Erklärung der Independent Socialist Group, Schwesterorganisation der Sol in den USA, vom 04. September 2024
Die Menschen der Arbeiter*innenklasse in den USA brauchen eine Alternative zu den beiden konzernfreundlichen, politischen Parteien. Wir müssen den Widerstand gegen die Unterstützung der Regierungen Biden/Harris und Trump für den Krieg in Gaza, die Lebenshaltungskostenkrise und die Angriffe auf die Rechte von Lohnabhängigen und Einwanderer*innen aufbauen. Obwohl die Demokratische Partei (DP) behauptet, gegen die Angriffe des Obersten Gerichtshofs und der Trump-Administration auf LGBTQ+-Personen und Frauen zu sein, hat sie es versäumt, nationale Schutzmaßnahmen für beide Gruppen zu ergreifen.
Weder die Republikaner noch die Demokraten planen, den massiven, ständig steigenden Militärhaushalt oder die Invasion, die Besetzung und den fortgesetzten Völkermord im Gazastreifen rückgängig zu machen. Darüber hinaus beschließen die Republikaner und Demokraten weiterhin Kürzungen bei den Sozialleistungen, auf die viele Arbeiter*innen angewiesen sind, und setzen sich nicht für eine Erhöhung des Mindestlohns auf Bundesebene, eine allgemeine Gesundheitsversorgung, einen Schuldenerlass oder echte Lösungen für die Immobilienkrise ein. Eine historisch hohe Zahl von Wählern (63 Prozent) ist der Meinung, dass die Republikaner und die Demokraten das amerikanische Volk „so schlecht“ vertreten, dass „eine dritte große Partei notwendig ist. (Gallup, Oktober 2023)
Die „Independent Socialist Group“ glaubt, dass es für die arbeitenden Menschen notwendig ist, sich von dem Parteienduopol zu befreien. Die Vereinigung hinter dem stärksten, unabhängigen, linken Kandidaten mit einem Programm, das wir unterstützen können, und mit der größten potentiellen Sichtbarkeit und Wahrscheinlichkeit, eine bedeutende Anzahl von Stimmen zu sammeln, ist ein notwendiger erster Schritt. Ein starkes Wahlergebnis der unabhängigen Linken kann als Startrampe für die Durchsetzung unmittelbarer Forderungen, die im Wahlkampf erhoben wurden, und für die Bemühungen um die Organisation einer Arbeiter*innenpartei genutzt werden.
Jill Stein von der Grünen Partei und Cornel West als Unabhängiger kandidieren für das Präsident*innenamt. Sie legen starke Programme vor, darunter die Ablehnung der Invasion des Gazastreifens und die Beendigung der Militärhilfe für Israel. Beide Kampagnen fordern ein breites Spektrum an fortschrittlichen Forderungen. Es gibt viele Gemeinsamkeiten in ihren Programmen, darunter die Forderung nach einem höheren Mindestlohn auf Bundesebene, einer verstaatlichten Gesundheitsfürsorge, kostenloser Kinderbetreuung, nationalen Beschäftigungsprogrammen und erheblichen Kürzungen der Militärausgaben. Stein und West sind seit Jahrzehnten in Protestbewegungen aktiv – Stein vor allem für Umweltgerechtigkeit und West für Bürgerrechte und ethnische Gerechtigkeit.
Der jahrzehntelange Zugang der Grünen zu den Wahlzetteln ist einer der Hauptgründe dafür, dass verschiedene linke Kandidat*innen, darunter auch ehemalige Black Panther, ihre Wahllisten genutzt haben. Obwohl es eine verpasste Chance ist, dass West nicht auf dem Wahlzettel der Grünen Partei kandidiert hat, fordern wir die beiden Kampagnen auf, Wege zu finden, um jetzt und in der Zeit nach der Wahl taktische Einheit zu praktizieren, einschließlich gemeinsamer Veranstaltungen und der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen und Informationen. Ein gemeinsames Vorgehen könnte dazu beitragen, progressive und linke Aktivist*innen und Wähler*innen zusammenzubringen.
