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Ein kritischer Blick auf die „entwicklungspolitische Zusammenarbeit“ der Bundesrepublik
Im Zuge der Haushaltsberatungen der Bundesregierung für das Jahr 2025 wurde hinsichtlich angestrebter Kürzungen, bzw. Einsparungen besonders im Sozialbereich, auch das ins Visier des Finanzministeriums genommen, was bislang landläufig als „Entwicklungshilfe“ bezeichnet wird, Stichwort: „Fahrradwege in Peru“. In den Medien, besonders den bürgerlichen Printmedien, war oftmals eine gewisse Überheblichkeit bzw. Arroganz gegenüber diesem Politikfeld nicht zu übersehen. Prompt nutzte die FDP diese kurze mediale Aufmerksamkeit und schlug vor, das Entwicklungsministerium in das Auswärtige Amt einzugliedern. Es gehe darum, finanzielle Mittel zielgerichteter als offenes Werkzeug der Außenpolitik im Wettstreit um globale Einflussnahme mit anderen geopolitischen Playern (vor allem China) einzusetzen. Die Durchsetzung politischer Interessen des deutschen Imperialismus in der Welt wird klar benannt. Die Junge Welt vom 14. August 2024 zitiert aus dem FDP-Papier, dass es „nun gelte, diese Mittel (Haushalt des BMZ) wieder zu priorisieren und die politische Steuerung von Projekten“ wiederzugewinnen.
von Georg Heidel
Es ging genauer gesagt dabei um den Haushalt des „Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (BMZ), geführt von der Bundesministerin Svenja Schulze, SPD. Der Haushalt des BMZ soll für 2025 auf 10,3 Milliarden Euro gekürzt werden (2024 standen noch 11,22 Milliarden Euro zu Verfügung). Nun muss bedacht werden, dass der Haushalt für 2024 lediglich 2,35 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes betrug. Angesichts der zunehmenden Verelendung des ärmsten Teiles der Weltbevölkerung durch Kriege, Umweltzerstörung, Klimakatastrophen und brutaler Unterdrückung durch Diktaturen und Warlords ist das ein Hinweis auf die Prioritätensetzung der (gescheiterten) Bundesregierung. Grundsätzlich gilt: Wer sich nicht den politischen Zielen und sogenannten Werten der Herrschenden in Deutschland unterordnet, geht leer aus.
ODA
Die Gesamtsumme der Entwicklungshilfeleistungen liegt allerdings wesentlich höher, sie betrug 2022 knapp 33 Milliarden Euro. Nach Professor Dr. Axel Dreher von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg gingen von den 33 Milliarden circa ein Viertel an die UNO, zehn Prozent wurden für humanitäre Hilfen nach Katastrophen ausgegeben. Der „Rest“ habe Deutschland zum großen Teil nie verlassen. Die Entwicklungshilfeleistungen werden ODA-Leistungen genannt, ODA steht für Official Development Assistance. Die Aufgabe des BMZ ist es nun, die Entwicklungspolitik der Bundesregierung zu steuern. Dies geschieht auf bilateraler, europäischer und multilateraler Ebene. Das Werkzeug des BMZ hierfür ist maßgeblich die „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH“ (GIZ). Die GIZ hat ungefähr 25.000 Beschäftigte, davon circa 17.000 lokale Beschäftigte im Ausland. Auftragnehmer*innen des BMZ sind überwiegend Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die dann konkrete Projekte realisieren. Das können ökologische Projekte, wie zum Beispiel in Kolumbien zur Mülltrennung und Gewinnung von Sekundärrohstoffen, sein, aber auch sinnvolle Radwege im Hochland Perus, die vielen armen Menschen Erleichterungen im Kleintransport ermöglichen, Aufbau von Krankenstationen, Impfkampagnen, Bildungseinrichtungen (besonders für Frauen), Unterstützung bei lokaler Energiegewinnung, usw. Das sind oftmals sinnvolle Projekte, in denen NGO-Mitarbeiter*innen engagiert dringend erforderliche Arbeit leisten.
NGOs
Es wäre allerdings naiv zu glauben, dass alle NGOs Werkzeuge des Guten wären. Viele NGOs setzen politische Absichten der Geberländer, in unserem Fall der Bundesrepublik, um. Es handelt sich dabei auch um Organisationen, die formal unabhängig von den jeweiligen Staaten sind, aber ganz eindeutig darauf abzielen, die politische Entwicklung der „Nehmerländer“ im Sinne der „Geberländer“ zu beeinflussen. Ein schlechtes Beispiel für Aktivitäten von NGOs konnte man an der Einflussnahme der USA in der Ukraine sehen. Seit 2004 wurde dort massiv unter dem Mantel der „Demokratieförderung“ daran gearbeitet, die Ukraine auf den Weg in die Westbindung zu trimmen. Berechtigte soziale Proteste werden nicht selten beeinflusst, um darin die politischen Interessen des Westens zu verankern und missliebige Regierungen durch pro-westliche ersetzen zu können.
