Wie stoppen wir AfD und Co.?

Rede von Sascha Stanicic bei den Sozialismustagen 2016

Hinweis: Zum Zeitpunkt der SozialismusTage 2016 hieß die Sozialistische Organisation Solidarität noch SAV.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Theo Bergmann,

Ich war mir nie sicher, ob ich hundert Jahre alt werden will, aber wenn ich Dich sehe und höre, dann wünsche ich mir, dass ich und dass wir dieses Alter erreichen und wie Du noch in der Lage sein werde, einen Beitrag zum Kampf für eine sozialistische Gesellschaft zu leisten bzw. einige von uns am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft teilnehmen werden.

Es ist keine Floskel zu sagen: Wir sind sehr froh und auch stolz, dass Du an diesen Sozialismustagen teilnimmst und wir Genossinnen und Genossen sind im Kampf gegen die Gefahr von Rechts und für eine Gesellschaft, die frei ist von Unterdrückung, von Ausbeutung, von Kriegen und Terror, Rassismus und Faschismus.

Die sozialistische Tradition, aus der Du kommst und die Tradition in der die SAV steht, haben im Bezug auf den Kampf gegen den Faschismus eines gemeinsam: wir nehmen einen Klassenstandpunkt ein, d.h. wir gehen an diese Frage vom Blickwinkel der Arbeiterklasse heran und wir verstehen den Faschismus – und auch Rassismus und Nationalismus – als Produkte der kapitalistischen Klassengesellschaft und den Kampf dagegen als Teil des Klassenkampfes gegen dieses kapitalistische System.

Es ist kein Zufall, dass es die Protagonisten dieser sozialistischen Traditionslinien – August Thalheimer und Leo Trotzki – waren, die sich im Kampf gegen Hitlers Nazis nicht nur für eine Arbeitereinheitsfront stark gemacht haben, sondern auch den Kampf gegen die Nazis als untrennbaren Bestandteil des Kampfes für die sozialistische Revolution verstanden haben. Das ergibt sich aus einem recht einfachen Gedanken: man muss jedes Übel an der Wurzel packen. Wie bei einem Krebsgeschwür reicht es nicht aus, die Symptome zu bekämpfen. Man muss den Krankheitsherd bekämpfen und besiegen, wenn man überleben will.

Polarisierung

Keine Frage: die Lage ist ernst und gefährlich. Die nationalistische Rechte ist gestärkt und selbstbewusster, Flüchtlingsunterkünfte gehen in Flammen auf, Migrantinnen und Migranten werden auf offener Straße überfallen, Pegida kann immer noch jeden Montag mehrere Tausend Anhänger mobilisieren und die AfD liegt in Umfragen mittlerweile bundesweit bei dreizehn Prozent. Wie Sarah Moayeri aber in ihrer Rede betonte, ist das aber nur die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite sind die vielen, örtlich zum Teil sehr großen Gegendemonstrationen, die wir seit dem Aufstieg von Pegida gesehen haben und die in einigen Städten die größten Mobilisierungen der Stadtgeschichte waren. Die andere Seite ist die enorme Hilfsbereitschaft von Hunderttausenden und Millionen für die in Deutschland ankommenden Geflüchteten. Die andere Seite sind die Umfragen, die zum Ausdruck bringen, dass die größte Sorge in der Bevölkerung ein Erstarken rechtsextremer Kräfte ist. Und die andere Seite sind auch die Streikbewegungen des letzten Jahres und die Massendemonstration gegen TTIP von einer Viertel Million Menschen im Oktober.

All das zeigt: es gibt eine enormes Potenzial nicht nur für den Kampf gegen Rechts, sondern auch für den Kampf für die sozialen Rechte der Arbeiterklasse und sozial Benachteiligten – dieses Potenzial muss nur mobilisiert und organisiert werden und einen politischen Ausdruck finden.

