Es gibt keinen Kapitalismus ohne Krieg

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Globale Zunahme von bewaffneten Konflikten, Kriegen und Krisenherden

Kriege nehmen weltweit zu, mehr und mehr Staaten sind (in)direkt in bewaffneten Konflikten involviert und die Zahl der Menschen, die vor Gewalt, Leid und Tod flüchten müssen, steigt. Besserung scheint nicht in Sicht. Doch warum gibt es Kriege und wie kann man sie beenden?

von Chiara Stenger, Berlin

Der berühmte Satz des 1914 ermordeten französischen Sozialisten Jean Jaurès „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“ behält weiterhin Gültigkeit. 

Der Kapitalismus basiert auf Profitinteressen und der Konkurrenz zwischen Unternehmen und Nationalstaaten. Er bedeutet Wettbewerb um Macht, Absatzmärkte und Einflusssphären. Um im globalen Konkurrenzkampf zu bestehen und maximalen Profit zu erzielen, sind Konzerne ständig auf der Suche nach neuen Absatzmärkten und günstigen Rohstoffen und Arbeitskräften. Dabei vertreten Nationalstaaten die Interessen ihrer heimischen Banken und Unternehmen und agieren als deren internationale Vertretung. Bei einer Verstärkung der kapitalistischen Krise sind Wirtschaftswachstum und Profitmaximierung immer weniger für alle kapitalistischen Länder gleichzeitig möglich, sondern nur vermehrt auf Kosten anderer. Diese Konkurrenzkämpfe werden oft durch Wirtschaftssanktionen, Zölle oder politische Maßnahmen ausgetragen. Ein Beispiel hierfür sind die Einfuhrzölle der USA oder der EU auf chinesische E-Autos, um bessere Absatzbedingungen auf dem eigenen heimischen Markt zu ermöglichen. 

Wenn sich die Wettbewerbssituation zwischen Unternehmen beziehungsweise Staaten jedoch verschärft, wächst die Versuchung, zum Mittel des Kriegs zu greifen. Das ist insbesondere der Fall, wenn wirtschaftliche Maßnahmen nicht ausreichen, weil beispielsweise Protektionismus zunimmt oder wenn die militärische „Konkurrenzfähigkeit“ des Landes höher ist als seine wirtschaftliche. In Krisenzeiten intensiviert sich dieser Konkurrenzkampf besonders stark und damit auch das Kriegspotential.

Krieg ist letztlich eine „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, wie schon der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz im 19. Jahrhundert formulierte. Das bedeutet, dass Kriege nicht aus Launen einzelner entstehen, sondern eine Reaktion auf oft lange bestehende Spannungen, Konflikte und entgegengesetzte Interessen zwischen Herrschenden verschiedener Länder oder Regionen darstellen. Zugleich sind Kriege nicht immer rational oder im Interesse der gesamten herrschenden Klasse eines Landes, die aus unterschiedlichen Teilen mit unterschiedlichen Zielen und Profitinteressen besteht. Für die einen kann Krieg profitabel sein, für die anderen ein negativer Wirtschaftsfaktor. Kriege folgen keinem Muster und haben unvorhersehbare Elemente. So spielt direkte ökonomische Konkurrenz zwar eine wichtige Rolle, ist aber nicht der einzige entscheidende Faktor.

Mehr Instabilität steigert Konflikte

Hundert Staaten waren in den letzten fünf Jahren direkt oder indirekt in Konflikte involviert, auch durch die Unterstützung von Konfliktparteien in bewaffneten Auseinandersetzungen. Damit einher geht, dass die globale Militärkapazität seit 2014 um zehn Prozent zugenommen hat. 2022 starben 238.000 Menschen in Kriegen, ein trauriger Rekord in den letzten dreißig Jahren.

Manche bürgerliche Medien, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen erkennen diese Zunahme an Konflikten und versuchen darauf zu reagieren, sind aber nicht in der Lage, die Ursache, das kapitalistische System, als solche auszumachen, geschweige denn zu bekämpfen. In einer Gesellschaft, in der einige wenige über die Mehrheit regieren, Macht und Ressourcen bei sich konzentrieren, ihren Einfluss erweitern und ihren Profit vermehren wollen, kann es keinen dauerhaften Frieden geben.