Der Großteil des Geldes bleibt aber in Deutschland, zum Beispiel bei Firmen, die an Projekten zur grünen Wasserstoffgewinnung als Energieträger in Afrika arbeiten oder die Zusammenarbeit mit Staaten wie Saudi-Arabien zur langfristigen Energiesicherheit durch wirtschaftliche Kooperationen anstreben. Nach Angaben des BMZ schafft die Entwicklungszusammenarbeit rund 140.000 Arbeitsplätze in Deutschland. Durchschnittlich würde jeder im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit investierte Euro einen deutschen Export in Höhe von 1,80 Euro bewirken. Die Armen der Ärmsten erhalten dabei am wenigsten.
Die humanitäre Hilfe, also zur Bekämpfung des Hungers, der Mangelernährung und einer medizinischen Grundversorgung, zum Beispiel für Geflüchtete, wird häufig nicht direkt an die Institutionen in den betroffenen Gebieten geleistet, sondern über die Vermittlung von Drittstaaten. So wird die dringend benötigte humanitäre Hilfe für die Palästinenser*innen in Gaza über Jordanien abgewickelt.
Seit 2023 stieg die Unterstützung in diese Krisen- und Kriegsgebiete (es gibt zahlreiche Geflüchtete aus Syrien, die in Jordanien leben müssen) auf nun 360 Millionen Euro. Hier müssen die unverzichtbaren Hilfen auch deshalb aufgebracht werden, weil die bundesdeutsche Politik andererseits der Zerstörung von Infrastruktur und Lebensgrundlagen in den Gebieten des von Kriegen betroffenen Nahen Ostens nicht aktiv entgegenwirkt. Im Gegenteil: Der Schulterschluss mit der israelischen Regierung bleibt bestehen. Die Beendigung der militärischen und politischen Unterstützung der israelischen Regierung mit ihrem Bombenkrieg gegen die schutzlose Bevölkerung in Gaza wäre aber eine Voraussetzung für eine effektive Hilfe für die Menschen. Auch die Kriegshandlungen der Türkei gegen die kurdischen Gebiete werden hingenommen und es erreichen uns ständig Nachrichten über die Versorgungslage der afghanischen Bevölkerung, der Hunger nimmt größte Ausmaße an.
Was durch aufopfernde Arbeit von internationalen Helferinnen und Helfern unter schwierigsten Bedingungen Enormes geleistet wird, wird durch imperialistische Kriege und Unterstützung diktatorischer Regime wieder bedroht und vernichtet. Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit dürfen nicht das Feigenblatt einer ansonsten zerstörerischen Außenpolitik sein. Deshalb sollten Linke die humanitäre Hilfe des BMZ gegen die Angriffe aus den Reihen der etablierten prokapitalistischen Parteien verteidigen und gleichzeitig eine demokratische Entscheidung und Transparenz über den Einsatz der Gelder fordern und erklären, dass nur eine gänzlich andere, nämlich sozialistische, Weltwirtschaftsordnung die Ursachen für die Unterentwicklung, den Hunger und das Elend, welche die sogenannte Entwicklungshilfe nötig machen, aufheben kann.
Was die Verteilung der Mittel betrifft, ist doch interessant, dass 2024 der größte Einzelanteil an ODA-Zahlungen an die Ukraine (ohne Militärhilfe) in Höhe von 1945,49 Millionen Euro erging. An die VR China gingen 495,7 Millionen und an Indien 444,59 Millionen Euro. Nach neun weiteren Ländern kam dann Peru. An die ärmsten Entwicklungsländer gingen gerade mal 13,1 Prozent der bilateralen Hilfen aus Deutschland.
Neokolonialismus
Das BMZ hat den Anspruch, durch seine Arbeit zur Verwirklichung der Menschenrechte, der Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheit, Schutz des Klimas und der Artenvielfalt, guter Bildung, Geschlechtergleichstellung und weiterer unterstützenswerter Ziele aktiv beizutragen. Die GIZ führt Fortschritte und Projekte auf, die diese Ziele erreichen sollen. Hierzu gehören die Umsetzung des Corona-Sofortprogramms, die Gründung der Allianz für Entwicklung und Klima, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, der Grüne Kopf (Staatliches Textilsiegel), Vertiefung der Partnerschaft mit Afrika, die Verbesserung der weltweiten Ernährung, der Schutz der Artenvielfalt und der Wälder. Unbestreitbar gibt es da Fortschritte, mit viel Engagement zahlreicher Aktivist*innen weltweit. Dennoch muss betont werden, dass vieles nur Reparaturarbeiten sind, die von den „Geberländern“ durch ihre frühere Kolonialherrschaft oder heutige neokoloniale Politik verursacht wurden und werden. Die Spur des Kolonialismus wirkt bis heute nach und reißt nicht ab, die Ausbeutung in vielen Ländern des globalen Südens setzte sich nach Erreichung der formalen Unabhängigkeit vieler Länder unter imperialistischen Bedingungen fort.
