Kenia: Wiedererwachter Kampfgeist in erneuten Anti-Regierungsprotesten

Capital FM Kenya, CC BY 3.0 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kenya_2024_protests_%2821%29.jpg

Am Montag, dem 9. Juli 2025, wurden, in Folge von großen Protesten, die Ausdruck der Wut über den staatlichen Angriff auf den Lebensstandard der gemeinen Leute waren, 31 Demonstrierende getötet, über 100 verletzt und über 500 verhaftet. Diese Proteste nahmen ihren Ursprung bereits im Vorjahr als Reaktion auf die schwerwiegenden Steuergesetze von Präsident William Ruto, welcher von den Demonstrierenden den Spitznamen „Zakayo“ erhielt, was eine Anspielung auf den biblischen Steuereintreiber Zacchaeus ist. Diese Zahlen, veröffentlicht von dem staatlich geführten Kenya National Commission on Human Rights (KNCHR), zeigen die Repression gegen jene, welche die Regierung zurecht als eine Bedrohung für ihre Herrschaft sieht.

von Oscar Parry, Socialist Party (CWI England & Wales)

Letzten Monat wurden 11 Personen durch Staatskräfte bei Gegenmaßnahmen gegen Aktionen in Gedenken an den ersten Jahrestag der #RejectFinanceBill2024-Proteste im Vorjahr bei denen wiederum eine Vielzahl an Personen getötet, verletzt oder verschleppt wurden.
Nun zieht eine Welle von Demonstrationen mit tausenden Teilnehmer*innen über mindestens 17 von Kenias 47 Counties. Am “Saba Saba Tag”, einem historisch wichtigen Tag, welcher an den 7. Juli 1990, den Beginn des 90er Jahre Kampfes um Multiparteiliche Demokratie, erhoben sich wieder die Proteste, was die langwierige Tradition des Widerstandes in der kenianischen Arbeiter*innenklasse.

Was diese Proteste unterscheidet, ist der Charakter und die Komposition der Bewegung. Sie wird hauptsächlich von jungen Menschen aus den urbanen Zentren geführt, von denen die meisten unter starker Armut leben und mit den steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen haben. Die Mobilisierung war und ist schnell, dynamisch und durch Soziale Medien wie TikTok weitreichend koordiniert, da die Videos in wenigen Stunden viral gingen.

Trotz der Abwesenheit von wirklichen Führungspersonen oder Koordination mit etablierten politischen Parteien, hat die Bewegung schnell Momentum aufgebaut. Mehrere Journalist*innen und Augenzeug*innen vor Ort beobachteten, das die Proteste traditionelle politische Strukturen überwunden haben – ein Zeichen für die tiefe Enttäuschung von allen Flügeln der herrschenden Elite.

In Furcht vor dieser “Graswurzel-Rebellion” hat die Ruto-Regierung mit verstärkter Repression reagiert. Aktivist*innen wurden in rechtswidrigen Operationen entführt und zu Opfern illegaler Verhöre gemacht. Bewaffnete Banden, die von Demonstrant*innen als staatlich engagierte Schläger beschrieben wurden, attackierten Demonstrant*innen mit Keulen und Peitschen. Die Polizei verwendete Tränengas, Wasserwerfer und scharfe Munition gegen die Teilnehmer*innen größtenteils friedlicher Proteste. Um den Druck weiter zu erhöhen, hat die Regierung der Presse verboten die Proteste live zu übertragen – ein Versuch, die Wachsende Unzufriedenheit zu verdecken.

Wie auch immer, statt die Köpfe einzuziehen und in Deckung zu gehen, reagierten die Kenianer*innen mit verstärkter Entschlossenheit. Die brutale Ermordung von Lehrer und Aktivist Albert Ojwang in Polizeigewahrsam zusammen mit Videomaterial von der Erschießung eines unbewaffneten Straßenverkäufers aus nächster Nähe, wurden zu Sammelpunkten für eine Bewegung, die sich nicht nur gegen eine einzelne Regierung, sondern gegen ein korruptes und ausbeuterisches politisches System stellt.

Es ist wichtig zu bemerken, dass der Regierungsapparat an sich zu bröckeln beginnt. Viele der Soldat*innen und Polizist*innen, welche die Regierung gegen die Demonstrant*innen einsetzt, kommen aus den selben Gemeinschaften wie diese. Daher ist es abzusehen, dass Polizist*innen und Soldat*innen sich in Zukunft Befehlen widersetzen oder sogar auf die Seite des Widerstandes schlagen werden.

