„Dem Kapitalismus die Todesspritze geben“

Vierte Sol-Bundeskonferenz: Mehr Mitglieder, neue Ortsgruppen, erfolgreiche Kämpfe

Die vierte Bundeskonferenz der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol) war ein voller Erfolg. Vom 11. bis 13. April kamen 130 Mitglieder und Gäste aus 20 Orten zusammen. Internationale Gäste nahmen aus England, Frankreich, der Schweiz, Österreich, Schweden und Rumänien teil.

von Merlin Koller, Hamm

Die Konferenz war nicht nur größer, als die vorherige, was das Wachstum der Sol ausdrückte, es wurden auch drei neue Ortsgruppen in Hamburg, Köln/Bonn und Kassel anerkannt. Diese entwickelten sich aus der Online-Ortsgruppe heraus, welche auf der letzten Konferenz anerkannt worden war und Mitglieder zusammen bringt, die alleine oder zu zweit vor Ort sind. Für viele Teilnehmende war dies die erste Konferenz und somit auch die erste Gelegenheit, um mit Mitgliedern aus anderen Orten ins Gespräch zu kommen.

Es wurden drei Resolutionen verabschiedet: zur politischen Lage in der Welt und in Deutschland, zum Aufbau der Sol und zur Gewinnung und Förderung von Genossinnen. Außerdem wurde ein neuer Bundesvorstand, eine Kontrollkommission und Revisor*innen gewählt.

Die Welt in einer neuen Periode

Die Bundeskonferenz tagte vor Hintergrund einer zunehmend krisenhaften Weltlage. So ware diese auch das erste Thema für das Plenum der Konferenz. Sean Figg vom Internationalen Sekretariat des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI) leitete dies Debatte ein, die aufgrund der Kürze der Zeit nur Schlaglichter auf die Krisen und Katastrophen des weltweiten Kapitalismus werfen konnte.

In den USA ist Donald Trump zum zweiten Mal Präsident und führt einen wesentlich härteren Kurs als zu seiner ersten Amtszeit. Das gilt im Inneren, beispielsweise mit einer wesentlich aggressiveren Politik gegen Migrant*innen, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst oder Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Außenpolitisch fährt die US-Regierung einen deutlich aggressiveren und protektionistischen Kurs mit der Einführung von massiven Zöllen und mit Gebietsansprüchen in eigentlich verbündeten Staaten. Dadurch sind diese Bündnisse nicht automatisch nichtig, aber es bestätigt unsere Analyse einer multipolaren Weltordnung, in der zwei Supermächte – die USA und China – um die Vorherrschaft kämpfen und viele kleinere Mächte gezwungen sind, sich neu zu orientieren und unterschiedliche und wechselnde Allianzen bilden müssen.

Es existiert eine völlig neue Weltlage, in der Kriege, militärische Konflikte und Aufrüstung zunehmen und die Gefahr einer neuerlichen Weltwirtschaftskrise massiv zugenommen hat. Aber wir sehen weltweit auch Massenproteste. In den USA gehen Millionen gegen die Trump-Regierung auf die Straße. In der Türkei war die Verhaftung von Istanbuls Oberbürgermeister İmamoğlu Auslöser für Proteste gegen Erdoğans Regierung. Darüber berichtete ein Genosse aus Berlin, der an der Demonstration von über einer Million Menschen Anfang April in Istanbul teilgenommen hatte. In Griechenland und Belgien fanden Generalstreiks statt. In Israel protestieren Tausende für die Freilassung der Geiseln und ein Ende des Krieges. Die Klassenpolarisierung verschärft sich international und die Arbeiter*innenklasse versucht immer wieder, den Weg des Kampfes einzuschlagen.

Sean Figg vom Internationalen Sekretariat zu den Weltperspektiven

Deutsche Perspektiven

Die Debatte zur Lage in der Bundesrepublik wurde von Tom Hoffmann von der Sol-Bundesleitung eingeleitet. In Deutschland steht das dritte Rezessionsjahr bevor. Vor diesem Hintergrund sind massive Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse zu erwarten. Mehr noch als vorherige Regierungen, wird eine Regierung um Merz als Kanzler einen Klassenkampf von oben führen, um die Profite der Banken und Konzerne zu sichern. Die Schuldenbremse für Rüstungsausgaben wurde bereits abgeschafft. Die Kosten dafür wird die Arbeiter*innenklasse zahlen. Derweil versuchen bürgerliche Kräfte die Arbeiter*innenklasse entlang von Herkunft und Religion zu spalten. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in den fortschreitenden Angriffen auf das ohnehin ausgehöhlte Asylrecht und die so genannte „Migrationsdebatte“ wieder, die zur Ablenkung von den eigentlichen gesellschaftlichen Missständen und ihren tatsächlichen Verursacher*innen dient. Die AfD nutzt dabei die zunehmende Übernahme migrationsfeindlicher Positionen durch die etablierten Parteien ebenso aus, wie berechtigter Unzufriedenheit über diese. Dadurch wurde sie bei den Bundestagswahlen zur zweitstärksten Kraft.

