BSW = Keine Alternative für Arbeiter*innen

Foto: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c7/Wagenknecht%2C_Sahra%2C_2013.JPG von Wolkenkratzer [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], vom Wikimedia Commons

Anpassungsprozess an Etablierte in vollem Gange – was für eine Partei brauchen wir?

Das BSW hat gute Chancen, in den Bundestag einzuziehen. Das ist vor allem Ausdruck der berechtigten Wut über die herrschenden Zustände, der Unbeliebtheit der etablierten Parteien und des Wunsches nach Veränderung und einer neuen oppositionellen politischen Kraft (auch jenseits der AfD).

Flugblatt der Sol

Die Welt gerät immer mehr aus den Fugen und die sozialen Missstände waren in Deutschland lange nicht mehr so umfassend und offensichtlich. Viele Wähler*innen des BSW wünschen sich völlig nachvollziehbarerweise einen Politikwechsel, soziale Investitionen, Besteuerung der Super-Reichen und eine Abkehr der Aufrüstung und Kriegsunterstützung durch die Bundesregierung.

Die Sozialistische Organisation Solidarität – Sol teilt einige der Forderungen des BSW, wie die nach einem Ende der Waffenexporte oder nach einer stärkeren Tarifbindung, und wir sind ebenso der Überzeugung, dass es eine politische Alternative zum abgehobenen, kriegstreiberischen und arbeiter*innenfeindlichen Establishment braucht – und dass die Partei Die Linke diesem Anspruch nicht ausreichend gerecht wird.Aber das BSW ist keine Alternative für Arbeiter*innen.

Problem #1: Anpassung für Regierungsposten

Wie wenig sich die Wähler*innen Hoffnungen auf einen Politikwechsel durch das BSW machen sollten, hat die Partei schon selbst bewiesen. Innerhalb kürzester Zeit hat das BSW den Weg in zwei Landesregierungen gefunden und koaliert dort sogar mit der CDU. Wie mit prokapitalistischen Parteien, wie es CDU und SPD sind, eine Politik für die so genannten einfachen Leute gemacht werden soll, bleibt das Geheimnis von Sahra Wagenknecht. Die BSW-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen trug dick auf und bezeichnete die Koalitionsverträge in Brandenburg und Thüringen als „historisch“. Aber die vom BSW geforderten klaren Positionierungen gegen Waffenlieferungen haben es nicht einmal hineingeschafft; nur in Brandenburg gibt es im Vertrag explizite Kritik an der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen. Abgesehen von solchen Symbolsätzen, in die ohnehin alle Beteiligten Unterschiedliches hineininterpretieren, sind die Koalitionsverträge, was konkrete soziale Verbesserungen angeht, genauso unambitioniert wie die von Vorgängerregierungen. Konkrete Maßnahmen sind hauptsächlich Verschärfungen im Umgang mit Geflüchteten. Wie immer stehen alle Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt. Das BSW beweist damit, dass es den Reformer- und Regierungslinken in der Partei Die Linke in Sachen Anpassungsbereitschaft in nichts nachsteht und sich an Regierungen beteiligen wird, die die sozialen Zustände im besten Fall so schlecht lassen wie sie sind und im schlechtesten Fall bereit sind, Kürzungen und Verschlechterungen mitzutragen. Das ist ein Rezept für Enttäuschung der Wähler*innen und damit für eine potenzielle Stärkung der AfD.

Problem #2: Abkehr von Selbstorganisation und Klassenkampf

Eine zentrale Frage für jede Partei ist, wie sie gedenkt, ihre Forderungen durchzusetzen. Das BSW fordert richtigerweise einen 15-Euro-Mindestlohn; Besteuerung von Großvermögen oder ein Ende staatlich finanzierter Waffenlieferungen. Aber das BSW setzt nicht auf gesellschaftliche Kämpfe und Bewegungen, auf Proteste und Streiks oder auf die Selbstorganisation von Beschäftigten, Erwerbslosen oder Jugendlichen in Gewerkschaften, Mieter*innenvernetzungen, der Antikriegs-Bewegung oder politischen Parteien, um das zu erreichen.

Die BSW-Führung vermittelt an Sympathisant*innen das Bild: Wählt uns, verbreitet unser Material, spendet für uns und wir machen den Rest für euch. Von einer demokratischen Mitgliederpartei oder dem aktiven Aufbau von Widerstand in Betrieben, Nachbarschaften, Schulen und Unis kann beim BSW keine Rede sein. Dabei ist Klassenkampf von unten und Selbstorganisation das zentrale Mittel für Verbesserungen im Sinne der arbeitenden Mehrheit. Alle Errungenschaften der letzten Jahre, u.a. die Einführung des Mindestlohns, Personalbemessungen in Krankenhäusern oder der (kurzlebige) Berliner Mietendeckel, waren Ergebnis des Drucks sozialer Kämpfe und gewerkschaftlicher und politischer Mobilisierungen.

