
Für ein Ende des genozidalen Kriegs durch Massenmobilisierungen
Am 27. September könnte die bundesweit bisher größte Massendemonstration in Solidarität mit den Menschen in Gaza und im Westjordanland und gegen Besatzung, Vertreibung und Krieg durch die israelische Regierung stattfinden. Die Sol ruft bundesweit zur Teilnahme an der Großdemonstration mit anschließender Kundgebung in Berlin auf und beteiligt sich aus vielen Städten an der Mobilisierung.
Von Chiara Stenger, Berlin
An diesem Tag wird zunächst die “Zusammen für Gaza” Demonstration stattfinden, die am Neptunbrunnen in Berlin startet und dann zur “All eyes on Gaza – Stoppt den Genozid!” Kundgebung am Großen Stern führt. Die Demo wurde initiiert von einer Gruppe aus palästinensischen Aktivist*innen sowie unter anderem Kulturschaffenden, aber auch Özlem Demirel (Mitglied des Europäischen Parlaments für die Linke), Ines Schwerdtner (Co-Vorsitzende Die Linke) und Yusuf As (Vorsitzender des Bundesmigrationsausschusses von ver.di). Die anschließende Kundgebung wurde unter anderem von der Vorsitzenden des Deutsch-Palästinensichen Frauenvereins, Amal Hamad und weiteren initiiert und wird von der Palästinensischen Gemeinde Deutschland, eye4palestine sowie Amnesty International Deutschland und medico international veranstaltet. Bei dieser Abschlusskundgebung werden zudem auch verschiedene Musiker*innen auftreten, darunter die Rapper K.I.Z. und PTK. Zudem gibt es einen breiten Unterstützer*innenkreis für beide Veranstaltungen, bestehend aus Einzelpersonen sowie linken Gruppen, (palästinensische) Diaspora-Gruppen, Organisationen aus dem Bereich Geflüchtetenhilfe, Gruppen mit religiösem Kontext (wie dem Zentralrat der Muslime, pax christi oder das Forum Friedensethik der evangelischen Landeskirche in Baden) und anderen. Hervorzuheben ist die positive Entwicklung, dass auch die GEW Berlin und die Berliner Krankenhausbewegung zur Teilnahme an der Demo und Kundgebung aufrufen.
Auch Die Linke ruft ihre Mitglieder zur Teilnahme an der Demo auf und plant Anreisen aus ganz Deutschland. Das ist eine weitere positive Entwicklung. Wir haben schon lange gefordert, dass es eine breite Mobilisierung durch Die Linke und Gewerkschaften braucht und dazu Anträge eingebracht und diese Forderung in Partei- und Gewerkschaftsgliederungen, in denen wir aktiv sind, hineingetragen.
Einheit im Kampf statt Spaltung
Es ist gut, dass die Kundgebung am 27. September mit dem Ziel organisiert wurde, breiter in die Gesellschaft zu wirken und nicht nur die bestehende Palästina-Solidaritätsbewegung zu mobilisieren. leider ruft nun ein (wenn auch eher kleiner) Teil der Palästina-Solidaritätsbewegung um Boykott der Proteste in Berlin und zu einer alternativen bundesweiten Demo in Düsseldorf am gleichen Tag auf – zu der ebenso bundesweit mit Bussen angereist werden soll, auch aus Berlin.