Das tut es zur Zeit aber nicht. Aus unserer Sicht, weil die Führungen der Organisationen, die dazu die Mittel in der Hand hätten ihrer Aufgabe bei weitem nicht gerecht werden. Es sind zwar viele tausend Mitglieder von LINKE und Gewerkschaften an vorderster Front aktiv gegen Rechts, aber die Organisationen insgesamt handeln nicht entschlossen, haben weder eine wirkungsvolle Strategie, noch ein Programm, dass zur Mobilisierung dienen könnte.

Die Bedeutung von Theorie

Warum? Ein entschlossenes und wirkungsvolles Handeln, eine richtige Strategie und ein passendes Programm müssen einer richtigen Analyse und letztlich einer die Verhältnisse tatsächlich erfassenden und erklärenden Theorie entspringen.

Es gibt ja unter manchen Aktivistinnen und Aktivisten auch eine gewisse Theoriefeindlichkeit und die Vorstellung der Streit um Analysen und Theorien sei eine akademische Sache für Spezialisten, die eher vom Kampf abhält, als zum Kampf beizutragen. Nichts könnte falscher sein. Für Marxistinnen und Marxisten ist eine zutreffende Theorie die Voraussetzung für erfolgreiches Handeln. Man darf nur nicht den Fehler begehen, die theoretische Debatte in Studierzimmern ausgewählter Zirkel zu führen und dort auch noch sitzen zu bleiben, anstatt sich an Kämpfen zu beteiligen. Deshalb stimmen sowohl Rosa Luxemburgs Aussage, die Peter Taaffe gestern schon zitierte, dass ein Gramm Praxis wichtiger sei, als eine Tonne Theorie, als auch die Aussage, dass es ohne eine revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis geben kann, umgekehrt aber auch ohne eine revolutionäre Praxis keine revolutionäre Theorie.

Vor allem aber wollen wir die theoretischen Debatten nicht den Professoren und selbsternannten Gelehrten überlassen, sondern sie in die Organisationen der Arbeiterbewegung tragen und mit allen führen, die kämpfen wollen, um sie für den Kampf zu bewaffnen.

Ausgangspunkt unserer Überlegungen für den Kampf gegen Rechts sind die Fragen: was ist der Charakter der Phänomene, mit denen wir konfrontiert sind – was sind ihre Ursachen? Was sind die Ursachen für das Anwachsen von Pegida und AfD?

Ursachen

Ich würde drei Punkte als Hauptfaktoren nennen: Erstens die langanhaltende soziale, wirtschaftliche und politische Krise des Kapitalismus mit all ihren Folgen für die Lebenssituation, die Zukunftsperspektiven und das Denken der Menschen. Zweitens der jahrzehntelang betriebene staatliche Rassismus und Nationalismus, der in der einen oder anderen Form auch in Teile der Arbeiterklasse und ihre Organisationen eingedrungen ist. Drittens die Untätigkeit und das Versagen der Führung der Arbeiterbewegung und der Linken. Diese drei Faktoren sind untrennbar miteinander verbunden und jede Strategie gegen Rechts muss beinhalten, diesen zu begegnen

Krise meine ich nicht im akut-konjunkturellen Sinne einer Rezession, sondern im Sinne des lang anhaltenden Niedergangsprozesses der kapitalistischen Gesellschaft. Diese Krise führt dazu, dass immer mehr Lohnabhängige schlechter leben, niedrigere Löhne bekommen, in unsicheren Arbeitsverhältnissen stecken, unter enormem Arbeitsdruck leiden, dass die soziale Infrastruktur abgebaut wird und man sorgenvoller in die Zukunft blickt. Sie führt auch zu Kriegen, die zu Terror führen und beides rückt immer näher an Europa und Deutschland heran und lässt ein Gefühl der Bedrohung und Unsicherheit anwachsen. Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Parteien und Institutionen dieser kapitalistischen Gesellschaft auf einem Tiefpunkt, gibt es eine enorme Legitimationskrise dieser Parteien und Institutionen und ein Abwenden von immer mehr Menschen von diesen. Im Umkehrschluss gibt es ein großes, wenn auch diffuses Bedürfnis nach einer Alternative zu all dem Etablierten und der AfD gelingt es sich als solche Anti-Establishment-Kraft zu präsentieren.

