Keine Fahrpreiserhöhung in Berlin und Brandenburg!

Stillgelegter Bahnhof Bad Freienwalde (by Clemens Franz, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)

ver.di-Kongress beschließt Ziel: kostenloser ÖPNV für alle

Nach einer ausgiebigen Diskussion auf dem fünften Bundeskongress der Gewerkschaft ver.di wurde die Zielsetzung eines kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs bundesweit und für alle Personen beschlossen.

Von René Arnsburg, Berlin

Nur wenige Tage vorher gab der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg bekannt, die Preise vor allem für Einzelfahrten und Tagestickets deutlich zu erhöhen. Das belastet vor allem Pendler*innen aus dem Berliner Umland und führt dazu, dass noch mehr Leute mit dem Auto fahren werden. Die BVG argumentiert für diese Preiserhöhung auf Grund steigender Löhne der Beschäftigten. Der ver.di Fachbereichsleiter für Verkehr in Berlin-Brandenburg bezeichnet die Erhöhung in einer Presseerklärung aus den gleichen Gründen als „notwendig und alternativlos“. Das steht nicht nur im Widerspruch zur Zielsetzung einer kostenfreien Personenbeförderung, sondern gefährdet gleichzeitig die Verkehrswende, die wirklich notwendig und alternativlos ist. Gleichzeitig werden die Interessen eines Teils der Arbeiter*innenklasse gegen den anderen ausgespielt und die Voraussetzungen für die nächsten Tarifrunden untergraben. Fahrpreiserhöhungen rufen zurecht den Unmut vieler Berufstätiger hervor.

Die Erhöhungen ab dem 01.01.2020 beziehen sich im Bereich AB, der die Stadt Berlin umfasst auf die Einzel- (+0,10 Euro), Tages- (+1,60 Euro) und Monatstickets (+4,00 Euro). Auch wenn die Jahresabos nicht erhöht werden, so trifft das doch auch viele, die regelmäßig mit BVG fahren. Noch größere Auswirkungen dürfte die Erhöhung für ABC-Tickets (also Berlin und Umland) haben, die vor allem Leute benötigen, um zur Arbeit in die Stadt zu pendeln. Das Einzelticket steigt um 20 Cent auf 3,60 Euro, die Tageskarte um 1,90 Euro auf 9,60 Euro, die Monatskarte von 100,50 auf 104,00 Euro und die Jahresabos je nach Abbuchungsmodus auf 978,00 (+17 Euro) oder 1008,00 Euro (+16 Euro).

Steigende Fahrpreise: notwendig im Interesse der Beschäftigen?

Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) setzt sich aus allen Aufgabenträgern des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf der Straße und der Schiene in den Bundesländern Berlin und Brandenburg sowie den Kommunen und kreisfreien Städten zusammen. Die Bundesländer halten jeweils ein Drittel der Anteile des Verbundes, der Rest ist auf 18 Kommunen aufgeteilt. Der VBB legt die einheitlichen Beförderungsbedingungen und Tarife für die Region Berlin-Brandenburg fest, schreibt jedoch auch Strecken aus, die dann sowohl von staatlichen Unternehmen (S-Bahn-Berlin, DB Regio, BVG), als auch zunehmend von privaten Betrieben bestellt werden (ODEG, NEB, HANS).

Als Organ in staatlicher Hand werden die Entscheidungen vor allem unter Maßgabe der jeweiligen Landesregierung gefällt, in Berlin SPD, LINKE und Grüne und in Brandenburg bis vor Kurzem noch SPD und Linke. In der Arbeitsgruppe Tarif des VBB sitzt für den Berliner Senat Harald Moritz von den Grünen. Diese Konstellation führte zu der absurden Situation, dass gerade die unternehmerfreundliche CDU sich aus der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus als Verteidigerin der Verkehrswende aufspielen kann. Sie kritisiert, dass damit der Anreiz, vom Auto auf den Nahverkehr umzusteigen, entfällt. Das dürfte sie jedoch nicht davon abhalten, als Teil der neuen Brandenburger Kenia-Koalition die Entscheidung mitzutragen.