Ein weiterer Blick auf die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent: Das Engagement der Bundesrepublik wie der gesamten EU ist von geopolitischen Interessen geleitet, bei dem die vermeintlichen Menschenrechtsinteressen eine völlig untergeordnete Rolle spielen. Am Beispiel der wirtschaftlichen Beziehungen zu Nigeria wird dies sehr deutlich. Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas und aufgrund seiner geografischen Lage südlich der Sahelzone und seiner relativ entwickelten Verkehrs- und Industrie-Infrastruktur von besonderem Interesse für die EU und Deutschland. Nigeria verfügt auch über eine relativ gut ausgebildete große Arbeiter*innenklasse, diese soll aber in Schach gehalten werden. Dass die Menschenrechte bei der Zusammenarbeit eine geringe Rolle spielen, haben Gewerkschafter*innen und Angehörige sozialistischer Organisationen in Nigeria gerade aktuell in diesem Jahr erneut erfahren müssen. Willkürliche Verhaftungen von Aktivist*innen aufgrund ihres Eintretens für Menschen- und Gewerkschaftsrechte sind keine Seltenheit.
Die Länder südlich der Sahara gehören zu den rohstoffreichsten Gebieten der Erde. Erze, fossile Energierohstoffe, Edelmetalle, Diamanten etc. sind von den Industrienationen begehrt und insofern treffen die wirtschaftspolitischen Rivalen wie die EU und China auch dort aufeinander. Bei dem Wettlauf um die Ressourcen des afrikanischen Kontinents werden die viel besungenen Menschenrechte den ökonomischen, das heißt kapitalistischen, Interessen untergeordnet.
Kapitalismus abschaffen
Ginge es wirklich darum, den Menschen in diesen Regionen dabei zu helfen, die größten Probleme anzugehen, dann müsste es eine mögliche, radikale Umsteuerung der „menschenrechtsbasierten“ Realpolitik geben. Der jüngste Welternährungsbericht der UN berichtet, dass über 7,5 Millionen Menschen unterernährt „leben“, ohne ausreichendes Trinkwasser, Nahrung und medizinische Versorgung. Zweidrittel der von Hunger betroffenen Menschen leben in Afrika, dem Nahen Osten und Westasien. Ursachen dafür sind zum Teil extremen klimatischen Veränderungen (Dürren und Überschwemmungen) geschuldet. Kriege sind eine weitere Ursache. Allein die Kriege in den letzten zwanzig Jahren (zum Beispiel Irak, Syrien, Somalia, Libyen, Sudan, Palästina) ziehen sich wie Spur der apokalyptischen Reiter des Imperialismus durch diese Regionen der Welt.
Die beste Hilfe für eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit wäre die Beendigung der Kriege und der Kampf gegen den Hunger in den betroffenen Gebieten, stattdessen geht die Spirale von Umweltzerstörung (betroffen sind meistens die ärmsten Länder auf der Erde) und einer menschenverachtenden Wirtschaftspolitik, bei der die Profitinteressen des Kapitals über die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschheit gestellt werden, weiter – ein weiterer Grund, mit diesem System zu brechen und für eine sozialistische Gesellschaft zu kämpfen.
Da das jedoch nur durch die organisierten Arbeiter*innenklasse der Welt erreicht werden kann, ist die beste „Entwicklungspolitik“ der Aufbau einer internationalen sozialistischen Arbeiter*innenbewegung. Gewerkschaften und linke Parteien in den Staaten der Industrienationen haben die Verantwortung, den Aufbau einer unabhängigen Arbeiter*innenbewegung, von Gewerkschaften und Arbeiter*innenparteien, Streiks und Protestbewegungen politisch und materiell zu unterstützen. Die Sol ist Teil des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) und leistet dazu einen Beitrag.
Georg Heidel ist Mitglied der Sol Berlin. Er war viele Jahre Personalrat und aktiver Gewerkschafter bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) und ist heute als Rentner weiterhin in der Gewerkschaft und Antikriegsbewegung aktiv.