Nach einer Reihe interner Diskussionen und einer formellen Abstimmung ruft die ISG zur kritischen Unterstützung der Kampagne der Grünen Partei von Jill Stein und der unabhängigen Kampagne von Cornel West für das Präsidentenamt auf.
Unsere kritische Unterstützung schließt die Aufforderung an alle arbeitenden Menschen ein, für die Kampagnen von Stein (GP) und West (Ind.) zu stimmen. Wir rufen dazu auf, für Stein zu stimmen, wo ihre Kampagne auf dem Stimmzettel steht. In Staaten, in denen die Stein-Kampagne nicht auf dem Stimmzettel steht, die von West aber schon, rufen wir dazu auf, für West zu stimmen. In Staaten, in denen keine der beiden Kampagnen auf dem Wahlzettel steht, rufen wir dazu auf, die Stein-Kampagne einzutragen.
Zu unserer kritischen Unterstützung für die Kampagnen gehört, dass wir Arbeiter*innen ermutigen, sich an Wahlkampfaktivitäten zu beteiligen, wo immer dies möglich ist, z. B. bei Wahlkampfständen, Versammlungen, Wahlwerbung, Flugblattaktionen usw. Entscheidend ist, dass wir beide Kampagnen, ihre Unterstützer*innen und ihre Wähler*innen auffordern, sich nach dem Wahltag weiter mit Gewerkschaftsaktiven, Progressiven und linken Kräften zu organisieren, um eine Bewegung für eine linke Massenarbeiter*innenpartei in den USA aufzubauen. Wir rufen andere linke und Arbeiter*innenorganisationen auf, ähnliche Schritte zu unternehmen, um diese Kampagnen zu unterstützen und sich an ihnen zu beteiligen.
Indem wir dazu aufrufen, für Stein (GP) zu stimmen, wenn sowohl Stein als auch West auf demselben bundesstaatlichen Wahlzettel stehen, erkennen wir an, dass die größte politische Schwäche der West-Kampagne darin besteht, dass sie sich überhaupt nicht für den Aufbau einer unabhängigen politischen Partei einsetzt. Unsere kritische Unterstützung für Wests Kampagne basiert auf positiven programmatischen Forderungen seiner Kampagne, seiner Rolle als linker Aktivist in antirassistischen und anderen Kämpfen und seiner Selbstidentifikation als Sozialist. Es ist hervorragend, dass West mit der Demokratischen Partei gebrochen hat, um unabhängig zu kandidieren. West hat in der Vergangenheit die Demokratische Partei unterstützt, so zum Beispiel während Obamas Wahlkämpfen 2008 und 2012 und während Bernie Sanders’ Kampagnen 2016 und 2020. Wir hoffen, dass West einen dauerhaften Bruch mit der Unterstützung der Demokraten vollzogen hat. Es bleibt jedoch fraglich, ob er für den Druck des kleineren Übels anfällig ist und seine Kampagne möglicherweise noch vor dem Wahltag beenden könnte.
Im Gegensatz dazu haben Stein und die Grüne Partei den Ruf, völlig unabhängig von der Demokratischen Partei zu sein. Die Grünen sind eine organisierte Partei mit aktiven Mitglieder*innen in staatlichen und lokalen Parteigruppen, die eine kleine, aber beständige Präsenz bei öffentlichen politischen Aktivitäten außerhalb von Wahlkampagnen hat. Bei den landesweiten Wahlen der letzten Jahrzehnte standen die Grünen für weit mehr Wähler*innen auf dem Stimmzettel als jede andere Partei oder jede*r unabhängige Kandidat*in links von den zwei Konzernparteien.