Als ob es kein Widerspruch wäre, sagt die Geschäftsführerin des VBB beim Thema Verkehrswende:

„Wir sind uns alle einig: Die Verkehrswende ist nur mit dem öffentlichen Nahverkehr zu stemmen! Das setzt ein hochwertiges, leistungsfähiges Bus- und Bahnsystem voraus. Vor dem Hintergrund steigender Kosten bei den Verkehrsunternehmen im VBB kommen wir aber derzeit an moderaten Fahrpreiserhöhungen nicht vorbei. Steigende Preise sind kein Selbstzweck: Wir brauchen nach zwei Jahren der Preisstabilität auch weitere Einnahmen über die Ticketerlöse. Die Unternehmen müssen investieren: in neue Fahrzeuge, in Wartung, in moderne und umweltfreundliche Antriebe, in Digitalisierung und in fair bezahltes Personal.“

Gerade der letzte Satz ist für viele Beschäftigte in privaten Bus- und Bahnunternehmen blanker Hohn, da die Profitorientierung dieser Firmen das größte Risiko für Beförderungsqualität und Arbeitsbedingungen sind. Dazu gehört nicht nur die Lohnhöhe, sondern auch die Personalausstattung neben der maschinellen Ausstattung, die auch bei BVG und anderen Betrieben alles andere als ausreichend ist.

Jeremy Arndt von ver.di bläst in das gleiche Horn wie der VBB. In seiner Pressemitteilung erklärt der Fachbereichsleiter:

„Durch die ausgebliebenen Tariferhöhungen im VBB und unzureichenden finanziellen Ausgleich durch die Politik mussten die Verkehrsunternehmen in den letzten zwei Jahren die zusätzlichen Kosten weitestgehend alleine bewältigen. Dies wurde nicht selten auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen“

Die Preiserhöhung sei somit „notwendig und alternativlos“.

Wolfgang Wendt, Busfahrer der BVG und aktiv bei ver.di sagt dazu:

„Lohnerhöhungen sind generell keine finanziellen Beweggründe, um eine Fahrpreiserhöhung so zu rechtfertigen, dass es den Eindruck erweckt, die Beschäftigten sind dafür verantwortlich. Gerade dies tut unser Gewerkschaftssekretär Jeremy Arndt, somit fällt er den Beschäftigten in den Rücken. Vielmehr ist der Senat als Eigner in der Pflicht, sich für gute Lohn-und Arbeitsbedingungen einzusetzen, dies aus Mitteln von Gewinnen großer Unternehmen, sowie einer generellen Erhöhung des Spitzensteuersatzes finanziert werden.“

Wie viel Mehreinnahmen der VBB plant, ist zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses nicht öffentlich bekannt. Der Zuwachs an Fahrgeldeinnahmen lag jedoch in den letzten Jahren deutlich über der Zunahme an Fahrgästen. Von 2007 bis 2017 stieg die Zahl der Beförderten von 1237 Millionen auf 1470 Millionen (+19 Prozent), die Ticketeinnahmen von 965 Millionen auf 1430 Millionen (+48 Prozent). Trotz der Einnahmensteigerung sind die Löhne im ÖPNV so niedrig, dass vor allem private Firmen Stellen nicht besetzen können.

Arndt sagte dazu:

„Um die Attraktivität zu steigern, muss in Zukunft noch mehr in Personal und Infrastruktur investiert werden. Zusätzlich muss eine offene und ehrliche Diskussion mit dem VBB, den Verkehrsunternehmen, der Politik und den Sozialpartnern zur zukünftigen Finanzierung des ÖPNV geführt werden.“

Es steht außer Frage, dass der ÖPNV eine bedarfsgerechte Finanzierung benötigt. Die Frage ist, ob Beschäftigte dafür aufkommen sollen, oder ob es andere Möglichkeiten zur Finanzierung gibt. Die Finanzierung des Nahverkehrs – durch Zuschüsse aus öffentlichen Haushalten und Fahrscheineinnahmen gleichermaßen – belastet vor allem arme Menschen und Arbeiter*innen am meisten und lässt die Reichen außen vor, die den ÖPNV ohnehin nicht nutzen.

Ein regelrechter Skandal ist die derzeitige knapp 60-prozentige Erhöhung der Diäten für Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses, für die auch die Fraktion von DIE LINKE.Berlin stimmte. Die Ausgaben für das Berliner Parlament stiegen in den letzten sechs Jahren schon um zwei Drittel oder 64,3 Millionen Euro.

Bei Abgeordnetendiäten und kriselnden Banken ist das Geld da. Wenn der politische Wille vorhanden wäre, wäre es das auch für einen ausfinanzierten und kostenlosen Nahverkehr. Das ist allerdings bei Regierungen, die sich aus pro-kapitalistischen Parteien wie CDU, SPD und Grüne zusammensetzen nicht zu erwarten. Damit bleibt nur eine Lösung übrig: Der kostenlose, ausfinanzierte Nahverkehr und mit ihm die Verkehrswende kann nur und muss durch die Beschäftigten erkämpft werden.