DIE LINKE

Nebenbei bemerkt, tut sie das mit einem offensiv und unzweideutig vorgetragenen Selbstverständnis als Oppositionskraft und verzichtet auf Diskussionen über Koalitionsoptionen. Davon könnten sich einige in der LINKEN, die der Meinung sind, ohne einen permanenten Hinweis auf die grundsätzliche Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen, könne man keine Wahlen gewinnen, eine Scheibe abschneiden. Leider scheinen sich manche jedoch an der falschen Stelle eine Scheibe abzuschneiden.

Wenn Bodo Ramelow als Thüringer Regierungschef abschieben lässt, wenn Sahra Wagenknecht sagt, Deutschland könne nicht noch eine Million Flüchtlinge aufnehmen und Oskar Lafontaine die Begrenzung der Einwanderung fordert, hat das nichts mit linker Politik zu tun und ist im Ergebnis Wasser auf die Mühlen der Rechten – egal, wie es gemeint ist und welche Motivation dahinter steckt.

Es hat auch nichts mit dem Parteiprogramm und den Beschlüssen der Partei zu tun. Und ich erwarte, dass gewählte Spitzenfunktionäre der Partei in solch zentralen Fragen, die Beschlüsse vertreten. In diesem Zusammenhang möchte ich Tobias Pflüger herzlich begrüßen, den stellvertretenden Parteivorsitzenden, der mit uns zusammen dafür kämpft, dass DIE LINKE sich unmissverständlich gegen alle Abschiebungen ausspricht. Der AKL in Berlin war es schon gelungen, dies auf einem Landesparteitag durchzusetzen und nun steht diese Position auch im Leitantrag des Parteivorstands für den kommenden Bundesparteitag.

Denn wir dürfen uns niemals abfinden mit den Bildern aus Idomeni und von der griechischen Küste. Und dazu möchte ich keine typischen Politiker-Antworten hören.

Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich möchte regelmäßig den Fernseher ausschalten, wenn ich LINKE-Politikerinnen und -Politiker in Talkshows oder im Bundestag sehe, die mit den Verantwortlichen für Agenda 2010, Kriegspolitik und Rassismus wie mit Kollegen reden und dann sagen „Wir“ müssten dieses oder jenes machen. Dieses „Wir“ bezieht sich dann entweder auf „die Politik“ oder auf „die Deutschen“. Beides sind „Wir“-Gruppen, die es für Linke und Sozialistinnen und Sozialisten nicht geben darf

Im Gegenteil: Linke müssen bei jeder Gelegenheit klar machen, dass sie mit den prokapitalistischen Parteien und Politikern nichts, aber auch gar nichts gemein haben – und sie sollten unzweideutige Internationalistinnen und Internationalisten sein.

Als ich vor 15 Jahren von unserem damaligen einzigen Abgeordneten im irischen Parlament durch das Parlamentsgebäude geführt wurde, sagte er zu mir, er habe dort nur einen einzigen Freund und zeigte auf die Statue des großen irischen Sozialisten James Conolly. Das stimmte nicht ganz, denn als ich mit ihm in der Kantine essen war, war klar, dass die Beschäftigten dort sehr wohl auch seine Freunde geworden waren. Aber es war klar: er war als Sozialist ein verhasster Fremdkörper in dieser Schwatzbude und genauso das wollte er auch sein. Bei Teilen der LINKE-Führung ist es immer noch so, dass ihr oberstes Ziel die Akzeptanz als Partner der anderen Parteien zu sein scheint. Das führt dazu, dass DIE LINKE von Vielen als Teil des Establishments wahr genommen wird. Die Hälfte der Befragten in einer Umfrage in Sachsen-Anhalt war der Meinung, dass DIE LINKE an der Regierung die Politik der Vorgänger weiter führen würde. Da wundert es nicht, wenn sie sich nicht in der Lage zeigt, Nichtwählerinnen und Nichtwähler zu mobilisieren.

