Klassenkampf von unten nötig
Zum Jahreswechsel häuften sich Zeitungsberichte und Politiker-Statements über ein Abflauen der Konjunktur, sogar die Möglichkeit einer Rezession wird diskutiert. Gleichzeitig wird versucht, die Schuld auf Trumps Handelspolitik, den Brexit, die italienische Regierung, die Gelbwesten oder wen auch immer zu schieben.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
2018 wuchs die deutsche Wirtschaft nur noch um 1,5 Prozent, nachdem zu Anfang des Jahres 2,5 Prozent erwartet worden waren. Eine ganze Reihe von Betrieben hat Stellenabbau angekündigt: Bayer 12.000, Deutsche Bank 10.000, Siemens 6000, Allianz und Telekom 5000. Der Ifo-Geschäftsklimaindex prognostiziert eine Wachstumsverlangsamung. Die weltweiten Börsenkurse fielen im vergangenen Jahr um zwölf Prozent.
Nach der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 gab es in Deutschland eine wirtschaftliche Erholung. Das wird jetzt als „goldene Jahre“ und „Hochkonjunktur“ verklärt. Unter dem Schock des Einbruchs 2009 haben Regierungen Konjunkturprogramme (wie die deutsche „Abwrackprämie“) gestartet. Mit öffentlichen Geldern wurden Banken gerettet, die sich verspekuliert hatten. Die Notenbanken drehten den Geldhahn auf. Von 2015 bis 2018 kaufte die EZB Staatsanleihen für über 2,5 Billionen Euro, die US-Fed 2008-2015 für 3,5 Billionen Dollar. Trotzdem ist zum Beispiel das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den neun Jahren 2010 bis 2018 preisbereinigt gerade mal um zwanzig Prozent gewachsen. Nebenbei bemerkt: Von einer Reallohnsteigerung von zwanzig Prozent im selben Zeitraum konnten die Beschäftigten nur träumen. Die Arbeitsproduktivität ist 2010 bis 2018 insgesamt nur um klägliche 5,5 Prozent gewachsen. Und das, obwohl die niedrigen Zinsen Investitionen eigentlich erleichterten. Aber die Schaffung eines Niedriglohnsektors machte es für die Kapitalist*innen günstiger, schlecht bezahlte und gering qualifizierte Arbeitskräfte einzustellen, statt in neue Maschinen und Technik zu investieren, so dass die Arbeitsproduktivität kaum noch stieg. Vor allem entstanden neue Spekulationsblasen, etwa in den Aktien- und Immobilienmärkten, nachdem die alten Blasen 2007 bis 2009 geplatzt waren. Dieser Charakter des „Booms“ zeigt deutlich, dass der Kapitalismus die Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr vorwärts bringen kann. Die nächste Wirtschaftskrise steht an, früher oder später, mit oder ohne Trump, mit oder ohne Brexit.
Perspektiven
Ob es 2019 oder 2020 zu einer Wirtschaftskrise kommt, lässt sich nicht vorhersagen. Dazu ist die kapitalistische Wirtschaft zu unberechenbar. 2008 bis 2009 konnte man drastisch sehen, wie sich Wirtschafts- und Finanzkrise gegenseitig verstärken können.
Auf jeden Fall kann man sagen, dass die staatlichen Möglichkeiten, bei einer Krise gegenzusteuern, geringer sind als 2008/09. Die deutsche Wirtschaft ist deutlich abhängiger von der Weltwirtschaft geworden. 2002 machten die Exporte 32,6 Prozent des BIP aus, 2010 bereits 42,3 Prozent und 2018 sogar 47 Prozent.
Die traditionelle Methode der Notenbanken zur Konjunkturbeeinflussung ist die Senkung bzw. Erhöhung der Zinsen. Die US-Notenbank Fed senkte 2001 bis 2003 die Leitzinsen schrittweise von 6,5 Prozent auf einen Prozent, um die Konjunktur anzukurbeln. 2006 bis 2008 senkte sie sie von 5,5 Prozent auf null bis 0,25 Prozent. Auf diesem Niveau blieben sie bis 2015 und wurden seitdem bis zum Dezember 2018 auf gerade mal 2,25 bis 2,5 Prozent erhöht. Der Spielraum für Zinssenkungen ist also geringer als bei früheren Krisen. Die EZB hat früher die Zinsen ähnlich wie die Fed angehoben und gesenkt, nur weniger stark. Als sie 2011 wieder mit Zinserhöhungen begann, eskalierte die „Staatsschuldenkrise“ Südeuropas. Die Zinsen wurden daraufhin schrittweise auf minus 0,4 Prozent gesenkt. Auf diesem Niveau sind sie noch heute. Als Mittel zur Konjunkturankurbelung bleibt der EZB nur, den Geldhahn wieder aufzudrehen, etwa durch den Kauf von weiteren Staatsanleihen.
Welche Politik in der Krise?
Die Regierung kann die Wirtschaft ankurbeln durch öffentliche Investitionen, Sozialausgaben etc. In der Krise 2008/2009 haben die Regierungen das weltweit praktiziert und damit einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhindert. Heute sind die Staatsschulden Deutschlands im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung etwas niedriger als vor der Krise, aber in der Eurozone insgesamt sind sie deutlich höher. Von 2007 bis 2010 schnellten sie von 66 Prozent auf 85 Prozent des BIP hinauf, bis 2017 stiegen sie weiter auf 87 Prozent.
Weltweit addieren sich die Schulden von Privathaushalten, Unternehmen sowie der öffentlichen Hand mittlerweile auf astronomische 244 Billionen Dollar. Das sind 318 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.
Darüber hinaus ist keineswegs sicher, dass diesmal der politische Wille für koordinierte Konjunkturprogramme besteht. 2008/2009 zogen die Regierungen international weitgehend am gleichen Strang. Seitdem hat sich der internationale Konkurrenzkampf weiter verschärft, politische Konflikte und Handelskriege haben drastisch zugenommen.
Klassenkampf
In Deutschland war die Krise 2003 kein Vergleich zum tiefen Wirtschaftseinbruch 2009. 2003 schrumpfte die Wirtschaft gerade mal um 0,7 Prozent, 2009 um 5,6 Prozent. Aber im Nachgang der Krise 2003 peitschte die Schröder-Regierung die schon länger geplante Agenda 2010 durch. Inzwischen reden bürgerliche Medien und Politiker wieder verstärkt von „Reformstau“. Auch dass Medien und Politiker*innen relativ offensiv von Rezession reden, statt sich im Gesundbeten zu üben, lässt vermuten, dass sie die Bevölkerung für kommenden Sozialkahlschlag weichklopfen wollen. Bei wem wird man das Geld zum Stopfen von Haushaltslöchern (da nach Finanzminister Scholz die „fetten Jahre“ der Steuereinnahmen vorbei sind) und für Steuergeschenke für Unternehmen (die Kramp-Karrenbauer fordert) wohl holen? Einerseits hofft man, in Zeiten sinkender Aufträge aus dem Ausland werde der private Konsum die Konjunktur in Deutschland stützen. Andererseits bereitet man die Öffentlichkeit auf Gebührenerhöhungen und Kürzungen bei Sozialausgaben vor, also auf eine Kürzung des privaten Konsums. Die geistigen Purzelbäume der Regierenden und der bürgerlichen Presse wären ergötzlich, wenn wir nicht die Leidtragenden der Kürzungspolitik wären. Es könnte passieren, dass eine Neuauflage der Krise 2008/2009 und scharfe Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiterklasse zugleich über uns hereinbrechen. Unsere Antwort auf den Klassenkampf von oben kann nur der Klassenkampf von unten sein!