Auf kommunaler Ebene sehen wir in vielen Orten massive Kürzungen in den Bereichen wie Soziales, Gesundheit oder Kultur. Gleichzeitig sehen wir große Proteste. Gegen Rassismus, AfD und Merz’ CDU konnten wir so große Mobilisierungen beobachten, wie schon lange nicht mehr. Gegen kommunale Kürzungen gibt es in verschiedenen Städten beeindruckende, teils erfolgreiche Kämpfe. Und nicht zuletzt zeigt das überraschend hohe Ergebnis der Linken bei den Bundestagswahlen, dass sich viele Menschen nach sozialer Verbesserung sehnen und einer linken Alternative offen gegenüberstehen, wenn sie das Gefühl haben, dass diese sich ihrer alltäglichen Sorgen annimmt.

Die Debatte wurde stark von in Betrieben und Gewerkschaften aktiven Sol-Mitgliedern geprägt, die aus ihren Kämpfen und den Debatten in den Gewerkschaften berichteten. Angelika Teweleit von der Sol-Bundesleitung fasste die Debatte in einem Schlusswort zusammen und betonte, welche Möglichkeiten für den Aufbau einer sozialistischen Kraft sich aus den diskutierten Entwicklungen ergeben.

Die Linke

Sascha Staničić leitete daraufhin die Debatte zur Situation der Linken und der Mitarbeit von Sol-Mitgliedern in der Partei ein. Es bestand Einigkeit, dass sich mit dem Wahlerfolg bei der Bundestagswahl, aber vor allem aufgrund des großen Mitgliederzustroms eine neue Situation entwickelt hat, die es nötig macht, dass Sozialist*innen sich wieder verstärkt in die Partei einbringen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass diese die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt und eine kämpferische und sozialistische Ausrichtung entwickelt.

Sascha Staničić zur Entwicklung der Linken

Die Sol hatte Die Linke in den letzten Jahren nie gänzlich abgeschrieben und weiterhin eine Haltung der kritischen Unterstützung und Mitarbeit aufrechterhalten, die praktische Mitarbeit aber in den meisten Orten stark reduziert. Nun bestand Einigkeit, sich wieder verstärkt in die Partei einzubringen.

Dabei werden wir weiterhin kritisch gegenüber der Führung der Linkspartei sein, uns gegen eine Fokussierung auf Parlamentarismus und vor allem gegen Regierungsbeteiligungen mit prokapitalistischen Parteien aussprechen. Es ist wichtig, mit den vielen Neumitgliedern darüber ins Gespräch zu kommen, wie eine sozialistische Alternative aussehen kann.

In der Diskussion berichteten viele Mitglieder aus ihren Erfahrungen im Wahlkampf und bei Treffen, Veranstaltungen und Aktionen der Partei.

Die Kräfte des Marxismus aufbauen

In einer Diskussion über den Aufbau der Sol, wurde besprochen, welche Lehren wir aus der bisherigen Arbeit ziehen können und welche Arbeitsschwerpunkte in der nächsten Zeit sinnvoll sind.

Die Konferenzteilnehmenden waren sich einig: die Bilanz des Sol-Aufbaus seit der letzten Konferenz vor knapp anderthalb Jahren ist positiv! Neben einem Wachstum der Organisation in bereits bestehenden Ortsgruppen, wurden am Wochenende drei neue Ortsgruppen anerkannt: In Hamburg, Köln/Bonn und Kassel. Die Genoss*innen dieser drei Orte waren zuvor Teil einer bundesweiten Online-Ortsgruppe, die auf der letzten Konferenz gegründet worden war. Nicht nur die OG-Gründungen in diesen Orten, sondern auch die Fähigkeit und Entschlossenheit der übrigen Genoss*innen, die Online-OG fortzuführen, führten zu Optimismus, dass aus der Online-Ortsgruppe heraus schon bald weitere Gruppen, zum Beispiel in Nürnberg, Karlsruhe oder Leipzig, entstehen können.

Sol-Mitglieder sind aber auch aktiv in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Besonders hervorgehoben wurdeen die Erfolge der Ortsgruppe in Dresden, die es geschafft hat, gemeinsam mit anderen Aktivist*innen eine Bewegung gegen kommunale Kürzungen auf die Beine zu stellen und einen Großteil der ursprünglich vom dortigen Oberbürgermeister geplanten Kürzungen abzuwehren. Die Lehre, die daraus gezogen wird ist, dass auch eine geringe Zahl von Marxist*innen zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Programm einen entscheidenden Unterschied für Klassenkämpfe und Protestbewegungen machen kann.

