Berliner Sozialismustag bringt über 100 Menschen für Diskussion und Widerstand zusammen

Volle Räume und klare Ansagen gegen Militarisierung und Sozialabbau

22. November, Jugendherberge Berlin Ostkreuz: Über 100 Teilnehmer*innen kamen zum diesjährigen Berliner Sozialismustag, so viele wie nie zuvor. Ein voller Tag mit Diskussionen über Widerstand, internationale Solidarität und sozialistische Alternativen zeigte deutlich: Immer mehr Menschen spüren, dass es so nicht weitergeht – und suchen nach einer kämpferischen Antwort auf die zunehmenden Krisen des Kapitalismus.

Von Tobias Seidel, Berlin

Ein System in Dauerkrise – und die Notwendigkeit von Widerstand

Die Welt steuert von Krise zu Krise. Der genozidale Krieg der israelischen Regierung gegen Gaza, der andauernde Krieg in der Ukraine, extreme Aufrüstung in Deutschland, ein „Herbst der Reformen“ der Merz-Klingbeil-Regierung, der vor allem neue Kürzungen bedeutet – all das passiert parallel zu steigenden Preisen, Wohnungsnot und einer realen Lohnsenkung für Millionen.

Rechte Parteien feiern Wahlerfolge, während Banken und Konzerne Rekordprofite melden. Die Herrschenden erklären das alles zur „Normalität“ bzw. Erklären das sei in Anbetracht von angeblicher Kriegsgefahr oder wirtschaftlicher Krise nötig und genau dagegen richtete sich der Sozialismustag.

Denn: Kriege, Armut, Rassismus und Klimazerstörung sind keine Naturkatastrophen, sondern Ergebnis kapitalistischer Profite.
Weltweit entstehen neue Massenkämpfe – von Indonesien über Nepal, Kenia, Frankreich und Griechenland bis zu den Solidaritätsstreiks mit den Palästinenser*innen in Italien. Auch in Deutschland waren zuletzt über 100.000 Menschen gegen die Angriffe auf Gaza auf der Straße.

Der Sozialismustag Berlin verstand sich als Teil eines wachsenden Widerstandes, wie wir ihn auch international erleben – ein Ort für Analyse, konkrete Strategiedebatten und Organisierung.

Auftakt: Kapitalismus in der Krise – Wie wehren wir uns gegen Militarisierung und Sozialabbau?

Der Tag startete mit einem starken Podium, an dem u. a. Anja Voigt (ver.di-Betriebsrätin Vivantes), Steve Hollasky, Mitglied der Sol in Dresden und Aktivist des Bündnis gegen Kürzungen Dresden, Dominik Moretti (Linksjugend für Sozialismus Berlin) und Angelika Teweleit (Netzwerk kämpferische ver.di) teilnahmen.

Die zentrale Frage war: Wie können Gewerkschaften und Linke in einer Zeit von Militarisierung, Privatisierung und Sozialabbau wieder offensiv kämpfen?

In der Diskussion wurde betont, dass weitere Angriffe kommen werden und es deshalb koordinierten Widerstand braucht. Ein Teilnehmer brachte beispielsweise ein, dass die Gewerkschaften endlich wieder politische Streiks organisieren müssten. Und es kam mehrfach auf, dass eine linke Bewegung und die Linke als Partei sich nicht anpassen oder in eine Sachzwanglogik verfallen dürfen, konsequent Widerstand leisten und Druck von unten aufbauen müssen. Trotz der frühen Uhrzeit fanden sich viele Leute zusammen und es konnte eine lebendige Diskussion stattfinden.

Nachmittag: Drei parallele Diskussionen – drei zentrale Konfliktfelder

Nach der Mittagspause folgte eine erste Diskussionsschiene mit drei hochaktuellen Themenbereichen. Eine Diskussion beschäftigte sich unter dem Titel “Waffenstillstand in Gaza – doch kein Ende des Horrors für die Palästinenser*innen” mit der aktuellen Situation und Perspektiven für die Region und die Palästinenser*innen. Ein sozialistischer Aktivist des Socialist Struggle Movement (SSM) analysierte die Folgen des Waffenstillstands in Gaza und die politischen Interessen, die die Angriffe fortsetzen. Diskutiert wurde u.a., dass weiterhin internationale Solidarität nötig ist und beispielsweise die Streiks in Italien ein wichtiger Bezugspunkt sein können. Zudem ging es auch viel um die konkrete Situation vor Ort, den Kampf von SSM in der Region und die andauernde Besatzung und Zuspitzung im Westjordanland. Die Diskussion war emotional, kämpferisch und internationalistisch.

