Warum die Frauenfrage eine Klassenfrage ist

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Egal unter welcher Regierung: Kapitalismus bedeutet Kürzungen statt Schutz

Die Regierenden kürzen: In Berlin ist etwa ein Projekt gegen häusliche Gewalt von der Schließung bedroht und es sind Kürzungen bei sozialen Angeboten und der Wohnungsnotfallhilfe geplant. In Nordrhein-Westfalen sollen knapp zwei Millionen Euro für Frauenhäuser gekürzt werden. In Dresden droht Sozialeinrichtungen ein Kahlschlag. Diese Kürzungen treffen Jugendliche und die gesamte Arbeiter*innenklasse. In besonderer Weise verschärfen sie aber die ohnehin schon prekäre Situation von Frauen aus der Arbeiter*innenklasse auf vielen Ebenen. 

von Chiara Stenger, Berlin

Die Schließung von Jugendzentren oder die Verkürzung der Öffnungszeiten, wie sie in Dresden umgesetzt werden sollen, bringen die Sorgearbeit, die eigentlich eine gesellschaftliche Aufgabe sein sollte, wieder nach Hause ins Private – wo es meist Mütter sind, die vergleichsweise mehr Zeit damit verbringen, auf Kinder aufpassen. So verbringen Frauen durchschnittlich fast 80 Minuten täglich mehr Zeit mit Sorgearbeit. Bei Müttern von Kleinkindern liegt die Differenz sogar bei mehreren Stunden täglich.

Kürzungen verschärfen doppelte Belastung von Frauen

Die Einschränkung von Angeboten für Kinder und Jugendliche bedeutet neben dem enormen Einschnitt für die Kinder selbst also auch eine Verschlechterung, insbesondere für Mütter. Vor allem für alleinerziehende Mütter (und Väter) oder die, die wegen langer Arbeitszeiten auch finanziell auf kostenlose Betreuungsangebote nach der Schule angewiesen sind, führen solche Kürzungen und mögliche Schließungen zu existentiellen Problemen. Dies liegt auch daran, dass Frauen durchschnittlich vier Euro weniger pro Stunde verdienen, häufiger von (Alters-)Armut betroffen und mit größerer Wahrscheinlichkeit von ihren Partnern ökonomisch abhängig sind. Neben Sexismus und Diskriminierung im Alltag sind arbeitende Frauen durch schlechter bezahlte Lohnarbeit sowie mehr Sorgearbeit doppelt belastet. Statt Kürzungen wären Investitionen in eine gute Kinderbetreuung nötig, um Mütter und Familien und damit auch die vorwiegend weiblichen Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen durch bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu entlasten. Die Sol kämpft für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und ausreichend bezahlbaren öffentlichen Wohnraum, sodass Frauen nicht von ihrem Partner abhängig sind und nicht zum Beispiel aus finanziellen Gründen in gewaltvollen Partnerschaften verharren müssen.

Kürzungen statt Schutz

Kürzungen bei Projekten gegen häusliche Gewalt oder bei Frauenhäusern stellen eine massive Bedrohung für lohnabhängige und arme Frauen dar. Die Gewalt gegen Frauen nahm im letzten Jahr zu: 2023 wurden 360 Frauen Opfer von Femiziden (also dem Mord aufgrund ihres Geschlechts, meist durch ihren (Ex-)Partner). Das ist ein Mord an einer Frau fast jeden Tag. Hinzu kommen über eine Viertelmillion Fälle von häuslicher Gewalt allein 2023, wobei die Anzahl registrierter Fälle von 2022 zu 2023 um 6,5 Prozent gestiegen ist. 70 Prozent der Betroffenen sind weiblich. Hinzu kommt eine vermutlich hohe Dunkelziffer. Aber wie kann das sein? Olaf Scholz nennt sich zwar “intersektionaler Feminist”, Annalena Baerbock spricht von “feministischer Außenpolitik” und die Ampel setzte sich zum Ziel, Frauen vor Gewalt zu schützen. Doch dabei scheiterte sie fatal. Täglich werden deutschlandweit Frauen, die von Gewalt bedroht sind, bei Frauenhäusern abgelehnt, weil es viel zu wenige Plätze gibt. Niedrige Löhne, steigende Preise, hohe Mieten und fehlender Wohnraum verschärfen die Lage weiter – und auch darauf hatte die Ampel keine Antworten. Dass etwa in Berlin nun auch bei der Wohnungsnotfallhilfe gespart werden soll, verschlimmert die Situation zusätzlich für wohnungslose Frauen, die dadurch noch stärker Gefahr laufen, Opfer von Gewaltdelikten zu werden. Nötig wären auch hier statt Kürzungen massive Investitionen auf Kosten der Reichen und Vermögenden!