Fast schlimmer ist es aber, wenn Linke und Gewerkschaftsführer mit ihrem „Wir“ die Deutschen meinen und so den Eindruck erwecken, alle Deutschen hätten dieselben Interessen, anstatt deutlich zu machen, dass es solche und solche Deutsche gibt und dass deutsche Lohnabhängige eben keine gemeinsamen Interessen mit deutschen Multimillionären haben, sehr wohl aber mit ihren türkischen und arabischen Kolleginnen und Kollegen, Nachbarinnen und Nachbarn.

Denn dieser Nationalismus ist eine Basis für den Rassismus – sowohl für den staatlichen Rassismus in Form von Sondergesetzen für Migrantinnen und Migranten, fehlendem Wahlrecht und Abschiebungen, als auch für den Rassismus der Sarrazins, Bachmanns und Petrys. Und wenn heute einige sagen, die AfD treibe die etablierten Parteien nach Rechts, so ist da natürlich etwas dran, aber die etablierten Parteien haben mit ihrem Nationalismus und Rassismus erst den ideologischen Boden für die AfD bereitet.

Der Kampf gegen Rechts muss deshalb beides verbinden: die berechtigten sozialen Ängste und Frustration mit dem Establishment aufgreifen und eine Perspektive aufzeigen, den Kampf für soziale Verbesserungen und gegen die verhasste politische Kaste zu führen. Und Rassismus und auch Nationalismus bekämpfen – und zwar nicht nur den verschärften Rassismus und Nationalismus von AfD, NPD und Co., sondern auch den der etablierten Parteien und des kapitalistischen Staates.

Fragen der Bündnisarbeit

In der Partei DIE LINKE ist nach den Landtagswahlen eine Debatte in Gang gekommen, in der unterschiedliche Kräfte der Parteilinken nur eine dieser beiden Komponenten betonen. Die einen sagen, man könne die AfD nur durch das Aufgreifen der sozialen Frage stellen und wollen über Rassismus so wenig wie möglich reden bzw. unterstützen die Aussagen Sahra Wagenknechts und Oskar Lafontaines zu angeblichen Grenzen der Aufnahmefähigkeit.

Die anderen sagen, man müsse der AfD die bürgerliche Maske entreißen und behaupten, Einheitsfrontpolitik heute bedeute in breiten Bündnissen mit SPD und Grünen die AfD als eine im Kern faschistische Partei zu entlarven und Bündnisaktivitäten darauf zu beschränken.

Wir halten beides für nicht zielführend. Wir stimmen überein: der beste antirassistische Kampf sind gemeinsame Kämpfe von Lohnabhängigen, Jugendlichen für ihre gemeinsamen Interessen.

Ganz praktisch sind solche Kämpfe Stätten der Begegnung, bei denen Vorurteile überwunden werden, aber vor allem sind sie der beste Lehrmeister dafür, dass Rassismus spaltet, man aber nur gemeinsam und geschlossen erfolgreich kämpfen kann – und Voraussetzung für Gemeinsamkeit und Geschlossenheit ist Gleichheit und Respekt, statt Diskriminierung und Ausgrenzung. Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie in Kämpfen Spaltung überwunden wird und spalterische Kräfte, ob nationalistisch, rassistisch oder religiös-fundamentalistisch zurück gedrängt werden können. Um ein entfernter liegendes Beispiel zu nennen: Als in Nigeria vor vier Jahren ein Generalstreik stattfand, konnte Boko Haram in dieser Zeit keine Anschläge durchführen. Aber das bedeutet nicht, dass es einen Automatismus gibt und Linke auf Aufklärungsarbeit gegen rassistische Vorurteile und Ideologien verzichten könnten.

