
Rechtspopulistischer Geschäftsmann wird Ministerpräsident
Was haben Ungarns Regierungschef Viktor Orban und der designierte Ministerpräsident Tschecheins, Adrej Babis, gemein? Mehr als man auf den ersten Blick denken könnte: Zum Beispiel gehören die Parteien beider im EU-Parlament der Fraktion Patrioten für Europa an und beide wettern gern gegen die EU, kassieren aber Milliarden an Subventionen.
Und nun hat eben dieser Babis, der sich in den Jahren nach 1991 zum einem astreinen Kapitalisten mauserte, die Wahlen in Tschechien gewonnen.
Von Steve Hollasky, Dresden
Babis wird zum zweiten Mal der Regierung in der tschechischen Hauptstadt vorstehen. Bereits der erste war erfolgreich – zumindest mehr oder weniger. Nachdem es Babis mit seiner Partei ANO 2013 geschafft hatte bei den Abgeordnetenhauswahlen zweitstärkste Kraft hinter den Sozialdemokrat*innen zu werden und auf den Stuhl des stellvertretenden Ministerpräsidenten zu gelangen, brachten ihn Vorwürfe des Steuerbetrugs – von denen noch zu reden sein wird – zu Fall.
Doch Babis fiel weich, wie so oft in seinem Leben. Bei den nachfolgenden Parlamentswahlen 2017 ging seine Partei als Erstplatzierte über die Ziellinie und besetzte 78 der zu vergebenden 200 Mandate. Und erstmals wurde Babis Ministerpräsident. Doch nicht nur die Regierungsbildung gestaltete sich holprig – Babis fand lange keine Koalitionspartner*innen. Dem ersten Misstrauensantrag folgte bald auch der zweite; der Massendemonstration mit 150.000 Teilnehmenden folgte die größte seit der „Samtenen Revolution“ mit einer Viertelmillion Menschen.
Auf die Straßen hatten sie die Korruptionsvorwürfe gerufen, die allgemeine Unzufriedenheit mit Babis‘ Regierungsstil und die Tatsache, dass seinem Gefasel von sozialen Problemen kaum Taten folgten, diese zu lösen.
In der Coronakrise stand Tschechien zunächst als leuchtendes Beispiel da. Doch schon ab der zweiten Welle schnellten die Infektionszahlen in die Höhe. Und während sich Tschech*innen vom Kabinett Babis allein gelassen fühlten, klebten vom ersten Tag seiner Regierung Vorwürfe an ihm wie Geld an seinen Händen: Babis habe sein Firmenkonglomerat bei EU-Subventionen bevorzugt – was die Menschen wütend machte.
Und nun ist er zurück: Mit 35 Prozent stellte Babis‘ ANO die anderen Parteien einstweilen in den Schatten und wird der kommenden Regierung von Neuem vorstehen. Auch wenn man den Sieg Babis‘ in Relationen setzen muss – nur etwas mehr als zwei Drittel der Wähler*innen beteiligten sich an der Stimmabgabe und somit hat nur etwa jede*r Vierte das Kreuz bei ANO gemacht – bleibt Babis‘ Sieg ein Erfolg.
Die Rechte, inklusive der extremen Rechten jubelt, auch hier in Deutschland. Die Herrschenden fürchten seinen Kurs bezüglich der EU und – entgegen den Erfahrungen mit der ersten Regierung Babis – scheint ein Anteil der tschechischen Bevölkerung auf Babis zu hoffen.
Das alles führt uns zu der Frage, was man von Babis erwarten muss.
Wofür steht Babis?
Schnell kommentierten bürgerliche Medien Babis‘ Sieg mit den Worten, es sei nun die Gefahr des Endes der Waffenlieferungen für die Ukraine gekommen. In der Tat ist das kleine Tschechien für die Ausstattung der ukrainischen Streitkräfte von enormer Bedeutung. Die von Prag aus organisierte Munitionsinitiative stellte Kiew laut Radio Prague International gut 2,6 Millionen Schuss Artilleriemunition zur Verfügung.
