts grundsätzlich Ungewöhnliches. Häufig wird man auf solchen Veranstaltungen von pöbelnden religiösen Fundamentalisten begleitet, welche einem die Rückkehr zu Jesus nahelegen. Diese Gruppen sind aber in der Regel obskur und klein.

Dass Nazis jedoch im Osten nun koordiniert in einer solchen Stärke und Offenheit auftreten, schockiert viele Menschen, insbesondere Jugendliche und LGBTIQ+-Personen, verständlicherweise. Es zeigt überdeutlich, dass faschistische Gruppen eine reale und womöglich wachsende Gefahr für all jene darstellen, die nicht in ihr Weltbild passen.

Nazis bauen auf

Wenn man die Bilder von dem Gegenprotest überfliegt, fällt einem ins Auge, dass die faschistische Szene im Osten Nachwuchs bekommen hat. Auffallend häufig sieht man unter den Demonstrant*innen junge Männer, welche teilweise sichtbar minderjährig sind.

Die rechtsextreme Szene konnte in der vergangenen Zeit, besonders durch ihre Präsenz auf Plattformen wie Instagram oder Tik Tok, eine neue Schicht an Jugendlichen gewinnen. Gerade im Osten ist die Perspektivlosigkeit und Frustration mit dem politischen Establishment unter Jugendlichen spürbar angewachsen. Oft findet dieser Frust gar keinen politischen Ausdruck, weil eine kämpferische sozialistische Alternative zum Establishment fehlt. Im Osten können in diesem Vakuum verstärkt aber auch Kräfte wie die AfD oder noch noch extremere Organisationen wie die “Jungen Nationalisten” oder die “Deutsche Jugend Voran“ an Unterstützung gewinnen.

Der Einfluss der AfD, in welcher sich neben Rechtspopulist*innen ebenfalls faschistische Kräfte organisieren, auf den gesellschaftlichen Diskurs gibt solchen Gruppen die Möglichkeit in ihrem Windschatten die eigenen Kräfte zu stärken und daraufhin vermehrt offen und mit mehr Selbstbewusstsein aufzutreten. In diesem Sinne kann eine solche Entwicklung nicht überraschen. 

Wie den Kampf gegen Rechts führen?

Die Ereignisse in Bautzen sind Ausdruck einer Verschärfung von verbalen aber auch körperlichen1 Angriffen auf LGBTIQ+-Personen und werden kein Einzelfall bleiben. Die erfassten Straftaten gegen sexuelle Orientierung stiegen in den letzten Jahren rasant (was zum Teil auch mit einer größeren Sensibilisierung und Offenheit zusammenhängt, Anzeige zu erstatten). Allein von 2022 auf 2023 betrug der Anstieg 50 Prozent.

Die relativ große Mobilisierung der Nazis in Bautzen wird sicherlich weitere Teile des rechtsextremen Spektrums motivieren, offener aufzutreten. Am folgenden Wochenende, beim CSD in Leipzig, wurde mit einem noch größeren Aufgebot an Rechtsextremen gerechnet. Die angereisten Nazis konnten jedoch von 2.000 Antifaschist*innen am Leipziger Hauptbahnhof blockiert werden und mussten wieder abreisen.

Blockaden von Faschist*innen sind richtig. Diejenigen, die sämtliche demokratische Rechte abschaffen wollen, sollten diese nicht für ihre Hetze nutzen dürfen. Doch um die extreme Rechte zu schlagen, ist es nötig eine politische Alternative aufzubauen – sowohl in den Städten als auch auf dem Land.

Die AfD und in ihrem Windschatten die traditionelle faschistische Szene gedeiht auf einem sozialen Nährboden, den der Kapitalismus und die Politik der etablierten Parteien tagtäglich bereiten. Zudem betreiben CDU/CSU und die Ampelparteien selbst rassistische Politik, wenn sie abschieben und Rechte von Migrant*innen einschränken. Nicht nur die AfD sondern auch einige dieser Politiker*innen lenken mit populistischer Stimmungsmache gegen zum Beispiel geschlechtergerechte Sprache von den sozialen Problemen ab.

Rassismus und Hetze gegen LGBTIQ-Personen dient einer „Teile-und-Herrsche“-Strategie, welche der Verschleierung der wahren gesellschaftlichen Verhältnisse dient und die Arbeiter*innenklasse spalten soll. Das schafft Sündenböcke für die sozialen Probleme – statt wütend auf seinen Boss oder die Superreichen zu sein, welche sich immer weiter die Taschen vollstopfen, soll man sich über Flüchtlinge oder queere Menschen aufregen, welche keinerlei Einfluss auf die eigene Lebenssituation haben.

Der Kampf gegen rechte Hetze & Spaltung – ob gegen queere Menschen, Migrant*innen oder Linke – muss deshalb mit dem Kampf gegen diese Politik und dieses System, die die Masse ärmer macht, verbunden werden. Der gemeinsame Kampf unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung für soziale Verbesserungen, höhere Löhne, Investitionen in Gesundheit, Bildung, Klimaschutz und Wohnen usw. kann außerdem Vorurteile oder Rassismus in der Bevölkerung zurückdrängen. Die Gewerkschaften, als größte Organisationen der Lohnabhängigen, haben eine besondere Aufgabe sich dieser Aufgabe anzunehmen.

Was für eine Pride-Bewegung brauchen wir?

In einer Broschüre aus dem Jahr 2008 schreiben wir:

Die Spaltungen und Verwerfungen in der Gesellschaft werden größer, vor allem wegen der zunehmenden Krise des Kapitalismus. (…) Rechte Kräfte werden in Krisensituationen aber versuchen Sündenböcke zu präsentieren. Wer glaubt, die Schwulen und Lesben würden davon verschont, die oder der irrt.”

