Den Marxismus verstehen und anwenden

Manifest-Verlag veröffentlicht ausgewählte Schriften von Lynn Walsh aus fünf Jahrzehnten

Am 15. November 2024 starb Lynn Walsh, der jahrzehntelang ein führendes Mitglied des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) war, der internationalen Organisation, der die Sol angehört. Aus diesem Anlass veröffentlicht der Manifest Verlag eine Sammlung seiner Schriften.

Von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

Lynn Walsh war seit 1964 Mitglied unserer britischen Schwesterorganisation (Militant-Tendenz, heute Socialist Party). In den 1980er Jahren war er einer von fünf Redakteur*innen ihrer Wochenzeitung „Militant“, dann der Herausgeber ihres Magazins (erst „Militant International Review“, heute „Socialism Today“). Er war Mitglied der Leitung der Socialist Party und des Internationalen Sekretariats, des obersten Leitungsgremiums des CWI.

Breites Themenspektrum

Seine Schriften umfassen eine Vielzahl von Themen. Wir haben uns auf die Themen konzentriert, von denen wir denken, dass sie für deutschsprachige Leser*innen heute und in den kommenden Jahren interessant sein werden. Neben Beiträgen zu allgemeinen Fragen des Sozialismus gibt es Abschnitte zu den Themen Imperialismus und Krieg, Wirtschaft, USA, Europa, Stalinismus und Restauration des Kapitalismus und Faschismus, Rechtspopulismus und Reaktion.

Mit Deutschland speziell befasst sich vor allem ein Artikel vom Frühjahr 1990, der erklärt, dass eine Wiederherstellung des Kapitalismus in der DDR und eine kapitalistische Vereinigung Deutschlands möglich geworden war. Aber zum Beispiel auch in seinen Texten zu Europa wird die Rolle des deutschen Imperialismus, besonders in der Schuldenkrise Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder in den 2010er Jahren behandelt.

Verständnis der Lage nach 1989

Auch wenn die Texte aus dem Zeitraum 1966 bis 2016 stammen (danach war er leider aufgrund von Krankheit extrem eingeschränkt) liegt ihr Schwerpunkt auf der Phase nach 1989. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zum Verständnis, wie es zum Zusammenbruch des Stalinismus und zur Wiederherstellung des Kapitalismus in der DDR, Osteuropa, der Sowjetunion und China kommen konnte.

Sie analysieren die wirtschaftlichen Veränderungen im Kapitalismus, die mit Schlagworten wie Neoliberalismus und Globalisierung bezeichnet wurden. Sie erklären aber auch, warum diese Veränderungen die strukturelle wirtschaftliche Krise, unter der der Kapitalismus seit dem Ende des Nachkriegsaufschwungs 1974-75 litt, keineswegs überwunden haben. Vielmehr spielten bei den Wirtschaftsaufschwüngen das Aufblähen von Spekulationsblasen und Aufhäufen von Schuldenbergen eine große Rolle. Auf diese Weise bereiteten sie die heutige multiple Krise des Kapitalismus mit vor.

Ein Thema ist die Stärkung des US-Imperialismus durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Grenzen seiner Macht.

Die Texte behandeln auch die Rechtsentwicklung der internationalen Sozialdemokratie, die sie aus Arbeiter*innenparteien mit bürgerlicher Führung in rein bürgerliche Parteien verwandelte, und das Aufkommen rechtspopulistischer Strömungen und Organisationen international.

Als Beitrag zum Verständnis der Welt, in der wir heute leben, sind die Texte auch Waffen zum Kampf für ihre Veränderung hin zum Sozialismus.

Marxismus als Methode

Bei den verschiedenen behandelten Themen machen Lynn Walshs Texte deutlich, dass es nicht genügt, empirische Daten zu sammeln, sondern dass zu ihrem Verständnis ihre Einordnung durch die marxistische Theorie notwendig ist. Sie machen aber auch deutlich, dass dieser Marxismus kein starres Dogma ist, sondern eine lebendige Methode, die schöpferisch zum Verständnis neuer Phänomene und Entwicklungen angewandt werden muss. Wenn die Texte Leser*innen helfen, sich diese Methode anzueignen und mit ihr die Entwicklungen der Gegenwart und Zukunft zu untersuchen, würde uns das besonders freuen.