Karl Liebknecht und die sozialistische Jugendinternationale
Vor über 110 Jahren, im August 1907, wurde von zwanzig Delegierten aus 13 Ländern in Stuttgart die „Internationale Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen“ als erster länderübergreifender Zusammenschluss der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung gegründet.
von Daniel Kehl, Dortmund
Erster Vorsitzender wurde Karl Liebknecht, später Kriegsgegner in der SPD und Mitbegründer der Kommunistischen Partei in Deutschland. Es waren Themen wie die drohende Kriegsgefahr oder die miserable Behandlung von Lehrlingen, die den Zündfunken für die Entstehung sozialistischer Jugendgruppen in vielen europäischen Ländern bildeten. Ihr Kampf gegen Militarismus und Ausbeutung und für eine sozialistische Gesellschaft bleibt bis heute beispielhaft.
Die soziale Lage vieler Jugendlicher aus der Arbeiterklasse war gegen Ende des 19. Jahrhunderts katastrophal: Kaum aus der Volksschule entlassen, kamen sie nicht selten als Lehrlinge in Handwerksbetriebe, wo sie unmenschliche Wohnverhältnisse in Werkstätten, Rumpelkammern oder Dachböden, schlechte Nahrung und Krankheiten erwarteten. Durch die Konkurrenz der industriellen Produktion zunehmend in den Ruin getrieben, verlangten die Meister ihren jungen Auszubildenden eine hohe Arbeitsbelastung zu erbärmlichen Löhnen ab, auch körperliche Misshandlungen standen auf der Tagesordnung. Dazu kam in Ländern wie Belgien ein gnadenloses militärisches Rekrutierungssystem, bei dem gerade verarmte Arbeiterjugendliche in die Armee zwangseingezogen wurden, während die Söhne bürgerlicher Familien sich vom Dienst freikaufen konnten.
Gegen diese Verhältnisse richtete sich der Widerstand der Arbeiterjugendbewegung, die sich parallel zu Arbeiterparteien und Gewerkschaften entwickelte. Gruppen wie die 1886 gegründete belgische „Jeune Garde Socialiste“ (Sozialistische Junge Garde) leisteten erfolgreiche Arbeit gegen Militarismus und Zwangsrekrutierungen – zum Beispiel durch Massendemons-trationen, Protestversammlungen und Sabotage der öffentlichen Auslosungen für die Rekrutierung –, während Zusammenschlüsse wie der „Verein jugendlicher Arbeiter“, der 1893 in Österreich entstand, JungarbeiterInnen vor allem gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen organisierte.
Eine Internationale der Arbeiterjugend
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren so neben Belgien und Österreich, sozialistische Jugendgruppen in Ländern wie Italien, Bulgarien, Deutschland oder Schweden entstanden. Schon auf dem Pariser Kongress der II. Internationale 1900 wurde von jungen Delegierten angeregt, die bestehenden Organisationen länderübergreifend zu verbinden; die tatsächliche Gründung ging jedoch erst auf die Einberufung einer internationalen Jugendkonferenz durch den süddeutschen „Verband junger Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands“ im Rahmen des Sozialistenkongresses 1907 in Stuttgart zurück. Neben energischer Propaganda gegen Militarismus und Krieg – auch durch den Einfluss Karl Liebknechts – wurde dort ein Programm für den Lehrlingsschutz verabschiedet, das unter anderem einen 6-stündigen Maximalarbeitstag für Jugendliche unter 18 und ein Verbot der Nachtarbeit für Auszubildende forderte.
Zweifellos hatte die neue Jugendinternationale auch ihre Schwächen: Statt eine feste organisatorische Einheit zu schaffen, war sie eher ein loser Zusammenschluss. Auch gelang es ihr, ähnlich wie der II. Internationale insgesamt, kaum weltweit auszugreifen: Außerhalb Europas gab es lediglich lockere Kontakte in die USA und nach Argentinien.
Zerfall der Jugendinternationale
Obwohl die Internationale auf ihren Jungendkonferenzen mehrmals beteuert hatte, dass sie der Kriegsgefahr entgegentreten würde, versank sie 1914 in Handlungsunfähigkeit. Die meisten Jugendorganisationen ordneten sich vorerst der Burgfriedenspolitik ihrer Mutterparteien unter; erst eine gemeinsame Konferenz in Bern 1915 führte zu einer Neuorganisation, die unter dem Einfluss Willi Münzenbergs 1919 in der nun explizit revolutionär-marxistischen Kommunistischen Jugendinternationale (KJI) aufging.
Die Bedeutung der Jugendinternationale für heute ist trotzdem nicht zu unterschätzen: Sie versuchte den täglichen Kampf gegen Militarismus und für soziale Verbesserungen mit einer systemüberwindenden Perspektive zu verbinden. Sie machte klar, dass der gemeinsame Kampf gegen das kapitalistische System wiederum nur durch internationale Solidarität der Jugend geführt werden kann. Linke Jugendgruppen heute täten gut daran, diesem Beispiel von Antikapitalismus und Internationalismus zu folgen.