Dieses Vorgehen spaltet die Bewegung. Teile der Kritik sind legitim – zum Beispiel, dass einige der aufrufenden Organisationen oder bspw. Die Linke schon viel früher zu solchen Protesten hätten aufrufen sollen – etwas, wofür auch wir uns schon lange einsetzten und was viele Aktivist*innen sicher nachvollziehbar frustriert hat. Es bringt die Bewegung jedoch nicht weiter, sich nun deswegen zu spalten. Dass einige Aktivist*innen es falsch finden, dass Amnesty International Deutschland Spenden für die Bühnentechnik und Organisation der Kundgebung sammelt, anstatt direkt für die Menschen in Gaza, ist nachvollziehbar. Es ist jedoch für Außenstehende schwer einzuschätzen, ob eine andere Finanzierung möglich wäre und in jedem Fall sollte das kein Grund sein, sich nicht an dem Protest zu beteiligen. Man kann es zwar als entpolitisierend wahrnehmen, dass es ein Konzert geben wird, aber in erster Linie ist eine Positionierung der auftretenden Künstler*innen und andererseits eine dadurch möglicherweise breitere Mobilisierung positiv. Das kann auch dazu führen, dass Menschen, die bisher auf keinem palästina-solidarischen Protest waren, daran teilnehmen, sich dadurch weiter politisieren, dazu lernen, danach öfter zu Demonstrationen gehen und zu einem Wachsen der Bewegung beitragen.
Weitere Kritik gibt es auch an den Aufruf-Texten: unter anderem, dass diese nicht weit genug gehen und die historischen Hintergründe des heutigen genozidalen Krieges nicht beleuchtet werden. Zudem heißt es von Teilen der Kritiker*innen, dass die Forderungen nicht ausreichen und beispielsweise eine Forderung nach “Frieden” zu kurz greift. Meist gibt es aber großen Interpretationsspielraum, was die Kritiker*innen stattdessen fordern. Die Sol teilt nicht alle Teile dieser politischen Kritik, stimmen aber insofern damit überein, dass es in diesem System keinen dauerhaften Frieden und keine wirkliche Lösung geben kann und daher eine sozialistische Veränderung der Gesellschaften in der Region nötig ist. Es wäre aber von unserer Seite dennoch falsch, eine sozialistische Ausrichtung der Forderungen und des Programms eines Protests zur Vorbedingung für eine Teilnahme zu machen. Im Gegenteil ist es gerade dann nötig, ein sozialistisches Programm in die Bewegung und die großen Proteste zu tragen, anstatt sie zu boykottieren.
Letztlich ist es sektiererisch, eine allumfassende Zustimmung und Abbildung der vollständigen eigenen Position zu einem Aufruf-Text zur Grundbedingung einer Teilnahme zu machen. Diese Debatte, die durchaus legitim ist, zeigt die Notwendigkeit einer demokratisch organisierten Solidaritätsbewegung, in der Fragen von Forderungen und Programm gemeinsam diskutiert werden können (mehr dazu auch hier. https://solidaritaet.info/2025/06/nein-zu-besatzung-ermordung-und-vertreibung-der-palaestinenserinnen-2/). Dies setzt allerdings auch voraus, dass nicht jede Person oder Gruppe für ihre Teilnahme an einem Protest die Bedingung aufstellt, dass alle ihre Forderungen und Formulierungen aufgenommen werden, sondern man sich auf Basis internationalistischer Grundsätze übergreifend zusammen tut. Wir brauchen größtmögliche Einheit auf Basis einiger zentraler Forderungen und eine Debatte um Forderungen und ein Programm gegen den Massenmord, die Besatzung und Vertreibung und für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen.
Grundpositionen einer solchen Bewegung sollten aus unserer Sicht beinhalten:
• Sofortiges Ende der Angriffe auf Gaza und Rückzug der israelischen Armee
• Ende der Belagerung von Gaza und der Besetzung des Westjordanlands
• Sofortiger Stopp des Siedlungsausbaus im Westjordanland
• Nein zum Terror gegen Zivilist*innen
• Freilassung aller zivilen Geiseln und palästinensischen politischen Gefangenen
• Ablehnung von jeder Form von Rassismus und Antisemitismus
• Ablehnung der Unterstützung der israelischen Regierung durch die Bundesregierung durch Waffenlieferungen und andere Maßnahmen
• Kampf gegen die Einschränkung demokratischer Rechte und Verschärfungen des Aufenthaltsrechts für Migrant*innen im Kontext des Gaza-Kriegs
• Anerkennung der demokratischen und nationalen Rechte aller Bevölkerungsgruppen im Nahen Osten und Befürwortung einer breiten und demokratischen Debatte über eine politische Lösung des Nahost-Konflikts
Auf dieser Grundlage könnten gemeinsame Proteste organisiert werden und Veranstaltungen durchgeführt werden, um über die Ursachen des Konflikts aufzuklären und Solidarität gegen Krieg und Besatzung zu verbreiten.