Ein Programm für die Verkehrswende

Entgegen der Behauptungen der Autolobby und von rechsaußen, greift die Mehrheit auf das Transportmittel Auto nicht aus Vergnügen zurück. Es mag einen Teil von Autofahrer*innen geben, für die das Auto auch ein identitätsstiftendes Element ist. Das verwundert nicht nach Jahrzehnten des Umbaus der Infrastruktur im Sinne des Autoverkehrs, inklusive begleitender Werbemaßnahmen mit jährlichem Milliardenetat. Oft ist es aber die schiere Notwendigkeit, im Alltag auf das Auto zurückzugreifen, da der Nahverkehr (auf der Straße und der Schiene) schlecht ausgebaut, unzuverlässig, nicht barrierefrei und obendrein teuer ist. Experimente belegen, dass es diesen direkten Zusammenhang gibt.

In der Brandenburgischen Kleinstadt Templin wurde Ende der 90er Jahre nicht nur die Fahrt mit dem Bus kostenfrei, sondern das Streckennetz wurde durchdacht und ausgebaut. Eine Haltestelle war von fast jedem Punkt aus in maximal 150 Metern Reichweite. Während 1997 noch neunzig Prozent des Verkehrs mit dem eigenen Auto erledigt wurde, stieg die jährliche Fahrgastzahl innerhalb von drei Jahren um das 15-fache, die getätigten Fahrten noch mehr (von über 41.000 auf 600.000). Da die Instandhaltungskosten das geplante Budget überstiegen, wurde wieder ein Monatsticket eingeführt – es kostet heute 3,67 Euro. Was in einer kleinen Stadt funktioniert, ist natürlich für eine Region mit Schienensystem wesentlich aufwändiger, aber es liegt nahe, dass die Menschen nicht so sehr an ihrem Auto hängen, wie immer behauptet wird. Die Stadt Senftenberg in der Lausitz plant, den Busverkehr bis 2020 ebenfalls kostenfrei zu gestalten. Dabei sind weitere Investitionen und Neuplanung der geringen Abdeckung durch einstündige Taktzeiten notwendig.

Das passt gut zum bundesweiten Programm der Partei DIE LINKE. Diese schlägt vor, in drei Phasen zum kostenlosen ÖPNV zu kommen. In der ersten Stufe soll in den 15 am meisten von Feinstaub und CO2 belasteten Städten der Nahverkehr kostenfrei angeboten werden, die Förderung erfolgt zu neunzig Prozent durch den Bund. Das betrifft dann natürlich keine Kleinstädte mehr, sondern Stuttgart, München und Städte im Ruhrgebiet.

Einerseits soll der Nahverkehr durch Einsparungen in Bereichen, die nichts mit Klimaschutz zu tun haben (Diesel-Subventionen, Ticketsysteme und -kontrollen) günstiger werden. Andererseits soll für die Autoindustrie eine Sonderabgabe sowie eine Steuer auf Vermögen oberhalb von einer Millionen Euro eingeführt werden und das Dogma der Schuldenbremse durchbrochen werden. Mittelfristig würden so 24 Milliarden Euro jährlich für den Umbau des Nahverkehrs zu einem kostenlosen System bis 2022 bereitgestellt werden. Leider ist von diesem Programm bei der Berliner und Brandenburger LINKEn nicht mehr viel übrig und in der Praxis bleibt ein lahmer Protest im Brandenburger Landtag. Die Entscheidung des VBB-Aufsichtrats käme verfrüht, da es noch keine Regierung gäbe und es die falsche Weichenstellung in der Verkehrspolitik sei.

In Berlin verkündete der rot-rot-grüne Senat und vor allem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) das Ziel, ein Jahrestickets für 365 Euro einführen zu wollen. Würde die Einführung ernsthaft in Erwägung gezogen werden, wäre dies eine Erleichterung für viele Berufspendler*innen und würde den Anreiz erhöhen, das Auto stehen zu lassen. Von einer weitreichenden Lösung für steigende Ticketpreise bei Einzel- und Tagesfahrten, die das unter anderem refinanzieren sollen, ist das jedoch noch weit entfernt.

