„Bürgergeld“ wird wieder „Grundsicherung“

Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Schwarz-Rot macht Arme noch ärmer

Wie ein Fähnchen im Wind – so kann man die politischen Äußerungen der SPD einstufen. Noch bei der Bundestagswahl 2022 war die Einführung des Bürgergeldes das Prestigeobjekt der SPD, um das verloren gegangene Vertrauen der Wähler*innen nach der Agenda 2010 zurückzuerlangen. Schon damals war bei genauem Hinschauen klar, dass das neue „Bürgergeld“ nur alter Wein in neuen Schläuchen war und die grundsätzlichen Versprechen nach „Mehr Respekt. Mehr Chancen. Mehr Schutz.“ (SPD-Wahlwerbung 2022) nicht einlösen können würde. An den Grundproblemen, wie zu niedrigen Regelsätzen, zu geringen Mitteln für Weiterbildungen, zu wenigen sicheren und auskömmlichen Jobs sollte nichts geändert werden und auch Sanktionen blieben möglich. Drei Jahre später werden nun unter SPD-Beteiligung selbst die geringen Verbesserungen wieder rückgängig gemacht.

von Dorit Hollasky, Sozialarbeiterin aus Dresden

Die „Neue Grundsicherung“ ist das erste große Projekt der umfassenden Kürzungspläne der Bundesregierung. Vermutlich, weil hier am wenigsten Widerstand erwartet wird. Denn die bürgerliche Propaganda der letzten Jahre hat dazu geführt, dass ein großer Teil der Bevölkerung härtere Sanktionen bei Bürgergeldempfänger*innen unterstützt.Außerdem wird die Regierung die Hoffnung haben, dass scheibchenweise „Reformen“ – sprich Einschnitte gegen verschiedene Teile der arbeitenden und armen Bevölkerung – zu geringeren Protesten führen.

Bürgerliche Propaganda

Die Propaganda der Bundesregierung und bürgerlicher Medien will uns glauben machen, dass Bürgergeldempfänger*innen zu wenig „Anreize“ zum Arbeiten hätten, dass sie insgesamt zu viele Leistungen beziehen und dass wegen der hohen Ausgaben das Geld für andere staatliche Aufgaben fehlen würde.

Die wirklichen Einsparungen durch die Reform des Bürgergeldes sind indes gar nicht so groß wie immer propagiert wird: Die CDU versprach noch vor der Wahl, mit den geplanten Änderungen würden bis zu 30 Milliarden Euro eingespart. Mittlerweile wurde diese Prognose deutlich reduziert. Real plant die Regierung für 2026 mit realen Minderausgaben von 86 Millionen Euro und 2027 mit weiteren 69 Millionen Euro. Insgesamt wurde der Etat des Arbeitsministeriums für 2026 zwar um 1,5 Milliarden Euro gekürzt, jedoch kommen diese „Einsparungen“ nur zustande, weil die Ukrainer*innen, die seit Frühjahr 2025 nach Deutschland gekommen sind, aus dem Bürgergeld herausgenommen werden sollen. Sie sollen zukünftig erst Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Trotz der verhältnismäßig geringen Einsparungen bedeuten die Pläne drastische Verschlechterungen für die Betroffenen.

Wie sehen die Pläne aus?

Besonders wichtig scheint der Koalition zu sein, dass der Begriff „Bürgergeld“ wieder verschwindet und durch „Grundsicherung“ ersetzt wird.

Die Regelsätze sollen auch 2026 überhaupt nicht erhöht werden. Das bedeutet, dass die Betroffenen bereits das dritte Jahr in Folge die gleichen Beträge erhalten und damit keine Anpassung an die gestiegenen Preise erfolgt. Das ist de facto eine Kürzung des realen Einkommens.

Der „Vermittlungsvorrang“ wird wieder eingeführt. Die Vermittlung in irgendeine sogenannte „zumutbare“ Arbeit hat damit Vorrang vor Qualifizierung und Fördermaßnahmen. Nur bei unter 30-Jährigen ohne Ausbildung soll eine Qualifizierung vorrangig sein.

Der Begriff der Erwerbsfähigkeit soll „realitätsnaher definiert“ werden. Die Jobcenter sollen die Leistungsbeziehenden „clustern“. Menschen, die ihrer Ansicht nach auf Dauer nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können, sollen so „die für sie richtige Hilfe“ erhalten. Wenn jedoch die Qualifizierung ausgeschlossen wurde, wird damit wahrscheinlich nur das Abschieben in die Sozialhilfe gemeint sein.

Mütter und Väter mit Kindern unter drei Jahren sollen zur Teilnahme an Integrationsmaßnahmen verpflichtet werden, damit „Betreuungsphasen“ nicht zu „dauerhaften Erwerbsunterbrechungen“ führen.