Diese Perspektive bewahrheitet sich momentan. Das wirft unweigerlich die Frage auf, was für eine Pride-Bewegung wir brauchen.

Bürgerliche Politiker*innen schmücken sich gerne mit Forderungen nach „Weltoffenheit“ und „Toleranz“ auf antifaschistischen Kundgebungen oder CSDs (hier sogar mit Großkonzernen und Banken). Zurecht gibt es aber eine große Wut auf diese Politiker*innen innerhalb der Arbeiter*innenklasse. Im Bündnis mit solchen Kräften macht man es der AfD und den Nazis leicht, sich als die radikale Alternative zu präsentieren und zwischen unsozialer Politik und Rechten für queere Menschen einen Zusammenhang herzustellen.

Die Führung der Pride-Bewegung hat über Jahrzehnte darauf orientiert, sich in die bürgerlichen Normen und Institutionen einzugliedern. Zwar gibt es gesellschaftlich eine deutlich gewachsene Akzeptanz von LGBTIQ-Personen – selbst konservative und rechtspopulistische Politiker*innen treten offen als homosexuell auf. Doch von wirklicher Gleichstellung und einem Leben ohne Angst vor Diskriminierung ist man weit entfernt, vor allem wenn man zur Arbeiter*innenklasse gehört. Bi- und homosexuelle Menschen sind besonders von Altersarmut betroffen, erleben immer noch Diskriminierung am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche.

Regenbogenflaggen sind für Unternehmen und bürgerliche Politiker*innen vor allem Werbemittel – es hindert sie nicht an Ausbeutung, Sozialabbau und Einschränkungen demokratischer Rechte am Arbeitsplatz oder in der Gesellschaft festzuhalten. Die offiziellen Pride-Paraden sind gänzlich unpolitisch und sind durch die Integration (pro-)kapitalistischer Kräfte nicht in der Lage, der Arbeiter*innenklasse ein Programm mit sozialen Forderungen anzubieten, welche die gemeinsamen Interesse aller Arbeiter*innen, ob queer oder nicht, betont. 

Es braucht stattdessen eine sozialistische LGBTIQ+-Bewegung. Die Wurzel der LGBTIQ+-Feindlichkeit liegt im Kapitalismus und nur die Arbeiter*innenklasse hat die Möglichkeit und das Interesse ihn zu überwinden. Deshalb ist eine politische Orientierung auf sie unabdingbar. Umgekehrt müssten die Gewerkschaften den Kampf gegen Diskriminierung viel umfassender in die Betriebe und die Gesellschaft tragen.

Es braucht zudem eine Massenpartei der Arbeiter*innen, welche Kämpfe gegen Diskriminierung oder gegen rechte Umtriebe auf der Straße, in den Betrieben und im Parlament auf Grundlage eines sozialistischen Programms führt und deutlich macht, dass die wahren Grenzen zwischen oben und unten verlaufen. In einer Massenarbeiter*innenpartei, wie sie oben bereits beschrieben wird, könnten arbeitende und arme Menschen verschiedener Herkunft und verschiedener Orientierung zusammenkommen und nicht nur den konkreten Kampf für ihre Rechte, sondern auch einen gemeinsamen Kampf für den Sozialismus führen.

Die Partei Die Linke wird besonders in Ostdeutschland und durch Regierungsbeteiligungen immer mehr als Teil des Establishment denn als sozialistisch-oppositionelle Kraft wahrgenommen. Deshalb steht sie vor der Bedeutungslosigkeit und dass ist ein zentraler Faktor dabei, dass die Unzufriedenheit von der extremen Rechten kanalisiert werden kann. Daraus müssen in der Partei und der breiteren Linken die nötigen Lehren gezogen werden.

Wer schützt uns vor Nazis?

Gegenwärtig erhalten Pride-Paraden Schutz durch die Polizei. Aber auch sie ist kein verlässlicher Partner. Den besten Schutz bieten hingegen Massenmobilisierungen. Gerade die Gewerkschaften können dabei eine zentrale Rolle spielen. Würden die Gewerkschaften ihre Mitglieder mit einem eigenen linken, kämpferischen Programm und massenhaft zu einer Pride-Parade mobilisieren und zum Beispiel den Ordner*innendienst mitorganisieren, würde das nicht nur einen materiellen Unterschied machen, sondern auch einen notwendigen Austausch zwischen der LGBTIQ+-Community und der Arbeiter*innenbewegung bedeuten, welche momentan eher getrennt voneinander agieren.2

Denn eine sozialistische Queer-Bewegung alleine wird nicht die notwendigen Massen mobilisieren oder die Gefahr von Rechts stoppen. Der Aufbau einer kämpferischen linken und Arbeiter*innenbewegung und einer sozialistischen Massenarbeiter*innenpartei, welche Arbeiter*innen aller Schichten vereint und sie gemeinsam den Kampf gegen die extreme Rechte, Diskriminierung und für eine sozialistische Zukunft führen lässt, ist nötig. Nur so lässt sich Spaltung überwinden und können wir soziale Verbesserungen langfristig zementieren.

1 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/870110/umfrage/polizeilich-erfasste-delikte-gegen-die-sexuelle-orientierung-in-deutschland/

2 In England und Wales haben Mitglieder der Socialist Party England & Wales dazu einen wichtigen Vorstoß geleistet, in dem sie innerhalb der Gewerkschaften zur Verteidigung der Trans Pride London mobilisierten (https://www.socialistparty.org.uk/articles/127671/19-07-2024/statement-on-the-need-for-practical-trade-union-solidarity-with-london-trans-pride/).