Im Gegenteil werden Konflikte aufgrund von zunehmender sozialer, politischer und wirtschaftlicher Instabilität weiter zunehmen. Wenn Ressourcen knapper werden, sei es Erdöl oder Wasser, wird die Konkurrenz um diese zwischen Unternehmen und Staaten noch weiter zunehmen. In den letzten Jahren sehen wir die Entwicklung zu einer multipolaren Welt mit verschiedenen Machtblöcken. Auch wenn der sich im Niedergang befindende US-Imperialismus und das zwar nicht mehr ganz so krisensichere, aber sich im Aufstieg befindende China die stärksten Kräfte darstellen, spielen zunehmend auch andere BRICS-Staaten eine wichtige Rolle im globalen Konkurrenzkampf. Potenzielle Krisenherde brodeln auf allen Kontinenten (wie beispielsweise um Taiwan, die Ressourcen der Arktis …) und wir müssen uns auf rasante neue Entwicklungen vorbereiten.

Zwei der schrecklichsten und global folgenschwersten Konflikte finden aktuell im Nahen Osten und in der Ukraine und Russland statt. Auch wenn es große Unterschiede zwischen diesen beiden Kriegen gibt, haben auch sie die gleiche Wurzel: die sich zuspitzende multiple Krise des weltweiten Kapitalismus. 

Krieg zwischen Russland und Ukraine

In dem seit über zwei Jahren tobenden Krieg in der Ukraine mussten wahrscheinlich hunderttausende russische und ukrainische Soldaten ihr Leben lassen. Deutschland und andere westliche imperialistische Mächte unterstützen die Ukraine militärisch und finanziell, auch wenn diese Unterstützung allmählich bröckelt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Akt der Güte oder Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, sondern um den Versuch, Russland zu schwächen. Da die Ukraine zum westlich-imperialistischen Block gehört, trägt der Konflikt auch den Charakter eines Stellvertreterkriegs. Als Sozialist*innen stellen wir uns weder an die Seite Putins noch an die Seite Selenskyjs, der ebenso arbeiter*innen- und gewerkschaftsfeindlich ist. Sowohl die russische als auch die ukrainische Regierung handeln nicht im Interesse der Mehrheit der Menschen. Die in beiden Ländern wachsende Antikriegsstimmung gibt jedoch Hoffnung. Die Entwicklung von Bewegungen, die sich in beiden Ländern gegen den Krieg stellen, muss von Gewerkschaften und linken Parteien international unterstützt werden. Der hierzulande vielfach beschworene vermeintlich notwendige Sieg der Ukraine, dessen Voraussetzungen unklar sind, würde enorme weitere Opferzahlen fordern. Eine siegreiche Ukraine würde gegenüber der Krim, der Donezk-Region und mittlerweile auch russischem Gebiet eine ähnliche Rolle einnehmen wie derzeit die russische Armee in Teilen der Ukraine. Auf kapitalistischer Grundlage ist daher kein dauerhafter Frieden in der Region möglich, da die materiellen Ursachen des Krieges nicht beseitigt wären.

Krieg gegen Gaza 

Der Krieg Israels gegen Gaza birgt zunehmend die Gefahr einer Eskalation mit dem Iran und dem Libanon. Das würde die bisher bereits massiven Opferzahlen weiter in die Höhe treiben. Seit Oktober 2023 starben Schätzungen zufolge 40.000 Palästinenser*innen in Gaza, 90.000 wurden verletzt und der Gazastreifen ist fast vollends zerstört. Währenddessen nimmt auch die Eskalation Israels im Westjordanland zu durch die Gewalt des Militärs und von bewaffneten Siedler*innen gegen Palästinenser*innen. Bürgerliche Politiker*innen in Deutschland und anderen westlichen Staaten machen sich letztlich zu Kompliz*innen durch Waffenexporte oder finanzielle Unterstützung für den Staat Israel. 