Klar ist jedoch auch, dass sich unter einer CDU-geführten Regierung mit Friedrich Merz als Bundeskanzler die Situation keineswegs verbessern würde. Merz steht für Angriffe und Kürzungen, die erneut insbesondere Frauen treffen würden. Erst kürzlich sprach er sich gegen die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die Streichung des Paragrafen 218 aus – eine Haltung, die auch Christian Lindner teilt. Dabei verschärfen die ohnehin unzureichenden Angebote für Schwangerschaftsabbrüche vor allem die Lage armer Frauen und Arbeiterinnen, da fehlende finanzielle Mittel es erheblich erschweren, etwa von ländlichen Regionen aus mehrere hundert Kilometer zu reisen, um eine*n Ärzt*in zu finden, die*der Abtreibungen durchführt.

Gemeinsam als Klasse kämpfen

Wir kämpfen gegen Diskriminierung, Alltagssexismus und geschlechtsspezifische Gewalt, die alle Frauen treffen kann. Durch die gesellschaftliche und soziale Ungleichheit, die sich durch Kürzungen verschärfen, wird jedoch deutlich, dass Frauen aus der Arbeiter*innenklasse besonders betroffen sind. Die Fragen nach Gleichheit, Schutz, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Frauen sind deshalb immer auch Klassenfragen. Der Kampf gegen Kürzungen und die aktuell geplanten und noch kommenden Angriffe sowie gegen Diskriminierung muss von Arbeiter*innen und Jugendlichen aller Geschlechter, unabhängig von Herkunft oder Sexualität gemeinsam geführt werden. Männer aus der Arbeiter*innenklasse haben objektiv kein Interesse an Sexismus und der Unterdrückung von Frauen und sind nicht die eigentlichen Profiteure. Niedrigere Löhne für Frauen führen dazu, dass Löhne für alle gedrückt werden, aber der Profit einiger weniger steigt. Sexistische Werbung, die Schönheitsindustrie oder die Sexindustrie führen zur Verbreitung von sexistischen Stereotypen und sind ein gutes Geschäft für den Kapitalismus. Kapitalist*innen, egal welchen Geschlechts, profitieren davon, wenn wir uns als Arbeiter*innen und Arme spalten lassen, anstatt uns zusammenzutun. Ein gemeinsamer Kampf gegen jede Art von Ausbeutung oder Unterdrückung kommt wiederum allen Lohnabhängigen unabhängig von ihrem Geschlecht zugute. In solchen gemeinsamen Kämpfen kann Spaltung, beispielsweise in Form sexistischer Vorurteile, zurückgedrängt werden, indem deutlich wird, dass wir alle ein geeintes Interesse an einem besseren Leben für alle haben – etwas, was uns der Kapitalismus nicht bieten kann! 

Es muss nicht bleiben, wie es ist

Sexismus und Ausbeutung sind nicht “Naturgegebenes” und es gab Zeiten, in denen alle Menschen gleichberechtigt miteinander lebten und niemand unterdrückt wurde. Marxist*innen wie Friedrich Engels oder Alexandra Kollontai zeigten schon früh auf, dass die Unterdrückung der Frau eine ökonomische Basis hat und eng mit der Entstehung von Privateigentum und sozialen Klassen verknüpft ist. Vor der Entstehung  von Gesellschaften, die auf Privateigentum an Produktionsmitteln basierten, lebten Menschen lange Zeit in kooperativen Gemeinschaften. Erst mit der Entstehung von Klassengesellschaften, der Herausbildung von Besitzenden und Besitzlosen und den damit verbundenen Ausbeutungsverhältnissen begann auch die Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen. Der Kampf gegen Unterdrückung muss deshalb auch immer mit dem Kampf für die Überwindung des kapitalistischen Systems und dem Ziel einer sozialistischen und letztlich klassenlosen Gesellschaft verbunden sein, die frei von jeder Art von Unterdrückung und Ausbeutung ist. Die Sol kämpft für dieses Ziel und für jede Verbesserung für Frauen, unterdrückte Minderheiten und alle Arbeiter*innen im Hier und Jetzt. Denn wie auch immer die nächste Regierung aussehen wird: keine der pro-kapitalistischen, bürgerlichen Parteien wird gewillt oder in der Lage sein, die grundlegende Situation von Arbeiter*innen zu verbessern. Deshalb müssen wir uns gemeinsam für eine sozialistische Alternative organisieren, die für die Befreiung der Frau und eine befreite, sozialistische Gesellschaft für alle kämpft!