Babis verkündete unumwunden, man werde „der Ukraine aus unserem Haushalt nicht einmal eine Krone für Waffen geben.“ Der Grund seien die klammen Kassen in Tschechien. Die Munitionsinitiave solle demnächst die NATO übernehmen, so die Pläne des designierten Ministerpräsidenten.
In Tschechien liest man dies wie eine Absichtserklärung zum Ende von Waffenlieferungen. Die Hoffnung vieler Menschen dort, der Krieg möge ein Ende finden und dafür brauche es eben auch ein Ende von Lieferungen von Waffen, Munition und militärischer Ausrüstung dürfte Babis jedoch eher enttäuschen.
Sein verflochtenes Unternehmen umfasst auch Rüstungskonzerne und den Export von Waffen gegen Bezahlung hat er explizit von seiner Erklärung ausgeklammert. Babis‘ Bewusstsein wird von seinem gesellschaftlichen Sein bestimmt. Er will kein Ende von Waffenlieferungen, er will schlicht mehr Geld dafür sehen.
Ähnlich pragmatisch positioniert sich Babis übrigens zur Frage der Europäischen Union. Gewettert wird von Babis viel auf die EU, das Verhältnis Tschechiens zu Brüssel dürfte er hingegen kaum verändern. Selbst einer Verhinderung von Sanktionen gegen Russland im Europäischen Rat, gemeinsam mit Fico oder Orban, wird Babis kaum zustimmen.
Mit Merz, dem deutschen Bundeskanzler, wird Babis sogar enger zusammenarbeiten wollen. Babis ist vorrangig Unternehmer und immerhin der zweitreichste Mann in Tschechien. Er braucht die EU, um die Profite auch seiner eigenen Firmen zu sichern. Somit verkörpert er den Gegensatz, der der deutschen AfD ins Stammbuch geschrieben ist, in seiner eigenen Person: Der marktfundamentalistische Flügel der AfD unter Alice Weidel will die wenigen demokratischen Kontrollmechanismen der EU schleifen, aber nicht auf den Wirtschaftsraum EU verzichten. Höckes völkischer Flügel will hingegen der EU als internationaler Organisation an den Kragen. Im Grunde entscheidet sich Babis in diesem Dualismus verlässlich für seine ökonomischen Interessen und die verbieten ihm ein hartes Vorgehen gegen die Europäische Union. Wenn er nach seinem Wahlsieg ausruft, er wolle „Europa retten“, dann meint er damit auch die EU als solche.
Seine Einlassungen bezüglich der Munitionslieferungen beweisen zugleich, dass er auch die NATO-Mitgliedschaft seines Staates nicht infrage stellen wird.
Als Staatspräsident Petr Pavel verkündete, er werde nur an die Kräfte einen Auftrag zur Regierungsbildung erteilen, die zu NATO und EU stehen, war schon längst klar, dass Babis diese Hürde problemlos überspringen wird.
Für die Herrschenden in der EU dürfte sich Babis‘ Regierung als weitgehend harmlos erweisen, weil Babis einer von ihnen ist. Weder EU noch NATO müssen vor dem „tschechischen Trump“ zittern, der auf diesen Vergleich vom rechtsextremen, deutschen Magazin „Compact“-Magazin am Wahlabend angesprochen, eher ausweichend antwortete.
Zittern müssen Migrant*innen, deren Kommen er verhindern will, indem er den europäischen Migrationspakt kündigen und die Abschottung der EU gegen Menschen, die fliehen müssen, noch mehr verstärken will. Wobei der Fachkräftemangel in der tschechischen Wirtschaft ihn selbst hier zu Zugeständnissen zwingen könnte – Babis ist vor allem Unternehmer.
Ebenso dürfen arme Menschen und Arbeiter*innen von Babis‘ Regierung nichts erwarten. Almosen soll es nur geben, wenn der Staat genug einspielt. Vor dem Hintergrund der kapitalistischen Krise wird das wohl kaum passieren. Ein Programm gegen die Inflation im Land hat Babis nicht.