Die Sol kämpft für ein Ende des Krieges und der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete. Wir fordern den Rückzug des israelischen Militärs aus Gaza und dem Westjordanland. Die Palästinenser*innen müssen durch Massenproteste und eine demokratisch organisierte Massenbewegung den Kampf für ihre Rechte führen. Dazu ist der Aufbau einer unabhängigen Arbeiter*innenpartei mit sozialistischem Programm nötig. Genauso braucht es in Israel eine unabhängige Massenarbeiter*innenpartei und beide müssen eng zusammenarbeiten. Nötig wäre der gemeinsame Kampf der israelisch-jüdischen und palästinensischen Arbeiter*innenklasse, zusammen mit den Arbeiter*innen und Armen benachbarter Länder, für ein unabhängiges sozialistisches Palästina neben einem sozialistischen Israel als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens mit garantierten Rechten für alle Minderheiten.

Imperialismus in der neokolonialen Welt

Doch es gibt auch militärische Auseinandersetzungen, die medial weniger beleuchtet werden. So beispielsweise der fortdauernde Krieg des NATO-Mitglieds Türkei gegen die Kurd*innen oder die andauernden Bürgerkriege im Sudan oder im Kongo. In Medien oder Bildungseinrichtungen wird gerne das rassistische Narrativ verbreitet, dass afrikanische oder arabische Länder in denen physisch in den vergangenen Jahrzehnten die Mehrheit der Kriege stattfand, eben „ungebildeter, unzivilisierter“  und Kriege bzw. Bürgerkriege daher leider natürlich und unvermeidbar seien. Die Wahrheit ist jedoch, dass beispielsweise im Kongo, einem der ärmsten Länder der Welt, Kolonialismus und Imperialismus eine entscheidende Rolle für den aktuellen Konflikt zwischen staatlichem Militär und der von Ruanda unterstützten March 23 (M23) Guerillaarmee spielen

Der Imperialismus beutet insbesondere die neokoloniale Welt unvergleichlich aus. Durch die Überausbeutung von billigen Arbeitskräften und die Konkurrenz um Ressourcen wie seltene Erden, Metalle oder Erdöl, erzeugt er Instabilität und schreckliche Lebensbedingungen. Diese Perspektivlosigkeit in solchen abhängigen Staaten führt oft zu lokalen und regionalen Konflikten. Reaktion ist dann die wirtschaftliche, aber auch militärische Intervention imperialistischer Länder aus Sorge vor einer Ausweitung des Konflikts – oft erreichen sie damit aber eher das Gegenteil und fördern die Instabilität weiter. Dies zeigten auch die Kriege des westlichen Imperialismus der letzten Periode wie im Irak oder in Afghanistan.

Schon jetzt ist der Kongo nach dem Sudan das Land mit den zweitmeisten Geflüchteten, über zehn Millionen. Die Vertreibung von Menschen aufgrund von Konflikten wird in der Region und weltweit weiter zunehmen. Um von Anfang an zu verhindern, dass Menschen gezwungen werden zu fliehen, ist das Ende aller kapitalistischen Kriege nötig.

Kapitalismus abschaffen

Wenn es kein Privateigentum an Produktionsmitteln, also keine privaten, miteinander konkurrierenden Unternehmen mehr gäbe, sondern eine demokratisch nach Bedürfnissen geplante Wirtschaft, gäbe es keinen Grund, Krieg um Absatzmärkte zu führen. Wenn Arbeiter*innen selbst den Staat führen würden, würden sie sich nicht entgegen ihrer Interessen für einen Krieg entscheiden. Kurz gesagt: in einer weltweiten sozialistischen Demokratie wäre die materielle und ökonomische Grundlage für Krieg nicht mehr existent.

Doch Sozialismus muss erkämpft werden. Die Arbeiter*innenklasse ist bei diesem Kampf die entscheidende Kraft. Sie ist die Klasse, die durch ihre Stellung im Produktionsprozess die Macht hat, dieses System zu verändern. Dazu müssen wir weltweit die Arbeiter*innenbewegung und ihre Organisationen wieder aufbauen, um Gegenwehr gegen Militarisierung, kommende Kriege und jegliche Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse zu organisieren und den Kapitalismus zu überwinden. 

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