
Die russische Armee ist auf dem Vormarsch, Unzufriedenheit in beiden Ländern wächst
Im Stellungs- und Ressourcenkrieg läuft die Uhr gegen die Ukraine. Trumps Versprechungen, Frieden zu schaffen, sind erwartungsgemäß geplatzt.
von Steve Hollasky, Dresden
„Trümmer von Städten und Dörfern… Und dazwischen Trümmer von zerschmettertem Menschenglück“, schrieb Rosa Luxemburg während des Ersten Weltkriegs. Die Verheerungen imperialistischer Kriege gleichen einander.
Der Stellungskrieg in der Ukraine lässt die Ressourcen beider Seite dahinschmelzen – nur sind die russischen größer. Nach Schätzungen militärischer Fachleute kann der Kreml auf diese Art noch zwei bis drei Jahre kämpfen. Die Ukraine wird dann bereits ausgeblutet sein.
Die gefeierten ukrainischen Erfolge beim Angriff auf Kursk sind durch eine unbarmherzige russische Offensive nun getilgt. Die Verluste an Fahrzeugen sollen dort bei 1:1 liegen – ein militärisches Debakel Kiews, das seine kampfstärksten Einheiten zur Ader gelassen hat. Eliteverbände wie die 47. Brigade sind ausgedünnt. Die Russen würden „wie Wasser kämpfen“ heißt es bei der ukrainischen Truppe. Sie sickern in Frontlücken und besetzen in Zangenbewegungen die zwischen den Einbrüchen liegenden Gebiete.
Brutale Rekrutierungen
Kiews Militär fehlt es vorrangig an einer Ressource, die durch den Fleischwolf gedreht werden soll: Es hat zu wenige Soldat*innen. Brigaden müssen Frontbreiten von dreißig Kilometern absichern. Zugleich sind sie mit Ist-Stärken von 2500 Soldat*innen bei einem Soll von 4500 unterbesetzt. Längst verpuffen Werbeoffensiven wie die der 3. Sturmbrigade, die mit stark sexualisierten Bildern versucht, Jugendliche zu gewinnen.
Wo Bilder leicht bekleideter Frauen nicht mehr helfen, muss Zwang her. Die Rekrutierungsbehörde sucht in den Straßen nach Opfern. Junge Männer werden in Kleintransporter gezerrt und zur Armee verschleppt. Videos in den sozialen Netzwerken dokumentieren die Szenen, die die ukrainische Gesellschaft nachhaltig belasten werden.
Inzwischen verzieren Kleinbusbesitzer ihre Fahrzeuge mit Aufschriften, die beweisen sollen, dass sie nicht Eigentum der Rekrutierungsbehörde sind. Deren Autos, auch das belegen Videoclips, gehen nachts nicht selten in Flammen auf.
Kein Entkommen
Russische Behörden haben eine Handreichung für Frauen herausgegeben, deren Männer von der Front kommen. Man solle sich nicht von hinten annähern und wenn doch, solle man die Männer zuvor sanft ansprechen und vor jeder Berührung Blickkontakt aufnehmen. Die imperialistische Knochenmühle ist der Deformator menschlicher Regungen. Es gibt für beide Seiten vier Wege aus der Hölle der Ostukraine: Versehrt, entmenschlicht, tot oder als traumatisierte Zeitbombe. Die täglichen Verluste der russischen Truppen werden auf eintausend Mann geschätzt. Doch können sie im Monat 35.000 neue Soldaten zuführen. Oft sind es Angehörige nationaler Minderheiten. Militärs arbeiten Lehrbuchseiten ab und setzen Häkchen: Verluste bei Offensiven können gut und gern 5:1 betragen. Wenn die Verteidigung bröckelt, klingen im Generalstab die Gläser.
Verweigerung
Als 1916 vor Verdun französische Soldaten an ihren Generälen vorbei in die Blutpumpe marschierten, blökten sie: Ihr treibt uns wie Lämmer zur Schlachtbank. Russische Soldaten blöken nicht. Sie nehmen Videos auf, fordern ihre Ablösung, bessere Ausrüstung und erklären, nicht mehr kämpfen zu wollen. Zahlreiche junge Männer haben Russland den Rücken gekehrt. An die Front müssen offiziell nur Vertragssoldaten, doch der Druck auf Wehrpflichtige steigt.
In der Schlacht um den Schlüsselort Wuhledar war es das 186. ukrainische Bataillon, das erschöpft die Stellungen verließ und den Krieg bestreikte. Kurz darauf demonstrierte ein ukrainisches Bataillon gegen seine Verlegung in den Donbass. Verteufelt werden beide, wirkliche Held*innen bleiben sie. Die ukrainische Rekrutierungsbehörde geht von 950.000 jungen Männern aus, die sich dem Militärdienst illegal entzogen haben.
Trump schafft keinen Frieden
Trumps Zusicherungen, er werde den Krieg in 24 Stunden oder 6 Monaten beenden, hielten dem Test mit der Realität nicht stand. Weder die Waffenruhe im Schwarzen Meer, noch der Stopp des Beschusses der zivilen Infrastruktur halten. Der Terror der russischen Kriegsführung findet beinahe unvermindert statt. Der ukrainische Gegenterror auf russische Energieanlagen ist nicht mehr als ein Nadelstich und trifft doch die Arbeiter*innenklasse, diesmal die russische.
Derweil verlangen US-Militärs, die Ukraine möge nun auch die 18- bis 25-jährigen einziehen. Soll der Blutzoll kein Ende haben? Trump, Selenskyj, Vance – bürgerliche Politiker, die sich im Oval Office anschnauzen – und Putin im Kreml, ihr Weg zum Frieden geht über den Friedhof.
Den Krieg beenden!
Oberst Markus Reisner, der den Krieg für das österreichische Bundesheer analysiert, ruft nach einem Lenin. Weiß er, was er sagt? Lenins Ausweg kann ihm kaum gefallen, hieß er doch 1917 wie heute Revolution. Die Soldat*innen sollen nicht aufeinander, sondern gemeinsam auf jene schießen, die sie in die Gräben treiben.
Kiews Regierung verwahrte sich schon 2022 gegen ein Bild in einer Ausstellung, auf dem ein ukrainischer und ein russischer Soldat einander umarmten. Sie wissen, was sie sagen! Der Albtraum der Herrschenden ist die Verweigerung der Beherrschten. Die Waffenlieferungen müssen gestoppt werden und die Gewerkschaften hätten die Pflicht, Aktionen dagegen und gegen Aufrüstung hier zu organisieren.
Der Weg aus dem Gemetzel ist der gemeinsame Kampf der europäischen Arbeiter*innenklasse gegen Waffenlieferungen, Krieg und Terror und für eine sozialistische Alternative zu einer Gesellschaft, die den Krieg in sich trägt, „wie die Wolke den Regen“, wie es der französische Sozialist Jean Jaurès vor dem Ersten Weltkrieg treffend sagte.