Ein sozialistischer Blick auf eine kontroverse Debatte
Im Rahmen des “Kulturkampfs“ von Rechts wird beispielsweise behauptet, als Mann dürfe man bald gar nichts mehr sagen und Frauen würden sich selbst in die Opferrolle bringen. Was ist der sozialistische Standpunkt dazu?
von Cathi Schumann, Nürnberg
Rechte nehmen durch derartige Propaganda Bezug auf ein gesellschaftliche Phänomen, welches man als “Lifestyle-Linke” bezeichnen könnte. Es handelt sich um großteils universitäre, zumeist junge Menschen, welche sich als links verstehen, jedoch keine klare Klassenposition einnehmen. Diese Personen sind meist geprägt von identitätspolitischen Positionen und idealistischen Ideen, sie werden als Hauptverfechter*innen des Genderns wahrgenommen und sind deshalb auch das ausgewählte Ziel rechter Propaganda. Das ist ein cleverer Move, da jene neu-linken universitären Personen als abgehoben, wortklauberisch und abgekoppelt von der Lebensrealität arbeitender Menschen wahrgenommen werden und auch rechte Kritik an ihnen vielerorts auf Zustimmung trifft. Die Rechten nutzen also die Ablehnung der realitätsfremden Ideen dieser Pseudo-Linken, um den gesamten Kampf für Gleichstellung zu diskreditieren – zum Beispiel mit der spannenden Wortschöpfung “Gendergaga”.
“Gaga” ist allerdings vor allem die Fixierung von Rechten, vor allem der AfD, auf das Thema. Diese Fixierung hat Gründe: Das Thema lässt sich ausgezeichnet instrumentalisieren, um zu spalten und die Polarisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Außerdem wird die Debatte genutzt, um von anderen relevanteren Fragen, zum Beispiel den tatsächlichen – kapitalistischen – Ursachen von sinkendem Lebensstandard, abzulenken. Das Programm der AfD hat den Arbeiter*innen nichts zu bieten; soziale Probleme werden nicht angegangen. Im Gegenteil – wenn es nach der AfD geht, sollen Kürzungen und Privatisierungen schneller und umfassender umgesetzt werden.
Grenzen des Genderns
Auch wir üben unsere Kritik an der neu-linken universitären Bewegung: Sie ist im Kern idealistisch und geht davon aus, dass sich das Bewusstsein und die Lebensrealität von Menschen mit der Zeit grundlegend verändern werden, wenn sie sich nur selbst hinterfragen. Deshalb müsse man auch nur die Sprache anpassen, sodass diese weniger diskriminierend ist, um konkrete Veränderungen zu erreichen. Derartigen Ideen stellen wir uns entgegen. Einer alleinerziehenden Mutter, die keine Kinderbetreuung findet oder einer Krankenschwester, die durch Arbeitsdruck in den Burnout getrieben wird, kann Gendern keine Abhilfe verschaffen. Solange die materielle Lebensgrundlage und die faktisch existierende Ausbeutung und Benachteiligung von Frauen bestehen bleiben, wird auch der Sexismus in den Köpfen der meisten Menschen, wenn auch zum Teil unterschwellig, verhaftet bleiben. Die Kapitalist*innenklasse profitiert schlicht von der günstigeren Arbeitskraft von Frauen, von all der unbezahlten Haus- und Care-Arbeit und hat deshalb ein großes Interesse daran, dass Frauen weiterhin genau diese Rolle in der Gesellschaft einnehmen.
Warum wir dennoch gendern
Trotz unserer Kritik gendern wir in unserem Material. Wir treten für das Recht jeder Person ein, selbst zu entscheiden, als welches Geschlecht man leben möchte und daraus folgend, wie man angesprochen werden möchte. Neben dem Punkt der Selbstbestimmung ist allerdings auch noch relevant, dass Frauen in der Gesellschaft immer noch oft vergessen werden. Durch Gendern wird die Präsenz und auch die Arbeit von Frauen und LGBTQIA+ Personen sichtbar gemacht. Dies stärkt nicht nur die Frauen individuell, sondern auch den Klassenkampf insgesamt.
Die Sol setzt sich aktiv für die Einheit der Arbeiter*innenklasse ein, deshalb wollen wir alle Hindernisse aus dem Weg räumen, welche die Beteiligung von Frauen am Klassenkampf verringern. Fehlende Ansprache ist ein solches Hindernis – aber natürlich nur eines von vielen.
Wir kämpfen für konkrete Verbesserungen für Frauen im Hier und Jetzt, wobei wir immer betonen, dass Kämpfe verbunden werden müssen und es kein Ende von Sexismus und Diskriminierung innerhalb des Kapitalismus geben kann. Die Arbeit und damit die Rolle, welche Frauen zugestanden wird, muss sich grundlegend verändern, durch zum Beispiel Vergesellschaftung von Hausarbeit und eine tatsächlich flächendeckende, hochwertige Kinderbetreuung und Pflegeangebote. Nur in einer sozialistischen Gesellschaft wird sich die Lebensrealität von Frauen so weit verändern, dass ein tatsächliches gleichberechtigtes Zusammenleben aller Geschlechter möglich ist.