Die andere Haltung erscheint auf den ersten Blick nachvollziehbar: wenn man die AfD als große Gefahr betrachtet, muss man mit möglichst allen, die etwas gegen die AfD machen wollen zusammen arbeiten – schließlich war die Spaltung im Kampf gegen Hitler ein Hauptgrund für seinen Sieg und wollen wir doch alle die Einheitsfront. Damit begründen die einen die von Gewerkschaftsspitzen ins Leben gerufene „Allianz für Weltoffenheit und sonstigem Blabla“ – einem Papiertiger zusammen mit dem Arbeitgeberverband, die dieser als Plattform zur Propagierung von Abschiebungen nutzen kann. Andere begründen somit die Bildung des Bündnisses „Aufstehen gegen Rassismus“, in dem sich LINKE-Politiker mit der gesamten Spitze der Grünen und mit Ministerinnen und Spitzenpersonal der SPD zusammenschließen. Sherlock Holmes hat einmal etwas gesagt, was klingt, als ob es an diese Genossinnen und Genossen von marx21 und anderen in der Linken gerichtet gewesen sei: „Man verdreht Fakten, um sie an die Theorie anzupassen, anstatt die Theorie an die Fakten anzupassen.“ Denn zwei Grundprämissen dieser Politik sind falsch.

Was ist die AfD und was nicht?

Die AfD ist rassistisch und extrem nationalistisch, vertritt zum Teil völkisches Gedankengut. Sie ist geistige Brandstifterin und betreibt Hetze, die wie eine Einladung zu Übergriffen wirkt. Höcke und Gauland erinnern in ihrer Rhetorik an Göbbels und die Nazis. Aber die AfD ist nicht faschistisch und hat auch keinen faschistischen Kern. Ich sage das nicht, um die Gefahr, die von dieser Partei ausgeht, kleinzureden, aber ohne eine korrekte Analyse ist eine korrekte Politik nicht möglich.

Faschismus ist eine besondere Form bürgerlicher Reaktion. Er hat das Ziel nicht nur demokratische Rechte abzubauen oder eine rassistische Politik durchzusetzen, sondern richtet sich gegen alle demokratischen Rechte und verfolgt insbesondere das Ziel, die Arbeiterbewegung in ihrer Gänze zu zerschlagen. Das ist nicht dadurch möglich, dass solche Kräfte einfach nur die Regierungsposten übernehmen, sondern sie brauchen eine terroristische Bewegung, die die Straße erobert und jeden Widerstand und jede Gegenbewegung physisch zerschlägt und im Zustand der Zersplitterung halten kann. Diese Zielsetzung ist bei faschistischen Parteien wie der NPD oder der Partei Die Rechte eindeutig erkennbar. Sie zeigt sich in Angriffen auf Gewerkschaftsdemos wie in Dortmund und linke Mobilisierungen wie in Aachen oder dem Überfall auf das Leipziger Szeneviertel Connewitz im letzten Jahr.

Die AfD ist zweifellos nach Rechtsaußen offen und es gibt Schnittmengen insbesondere bei den Straßendemonstrationen in Ostdeutschland, aber die AfD hat nicht nur keinen bewaffneten, terroristischen Arm, sondern sie ist bisher auch kein Sammelbecken für die Nazis aus NPD, autonomen Nazi-Gruppen oder anderen. Und da, wo die Zusammenarbeit weit geht, sieht sich die Führung gezwungen einzugreifen, wie in den letzten Tagen bei der Auflösung des saarländischen Landesverbands.

Selbst wenn Frauke Petry zur Kanzlerin oder Höcke zum Kanzler gewählt würden, was ohnehin für die absehbare Zukunft ausgeschlossen ist, würde das nicht die Machtergreifung von Faschisten und die Faschisierung des Staates bedeuten, wie es Hitlers Wahl zum Reichskanzler im Januar 1933 bedeutete.

