„Ein großer Erfolg unserer Proteste“

Dresden: In einer zehnmonatigen Kampagne wehrt ein Bündnis drastische Einsparungen im städtischen Haushalt ab. Kürzungen gibt es trotzdem.

Im Spätsommer 2024 ging durch die Lokalpresse der Stadt Dresden, dass Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) und Verwaltung einen drastischen Kürzungshaushalt planen. In einem zehnmonatigen Abwehrkampf hat das von Sol-Mitgliedern mitgegründete „Bündnis gegen Kürzungen“ die „Liste der Grausamkeiten“ deutlich abmildern können. Die Stadt Dresden stellte nach massivem Druck einige Prestigeobjekte ein, fand 20 Millionen Euro an Haushaltsüberschüssen, plante Mittel um und nahm Kredite auf. Wir reden mit drei Aktivist*innen über ihre Erfahrung in dem Kampf gegen die Kürzungen in Dresden:

Max Eilers: Student, aktiv bei Jugend für Sozialismus
Anne Pötzsch: Studentin, gelernte Krankenpflegerin und Petentin für die Kampagne
Dorit Hollasky: Sozialarbeiterin, Sprecherin des „Bündnis für Pflege“ Dresden

Eine zehnmonatige Kampagne gegen den drastischsten Sparhaushalt in der Stadtgeschichte liegt hinter Euch. Wie bewertet Ihr das Ergebnis?

Max: Es ist ein großer Erfolg unserer Proteste, weil wir die schlimmsten Einsparungen verhindern konnten. Aber man muss nicht einmal allzu genau hinsehen, um trotzdem zu sehen, dass es sich auch bei dem verabschiedeten Haushalt um einen Sparhaushalt handelt.

Dorit: Wir haben Millionen Euro für die Dresdner Arbeiter*innenklasse zurückgewonnen und haben jetzt, wenn man so will, eine „Liste der Härten“. Gekämpft haben wir gegen einen Haushalt, der eine „Liste der Grausamkeiten“ war.

Anne: Und grausam war der ursprüngliche Haushaltsentwurf wirklich: 150 Stellen bei den Dresdner Verkehrsbetrieben sollten gestrichen werden, zwei der vier Standorte der Anlaufstelle für die Gerontologische Demenz, Alzheimer – kurz Gerda – sollten geschlossen werden. Dazu ein Bad im Stadtteil Gorbitz. Mehrere Schulen sollten nicht weiter ausgebaut oder überhaupt gebaut werden. Die Straßensozialarbeit für Erwachsene (Safe) sollte geschlossen werden, die Sportplätze sollten nur noch 700.000 Euro erhalten, statt der geforderten 10 Millionen, wobei sie eigentlich sogar 20 Millionen Euro bräuchten. Die KITA-Beiträge sollten pro Kind und Monat um mehr als 100 Euro steigen. Das Kindergeld hätte dann in Dresden nicht gereicht, um die KITA zu bezahlen.

Max: …an 21 Schulen sollte die Sozialarbeit ganz oder teilweise entfallen…

Anne: Man könnte die Liste ewig fortsetzen.

Wieso wollte die Stadt auf einmal einen so ausgeprägten Sparkurs fahren?

Max: Sachsen wollte der Stadt mal einfach so weniger Geld überweisen. Plötzlich klaffte ein Loch von 150 Millionen Euro. Die Begründung war übrigens eine ganz andere: In der öffentlichen Debatte wollte man Tariferhöhungen, Migrationskosten und erhöhte Kosten für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung als Ursache der Kürzungen hinstellen. Dagegen haben wir von Anfang an argumentiert. Das Problem ist, dass man im Kapitalismus große Vermögen ständig schont und dann eben uns belastet. Damit muss Schluss sein!

Wie ist es nun ausgegangen?

Dorit: Besser als befürchtet und das ist ein Erfolg, aber nicht gut und das ist schon auch schlimm. Zumindest wird bei der Schulsozialarbeit nicht gestrichen; die drastische Ausdünnung der Linien bei den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB) unterbleibt, es werden dort auch keine weiteren Stellen abgebaut, eine Reihe sozialer Projekte werden weiter gefördert, so Safe Dresden. Einige Einrichtungen, die bereits geschlossen waren, werden wieder geöffnet. Das Bad Elbamare, das geschlossen werden sollte, bleibt geöffnet und wird von der Stadt gekauft. Die KITA-Beiträge steigen um 8 bis etwas über 20 Euro, aber eben nicht um 100. Bei der Stadt werden 5 Prozent Stellen gestrichen, geplant waren 10 Prozent.

