Ist Die Linke noch zu retten?

Vom Bundesparteitag in Halle ist der nötige Kurswechsel nicht zu erwarten

Ines Schwerdtner und Jan van Aken kandidieren als Vorsitzende der Linkspartei. Ob ihre Wahl jedoch mit einem neuen Kurs einhergehen würde, der die Partei aus der Existenzkrise führen kann, ist fraglich – auch wenn sie einen solchen verkünden.

von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher und Linke-Mitglied

Liest man das gemeinsame Strategiepapier der beiden Kandidat*innen, fällt auf, dass dieses wenig Analyse über die Gründe für den Niedergang der Partei enthält. Die dürftigen Stichworte sind: Zerstrittenheit, mangelnde Klarheit, Zaghaftigkeit. 

Inhaltliche Widersprüche oder gar der politische Kurs der Partei werden nicht als Ursache der Krise benannt. Dementsprechend fokussieren ihre Vorschläge auch um Fragen des innerparteilichen Umgangs miteinander, des einheitlichen Auftretens, der Frage von Schwerpunktsetzungen und struktureller Fragen.

Krise ist politisch

Nicht infrage gestellt wird das, was wir als tiefere Ursachen dafür ansehen, dass sich Millionen von Wähler*innen von der Linken abgewendet haben: den über Jahre sich vollziehenden Anpassungsprozess an die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse, der sich (nicht nur) in den vielen Regierungsbeteiligungen mit den prokapitalistischen Parteien SPD und Grüne ausdrückt.

Zwei Beispiele, um das zu illustrieren: Im thüringischen Schleiz soll das Krankenhaus geschlossen werden. Die linke Gesundheitsministerin Heike Werner will sich beim Krankenhausplan aber an die Bundesvorgaben halten. Der stellvertretende Kreisvorsitzende der Partei im Saale-Orla-Kreis, Ralf Kalich, spricht sich abstrakt dafür aus, die „medizinische Versorgung der Bevölkerung zu sichern“ und verweist ansonsten auf die Arbeitsvermittlung, die den Entlassenen helfen solle. Die AfD hingegen organisiert eine Kundgebung mit 800 Teilnehmenden gegen die Schließung und für die Re-Kommunalisierung der Klinik. 

In Dresden stehen millionenschwere Kürzungen im kommunalen Haushalt an. Das „Bündnis für Pflege“ hat zu einem Vernetzungstreffen eingeladen, um dagegen Widerstand zu organisieren. Im Gespräch mit einem Sol-Mitglied sagt ein Dresdner Linke-Stadtrat, er hoffe, dass zu diesem Treffen nicht so viele Leute kommen, weil man nicht gegen alle Kürzungen sein könne. 

Eine Linke, die nicht konsequent die Interessen von Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten vertritt, verliert ihre Glaubwürdigkeit und ihren Gebrauchswert. Wenn linke Regierungsbeteiligungen dazu führen, dass sich nichts grundlegend für Lohnabhängige und die „Abgehängten“ ändert, sondern sogar noch – wie gerade in Bremen – Kürzungen mitgetragen werden, darf es niemanden wundern, wenn sich Wähler*innen abwenden. Wenn das nicht thematisiert und offen debattiert wird, werden alle kommunikativen, strukturellen und organisatorischen Veränderungen ins Leere laufen.

Kriegsfrage

Wenn dann noch hinzukommt, dass prominente Teile der Linken in der Kriegsfrage Positionen vertreten, die nichts mit linker Politik zu tun haben – Unterstützung von Waffenlieferungen an die Ukraine und Solidarität mit dem einen genozidalen Krieg führenden Staat Israel – ist es kein Wunder, dass auch Teile der linken Kernklientel der Partei den Rücken kehren. 

Schwerdtner und van Aken behaupten, alle Positionen in der Partei könnten fortexistieren und trotzdem eine Einheit und Geschlossenheit erreicht werden. Das ist nicht der erste Versuch einer Quadratur des Kreises, der scheitern wird. 

Dabei gibt es eine Reihe von positiven Aspekten in den Äußerungen der beiden Kandidat*innen, ob nun van Akens Ablehnung von Waffenexporten oder Schwerdtners Bezug zur Arbeiter*innenklasse und Gewerkschaften als zentralen Orientierungspunkten für linke Politik oder auch die Forderung nach einer Deckelung von den Gehältern von Mandatsträger*innen.

Aber was soll man davon halten, wenn Jan van Aken dann gleichzeitig sagt, er sei dagegen, Waffenlieferungen an die Ukraine „abrupt zu stoppen“ und wenn zwar einerseits das Thema Wohnen als Schwerpunktthema benannt wird, die Forderung nach Enteignung der Immobilienkonzerne, die in Berlin immerhin eine Mehrheit in einer Volksabstimmung gefunden hat, aber nicht aufgestellt wird? Auch die Befürwortung von einer „strategischen Autonomie der Europäischen Union“, einem „realistischen, humanen Einwanderungskonzept“ und einer Zusammenarbeit „mit allen demokratischen Kräften an den Verbesserungen der sozialen Verhältnisse“ lassen nicht darauf schließen, dass es den nötigen Bruch mit der politischen Ausrichtung der letzten Jahre geben wird.

Kurswechsel nötig

Die Linke braucht kein inhaltlich-politisches „Weiter so“, sondern eine offene Debatte über die tieferen Ursachen ihrer Krise und einen sozialistischen Kurswechsel. Ein solcher würde in der politischen Praxis beginnen – aber nicht durch mehr Haustürgespräche und Sozialsprechstunden, so wichtig diese auch sein mögen. Ein solcher Kurswechsel müsste bedeuten: Raus aus einer Regierungskoalition in Bremen, die gerade massive Kürzungen plant und rein in den Widerstand dagegen; Schluss mit dem Umgarnen der CDU in Thüringen für eine gemeinsame Regierungsbildung, sondern Kampf für wirkliche Veränderungen im Interesse der Arbeiter*innenklasse; unmissverständliches Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel und vor allem: alle Kräfte darauf konzentrieren, an den Seiten von Lohnabhängigen gegen Arbeitsplatzvernichtung, Personalmangel, miese Arbeitsbedingungen und Löhne zu kämpfen. 

PS: Dass Schwerdtner und van Aken darum bitten, dass Kritik an ihrem, in der Tageszeitung ND veröffentlichten, Strategiepapier nur direkt an sie persönlich geschickt, aber nicht öffentlich verbreitet werden soll, sollte dabei alle Parteimitglieder aufhorchen lassen. Seine Kandidatur für ein Spitzenamt öffentlich zu begründen und dann öffentliche Kritik daran verhindern zu wollen, wirft die Frage auf, welches Verständnis von demokratischer Debattenkultur besteht.