Wie Trotzki sagte, kann auch die Überschätzung eines Gegners diesen stark machen, weil es die eigenen Reihen desorientiert. Die Charakterisierung der AfD als faschistisch bzw. als auf dem sicheren Weg zu einer faschistischen Partei lenkt davon ab, dass der Kampf nicht nur gegen die AfD, sondern gegen jeden Rassismus geführt werden muss, mit Argumenten und dem Aufbau sozialer Gegenbewegungen.

Einheitsfront damals und heute

Der andere Fehler ist es, das Erscheinungsbild der Einheitsfrontpolitik für die Trotzki und Thalheimer eintraten – das Bündnis von Kommunisten und Sozialdemokraten – auf heute zu übertragen.

Einige von Euch kannten Horst Steinert, der wie Theodor Bergmann schon vor Hitlers Machtergreifung in der Kommunistischen Jugend Widerstand leistete. Er hat immer die Geschichte vom 30. Januar 1933 erzählt. Am Tag von Hitlers Wahl zum Reichskanzler saß er mit Kommunisten und Sozialdemokraten in den Kellern der Arbeiterviertel auf Waffenkisten und sie warteten auf den befehl der Führung zum Generalstreik und bewaffneten Widerstand.

Der Gedanke, dass heute Hunderttausende und Millionen sozialdemokratischer Arbeiterinnen und Arbeiter nicht gegen die AfD auf die Straße gehen, weil die SPD-Führung nicht dazu aufruft, hat nichts mit der Realität zu tun. Die SPD ist heute eine durch und durch bürgerliche Partei, Wegbereiterin von Neoliberalismus, Agenda 2010 und Krieg, mitverantwortlich für staatlichen Rassismus, Asylrechtsverschärfung und den schmutzigen Deal mit der Türkei, der die Flüchtlinge an das mörderische Erdogan-Regime verkauft hat. Theodor Bergmann hat gestern gesagt, dass die Politik des Co-Managements und der Agenda 2010 das historische Ende der SPD und des Reformismus markierte. Aber vor allem ist sie eine Partei, von der sich die Arbeiterklasse weitgehend abgewendet hat und sich nicht mehr mit ihr identifiziert, auch wenn Teile sie noch wählen, ohne aktive Basis in der Klasse. Tatsächlich hat es die größten Mobilisierungen der letzten fünfzehn Jahre immer gegen die SPD gegeben: 2003 und 2004 gegen Agenda 2010 und Hartz IV, letztes Jahr gegen TTIP.

Die Hoffnung durch solche Bündnisse breite Massen zu mobilisieren ist trügerisch. Hinzu kommt, dass dafür ein hoher politischer Preis gezahlt wurde. SAV-Genossen waren ja an den Vordiskussionen zur Bündnisgründung beteiligt und haben unsere Vorschläge eingebracht. Wir haben mitbekommen, wie die Kritik an der Verschärfung des Asylrechts aus dem Aufrufentwurf gestrichen wurde, um die Breite nicht zu gefährden. Der Verzicht auf jegliche Kritik an der Großen Koalition, auf eine Kritik am staatlichen Rassismus, auf den Hinweis, dass die Funktion des Rassismus die Spaltung der arbeitenden Bevölkerung ist, auf soziale Forderungen bedeutet, dass keine Argumente geliefert werden. Und letztlich wird SPD und Grünen ein antirassistisches Gütesiegel ausgestellt, das sie wahrlich nicht verdient haben. Es ist absehbar, dass solche Bündnisse wie ein Messer ohne Klinge sein werden. Das gilt unabhängig davon, ob sie einmalige große Demonstrationen auf die Beine stellen können. Wie Theo Bergmann sagte, sind Erfolge bei Demonstrationen nur ein Tag im Jahr. Der Kampf gegen Rechts muss dadurch gewonnen werden, dass wir den Rassisten, Rechtspopulisten und Nazis den Boden entziehen. Weder der damalige so genannte Aufstand der Anständigen unter Gerhard Schröder Ende der 1990er Jahre noch die erfolgreichen Mobilisierungen gegen die Nazi-Aufmärsche in Dresden 2011 und 2012 haben das Wachstum der Rassisten verhindert, Natürlich waren die Mobilisierungen von dresden wichtige Erfolge, an denen die SAV beteiligt war, aber sie waren einmalige Aktionen und gaben keine politischen Antworten für diejenigen gegeben, die für Kräfte wie die AfD anfällig sind.