Parallel lief die Veranstaltung zum Thema “Kampf der Töchter: Die Streiks bei der CFM und den Vivantes Töchtern gegen Ausgründung und Niedriglöhne”. Mit Mario Kunze und Sascha Kraft waren zwei erfahrene Streikaktivisten aus der Berliner Krankenhausbewegung auf dem Podium. Die entscheidende Frage war: Wie kann ein tariflicher Durchbruch erkämpft werden, wenn Management und Politik sich querstellen? Der 48-tägige Streik bei der CFM zeigte, wie viel möglich ist. Gleichzeitig wurde klar: Ohne breiten solidarischen Druck und den Schritt, schwierige Kampfmaßnahmen vorzubereiten, wird es keine vollständige Eingliederung in den TVöD geben.

Mit Sorge, aber keineswegs mit Pessimismus diskutierten die Teilnehmer*innen der dritten Veranstaltung mit dem Titel “Von rechtem Kulturkampf zu Nazi-Terror – Wie den Widerstand gegen eine erstarkende AfD und Nazis aufbauen?” über den engen Zusammenhang von rechtem Kulturkampf, rassistischer Stimmungsmache und dem erstarkenden realen Naziterror, der sich immer häufiger in Angriffen und Einschüchterungen äußert. Dabei spielte auch die wachsende Unterstützung für die AfD eine zentrale Rolle, die mit ihrer Hetze den gesellschaftlichen Boden für rechte Gewalt bereitet. Ebenso wurden die Erfahrungen queerer und migrantisierter Menschen thematisiert, die überproportional häufig von Drohungen, Angriffen und struktureller Diskriminierung betroffen sind und deren Perspektiven in der öffentlichen Debatte viel zu selten ernst genommen werden.

Es herrschte völlige Einigkeit: Nur ein organisierter antifaschistischer Widerstand, der Jugendliche, Arbeiter*innen und Gewerkschaften zusammenbringt, kann die rechte Offensive wirksam stoppen. Dafür braucht es eine politische Alternative, die die sozialen Interessen der Arbeiter*innenklasse konsequent vertritt und gleichzeitig klar benennt, dass nicht Migrant*innen oder Geflüchtete für gesellschaftliche Probleme verantwortlich sind, sondern die kapitalistische Logik, die Armut, Ausgrenzung und Konkurrenz systematisch hervorbringt.

Zweite Diskussionsrunde: Geschichte, Theorie, strategische Klarheit

Nach einer Pause ging es weiter mit drei neuen Workshops. Einerseits mit der Buchvorstellung: „Kapitalismus und Sklaverei“. Mit Bafta Sarbo und René Arnsburg wurde die erste deutsche Übersetzung des Klassikers von Eric Williams vorgestellt. Diskutiert wurde, warum ohne koloniale Sklaverei der britische Kapitalismus nicht denkbar gewesen wäre, warum Rassismus nicht Ursache, sondern Folge ökonomischer Interessen war, und welche Bedeutung diese historische Analyse für heutige Kämpfe gegen Rassismus und Ausbeutung hat. 

In einer anderen Diskussionsrunde ging es um die Frage “Unrealistische Utopie? Ist der Mensch zu schlecht für den Sozialismus?“. Ein voller Raum bewies, wie sehr dieses Argument in Debatten präsent ist. Gemeinsam wurde herausgearbeitet, dass die UdSSR, China oder Nordkorea nicht wirklich sozialistisch waren; dass Konkurrenz, Ellenbogenmentalität und Unterdrückung nicht „menschlich“, sondern kapitalistisch erzeugt sind, und dass der Sozialismus nicht nur moralisch überlegen, sondern vor allem historisch notwendig ist.

Außerdem fand parallel die Diskussion zu “Rollback im Kampf gegen Sexismus? Warum wir einen sozialistischen Feminismus brauchen” statt. Inmitten von Kürzungen im Sozialbereich, der Schließung von Frauenhäusern, Angriffen auf reproduktive Rechte und nahezu täglichen Meldungen über Femizide wurde intensiv darüber diskutiert, warum eine tatsächliche Befreiung von Frauen nur im Rahmen einer klassenkämpferischen Bewegung möglich ist. Die Referentinnen betonten, dass die Verteidigung bereits erkämpfter Rechte nicht dem Zufall überlassen werden kann, sondern organisiert werden muss – durch kollektiven Widerstand, solidarische Strukturen und eine klare politische Ausrichtung gegen die Logik von Profit und sexistischer Diskriminierung. Dabei wurde auch die Frage der Ursprünge des Patriarchats aufgegriffen und herausgearbeitet, dass geschlechtliche Unterdrückung historisch eng mit Eigentumsverhältnissen, Klassenbildung und der Herausbildung ausbeuterischer Gesellschaftsformen verbunden ist. Vor diesem Hintergrund zeigte die Diskussion, warum ein bürgerlicher Feminismus, der sich innerhalb kapitalistischer Strukturen bewegt, keine dauerhafte Lösung bieten kann: Er bekämpft Symptome, aber nicht die materiellen Grundlagen von Unterdrückung. Nur ein sozialistischer Feminismus, der ökonomische und gesellschaftliche Machtverhältnisse grundsätzlich infrage stellt, kann eine Perspektive für echte Befreiung eröffnen.