Das ist nicht das erste Mal, dass Rutos Administration in den Rückzug geschlagen wird. 2024 zog die Regierung eine Reihe von sehr unpopulären Steuergesetzen zurück und entließ mehrere Kabinettsminister nach wochenlangen Protesten. Diese Demonstrationen erreichten ihren Hochpunkt als einige der Protestierenden das Parlament stürmten, Teile davon in Brand setzten und dadurch einige umstrittene Politiker dazu zwangen, durch Tunnel die Flucht zu ergreifen. An diese Zeit wird sich heutzutage als “The Seven Days of Rage” erinnert. Jetzt, in 2025, hat die Regierung mit einer neu verpackten Reihe ökonomischer Angriffe – diesmal gezielt auf einfachste Grundlagen wie Brot, mobile Transaktionen und Internetnutzung – in einem neuen Steuergesetzesentwurf reagiert.

Ruto, ein reicher Geschäftsmann, hat diese Entscheidungen unter Druck vom International Monetary Fund (IMF), welches eine an ein 3,6 Milliarden Dollar Rettungspaket geknüpfte Austeritätsagenda fährt, getroffen. Eine der Grundvoraussetzungen für den Erhalt des Rettungspakets, war die Erhöhung der Steuereinnahmen und ein massiver Sozialabbau. Die kenianische Regierung verwendet laut der Weltbank aktuell ca. 38 Prozent ihres Einkommens für Schuldenrückzahlungen. Ein schwächelnder kenianischer Schilling und wachsende Zinsraten aufgrund der globalen kapitalistischen Aufruhe haben die Verschuldung verschlimmert. Anfang 2024 konnte die Ruto-Regierung gerade so der Zahlungsunfähigkeit ihrer 2014 aufgenommenen Euroanleihen entgehen, indem sie einen weiteren Kredit von 1,5 Milliarden Dollar bei dem IMF – mit einer Zinsrate von über zehn Prozent aufnahm.

Das imperialistische Schuldenkarussel hat die Kenianer*innen dazu gezwungen, mehr zu zahlen, weniger zu verdienen und Einschnitte bei den öffentlichen Diensten zu ertragen – nur damit internationale Kredithaie und Anleiheinhaber*innen bezahlt werden können. Ausländische Unterstützung geht ebenfalls zurück. Donald Trumps Einsparungen bei USAID haben bereits Zahlungen an Kenia reduziert, was kritische Sektoren wie das Gesundheitswesen stark betrifft. Kenia erhielt 2023 850 Millionen Dollar an Hilfszahlungen, von denen beinahe die Hälfte in das Gesundheitswesen investiert wurden.

Kapitalistische Institutionen zweifeln öffentlich an der Stabilität von Rutos Regierung. The Financial Times hat Rutos Steuerregulierungen als “armselig entworfen” kritisiert, während The Economist ihn eindringlich davon abbringen wollte, bei den Wahlen 2027 anzutreten. Unzufriedenheit verbreitet sich in der ganzen Region. Jugendproteste in Uganda gegen Präsident Yoweri Museveni führten zu Festnahmen, während die #EndBadGovernance-Demonstrationen gegen Präsident Bola Tinubu in Nigeria, die sich ebenfalls gegen Korruption, schlechte Regierungsleitung und Inflation wandten, ebenfalls mit Repression beantwortet wurden.

Trotzdem wird sich Ruto und die herrschende kenianische Elite nicht einfach ergeben. Sie werden versuchen den Sturm vorüberziehen zu lassen, ihre Strategie ändern und ihre unpopulären Maßnahmen erneut in anderer Form einführen. Deshalb muss sich die Bewegung von den spontanen Protesten hin zu langfristig organisiertem Widerstand weiter entwickeln. Die Jugend sollte die Führung im Errichten demokratischer Aktionskomitees in Schulen, Universitäten und Nachbarschaften übernehmen. Diese Organe sollten die breite Arbeiter*innenklasse und arme Bevölkerung ansprechen, um sich simultan zu organisieren und eine vereinigte Front zu bilden, welche in der Lage ist, den Status Quo zu verändern.

Es haben sich bereits einige Stimmen für einen Generalstreik aus den Protesten erhoben – ein wichtiger Schritt vorwärts. Eine ein oder zwei Tage lange Stilllegung im ganzen Land könnte bereits eine gewaltige Machtdemonstration darstellen, neue Schichten der Gesellschaft, vor allem die Arbeiter*innenklasse, in den Kampf ziehen und die Staatsmacht enger in den Schraubstock spannen. Einheit zwischen allen Ethnien und Stammeslinien ist von kritischer Bedeutung, da die kenianische politische Elite Spaltungen an dieser Stelle nutzten, um von den wirklichen Problemen abzulenken und Oppositionsbewegungen zu verlangsamen. Ermutigend ist, dass die jetzige Bewegung diese Unterschiede scheinbar überwunden haben und sich unter der gemeinsamen ökonomischen Unterdrückung vereinigen, welche die Mehrheit im Land bedrückt.