Selbst die Türen des BSW sind für Interessierte alles andere als offen. Der Einlass ist streng limitiert und der Bundesvorstand regiert von oben durch. Als es mit der Thüringer Vorsitzenden Katja Wolf eine Auseinandersetzung um den Koalitionsvertragsentwurf gab, nahm der Bundesvorstand (mutmaßlich zur Verschiebung der Kräfteverhältnisse) kurzerhand 21 neue Mitglieder am Landesverband vorbei auf und wuchs die Partei laut Medienberichten innerhalb weniger Tage um ein Drittel. Ein solcher bürokratisch gelenkter Wahlverein ist kein Instrument, die Verhältnisse grundlegend zu verändern.

Problem #3: Falsche und gefährliche Positionen zu Migration und Erwerbslosen

Ein zentrales Problem ist die Haltung des BSW in der Migrationsfrage. Hier hat die Partei in den letzten Monaten ins selbe Horn geblasen, wie die etablierten Parteien und die AfD. Gerade Sahra Wagenknecht hat eine Vorreiterrolle dabei gespielt, die Ursache von sozialen Missständen, Gewalt und Kriminalität im Land auch auf den Zuzug von Migrant*innen zurückzuführen – wie sie das bereits in den letzten Jahren immer wieder gemacht hat.

Damit leistet sie dem Ablenkungsmanöver der Regierenden Vorschub: Denn diese wollen die Verantwortung für eine marode Infrastruktur, viel zu knappen günstigen Wohnraum, die Zustände im Gesundheits- und Bildungssystem und fehlenden Investitionen verwischen. Daran haben nicht Geflüchtete Schuld, sondern die Regierenden, die für Banken und Konzerne aber nicht für die arbeitende Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten Politik gemacht haben. Zweitens vermittelt das BSW ein falsches Bild davon, in welchem Umfang tatsächlich Geflüchtete hierherkommen oder beispielsweise Gewalt (inklusive Terror) und Kriminalität auf Geflüchtete und Migrant*innen zurückgehen und – vor allem – dass es in erster Linie soziale Ursachen sind, die Gewalt und Kriminalität befördern.

Sahra Wagenknechts Äußerungen gegen Bürgergeldempfänger*innen und ihre Forderungen nach noch mehr Sanktionen folgen einem ähnlichen Muster, weil sie damit Erwerbslose unter Generalverdacht stellt, sich auf Kosten der Allgemeinheit einen Lenz zu machen.

Diese Haltung führt dazu, dass Arbeitende und Erwerbslose bzw. Migrant*innen und hier Geborene gegeneinander ausgespielt werden, rassistische Einstellungen zunehmen und die etablierten Parteien erfolgreicher damit sind, Sündenböcke für die von ihnen mit organisierten sozialen Probleme zu präsentieren. Es ist das alte Motto „Teile und Herrsche“, welches das behindert, was wirklich nötig wäre: Der gemeinsame Kampf unabhängig von Herkunft und Hautfarbe für soziale Verbesserungen und gegen ein kapitalistisches System, was unser aller Sicherheit, Lebensstandard und Zukunft bedroht.

Dass auch ehemalige Linke im BSW diesem Kurs nicht widersprechen, ist enttäuschend aber zeigt, wer in der Partei das Sagen hat. Das BSW behauptet, es würde mit diesem Kurs die AfD schwächen. Dass das zu bezweifeln ist, haben die ostdeutschen Landtagswahlen gezeigt. Statt sich der AfD-Rhetorik und Argumentation anzupassen, wäre es nötig eine konsequent linke Opposition zur pro-kapitalistischen Politik aufzubauen – im Parlament und außerhalb mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften und ohne Abstriche an antirassistischen und internationalistischen Prinzipien. Doch das BSW schlägt einen anderen Kurs ein.

Problem #4: Utopie Expertenregierung und sozialer Kapitalismus

Das BSW hat einen großen Schritt weg von der Idee gemacht, dass es eine grundsätzlich andere Gesellschaft jenseits des Kapitalismus und eine Veränderung zu einer sozialistischen Demokratie braucht. Das ist eine Verschlechterung gegenüber der Linken, die diesen Anspruch bisher nicht aufgegeben hat. Indem das BSW den Kapitalismus sozialer und friedlicher gestalten will, verbreitet es Illusionen.

Der BSW-Vorschlag eines „Kompetenz-Kabinetts“ von „integren, fachkundigen und unbestechlichen Persönlichkeiten“, „die das Rückgrat besitzen, die Interessen der Mehrheit auch gegen mächtige Einflussgruppen durchzusetzen“, mag auf den ersten Blick sympathisch und nach frischem Wind klingen. Doch alle Erfahrung in anderen Ländern mit solchen Technokraten-Regierungen, die im Zweifel noch weniger demokratischen Kontrollmechanismen unterliegen, zeigen, dass diese nicht aufhören pro-kapitalistische Politik zu machen – egal wie hehr sich die Lebensläufe der Protagonist*innen lesen. In der Eurokrise waren solche Regierungen in Italien und Griechenland Instrumente für neoliberale Kürzungspolitik.