Drastische Einschnitte soll es bei Meldeversäumnissen und bei der Weigerung der Arbeitsaufnahme geben. Innerhalb von kürzester Zeit sollen die Leistungen in drei Stufen um 30 Prozent, um den vollen Regelsatz und um sämtliche Leistungen (inklusive Unterkunft und Heizung) gekürzt werden können, auch ohne vorherige Anhörung. Wer fürs Jobcenter für mehr als einen Monat nicht erreichbar ist, kann zukünftig schlicht als „nicht bedürftig“ eingestuft werden und erhält gar nichts mehr.

Damit wird es für viele Menschen mit sozialen Schwierigkeiten, die beispielsweise schlecht deutsch verstehen, die Post nicht öffnen, an einer Suchterkrankung leiden o.ä. schnell um die reine Existenz gehen. Kann die Miete nicht vom Konto abgebucht werden, droht in kürzester Zeit Obdachlosigkeit. In Bedarfsgemeinschaften werden auch die Haushaltsmitglieder, zum Beispiel Kinder, unter den Streichungen leiden.

Bei der Vermögensanrechnung soll es keine Karenzzeit mehr geben, die Schonvermögen sollen herabgesetzt und an das Lebensalter gekoppelt sein: bis zu 5.000 Euro für Menschen unter 20 Jahren, danach 10.000 Euro für Menschen bis 40 Jahre, 12.500 Euro für Menschen bis 50 Jahre und 15.000 Euro für Ältere. Diese Reform wird dazu führen, dass Obdachlosigkeit und soziale Notlagen rapide ansteigen werden.

Spaltung und Druck

Das vermeintlich riesige Problem des Betrugs im Bürgergeldsystem wurde aufgebauscht: Die Zahl der sogenannten Totalverweigerer ist sehr klein (je nach Quelle zwischen 0,4 und 0,7 Prozent aller Empfänger*innen). Entsprechend wird es durch diese Maßnahmen keine spürbaren Einsparungen im Haushalt geben. Die eigentlichen Ziele waren andere: In dem „nach unten“ auf die Ärmsten getreten wird, soll die arbeitende und erwerbslose Bevölkerung gespalten und von den wirklichen sozialen Problemen und ihren Verursacher*innen abgelenkt werden. Der Druck für alle anderen und die Angst davor, in der Grundsicherung zu landen, werden nun enorm erhöht. Voraussichtlich ist die abschreckende Wirkung so groß, dass viele Anspruchsberechtigte (Aufstocker*innen) Leistungen gar nicht erst beantragen. Und die Chancen auf Wiedereingliederung sinken, da notwendige Fördermaßnahmen und Qualifizierungen kaum noch gewährt werden.

Friedrich Merz hatte den „Herbst der Reformen“ mit der Aussage begründet, wir „könnten uns den Sozialstaat nicht mehr leisten“. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Militarisierung und Kürzungen bei den Sozialausgaben zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Wer beschließt, in den nächsten vier Jahren fast die Hälfte des gesamten Bundeshaushaltes für das Militär auszugeben, der muss auf der anderen Seite sehen, wo dieses Geld herkommt – auch deshalb wird bei den Ärmsten gekürzt. Doch dabei wollen Merz, Klingbeil und Co. nicht stehen bleiben.

Die Reichen zur Kasse

In unserem drittreichsten Land der Erde ist genug Geld da für Soziales, Bildung, Gesundheit, Renten und Infrastruktur. Allerdings ist dieses Geld extrem ungleich verteilt. Es muss von den Superreichen und Konzernen geholt werden und darf nicht für Rüstung und Krieg ausgegeben werden. Eine demokratisch geplante, sozialistische Wirtschaft ist nötig, damit alle Menschen in Sicherheit und Wohlstand leben und einer gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit nachgehen können.

Die Sol fordert:

– statt „Bürgergeld“ oder „Grundsicherung“: soziale Mindestsicherung und Mindestrente von 900 Euro plus Warmmiete für jede*n Erwachsenen und 700 Euro pro Kind – ohne Bedürftigkeitsprüfung und Schikanen

– Mindestlohn sofort auf 15 Euro und danach schnell weiter erhöhen

– Massive staatliche Ausgaben für Gesundheit, Bildung, Umwelt und Soziales – finanziert durch höhere Steuern auf Profite und Vermögen der Super-Reichen

– Prekäre Beschäftigungsverhältnisse abschaffen und die Arbeitsbedingungen grundlegend verbessern – 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich sind das Ziel


Quellen:

https://www.spd.de/160-jahre/2022-buergergeld

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/die-buergergeld-reform-spart-2026-nur-86-millionen-euro-110737449.html

https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/buergergeld-162.html

Spiegel Ausgabe 42/2025

Papier aus dem Sozialministerium Sachsen