Wendepunkt für die deutsche Solidaritätsbewegung?
In den letzten knapp zwei Jahren gab es leider zu wenige große, breite Proteste, die jene Teile der Bevölkerung ansprechen, die bisher nicht in der Solidaritätsbewegung aktiv sind und durch ihren Massencharakter polizeiliche Repression und Kriminalisierung erschweren. Gleichzeitig nimmt die Unterstützung für Netanjahus Vorgehen gegen Gaza immer weiter ab und immer mehr Menschen sind trotz massiver Propaganda der Meinung, dass die Unterstützung Israels durch die Merz-Regierung beendet werden muss. Die Großdemonstrationen im Juni in Berlin und im August in Frankfurt mit Zehntausenden haben gezeigt, dass eine Zeit der Massenmobilisierungen angebrochen ist. Diese Großdemos haben Merz so unter Druck gesetzt, dass er zumindest verbal zurückrudern musste. Auch wenn wir kein Vertrauen in Merz haben und uns von seinen kritischen Worten nicht blenden lassen dürfen, zeigt sich doch: Massenhafter Druck auf der Straße kann einen Unterschied machen. Boykottaufrufe und Parallelveranstaltungen bringen uns dabei nicht weiter, gerade jetzt, wo wir uns an einem Wendepunkt der Solidaritätsbewegung befinden könnten.
In diesem Zusammenhang ist auch die bereits genannte Unterstützung der GEW Berlin und der Berliner Krankenhausbewegung ein zentraler Schritt, die DGB-Gewerkschaften weiter unter Druck zu setzen, ihre Mitglieder gegen Besatzung, Massenmord und Vertreibung gebildet zu mobilisieren. Die potentielle Macht von Gewerkschaften und der Arbeiter*innenklasse zeigt sich aktuell auch in Italien, wo am Montag, 22. September in über 80 Städten Streiks und Proteste gegen die „Verschärfung der humanitären Lage im Gazastreifen“ stattfanden. Diese Streiks finden bei Verkehrsbetrieben und der Bahn statt, aber auch Schulen und Universitäten sollen geschlossen bleiben. Zudem sahen wir international immer wieder Streiks, die Waffenlieferungen und den Transport von Kriegsmaterial nach Israel verhinderten, wie auch aktuell in Genua, wo Hafenarbeiter*innen Lieferwege zum Hafen blockieren. Von solchen Aktionsformen sind wir in Deutschland zwar noch weit entfernt, aber gerade deshalb müssen wir diese Debatte weiterhin in die Gewerkschaften tragen und uns der pro-israelischen Politik der aktuellen Gewerkschaftsführungen entgegenstellen.
Daran und am Aufbau einer massenhaften Bewegung gegen Massenmord, Besatzung, Vertreibung und Krieg werden wir uns als Sol weiterhin beteiligen. Wir fordern darüber hinaus:
- Für einen Massenkampf der Palästinenser*innen unter ihrer eigenen demokratischen Kontrolle, um für ihre Befreiung zu kämpfen
- Für den Aufbau unabhängiger Arbeiter*innenparteien in Palästina und Israel und Verbindungen zwischen ihnen
- Für einen unabhängigen, sozialistischen palästinensischen Staat an der Seite eines sozialistischen Israels, mit zwei Hauptstädten in Jerusalem/Al-Quds und garantierten demokratischen Rechten für alle Minderheiten, als Teil des Kampfes für einen sozialistischen Nahen Osten
- Für einen Kampf der Massen der arabischen Staaten gegen die diktatorischen kapitalistischen herrschenden Eliten und der iranischen Massen gegen das reaktionäre theokratische Regime. Für eine freiwillige sozialistische Konföderation des Nahen Ostens