Filmtipp: „Gundermann“

Eine andere Geschichte der DDR

Seit fast dreißig Jahren ist die DDR nun schon Geschichte. Warum darüber noch einen Film machen? Weil es so viel zu erzählen gibt. Weil es so vieles gibt, was anders erzählt werden muss, als uns immer wieder von den Medien und bürgerlichen Parteien eingetrichtert wird. Weil es letztlich gilt zu verstehen, was die DDR war und was sie nicht war. Um zu lernen, wie eine Alternative zum real existierenden Kapitalismus aussehen kann.

Von Torsten Sting, Rostock

Eines vorneweg. Es ist ein wunderbarer Film! Du sitzt kaum auf deinem Platz und schon packt dich der Streifen. Und er endet mit dem Abspann, bei dem kein Zuschauer auf den Gedanken kommt, frühzeitig zu gehen. Alle bleiben sitzen und es brandet zum Schluss Applaus auf.

Hauptfigur

Der Film spielt in der DDR der 1970er und 80er Jahre. Die Perspektive wechselt mit den Jahren nach der Wende. Der Film behandelt eine reale Figur, die in der DDR und einige Jahre nach der Wende zu Berühmtheit gelangte.

Hauptfigur ist der Baggerfahrer Gerhard Gundermann, der von seinen FreundInnen nur „Gundi“ genannt wird. Er arbeitet im Braunkohletagebau im Drei-Schicht-Betrieb. Nebenbei macht er Musik und textet selber die Songs. Gundi ist ein Typ mit Ecken und Kanten, mit viel Herz und Leidenschaft. Ein Malocher, der sagt was er denkt, der mit den Mächtigen aneckt. Jemand der beharrlich um seine große Liebe kämpft.

Politischer Background

Gundermann sieht sich selber als Kommunist. Anders als die verknöcherten SED-Funktionäre nimmt er die Ideen von Marx ernst. Er kämpft um seine Aufnahme in die Partei. Der Zuschauer ahnt, dass es nicht gut ausgehen kann. Zu aufrichtig, zu aufmüpfig ist er für die SED, zu deutlich spricht der einfache Arbeiter die Widersprüche an.

Als ein hoher Funktionär den Tagebau besucht um schöne Bilder für die Zeitungen und das Fernsehen produzieren zu lassen, hält sich Gundi nicht ans Protokoll und fragt geradeheraus: „Warum fahrt ihr in Westautos?“ Er kritisiert den Abbau der Braunkohle und den damit verbundenen Raubbau an der Natur. Die Reaktion der Funktionäre ist arrogant und bringt ihn auf die Palme. Einen der ihren boxt er zu Boden und er wird aus der Partei ausgeschlossen. Doch dies geschieht nicht kampflos. Er weigert sich das Parteibuch abzugeben und seinen Ideen abzuschwören. Die DDR ist „sein Land“ und er will es nicht den Parteibürokraten überlassen. Dafür geht er auch einen Pakt mit dem Teufel ein.

Stasi

Die Identifikation mit dem Rebellen bekommt Risse, als die ZuschauerInnen erfahren, dass er auch Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi war. Wie kann das sein? Warum lässt er sich mit der dunklen Seite der Macht ein? Verrät er damit nicht seine Ideale?

Das Tolle an dem Film ist, dass er plastisch darlegt, dass die Frage der Stasizuträger häufig genug nicht mit einem einfachen schwarz oder weiß zu beantworten ist. Jeder Fall war anders und muss in seiner eigenen Komplexität betrachtet werden. Die Gleichung, IM=Verbrecher ist denkbar einfach. Zu einfach.

Gundermann spitzelte anfangs aus Überzeugung, so wollte er unter anderem Leute daran hindern, die DDR zu verlassen, weil diese dem Land beim Aufbau fehlen würden. Das geht aber weiter, in dem er Berichte über KollegInnen und FreundInnen verfasst. (Die Darstellung im Film weicht allerdings etwas vom realen Fall ab. In einem Beitrag des MDR heißt es, dass Gundermann, die Stasi benutzen wollte um gegen unliebsame Parteifunktionäre vorgehen zu können). Wie absurd die Stasi das Spitzelwesen auf die Spitze trieb, sieht man daran, dass auch Gundermann von einem Freund überwacht wurde und dieser den Auftrag erhielt, seine Beziehung zu zerstören. Nach etwa acht Jahren beendete Gundermann die Zusammenarbeit mit der Stasi. Nach der Wende ist er erschrocken über sich selbst, wie weit er gegangen ist und wie vieles er verdrängt hat. Die schwierige Phase der Selbstreflexion und der Versuch mit den Denunzierten ins Gespräch zu kommen, beginnt. Der Film endet mit einem Konzert. Zu dessen Anfang outet er sich als Stasi-IM.

Was bleibt

Gerade Menschen, die nicht in der DDR gelebt haben, sollten sich den Streifen anschauen. Das wird den Blick weiten. Der Film gibt ein Gefühl dafür, was die DDR war und dafür, was es bedeutet, wenn wir auf dieser Webseite immer wieder von „Stalinismus“ oder „bürokratischer Diktatur“ im Zusammenhang mit der DDR oder der Sowjetunion schreiben. Gerhard Gundermann war im Film als auch in der Realität eine besondere Persönlichkeit. Der Film wird durchzogen von dessen besonderer Musik, den Texten die ans Herz gehen. Die Liebe seines Lebens findet er, nach einigen Irrungen und Wirrungen. Gundermann starb früh, mit nur 43 Jahren.

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