Bei den stürmischen Zeiten, in denen wir uns befinden, ist es nicht einfach, klare Prioritäten zu setzen. Wir werden uns weiterhin in Bewegungen gegen Kürzungen, Rassismus, in die Mieter*innenbewegung und Proteste gegen Aufrüstung und Militarismus einbringen. Unmittelbar bevor steht die Gewerkschaftskonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wo wir unsere Ideen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik und die Notwendigkeite einer oppositionellen Vernetzung hineintragen werden. Innerhalb von ver.di rufen wir zur Zeit für eine Nein-Stimme bei der Mitgliederbefragung zum Tarifergebnis bei Bund und Kommunen auf und bereiten uns auf die Tarifrunde der Länder vor. Wir werden weiterhin das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di mit anderen Kolleg*innen aufbauen, und die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), sowie andere Vernetzungsinitiativen bei der Bahn, der Post und anderen Bereichen unterstützen. Mit dem Aufruf „Wir schlagen Alarm!“, mit dem auch über linke Gewerkschaftsoppositionelle hinaus mobilisiert wird, konnten schon erste Proteste in Berlin und Dresden organisiert werden und wollen wir Kolleg*innen vernetzen, um Proteste gegen Kürzungen in Zukunft anstoßen zu können.

Die politische Ausbildung der Mitglieder wird eine permanente und wachsende Aufgabe, angesichts der vielen neuen Mitglieder, sein. Ein besonderes Augenmerk wurde auf der Konferenz auf die Gewinnung und Förderung von Frauen gelegt, nachdem wir festgestellt hatten, dass das Geschlechterverhältnis innerhalb der Sol zu Wünschen übrig ließ. Bereits im letzten Jahr führte die Sol deshalb ein Frauenseminar durch. Schon die seit Monaten darüber geführte Diskussion hatte einen positiven Effekt, so hat die Berliner Sol in den letzten Wochen zehn neue weibliche Mitglieder gewonnen. Auch dieses Jahr ist ein solches Seminar geplant, das einen Beitrag zur Erarbeitung eines neuen Programms gegen Sexismus und Diskriminierung leisten soll. Auch die Zahl der nicht-binären Mitglieder hat sich seit der letzten Bundeskonferenz deutlich erhöht. Nicht nur deshalb beschloss die Konferenz, in der Organisation eine Diskussion zur Programmatik gegen die Diskriminierung von LGBTQI+-Personen zu führen.

Darüber hinaus wurden einige neue Veröffentlichungen vorgestellt. Darunter eine Broschüre zu Ostdeutschland, die bereits zur Konferenz veröffentlicht wurde. Zeitnah wird eine Sammlung von Texten unseres verstorbenen englischen Genossen Lynn Walsh erscheinen und eine Broschüre zu unserem Programm im Kampf gegen Rechts. Der von der Sol geführte Manifest-Verlag stellt weiterhin eine wichtige Stütze bei der Bildung der Mitglieder dar und erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit in der breiteren Linken. Der Verlag plant eine Reihe von Büchern zu verschiedenen Themen, darunter eine Biographie Walter Rodneys, ein Buch von Peter Taaffe zum Vietnam-Krieg und eine marxistische Schrift von Pete Dickenson zum Kampf gegen den Klimawandel. Trotz wachsenden Umsatzes steht der Verlag jedoch vor finanziellen Herausforderungen, weshalb eine Kampagne beschlossen wurde, die Unterstützer*innen des Verlags zu regelmäßiger finanzieller Unterstützung gewinnen will.

Nach der Behandlung von über einhundert Änderungsanträgen zu den Resolutionen wurden diese mit jeweils überwältigender Mehrheit bzw. einstimmig beschlossen und ein neuer Bundesvorstand, sowie eine Kontrollkommission und Revisor*innen gewählt. Zum Abschluss hielt Robert Bechert einen Bericht über die Entwicklung des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (CWI), in dem unter anderem darauf hingewiesen wurde, dass das CWI sich gerade in Diskussionen mit sozialistischen Organisationen und Gruppen in Schweden, Rumänien, Israel/Palästina, Kasachstan und Indonesien befindet.

Anne Pötzsch, eine führende Aktivistin der Proteste gegen Kommunale Kürzungen in Dresden, verabschiedete die Teilnehmenden mit einer kurzen, aber mitreißenden Rede. Die gelernte Krankenpflegerin und angehende Ärztin sagte darin, dass sie nicht Ärztin am Krankenbett des Kapitalismus sein will, diesem aber die Todesspritze verabreichen möchte. Nach einer erfolgreichen, dreitägigen Bundeskonferenz kehrten die Mitglieder wieder in ihre Orte zurück, um mit der Umsetzung der Beschlüsse zu beginnen, sich auf kommende Kämpfe vorzubereiten und die Kräfte des Marxismus weiter aufzubauen.