Trotzki zum Nationalsozialismus

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„Interview” mit Leo Trotzki

Das folgende Gespräch mit Trotzki hat natürlich nie in dieser Form stattgefunden. Alle “Antworten” sind Auszüge aus dem Buch des russischen Marxisten “Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen-Schriften über Deutschland”. Leo Trotzki (1879-1940) war einer der wenigen, der in den 20er und 30er Jahren die Gefahr des Faschismus für die Arbeiterbewegung richtig einschätzte. Seine Aufrufe zur Schaffung einer Einheitsfront aus sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern gegen die Gefahr von Rechts, blieben aber ungehört. Von den Kapitalisten, bürgerlichen und sozialdemokratischen Politikern bekämpft und gehaßt, von den Stalinisten als Faschist (!) verleumdet und in Mexiko ermordet, bieten seine Ideen für die heutige Generation des Marxismus viele Anregungen und jede Menge brauchbare Analysen.

Warum war die Machtergreifung des Faschismus aus Sicht und Interessenslage des deutschen Kapitalismus in den 30ern notwendig? Die deutsche ArbeiterInnenklasse wurde doch Anfang der 30er Jahre ohnehin schon unglaublich ausgebeutet und mittels eines Notverordungsregimes von Kanzler Brüning politisch beschnitten.

“Es gibt ein Niveau, unter das Deutschlands Arbeiterklasse freiwillig und für lange sich nicht hinablassen kann. Indes will das um seine Existenz ringende bürgerliche Regime dieses Niveau nicht anerkennen. Brünings Notverordnungen sind bloß der Anfang, ein Abtasten des Bodens… Das System bürokratischer Verordnungen ist unbeständig, unsicher, kurzlebig. Das Kapital braucht eine andere, entschiedenere Politik. Die Unterstützung der Sozialdemokratie (für die Herrschaft des kapitalistischen Systems, Anm. d. Red..)… ist nicht nur unzureichend für seine Ziele, sie beginnt es bereits zu beengen. Die Periode der Halbmaßnahmen ist vorbei. Um zu versuchen, einen neuen Ausweg zu finden, muß sich die Bourgeoisie vollends des Drucks der Arbeiterorganisationen entledigen, sie hinwegräumen, zertrümmern, zersplittern. Hier setzt die historische Funktion des Faschismus ein.

Wann ist der Punkt erreicht, an dem die Bourgeoisie auf die faschistische Karte setzt und auf welche soziale Basis stützt sie sich dabei?

“Die Reihe ist ans faschistische Regime gekommen, sobald die normalen militärisch polizeilichen Mittel der bürgerlichen Diktatur mitsamt ihrer parlamentarischen Hülle für die Gleichgewichtserhaltung der Gesellschaft nicht mehr ausreichen. Durch die faschistische Diktatur setzt das Kapital die Massen des verdummten Kleinbürgertums in Bewegung, die Banden deklassierter, demoralisierter Lumpenproletarier und all die zahllosen Menschenexistenzen, die das gleiche Finanzkapital in Verzweiflung und Elend gestürzt hat.”

Bedeutet die Unterstützung der Faschisten nicht auch eine gewisse Gefahr für die Bourgeoisie. Falls sich die ArbeiterInnenklasse gegen eine Machtergreifung der Rechten wehrt (wie z.B im Spanien der 30er Jahre), liegt doch die Schlußfolgerung nahe, daß die ArbeiterInnen nicht nur mit den Faschisten, sondern auch mit ihren Hintermännern, den Kapitalisten versuchen, Schluß zu machen?

“Vom Faschismus fordert die Bourgeoisie ganze Arbeit: Hat sie einmal die Methoden des Bürgerkriegs zugelassen, will sie für lange Jahre Ruhe haben. Und die faschistische Agentur, die das Kleinbürgertum als Prellbock benutzt und alle Hemmnisse aus dem Weg räumt, leistet die Arbeit bis zum Ende. Der Sieg des Faschismus führt dazu, daß das Finanzkapital sich direkt und unmittelbar aller Organe und Einrichtungen der Herrschaft, Verwaltung und Erziehung bemächtigt… Die Faschisierung des Staates bedeutet… hauptsächlich die Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen.”

Aber warum wollten die Kapitalisten die Zerstörung nicht nur der ArbeiterInnenorganisationen, sondern auch der bürgerlichen “Demokratie” in einer Periode der zugespitzten Auseinandersetzung zwischen Revolution und Reaktion, wie es die 20er und 30er Jahre waren?

“Im Laufe vieler Jahrzehnte haben die Arbeiter innerhalb der bürgerlichen Demokratie, unter deren Ausnutzung und im Kampf mit ihr, eigene Festungen, eigene Grundlagen, eigene Zentren der proletarischen Demokratie geschaffen: Gewerkschaften, Sportorganisationen, Genossenschaften usw. Das Proletariat kann nicht im formellen Rahmen der bürgerlichen Demokratie an die Macht kommen, sondern nur auf revolutionären Wege; das ist durch Theorie und Praxis gleichermaßen erwiesen. Aber gerade für den revolutionären Weg braucht es Stützpunkte der Arbeiterdemokratie innerhalb des bürgerlichen Staates… Der Faschismus hat zur grundlegenden und einzigen Bestimmung, bis aufs Fundament alle Einrichtungen der proletarischen Demokratie zu zerstören.”