Seine Regierung ist die Regierung eines Superreichen für andere Reiche. Mit ihm hat eine Fraktion des tschechischen Kapitals direkten Zugriff auf die Politik erhalten und wird diesen Einfluss zu nutzen versuchen.
Wie weitgehend ihr dies gelingen wird, bleibt indessen offen. Trotz allen Getöses könnte Babis‘ Ministerriege sogar eher schwach daherkommen. Zwar werden Gespräche mit rechtsextremen Parteien wie der erst vor wenigen Jahren gegründeten Autofahrerpartei „Motoriste sobe“ geführt, die für eine Mehrheitsfindung von großer Bedeutung sein dürfte, aber Babis selbst erklärte wiederholt, allein regieren zu wollen.
Ohnehin wird Babis von ehemaligen Mitstreiter*innen vorgeworfen, seine Partei zu führen wie seine Unternehmen. Aussagen wie, er bezahle, also entscheide er auch, kämen Babis wiederholt über die Lippen, so lässt sich aus Kreisen von ANO vernehmen.
Babis‘ autoritärer Führungsstil dürfte auch potentielle Partner*innen am rechten Parteienrand abschrecken, hat es der Geschäftsmann doch dort mit Personen zu tun, die alle selbst gern führen würden.
Zudem hat sich Babis‘ erstes Kabinett schnell massiven Protesten durch die Bevölkerung gegenübergesehen. All das sind deutliche Hinweise darauf, dass Babis‘ Regierung nicht eben stabil werden könnte. Nur wird man Babis pro-kapitalistische Politik von rechts nicht einfach durch dessen mögliche Schwäche allein wieder los werden. Dazu benötigt man eine echte Alternative, die der rassistischen, arbeiter*innenfeindlichen und kapitalistischen Politik etwas entgegenhalten kann.
Woher kommt Babis?
Babis kommt aus dem tschechoslowakisch-stalinistischen Establishment, der führenden Bürokratie. Diese Position wusste er in der Zeit nach der „Samtenen Revolution“ auszunutzen, um seine Schäflein ins Trockene zu befördern. Während die Wiedereinführung des Kapitalismus für den Großteil der Bevölkerung in der später in Tschechien und die Slowakei geteilten Republik vor allem einen Verlust des Lebensstandards bedeutete, verfolgten Teile der Bürokratie den Plan ganz oben mitzuspielen und sich mit dem einstigen Volkseigentum die Taschen zu füllen.
In diesem Unterfangen war Babis sicherlich einer der erfolgreichsten und skrupellosesten Protagonist*innen. Mithilfe eines großzügigen Kredits der US-amerikanischen Citibank wandelte Babis das staatliche Außenhandelsunternehmen Petrimex aus stalinistischen Zeiten, für das er auch in Marokko gearbeitet hatte, teilweise in die Holdinggesellschaft Agrofert um, die alsbald in seinen Besitz überging. Die Kontakte aus der stalinistischen Ära ermöglichten ihm diesen Deal.
Inzwischen nennt Agrofert selbst die deutsche Bäckerei Lieken AG ihr eigen und eine Tochterfirma besitzt die Rheinische Post.
Kaum war er Ministerpräsident erhöhten sich die EU-Subventionszahlungen an seine Firmen drastisch. Der Vorwurf des Subventionsbetrugs kam folglich schnell auf, verurteilt wurde Babis nie. Genauso wenig wie für seine Verstrickungen in die Pandora Papers, die Babis natürlich von sich wies.
Juristisch ausgestanden sind all die Vorwürfe jedoch noch nicht, sie scheinen Babis aber auch nicht zu schaden. Längst scheinen sich so viele Tschech*innen von den Aussagen der Justiz und wohl auch vom bürgerlichen Parlamentarismus derart entfernt zu haben, dass sie Babis Reaktion, man wolle ihn diskreditieren, mehr Glauben schenken, als den Vorwürfen.
Wieso konnte Babis siegen?
Ein ehemaliger Vertreter der stalinistischen Bürokratie, der seither vor allem auf seinen wirtschaftlichen Erfolg aus war und sich mit allerlei Tricks und wahrscheinlich einer guten Prise Betrug zum Milliardär mauserte gewinnt zum zweiten Mal die Wahlen? Diesen Vorgang muss man verstehen, weil er ernste Warnungen enthält!