Wenn man Bündnisse mit den Kräften schließt, von denen sich große Teile der Massen zurecht abwenden, wird es ungleich schwerer diese zu erreichen. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir vorschlagen würden, es zur Bedingung zu machen, dass SPD und Grüne oder gar Mitglieder und Wählerinnen und Wähler dieser Parteien aus antirassistischen Bündnissen ausgeschlossen werden. Und wenn es um tatsächliche Aktionseinheiten zur unmittelbaren Verhinderung bestimmter rechter Mobilisierungen geht, sollte grundsätzlich jeder und jede willkommen sein, der an Blockaden gegen Nazis oder AfD teilnehmen will. Aber politische Bündnisse zu schließen, die dauerhafte politische Argumentationsarbeit in der Arbeiterklasse betreiben sollen und dafür auf die politischen Inhalte zu verzichten, die notwendige Voraussetzung sind, um die Rechten zurückzudrängen, ist zum Scheitern verurteilt.

Das ist so, als ob man meint gegen Kopfschmerzen möglichst viel Medizin einwerfen zu müssen und Medikamente gegen Leberzirrhose, Schuppenflechte und schwachen Blutdruck einwirft und dann noch dem Rat meiner jugoslawischen Großmutter folgt, die der Meinung war, ein Glas Slivovic helfe gegen alles. Und das hat, nebenbei bemerkt, auch nichts mit der tatsächlichen Einheitsfrontpolitik zu tun für die Trotzki argumentierte und die von Trotzkisten vor Hitlers Machteroberung angewendet wurde. Ihm ging es einerseits um die gemeinsame direkte Aktion und Mobilisierung gegen die Nazis, um den Schutz vor faschistischen Übergriffen, um die Verhinderung von Aufmärschen von SA und SS. 1931 schrieb er: „Keine gemeinsame Plattform mit der Sozialdemokratie oder den Führern der deutschen Gewerkschaften, keine gemeinsamen Publikationen, Banner, Plakate! Getrennt marschieren, vereint schlagen! Sich nur darüber verständigen, wie zu schlagen, wen zu schlagen und wann zu schlagen! Darüber kann man mit dem Teufel selbst sich verständigen und mit seiner Großmutter. Unter einer Bedingung: man darf sich nicht die eigenen Hände binden!“ Das entscheidende Wort hier und das ist nicht sinnbildlich gemeint ist: Schlagen! Zeigt mir die SPD-Führer, die tatsächlich bereit sind, die Rechten zu schlagen! Die Erfahrung ist doch in der Regel, dass sie vor der Konfrontation zurück schrecken, sich auf Polizei und Staat verlassen, weil sie wissen, dass jede direkte Massenaktion gegen Nazis auch eine Konfrontation mit dem Staat bedeutet, mit dem sie sich identifizieren, mit dem sie verschmolzen sind und für den sie stehen.

Aber vor allem sehen wir nicht die Verantwortung von Linken darin, die politischen Inhalte von Bündnissen zu verwässern und sich anzubiedern, nur um SPD und Grüne ins Boot zu holen. Denn der andere Aspekt von Trotzkis Einheitsfrontkonzeption war es, auch den gemeinsamen Kampf gegen Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse zu führen. In Bruchsal konnten die Trotzkisten vor Hitlers Machtergreifung erfolgreiche Einheitsfrontaktionen durchsetzen. Sie mobilisierten unter dem Slogan: „Gegen Abbau der Löhne und der Sozialfürsorge sowie gegen die unmittelbare drohende Gefahr eines faschistischen Regierungsterrors!“ Die soziale Frage wurde natürlich nicht ausgespart beim Kampf gegen die Nazis.