Aber wie sollen sich MarxistInnen gegenüber bürgerlichen Politikern verhalten, die sich antifaschistisch geben?

“Wir betrachten Brüning und Hitler samt Braun (SPD-Führer, Anm. d. Red.) als verschiedene Teilelemente ein und desselben Systems. Die Frage, wer von ihnen das kleinere Übel ist, hat keinen Sinn, denn das System, das wir bekämpfen, benötigt alle diese Elemente. Aber diese Elemente befinden sich augenblicklich im Zustand eines Konflikts, und die Partei des Proletariats muß diesen Konflikt im Interesse der Revolution ausnützen… Ebenso unsinnig ist die  abstrakte Frage, wer das kleinere Übel ist: Brüning oder Hitler… Wenn einer der Feinde mir täglich mit kleinen Giftportionen zusetzt, der zweite aber aus der Ecke hervorschießen will, so schlage ich vor allem diesem zweiten Feind den Revolver aus der Hand, denn das gibt mir die Möglichkeit mit dem ersten Feind fertig zu werden. Das heißt aber nicht, daß Gift im Vergleich zum Revolver ein kleineres Übel ist.”

Wie sah die Politik der Führung von KPD bzw. SPD aus? Und welche Strategie vertrat die linke, antistalinistische Opposition in der Kommunistischen Partei?

“Die Sozialdemokratie unterstützt Brüning, stimmt für ihn, übernimmt für ihn die Verantwortung vor den Massen mit der Begründung, die Brüning-Regierung sei das kleinere Übel.

Die Kommunisten aber, die Brüning und Braun in jeder Weise das Vertrauen verweigern (und das ist vollkommen richtig gehandelt), gingen auf die Straße, um Hitlers Volksentscheid zu unterstützen, das heißt den Versuch der Faschisten, Brüning zu stürzen. Damit haben sie selbst Hitler als kleineres Übel anerkannt…

Man (die KPD, Anm. d. Red.) muß in der Tat die völlige Bereitschaft zeigen, mit den Sozialdemokraten einen Block gegen die Faschisten zu bilden… Getrennt marschieren, vereint schlagen! Sich nur darüber verständigen, wie zu schlagen, wen zu schlagen und wann zu schlagen… Unter einer Bedingung: Man darf sich nicht die Hände binden! Ohne Verzug muß endlich ein praktisches System von Maßnahmen ausgearbeitet werden – nicht mit dem Ziel der bloßen (sogenannten) Entlarvung der Sozialdemokratie (vor den Kommunisten), sondern mit dem Ziel des tatsächlichen Kampfes gegen den Faschismus… Jeder Betrieb muß ein antifaschistisches Bollwerk sein, mit eigenen Kommandanten und eigenen Kampfmannschaften. Man muß eine Karte der faschistischen Kasernen und übrigen faschistischen Herde in jeder Stadt, in jedem Bezirk, haben. Die Faschisten versuchen, die revolutionären Zentren zu umzingeln. Die Umzingler müssen umzingelt werden.”

Nachdem die Führung der Kommunistischen Partei, auf Befehl Stalins, ablehnten, eine Einheitsfront auf Grundlage eines gemeinsamen Aktionsprogramms mit den hunderttausenden sozialdemokratischen ArbeiterInnen aufzubauen, kam 1933 der Faschismus in Deutschland an die Macht. Was bedeutete diese Entwicklung für das deutsche und internationale Proletariat?

“Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen, Gewalttaten und Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der politischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand der erzwungenen Zersplitterung zu halten. Dazu ist die physische Ausrottung der revolutionärsten Arbeiterschicht ungenügend. Das heißt, alle selbständigen und freiwilligen Organisationen zu zertrümmern, alle Stützpunkte des Proletariats zu zerstören… Die gewaltsame Zusammenfassung aller Kräfte des Volkes im Interesse des Imperialismus – die wahre geschichtliche Sendung der faschistischen Diktatur – bedeutet Vorbereitung des Krieges… Je weniger das Polizeiregime der Nazis ökonomisch leistet, desto größere Anstrengungen muß es auf außenpolitischem Gebiet unternehmen… Das Umschwenken der Naziführer auf Friedensdeklarationen kann nur Dummköpfe irreführen. Hitler hat kein anderes Mittel, als die Schuld an inneren Schwierigkeiten auf äußere Feinde abzuwälzen… Die Zeit, die uns bis zur nächsten europäischen Katastrophe bleibt, ist befristet durch die deutsche Aufrüstung. Das ist keine Frage von Monaten, aber auch keine von Jahrzehnten. Wird Hitler nicht von innerdeutschen Kräften aufgehalten, so wird Europa in wenigen Jahren neuerlich in einen Krieg gestürzt.”

(Alle zitierten Texte wurden in den Jahren 1930 bis 1933 verfaßt)

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