Das geht einher mit der Frage, die auf dem ver.di-Kongress zu diesem Thema nicht beantwortet wurde: Wie kann das Ganze finanziert werden? Ein Aspekt wurde in Diskussion zurecht in Zweifel gezogen: Warum sollten private Unternehmen, die ständig Tarife unterlaufen noch (weitere) Steuergelder bekommen? Die Landesbezirkskonferenz Nord hatte in ihrem Ursprungsantrag dazu eine einfache Lösung: Alle werden zu den gleichen Bedingungen angestellt, Gewinne sollen in der öffentlichen Infrastruktur nicht bestimmen. Die entscheidende Zeile lautete: „Im Zuge der steuerfinanzierten Umsetzung ist die Verstaatlichung der Verkehrsunternehmen unumgänglich.“ Leider wurde auf Bestreben von unter anderem der bundesweiten Fachbereichsleiterin für Verkehr, Christine Behle, diese Zeile geändert in: „Eine steuerfinanzierte Realisierung dieser Maßnahme findet allein durch tarifgebundene Verkehrsunternehmen statt.“ Damit gibt man das wirkungsvollste Element zu Umsetzung der Verkehrswende aus der Hand. Durch die Verstaatlichung hätten auch Betriebsvermögen und Gewinne enteignet werden können, die zu Refinanzierung von Maßnahmen und Beseitigung entstandener Schäden durch unter anderem Streckenschließungen notwendig ist. Die 2020 anstehende bundesweite Tarifrunde im Nahverkehr birgt große Chancen, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu nehmen. Die Mobilisierung der Kolleg*innen in den Verkehrsbetrieben ist der entscheidende Faktor zur Umsetzung nicht nur eines einheitlichen Tarifvertrages. Dafür wird mehr nötig sein, als nur Warnstreiks durchzuführen. Doch allein die Ankündigung, die Tarifrunde offensiv und bundesweit angehen zu wollen, hat bei vielen Kolleg*innen Hoffnungen geweckt und ihnen Mut gemacht.

An diesem Punkt lassen sich einige Sachen miteinander verbinden:

1. Tarifforderungen, die die Arbeitsbedingungen verbessern sollen. Dabei geht es nicht nur um höhere Löhne, sondern auch bessere Ausbildung und Personalausstattung, wie es in der „Kasseler Erklärung der Betriebs- und Personalräte aus Nahverkehrsunternehmen zum Klimaschutz“ steht. (https://verkehr.verdi.de/++file++5d08bb11dda4fb38863272c5/download/O%CC%88PNV_%20Kasseler%20Erkla%CC%88rung%20der%20BR_PR%20Arbeitsbedingungen%20und%20Klimaschutz.pdf)

2. Der Schutz der Umwelt: Auch die Umweltbewegung weiß, dass der Individualverkehr nicht nur hinsichtlich des Schadstoffausstoßes, sondern auch der Ressourcenverschwendung eines der großen Probleme ist. An dieser Stelle kann mit Sicherheit auf die Unterstützung der Bewegung gebaut werden. Mit der Forderung eines kostenlosen ÖPNV kann darüber hinaus auch Sympathie unter weiteren Teilen der Bevölkerung gewonnen werden.

3. Öffentliche Daseinsfürsorge darf nicht dem Profitstreben privater Unternehmen unterworfen sein. Die Forderung nach Enteignung oder auch Rekommunalisierung der Verkehrsbetriebe muss offensiv aufgegriffen werden. Es ist ebenso offensichtlich, dass die Organisation des Verkehrs eine integrierte Planung benötigt. Davon ausgehend können weitere Fragen gestellt und beantwortet werden: Wie kommt man an das Geld der Reichen? Wie kann die Produktion in der Autoindustrie auf nachhaltige Verkehrsmittel umgestellt werden? Wir können nicht davon ausgehen, dass selbst Betriebe in öffentlicher Hand im Interesse der Beschäftigen und arbeitenden Bevölkerung handeln. Die Preiserhöhungen bei der BVG, Rationalisierungswahn, Schließung tausender Streckenkilometer durch die Deutsche Bahn belegen das.

Deshalb müssen diese Betriebe demokratisch durch die Beschäftigten kontrolliert und verwaltet werden. Wer öffentlich finanziert wird, muss öffentlich, also transparent, handeln. Die Verantwortlichen in den Betrieben müssen jederzeit rechenschaftspflichtig und absetzbar sein, wenn sie ihrer Aufgabe nicht nachkommen. Das ist wirkungsvoller als Sanktionen für die Finanzierung, die letztendlich die Kolleg*innen treffen.