Wir müssen unsere Unterstützung auch als kritisch bezeichnen, denn keine der beiden Kampagnen steht für den Aufbau einer Arbeiter*innenpartei. Für die Kampagne der Grünen Partei oder die Kampagne von West würde das bedeuten, dass sie ausdrücklich erklären, dass sie dabei sind, eine Massen-Arbeiter*innenpartei zu unterstützen und mitzuhelfen, eine solche aufzubauen, die über die Beschränkungen der Grünen Partei und der individuellen Bemühungen von West hinausgehen würde, sowohl in Bezug auf das Programm, die Organisation als auch die Aktivitäten über den Wahltag hinaus. Darüber hinaus hat keine der beiden Kampagnen eine starke Verbindung zur organisierten Arbeiter*innenschaft, die über die Ressourcen und die Mitgliederzahl verfügt, um jede Kampagne zu einer ernsthaften Herausforderung für das Parteienduopol zu machen. Keine der beiden Kampagnen propagiert ein klares sozialistisches Programm oder die Notwendigkeit des Sozialismus, obwohl die Stein-Plattform den „Ökosozialismus“ erwähnt.
Warum zwei Kampagnen kritisch unterstützen? Wie kann das helfen, Trump und Harris zu besiegen?
Für die meisten Menschen aus der Arbeiter*innenklasse sind Wahlen und die Frage „Wen soll ich wählen?“ der Ausgangspunkt für politisches Handeln. Dies ist ein notwendiger Ausgangspunkt und erfordert eine Antwort auf die Frage, wie man seine Stimme am besten einsetzt. Diese Antwort sollte auch die größere Frage aufwerfen: „Wie können wir uns während der Wahlen und danach organisieren, um politische Macht unabhängig von den Reichen und Konzernen aufzubauen?“
Die Demokratische Partei macht sich oft die verständliche Angst vor – und den Hass auf – die extreme Rechte in großen Teilen der Arbeiter*innenklasse zunutze, um sie davon zu überzeugen, „blau zu wählen, komme was wolle“. Allerdings hat der Sieg von Biden/Harris bei den Präsidentschaftswahlen 2020 Trump und den Trumpismus nicht ausgerottet, wie die DP versprochen hatte. Stattdessen hat er wohl die Popularität der Trump-Kampagne erhöht.
Die Arbeiter*innen wollen wählen und auch für etwas stimmen. Wir müssen eine Alternative aufzeigen, indem wir für unabhängige linke oder progressive Kandidat*innen oder Parteien stimmen. Das kleinere Übel wird zwar häufig als ein Phänomen betrachtet, bei dem man die Demokraten in Opposition zu den Republikanern wählt, aber es funktioniert auch andersherum. Das Versagen von Biden und der DP, die Erwartungen der Arbeiter*innenklasse zu erfüllen, kann zu einer Gegenreaktion führen, bei der Trump und die Republikanische Partei (RP) als einzige Alternative zu vier weiteren Jahren der Demokratischen Partei angesehen werden. Die unerbittliche Konzernpropaganda, die das „Zweiparteiensystem“ stärkt, führt unweigerlich dazu, dass immer wieder das „kleinere Übel“ in Form beider Parteien gewählt wird, welche beide die Kapitalist*innenklasse vertreten.
Die realen Bedingungen, die die Menschen der Arbeiter*innenklasse erleben, werden sich weder unter einer demokratischen noch unter einer republikanischen Regierung grundlegend ändern, solange es nicht zu einem Massenkampf kommt. Eine Wahl von Harris als Fortsetzung der Biden-Regierung wird der extremen Rechten die Möglichkeit bieten, als „Alternative“ zum liberalen Kapitalismus zu wachsen. Eine Wiederwahl von Trump wird die extreme Rechte wahrscheinlich ermutigen, sich offen zu organisieren und ihre Stärke zu testen. Die einzige Möglichkeit, der Bedrohung durch die extreme Rechte zu begegnen, ist der Aufbau der Linken, einschließlich einer sichtbaren Unterstützung für ein linkes Programm durch ein starkes Wahlergebnis und die fortgesetzte Organisierung von Unterstützer*innen linker Wahlkampagnen auch nach dem Wahltag.