Ruto hat einmal seine Kampagne mit dem Versprechen, die gemeinen Kenianer*innen aus der Armut zu heben, geführt, doch seit seiner Amtseinführung hat er nur den Interessen des globalen Kapitals und lokaler Eliten gedient und Gesetze erlassen, welche das IMF und die World Bank zufrieden zu stellen. Obwohl er aus ärmlichen Verhältnissen stammt und einst eher ein Populist war, ist er nun mit tausenden Fäden an die kenianischen Kapitalinteressen und den Weltimperialismus gebunden. Kenia ist einer wachsenden Liste neokolonialer Länder, gefangen in einer Schuldenspirale, gezwungen in die Austerität und mit wachsendem öffentlichem Widerstand kämpfend, beigetreten.

Die Krise verdeutlicht die Dringlichkeit einer revolutionären politischen Alternative. Keine*r der derzeit existierenden oppositionellen Führer*innen bietet eine wahre Veränderung, da sie alle auch der Klasse der Kapitalist*innen dienen. In Ländern wie Chile, Sri Lanka und Bangladesh waren Massenbewegungen in der Lage ihre Regierungen zu stürzen, nur um die alten oder neue pro-kapitalistische Kräfte wieder an die Macht kommen zu sehen, da es keine kohärente, revolutionäre, sozialistische Partei gab, die in der Lage gewesen wäre die nächsten Schritte zu organisieren. Selbst in Kenia wurden Minister*innen, welche letztes Jahr gezwungen wurden zurückzutreten, wieder eingesetzt, was deutlich dafür spricht, dass sich ohne strukturelle Umordnung nichts wirklich verändert.

Der einzige Weg voran liegt in der unabhängigen Organisation der Arbeiter*innenklasse und der Armen mit dem Ziel, ein auf sozialistischen Prinzipien und demokratischer Kontrolle basierenden Staat zu errichten. So ein Staat würde mit dem gescheiterten Modell des Kapitalismus brechen und die Dominanz von imperialistischen Institutionen wie dem IMF ablehnen. Er könnte den nationalen Reichtum in das Gesundheitswesen, Bildung, Wohnungsbau und Arbeitsplatzbeschaffung investieren, statt Schulden zu tilgen und Reiche reicher zu machen.

Eine neue politische Partei – revolutionär, demokratisch und verwurzelt in den alltäglichen Kämpfen der Kenianer*innen – ist dringend von Nöten. Wenn die Bewegung über ihre Siege und Niederlagen reflektiert, wird der Bedarf an einem Medium um den Kampf zu festigen und vertiefen klar. Diese Frage muss immer eine zentrale Rolle in aufkommenden Debatten über die Zukunft des Widerstands spielen.

Nur durch solche Organisationen können die kenianischen Arbeiter*innenmassen ihre spontanen Aufstände in revolutionären Wandel verwandeln, was die Arbeiter*innenklasse und die Armen des gesamten Kontinents inspirieren würde, ihrem Beispiel zu Folgen.

  • Bezahlt nicht die Schulden! IMF raus aus Kenia! Verstaatlicht die kenianischen Banken und das Finanzsystem unter demokratischer Arbeiter*innenkontrolle.
  • Keine Austerität in jeglicher Form – keine Steuererhöhungen und keine Lohn- oder Ausgabenkürzungen! Organisiert Massenproteste gegen jede Politik, welche dies versucht. Für Preiskontrollen auf alle Grundlagengüter, festgelegt durch demokratische Entscheidung der Gemeinschaften.
  • Führt die Proteste weiter! Organisiert vernetzte Kampfkomitees in den Gemeinschaften, Betrieben, Universitäten und Schulen, um demokratisch die nächsten Schritte der Bewegung zu planen und organisieren.
  • Ruto muss weg! Gegen alle pro-kapitalistischen, pro-imperialistischen und pro-IMF politischen Parteien, Politiker*innen und Ministerpräsident*innen. Beginnt eine Massenpartei der Arbeiter*innenklasse aufzubauen, welche mit einem sozialistischen Programm bewaffnet ist, um mit dem Kapitalismus und Imperialismus zu brechen. Für eine Regierung der Arbeiter*innen und Armen.

Dieser Text wurde zuerst auf englisch veröffentlicht unter: https://www.socialistworld.net/2025/07/10/kenya-anger-erupts-again-in-new-wave-of-anti-government-protests/