Höhere Fahrpreise schlagen sich auch nicht automatisch in höheren Gehältern nieder, meint Jonas Grampp, Fahrdienstleister bei der DB Netz AG in Berlin und Mitglied der EVG: „Die Vorstellung, dass Fahrpreiserhöhungen für die Erhöhung der Gehälter des Fahrpersonals eingesetzt werden, ist völlig absurd. Ginge es darum diese Gehälter zu erhöhen, dann würde man die horrenden Gehälter der Vorsitzenden und des Vorstandes einkürzen und umverteilen.“

Gemeinsam kämpfen

Die Rettung des Planeten und die dafür notwendige Verkehrswende lässt sich nur mit und im Interesse der Arbeiter*innen durchsetzen, oder gar nicht. Um das oben umrissene Programm umzusetzen, bedarf es einiger konkreter Vorarbeit in den Betrieben und der Öffentlichkeit, um die maximale Kampfkraft herzustellen. Die Standardphrase der Unternehmen gegen Lohnerhöhungen im Nahverkehr lautet: „Wenn die Löhne steigen, steigen auch die Fahrpreise. Der Tarifkampf wird auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen, er wird keine Unterstützung bekommen.“ So wird in den Zeilen der bürgerlichen Presse in jeder Tarifrunde ein Teil der Arbeiter*innenklasse gegen den anderen ausgespielt. Als kämpfende Belegschaft und Gewerkschaft bleibt nur der Weg, das gemeinsame Interesse zu betonen und deutlich zu machen, von wem das Geld geholt werden muss. Man verschlechtert jedoch die eigenen Voraussetzungen für die nächste Tarifrunde und macht die Spaltung mit, wenn ver.di diese Logik teilt. Wie soll Unterstützung im Rest der arbeitenden Bevölkerung hergestellt werden, wenn es heißt: „Stimmt, wir wollen, dass ihr im Interesse der BVG-Kolleg*innen mehr zahlt.“ Auf ver.di heruntergebrochen bedeutet das, dass die Kollegin in den Entsorgung aus dem Fachbereich 2, die Krankenschwester aus dem Fachbereich 3, der Musikschullehrer aus dem Fachbereich 8 und noch viele mehr die Lohnerhöhung der Kolleg*innen im Nahverkehr zahlen. Und das, während sich immer mehr Reichtum in den Händen weniger konzentriert, der stattdessen sinnvoll eingesetzt werden könnte.

Für ver.di und die Beschäftigten in den Bereichen, die die Gewerkschaft organisiert, steht im nächsten Jahr viel an. Es gibt Tarifrunden im Nahverkehr, im Sozial-, Erziehungs- und im öffentlichen Dienst und noch mehr. In der Logik der Presseerklärung müsste auch argumentiert werden, dass für Verwaltungsdienstleistungen oder Kitas noch höhere Gebühren erhoben werden, um die Lohnsteigerungen zu bezahlen. Es liegt auf der Hand, dass das keine Lösung für die Beschäftigten ist, sondern eine Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben! Die Frage der Finanzierung für diese Bereiche ist entscheidend. Sie kann aber nur im Interesse aller beantwortet werden, wenn sie richtig gestellt wird: Wer hat das Geld, das wir brauchen? Das sind nicht die Kolleg*innen, sondern die Reichen. Von diesem Punkt ausgehend, sollten die Tarifrunden mit aller Kraft begangen werden. Ähnlich wie die Verkehrswende muss dies zum Beispiel durch eine Millionärs- und Vermögenssteuer finanziert werden. Es ist eine Frage der Kräfteverhältnisse, was erkämpft werden kann. Forderungen und Programme sind kein Utopien, sondern um sie muss gekämpft werden. Sowohl Ver.di als auch die LINKE müssen die beschlossenen und sehr richtigen Forderungen auch dann aufstellen, wenn es konkret wird.

Der Beschluss (C 046) des ver.di-Kongresses im Wortlaut:

ver.di setzt sich dafür ein, dass alle Personen ohne Ausnahmen bundesweit kostenfrei mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) befördert werden.

Die Voraussetzung dafür sind umfassende Investitionen in die Infrastruktur, um den zu erwartenden Nutzerandrang überhaupt bewältigen zu können. Weiter ist bei einer Einführung sicherzustellen, dass keine Gefährdung der bestehenden Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbedingungen oder ihrer Grundlage (Vergabeformen) stattfindet. Eine ausreichende Finanzierung ist Voraussetzung der Einführung.

Dies soll unabhängig von Mindestentfernungen, jedoch mit der Maßgabe von maximalen Beförderungszeiten (keine zeitliche Einschränkung durch zum Beispiel Ferien) umgesetzt werden. Eine steuerfinanzierte Realisierung dieser Maßnahme findet allein durch tarifgebundene Verkehrsunternehmen statt.