Max: Das ist alles auf der Habenseite, aber viele Dinge haben nicht geklappt: Die beiden Standorte der Gerda in Gorbitz und Prohlis bleiben dicht, der Stellenabbau in der Stadt tut weh und auch bei den DVB wurden 20 neu eingestellte Kolleg*innen kurzerhand in der Probezeit wieder vor die Tür gesetzt. Wir haben das nicht verhindern können.

Wie genau kam es zu der Kampagne?

Dorit: In der Sol haben wir ja sehr früh über drohende Gefahren durch Kürzungen bei den Kommunen diskutiert, was diese Einsparungen für die Arbeiter*innenklasse bedeutet und haben dann mit Kolleg*innen im Dresdner „Bündnis für Pflege“ nach der Kommunalwahl darüber gesprochen was ansteht. Wir haben die Kommunalwahl ausgewertet und dann überlegt, ob wir direkt gegen Kürzungen aktiv werden sollten. Das fanden im „Bündnis für Pflege“ alle gut. Wir haben Gruppen, Gewerkschaften, soziale Initiativen, Einrichtungen der Kultur und viele andere zu einem Treffen eingeladen. Dann ging es auch schon los.

Wie hat die Kampagne ausgesehen?

Anne: Wir haben als „Bündnis gegen Kürzungen“ vielfältige Aktivitäten organisiert: Das wiederkehrende Motto war „Kürzungen? Nicht mit uns!“ Schon im Sommer haben wir vor dem Rathaus protestiert. Da kam nur eine Handvoll Leute. Anfang November haben wir eine Anhörung veranstaltet, auf der von Kürzungen betroffene Einrichtungen und Institutionen erklärt haben, was es bedeuten würde, wenn sie verschwinden würden. Wir haben zehntausende Flyer verteilt, eine kleine Zeitung gegen Kürzungen rausgebracht. Wir haben am 21.11. mit 3000 Personen vor dem Rathaus gegen Kürzungen protestiert. Schon drei Wochen später gab es eine Demonstration mit gut 1500 Menschen.

Max: Wir haben zu jeder Stadtratssitzung vor dem Rathaus gestanden, wir waren laut und in unseren Protesten echt kreativ. Es kamen immer wieder gute Ideen: Mal haben wir ein großes „Nein“ aus Demonstrant*innen geformt, mal Stühle aufgetürmt, für die unzähligen Stellen, die insgesamt gestrichen werden sollten, oder mit Taschenlampen und Handys geleuchtet, damit denen im Rathaus mal ein Licht aufgeht.

Nicht zu vergessen die Petition…

…das war eine der größten in Dresden, oder?

Max: Ja, die drittgrößte. Mehr als 20.000 Menschen haben in gerade mal sechs Wochen unterschrieben. Im Petitionstext haben wir zusammen mit zahlreichen Partner*innen alle Kürzungen abgelehnt und erklärt, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen werden. Außerdem haben wir die Stadt aufgefordert auf teure Prestigeprojekte zu verzichten und sich das Geld von den Reichen zu holen.

Kann das eine Stadt ohne Weiteres?

Max: Man kann die Gewerbesteuer erhöhen, die auf Gewinnen liegt.

Anne: Wir haben auch gefordert, dass die 150 Millionen, die das Land weniger an die Stadt überweisen wird, ausgezahlt werden. Bund und Land könnten sich sehr wohl das Geld von den Reichen holen, nur wollen sich die dortigen Entscheidungsträger eben mit denen nicht anlegen.

Dorit: Die beiden anderen Petitionen, die zu den größten in der Stadtgeschichte gehören, haben sich auch gegen den Haushalt gerichtet: Gegen die geplanten Einsparungen bei den DVB und gegen die Erhöhung der KITA-Gebühren. Unsere hat die Stadt angeblich immer wieder übersehen. Wir mussten ganz schön Druck machen, damit Anne als Petentin vor dem Stadtrat sprechen konnte.