Abschlusspodium: Zwischen Klassenpolitik und Regierungsbeteiligung – Wie Die Linke aufbauen?

Zum Abendpodium kamen Johannes Franck (Jugendpolitischer Sprecher im Landesvorstand Berlin), Eddi (Bezirksverband der Linken Neukölln, Gründungsmitglied der LAG Palästinasolidarität) und Sascha Staničić (Bundessprecher der Sol und Mitglied der Linken im Bezirksverband Neukölln) zusammen.
Zunächst ging es um die Frage, welche Chancen Die Linke bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen 2026 tatsächlich hat. Die Referenten machten deutlich, dass der erfolgreiche Wiedereinzug in den Bundestag viele Menschen ermutigt hat – und dass angesichts der tiefen sozialen und politischen Krise reale Möglichkeiten bestehen, in Berlin zur stärksten Kraft zu werden. Gleichzeitig wurde diskutiert, welche politischen Konsequenzen eine solche Situation hätte: Würde die Partei erneut den Weg in eine Regierungsbeteiligung suchen, droht die Wiederholung alter Fehler – nämlich Kompromisse zulasten sozialer Kämpfe, das Verwalten statt das Verändern von Verhältnissen und dadurch die erneute Enttäuschung von Berliner*innen.

Alle Podiumsteilnehmer betonten daher die zentrale Bedeutung, die der Aufbau einer echten Arbeiter*innenpartei hat – einer Partei, die nicht darauf setzt, Verwaltungsposten zu übernehmen oder kapitalistische Zwänge zu managen, sondern konsequent an der Seite von Beschäftigten, Jugendlichen und sozial Benachteiligten steht. Eine solche Partei braucht klare Positionen, die Fähigkeit zur Mobilisierung und die Bereitschaft, gesellschaftliche Konflikte nicht zu beschwichtigen, sondern sie politisch zuzuspitzen.

Besonders deutlich wurde: Ohne klare Klassenpolitik wird es keine Erneuerung der Linken geben. Denn eine Linke, die sich an Regierungslogik und Haushaltsdisziplin anpasst, verliert ihre gesellschaftliche Rolle. Klassenpolitik bedeutet, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung nicht abstrakt zu vertreten, sondern im Mittelpunkt jeder politischen Entscheidung zu verankern: in Tarifkämpfen, in Bewegungen gegen Mieterhöhungen, in Protesten gegen Aufrüstung und Krieg, in antirassistischen und feministischen Kämpfen. Es heißt, Konflikte zwischen Kapital und Arbeiter*innen nicht zu verwischen, sondern offen zu benennen und strategisch zu führen. Nur wenn Die Linke diesen Kurs einschlägt, kann sie wieder zu einer glaubwürdigen, kämpferischen Alternative werden, die reale Veränderungen möglich macht und den wachsenden gesellschaftlichen Widerstand politisch bündelt.

Der Tag endete mit einem Solifoto gegen den Ausschluss von Ramsis Kilani aus der Linken und vielen intensiven Gesprächen bis in den späten Abend.

Fazit: Der Sozialismustag war nur der Beginn

Der 22. November hat gezeigt: Es gibt eine wachsende Bereitschaft, sich zu organisieren, zu wehren und nach sozialistischen Alternativen zu suchen.Neue Kontakte, neue Mitstreiter*innen und viele konkrete Ideen gingen aus dem Tag hervor.
Und klar ist: Die Probleme des Kapitalismus lassen sich nicht reformieren – sondern nur überwinden.  Dafür bauen wir eine sozialistische Gegenbewegung auf. Der Sozialismustag war ein wichtiger Schritt auf diesem Weg und eine mehr als gelungene Vorbereitung für die bundesweiten Sozialismustage, die vom 3.-5. April 2026 in Berlin stattfinden werden.