Interview mit Nicholas Wurst
Nicholas ist Mitglied der Independent Socialist Group (Unabhängige Sozialistische Gruppe, in politischer Solidarität mit dem Komitee für eine Arbeiter*inneninternationale, dem in Deutschland die Sol angehört)
Wie war Mamdanis Wahlkampf?
Mamdanis Wahlkampf konzentrierte sich stark auf Fragen der Bezahlbarkeit in New York City und schlug Maßnahmen wie einen Mietpreisstopp für bereits „mietpreisgebundene“ Wohnungen, kostenlose Busse und kostenlose Kinderbetreuung, eine Erhöhung des Mindestlohns auf 30 Dollar pro Stunde bis 2030 und vieles mehr vor, finanziert fast ausschließlich durch höhere Steuern für Konzerne und Vermögende. Mamdanis Wahlkampf wurde auch als offen antizionistische und Anti-Genozid-Kampagne gesehen, und er trat als selbst ernannter Sozialist an.
Vor Ort schien sich Mamdanis Wahlkampf hauptsächlich auf Haustürgespräche und die Nutzung sozialer Medien zu konzentrieren, wobei der Schwerpunkt darauf lag, Mamdani ins Amt zu bringen, um „Politik anders zu machen“.
Wie sollte man sein Wahlergebnis bewerten?
Mamdanis Sieg zeigt, dass Wahlkämpfe mit klaren Klassenforderungen zu Löhnen, Arbeitsplätzen und zur Bekämpfung der Lebenshaltungskosten ein riesiges Potenzial haben, auch in Stadtteilen, in denen Trump 2024 die meisten Stimmen erhielt. Es ist auch ein Beweis dafür, dass Kampagnen, die das „sozialistische“ Etikett tragen, sehr populär sein können.
Aber letztendlich stärkt Mamdanis Sieg auch die falsche Orientierung von Linken und Arbeiter*innen auf die Demokratische Partei, deren Ziel es ist, eine unabhängige Politik der Arbeiter*innenklasse in den USA zu verhindern. Die Kampagne brachte die höchste Wähler*innenzahl bei den Vorwahlen der Demokrat*innen seit 1989. Zehntausende Wähler*innen änderten ihre Registrierung von „unabhängig“ zu „demokratisch“, was eine Voraussetzung für die Teilnahme an den Vorwahlen der Partei war.
Ohne eine echte Strategie, die Konzerne, Trump oder das „Establishment“ in der Demokratischen Partei anzugreifen (sein derzeitiger Ansatz ist Zusammenarbeit), wird Mamdani wahrscheinlich viele seiner Anhänger*innen desillusionieren und könnte er damit auch die Idee des „Sozialismus“ als Alternative zur Konzernpolitik diskreditieren.
Was hat Mamdani seit seinem Wahlsieg getan?
Mamdani ist noch nicht im Amt, aber sein Übergangsteam ist voll von ehemaligen Mitarbeiter*innen seines besiegten Gegners Cuomo und des diskreditierten amtierenden New Yorker Bürgermeisters Eric Adams, einschließlich der Beibehaltung der derzeitigen Leiterin der Stadtpolizei, trotz ihrer Rolle bei der gewaltsamen Unterdrückung pro-palästinensischer Protestierender. Am auffälligsten ist jedoch, dass Mamdani trotz seiner Anti-Trump-Rhetorik und seiner Beschreibung Trumps als Faschisten ein Treffen mit Trump im Weißen Haus initiierte, seine Hand schüttelte, ihn gelegentlich lobte und erklärte, die beiden planten eine Zusammenarbeit.
All dies unterstreicht, dass „linke“ Demokrat*innen, selbst wenn sie als echte Aktivist*innen beginnen, aufgrund des konzernfreundlichen Charakters der Demokratischen Partei letztlich nicht über die Grenzen der „üblichen Politik“ hinausgehen. Sie definieren Politik als die Wahl und Ernennung „der richtigen Leute“, anstatt die Macht der Arbeiter*innenklasse zu mobilisieren, wie es echte sozialistische Kandidat*innen und eine unabhängige Arbeiter*innenpartei tun würden.
Was würden nach Ansicht der ISG wirkliche sozialistische Bürgermeister*innen tun?
Eine sozialistische oder fortschrittliche Kampagne muss ihre Macht in der Arbeiter*innenklasse verankern und darf nicht mit Milliardär*innen oder konzernfreundlichen politischen Akteur*innen zusammenarbeiten. Beispiele dafür umfassen die Kandidatur der unabhängigen Sozialistin Kshama Sawant für den Stadtrat von Seattle [2013, 2015, 2019], die die 15-Dollar-Mindestlohn-Kampagne durch Aktionen wie Massenkundgebungen und Besetzungen des Rathauses stärkte. Ihre Kampagne und Wahl trugen dazu bei, den ersten Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde im Land durchzusetzen. Ein weiteres Beispiel ist der sozialistisch geführte Stadtrat von Liverpool in den 1980er Jahren, der gegen Kürzungen kämpfte und große Reformen durchführte, einschließlich des Baus von Sozialwohnungen.
Wir halten es zwar für wichtig, für jede mögliche Verbesserung zu kämpfen, glauben aber nicht, dass wir einen „Sozialismus in einer Stadt“ aufbauen können. Mamdani kann auch nicht alle in New York City vertreten, denn „alle“ schließt die Milliardär*innen ein. Die laufenden Razzien der Einwanderungsbehörde ICE werden von der New Yorker Polizei unterstützt. Mamdani könnte und sollte mit der Demokratischen Partei brechen, um eine Massenbewegung und eine unabhängige neue politische Partei aufzubauen, um seine Wahlkampfforderungen durchzusetzen.
Was schlagt ihr den Arbeiter*innen und Aktivist*innen in New York vor?
Der Weg, um die Forderungen zu erreichen, für die Mamdani Wahlkampf gemacht hat, ist, sich weiterhin für sie zu organisieren, unabhängig von der Demokratischen Partei, und sich jetzt nicht zurückzulehnen und darauf zu warten, dass Mamdani seine Versprechen einlöst. Einige Unterstützer*innen Mamdanis haben eine Organisation namens „It’s Our Time for an Affordable New York” [Es ist unsere Zeit für ein erschwingliches New York] gegründet, die ein wichtiger Start sein könnte.
Eine solche Organisation könnte Taktiken wie Massenproteste und Streiks anwenden und Versammlungen in Nachbarschaften, am Arbeitsplatz und an Hochschulen umfassen, um einen sozialistischen Notfallhaushalt aufzustellen, um die vollständige Finanzierung der Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung gegen die Opposition der Konzerne und gegen politische oder rechtliche Hindernisse zu fordern. Ein guter Weg, dies zu erreichen, wäre der Aufbau einer Arbeiter*innenpartei.