Was hat Euch während der Kampagne am meisten beeindruckt?

Dorit: Dass die Reden immer kämpferischer wurden und immer antikapitalistischer. Am Anfang wollten viele Institutionen der Stadtverwaltung noch erklären, wie schlimm es wäre, wenn sie plötzlich verschwinden würden. Später wurde es immer deutlicher, dass eine Gesellschaft, in der sich ein kleiner Teil den gesellschaftlich geschaffenen Reichtum aneignet das Problem ist, weil dann für uns alle – ob nun hier geboren, zugewandert oder hierher geflohen – viel zu wenig übrigbleibt. Immerhin nennen die reichsten zehn Prozent in Deutschland zwei Drittel des gesellschaftlichen Vermögens ihr eigen; die ärmsten zehn Prozent haben Schulden.

Max: Mich hat beeindruckt wie aktiv und engagiert Jugendliche waren. Wir haben Jugend gegen Kürzungen organisiert und als Gruppe Demos und Flugblattaktionen veranstaltet. Viele Schüler*innen haben für ihre Jugendeinrichtungen und für ihre Sozialarbeiter*innen gekämpft und gegen die Einsparungen bei den Dresdner Verkehrsbetrieben. Und im negativen Sinne hat mich beeindruckt wie undemokratisch so ein Haushalt gemacht wird.

Anne: Dem muss ich zustimmen. Es hat ständig zu Kopfschütteln geführt das zu erleben: 4.000 Einwendungen gegen den Haushalt wurden mal schnell vom Tisch gewischt. Es kam die Drohung, sollten die Kürzungen nicht bald durch den Stadtrat kommen, würde der Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) die „Liste der Grausamkeiten“ eben mit der Verwaltung allein durchbringen.

Max: Eigentlich müsste es anders laufen: Wir bräuchten einen Bedarfshaushalt, in den einfließt, was die Menschen vor Ort wirklich benötigen. Zudem sollten die entscheiden, die den Reichtum erschaffen haben, also die Arbeiter*innen, Jugendlichen und Rentner*innen, egal welcher Herkunft, Nationalität oder Hautfarbe.

Dorit: Ich war schon auch wütend darüber, dass die Gewerkschaften insgesamt wirklich viel zu wenig getan haben. Von einigen DGB-Gewerkschaften haben wir trotz aller Versuche während der Kampagne gar nichts gehört. Eine erfreuliche Ausnahme bildete hier die GEW.

Viele Wähler*innen in Sachsen und Dresden hofften bei der letzten Wahl auf die AfD. Wie hat die sich während der Kampagne verhalten?

Anne: Die haben kräftig mit gespart. Als Anfang des Jahres erstmal 18 Einrichtungen dicht gemacht wurden, von denen wir einige dann doch noch retten konnten, hat die AfD das mit durchgewunken. Zusammen mit einer FDP-Abspaltung im Stadtrat wollten sie gerade bei den DVB massiv kürzen. Wer sich auf die AfD im Kampf gegen Sozialabbau verlässt, ist verlassen.

Nun ist der Kampf fürs Erste zu Ende. Wie soll es nun weitergehen?

Dorit: Wir haben eine Art Alarmsystem etabliert. Sobald es wieder zu Kürzungen, Angriffen oder Privatisierungen kommt, wollen wir uns schnell wieder an einen Tisch setzen und dagegen aktiv werden. In die nächste Haushaltsdebatte werden wir auch wieder eingreifen, das steht für uns schon fest.

Max: Mittel- und langfristig brauchen wir eine politische Vertretung, die Kürzungen abwehrt und zum kapitalistischen System eine Alternative anbietet, die kann nur demokratisch und sozialistisch sein. Dafür gibt es gerade einzig den Ansatz der Partei Die Linke. Die muss kämpferisch, demokratisch und sozialistisch sein. Dafür wollen wir als Sol-Mitglieder in der Linken kämpfen. Was wir im Rahmen der Kampagne auch geschafft haben, ist die Gründung einer Gruppe von Jugend für Sozialismus in Dresden.

Anne: Gerade jetzt, wo uns eine CDU-SPD-Kahlschlag-Regierung droht, müssen sich die Gewerkschaften aus der Umarmung der SPD lösen und Kämpfe gegen Einsparungen, Rassismus und Entlassungen organisieren.