Was tun?

Welchen Weg sollten wir also einschlagen, um AfD und Co. zu stoppen, einen Rechtsruck zu verhindern und Rassismus in jeder Form zu bekämpfen?

Wir müssen in allen Kämpfen die Verbindung ziehen: in den sozialen Kämpfen das Thema Rassismus nicht aussparen und im Kampf gegen Rassismus die soziale Frage aufwerfen. Wir sollten Bündnisse bilden, die sich zum Ziel setzen rechte Mobilisierungen tatsächlich zu stoppen, wirkliche Argumente gegen Rassismus zu verbreiten und dadurch zwangsläufig auf die Funktion von Rassismus in der Klassengesellschaft, also die Spaltung der Beherrschten, hinzuweisen.

Vor allem müssen wir in den Gewerkschaften den Kampf für eine antirassistische Massenkampagne führen. Stellen wir uns vor die Gewerkschaften würden ihre Möglichkeiten nutzen und Betriebsversammlungen zur Diskussion über den wahren Charakter der AfD und ihres arbeiterfeindlichen Charakters organisieren. Sie würden ihre Vertrauensleute und Betriebsräte entsprechend schulen, Flugblatt- und Plakatkampagnen durchführen und bei allen Streiks den Kampf gegen Rassismus und AfD zum Thema machen und erklären, wieso Rassismus nur den Kapitalisten dient. Und sie würden sich für die Geflüchteten öffnen und ihre Organisationen zum Schutzraum für Flüchtlinge machen. Dann sähen die Kräfteverhältnisse und die Stimmung in diesem Land gänzlich anders aus.

Wir müssen für solche Gewerkschaften kämpfen und in der LINKEN für sozialistische Politik kämpfen. Wir dürfen uns dabei aber nicht von den Apparaten dieser Organisationen abhängig machen, sondern müssen uns unabhängig organisieren.

Erich Fried hat einmal gesagt: „Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. Ein Antifaschist, der nichts ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.“ Wirklicher und wirkungsvoller Antifaschismus und Antirassismus muss die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit bekämpfen. Ich hoffe, die Sozialismustage haben Euch viele Ideen und Anregungen gegeben, wie man kämpfen kann, Euch überzeugt, dass es alternativlos ist, zu kämpfen, es sich aber auch lohnt zu kämpfen. Dass man das nicht alleine machen kann und dass man ein Ziel braucht, eine Vision einer sozialistischen Gesellschaft basierend auf Gemeineigentum und Arbeiterkontrolle und -verwaltung. Helmut Schmidt hat einmal gesagt, wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen. Das Gegenteil ist der Fall: wer keine Vision einer besseren, sozialistischen Gesellschaft hat, läuft vielmehr Gefahr den Arzt aufsuchen zu müssen, weil das Risiko höher ist, Depressionen zu bekommen oder Alkoholiker zu werden.

Es ist eigentlich ganz einfach: Kapitalismus macht krank, Sozialismus macht gesund! Lasst uns gemeinsam für unsere Gesundheit kämpfen! Damit es in zukünftigen Generationen normal sein wird, hundert Jahre alt zu werden und man das Leben in vollen Zügen genießen kann. Dafür zu kämpfen lohnt sich. Das ist nicht immer einfach, aber wenn wir es gemeinsam tun, können wir gewinnen.

Die Sozialismustage haben alle meine Erwartungen übertroffen. Ich habe einige Gesichter gesehen, die ich lange nicht gesehen habe und mich sehr darüber gefreut. Besonders gefreut habe ich mich aber über die vielen neuen und jungen Gesichter.

Dieses Wochenende ist ein Schritt, sicher ein kleiner, eine revolutionäre und marxistische Kraft aufzubauen, die die Welt erfolgreich aus den Angel heben kann!