Einer der Schlüssel zum Verständnis des Wahlsiegs von Andrej Babis ist die enorme Inflation im Land. Besonders die Lebensmittelpreise kletterten rasant in die Höhe. Die abgewählte liberal-konservative Koalition hatte ihrerseits die Wahlen 2021 gewonnen, indem sie Babis für die Teuerungswelle im Zuge der Pandemie verantwortlich machte. Beide hatten den Massen nichts zu bieten, aber beide nahmen den Mund immer wieder ordentlich voll. Dieses billige Konzept konnte nur aufgehen, weil es von Links keine Antwort auf dies Situation gibt.
Dass Babis‘ lächerlich unernst gemeinte Kritik an NATO und EU als kompromisslose Opposition wahrgenommen werden kann, hat vor allem damit zu tun, dass die traditionellen Linksparteien, die Sozialdemokrat*innen und die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens nicht im Geringsten als Alternative zum kapitalistischen Wahnsinn, zu Krieg und Aufrüstung wahrgenommen werden.
Beide hatten bei der letzten Wahl eine Listenverbindung gebildet, verpassten aber den Sprung ins Parlament. Dass sich die KP auch noch mit den implodierenden Sozialdemokrat*innen verbündete, dürfte ihnen den Rest gegeben haben.
Das war übrigens mal ganz anders. Bei den Wahlen 2002 wurde die KP noch zweitstärkste Kraft. Doch dann begann ihr Abstieg. Der KP fehlten schlichtweg die Antworten auf die drängenden Fragen. Die Zusicherung, man werde, einmal an der Regierung, Schlüsselunternehmen verstaatlichen, mochte scheinen, als werde man das Problem in Angriff nehmen und ohne Zweifel liegt darin einer der Eckpunkte eines wirklich alternativen Programms, doch sowohl die Vergangenheit der KP als stalinistische Staatspartei als auch die alles andere als antikapitalistische Praxis der Partei in Form ihres Zugehens auf die Sozialdemokratie, ließ ihr Ansehen schnell schwinden. Auf eine wirkliche Veränderung konnte man mit ihr kaum hoffen, genau die wurde aber von einer steigenden Zahl der Tschech*innen gewollt.
Wie kann Babis geschlagen werden?
Eine echte Alternative von Links, eine sozialistische Antwort auf die Krise des Kapitalismus, das ist die Grundlage für eine Antwort auf Babis.
Ausgehend von den aktuellen Problemen im Land – Inflation, Fachkräftemangel, Altersarmut, Einkommensarmut – müsste eine solche Alternative Übergangsforderungen aufstellen, die einen Weg aus der Misere zeigen. Sie müsste zu Themen wie Aufrüstung und Krieg Antworten formulieren, die zwangsläufig den Kapitalismus infrage stellen müssten. Dazu würde auch die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, Versicherungen und Banken gehören, die dann unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten und die Gesellschaft planmäßig geführt werden müssten.
Zudem müsste diese Partei die Zusammenarbeit linker Kräfte in Europa anstoßen, um Orban, Fico, Meloni und Le Pen, aber auch Merz und Macron eine sozialistische Antwort geben zu können.
Die Wahrscheinlichkeit eine solche Kraft etablieren zu können wird nicht deshalb geringer, weil Sozialdemokrat*innen und KP so schlecht bei der letzten Abgeordnetenhauswahl abgeschnitten haben. Die Wahlverweigerung von fast einem Drittel zeigt auch, dass die Ablehnung des Systems in Tschechien weit fortgeschritten ist. Die Krise des Systems müsste eigentlich eine Chance für sozialistische Politik sein. Dass sie es nicht ist, liegt vorrangig an den Kräften, die sich das Label sozialistisch gegeben haben, dieses Label jedoch nicht ausfüllen konnten. Diese Aufgabe gilt es aber zu lösen, wenn man Babis dauerhaft loswerden will.