Bei einigen Wahlen kann ein ausreichend gutes Wahlergebnis eine fortschrittliche oder linke Partei für den künftigen Zugang zu den Wahllokalen, für öffentliche Mittel oder für andere greifbare Vorteile für künftige Kampagnen qualifizieren, die Teil der Bemühungen um eine Arbeiter*innenpartei werden könnten. Wahlergebnisse können als messbarer Beweis dafür dienen, dass linke oder fortschrittliche Forderungen populär sind und dass die arbeitenden Menschen nach einer politischen Alternative suchen. Während die kapitalistischen Parteien in der Regel von einer Minderheit der Wahlberechtigten gewählt werden, können die Kapitalist*innen einen unangefochtenen „Sieg“ und ein Mandat für die Politik der Konzerne für sich beanspruchen, wenn es kein angemessenes Ergebnis für eine sichtbare unabhängige linke politische Alternative gibt.
Wenn ein*e linke*r Kandidat*in mehr Stimmen als erwartet erhält, wird dies für die herrschende Klasse zu einem Problem, das sie erklären muss und so verleiht sie den von dieser Kampagne vorgebrachten Ideen Glaubwürdigkeit. Wenn eine unabhängige linke oder fortschrittliche Kampagne für einige wenige Schlüsselforderungen bekannt wird und einen bedeutenden Stimmenanteil erhält, kann sie Druck auf die Kapitalist*innenklasse und ihre Parteien ausüben, damit diese Zugeständnisse bei diesen Forderungen machen. Die „New Democratic Party“ zum Beispiel ist eine linke Partei in Kanada, die sich 1964 für eine allgemeine Gesundheitsversorgung einsetzte und diese auch durchsetzte, obwohl sie nie die Mehrheitspartei war. Bei den Wahlen 2024 bietet sich die Gelegenheit, für unabhängige linke Antikriegskandidat*innen zu werben, um unseren Widerstand gegen den anhaltenden Völkermord in Gaza zu demonstrieren.
Das Fehlen einer Massen-Arbeiter*innenpartei in den USA ist auch ein wichtiger Grund für den geringeren gewerkschaftlichen Organisationsgrad und den im Vergleich zu anderen wohlhabenden Ländern sehr viel eingeschränkteren Umfang von Sozialleistungen und Arbeiter*innenrechten. Eine Arbeiter*innenpartei wäre ein enormer Fortschritt im Hinblick auf den Organisationsgrad der Arbeiter*innenklasse. Jeder Wahlzyklus bietet den Gewerkschaften die Möglichkeit, die Macht der Arbeiter*innen enorm zu stärken, indem sie dazu beitragen, eine politische Partei für diese zu organisieren. Die Gewerkschaftsbewegung verfügt über das Geld und die Mitgliederzahl, um die Gründung einer unabhängigen Arbeiter*innenpartei für die breite Masse sofort in die Tat umzusetzen.
Die einseitige Beziehung der Arbeiter*innenbewegung zur Demokratischen Partei hat in den letzten 60 Jahren zu einem historischen Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades geführt. Die Gewerkschaften liefern den Demokraten Geld, Freiwillige und Legitimität im Austausch für Versprechen einer arbeiter*innenfreundlichen Gesetzgebung. Die Demokraten halten ihre Versprechen aufgrund ihrer größeren Loyalität gegenüber den Konzernen nie ein. Wenn sich die Gewerkschaften mit gelegentlicher Unterstützung für die Republikaner absichern, gewinnt die Kapitalist*innenklasse trotzdem.
Die „Independent Socialist Group“ ruft alle Menschen aus der Arbeiter*innenklasse, linke Gruppen und Gewerkschaften dazu auf, die Kampagnen von Stein und West sowie die Kampagnen der unabhängigen Linken in den Bundesstaaten und auf lokaler Ebene zu unterstützen und dafür zu werben, um einen echten Versuch zum Aufbau einer Arbeiter*innenpartei zu starten.