Horst Seehofer hat einmal (vermutlich unachtsam) die Wahrheit ausgesprochen, als er über das politische System hierzulande sagte: „Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt und diejenigen, die gewählt sind, haben nichts zu entscheiden“. Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der die wichtigen Entscheidungen von oder im Sinne der wirtschaftlich Mächtigen, den großen Kapital-, Unternehmens- und Bankbesitzer*innen, getroffen werden und deren Antrieb Profitmaximierung ist. Solange die großen Banken und Konzerne nicht in demokratisch kontrolliertem und verwaltetem Gemeineigentum sind und die Wirtschaft demokratisch nach Bedürfnissen geplant wird, wird die arbeitende Bevölkerung der Macht der Banken und Konzerne ausgeliefert sein. Aus den kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnissen ergibt sich der fortwährende Kampf der Beschäftigten gegen Lohnraub, Arbeitsplatzvernichtung, Einschränkung demokratischer Rechte usw.

Das BSW will die „Sachzwänge“ des Marktes und der Profitlogik aber nicht grundsätzlich infragestellen. Sahra Wagenknecht will Politik für „die kleinen Leute“ und für (deutsche) Unternehmen – gegen die internationale Konkurrenz, vor allem aus den USA. Sie propagiert eine Rückkehr zu einer vermeintlich idyllischen Vergangenheit, mit einer starken deutschen Wirtschaft und einer „sozialen Marktwirtschaft“, in der Kapitalist*innen und Arbeiter*innen gleichermaßen profitieren. Das ist eine Illusion, die an der multiplen globalen Krise des Kapitalismus zerschellen wird. Der internationale Konkurrenzkampf führt unweigerlich zu einer Verschärfung der sozialen Gegensätze, wie das Beispiel VW im Brennglas zeigt. Nötig ist eine konsequente Politik zum Beispiel zur Rettung aller Arbeitsplätze ohne Verzicht durch Lohnabhängige und auf Kosten der Kapitalbesitzer*innen. Das wird – auch angesichts nötiger Produktionsumstellungen auf sinnvolle Güter – nicht im Rahmen dieses Systems möglich sein. Die globalen Probleme können auf Basis des Kapitalismus oder rein nationaler Veränderungen nicht gelöst werden. Nicht nur zur Bewältigung des Klimawandels, sondern auch im Kampf gegen Armut, Krieg und Unterdrückung braucht es die internationale Vernetzung und gemeinsame Gegenwehr von Beschäftigten, Gewerkschaften, Anti-Kriegsbewegung etc. wie auch die Einsicht, dass dieses System überwunden werden muss.

Linke wählen und für neue Arbeiter*innenpartei kämpfen

Die Ampel-Regierung ist auch vor dem Hintergrund der täglich lauter werdenden Forderungen von Kapitalvertreter*innen für eine so genannte „Wirtschaftswende“ gescheitert. Damit meinen sie drastische Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung, Steuererleichterungen für die Kapitalist*innen etc. Eine wahrscheinliche Merz-Regierung würde versuchen noch weiterzugehen als die Ampel, die Militarisierung vorantreiben und Hetze gegen Geflüchtete und Bürgergeld-Empfänger*innen in Gesetze gießen. In einigen Kommunen und Ländern ist der Kampf gegen Sozialkürzungen bereits im Gange.

Umso wichtiger ist, dass es im nächsten Bundestag eine linke Opposition gibt, die sich gegen alle Sozialkürzungen, jede Form von Aufrüstung und Militarisierung, sowie Angriffe auf die sozial Benachteiligten stellt. Das BSW wird das nicht sein. Die Sol ruft deshalb – trotz aller Beschränktheiten, Fehler und Anpassung in Richtung SPD und Grüne – zur Wahl der Linken auf. Ein Bundestag ohne Die Linke würde die politischen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik zuungunsten der arbeitenden Bevölkerung und sozial Benachteiligten verschieben.

Trotzdem ist Die Linke aktuell nicht das, was eigentlich gebraucht wird. Die Sol ist der Meinung, dass es eine Debatte darüber braucht, welchen Beitrag Die Linke in Zukunft – zusammen mit anderen Kräften aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen! – zur Schaffung einer Massenpartei von Arbeiter*innen und Jugendlichen mit einem sozialistischen Programm leisten kann, die so dringend nötig ist, um die Interessen der Arbeiter*innenklasse zu vertreten und die Gesellschaft zu verändern. Die Sol will dazu einen Beitrag leisten, die nötigen Lehren aus dem Niedergang der Partei (insbesondere hinsichtlich der Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen und der Fokussierung auf Parlamentsarbeit) diskutieren und marxistische Ideen stärken, weil diese entscheidend dafür sind, eine sozialistische Veränderung zu erreichen.

Das heißt nicht auf solch eine Partei zu warten – gerade in Zeiten, in denen Kürzungen und Arbeitsplatzabbau anstehen. Dagegen braucht es gemeinsamen Widerstand von allen linken und gewerkschaftlichen Organisationen und Betroffenen. Wenn das BSW den Anspruch erhebt, Politik für die „kleinen Leute“ zu machen, sollte es das in solchen Kämpfen unter Beweis stellen und Teil davon sein.