Filmkritik: JOKER

Foto: CC BY-SA 2.0, https://www.flickr.com/photos/antdude3001/43497463771


Todd Philipps‘ JOKER ist einer der besten Batman-Filme – weil er ohne Batman auskommt.

Gotham City ist eine Hölle. Eine Stadt im Bürgerkrieg. Die herrschende Schicht der Reichen führt diesen Krieg, sie kürzen Stellen und Mittel, lassen die Daseinsvorsorge verrotten und verweigern Lohnforderungen der städtischen Beschäftigten. In ihren Massenmedien herrscht Angst, Verachtung und Schadenfreude. Weiter unten schikanieren sie Bürger in Gestalt von Polizeibeamten oder drohen Angestellten mit Jobverlust und Lohnkürzungen. Die Besitzlosen unten kämpfen gegeneinander. Um Jobs, aus Frust, um ein Fortkommen, um den nächsten Tag – um Anerkennung. Kindergangs schlagen Passanten nieder, Arbeitskollegen intrigieren gegeneinander, in der Hochbahn blafft man sich gegenseitig an – oder geht gleich aufeinander los.

Von Martin Schneider, Berlin

Ach, käme doch nur ein Millionärsbubi im schwarzen Strampelanzug, der Kleinkriminelle vermöbelt. Dann würde alles gut.

Nein. Individuelle Rettung ist in JOKER nicht möglich. Das ist die Stärke des Films. Deshalb ist er echt. Kein Bösewicht, kein Held. Nur das weltliche Übel, dass menschengemachte.

Arthur Fleck ist nicht der Grund des Konflikts. Er ist kein Anführer, kein Anstifter, kein kriminelles Superhirn. Er ist dazu da, um dem Zuschauer vorzuführen, was eine völlig entsolidarisierte Gesellschaft bedeutet. Er ist der Vereinzelte, der inmitten des gesellschaftlichen Chaos damit scheitert, individuelle Erlösung zu finden.

Was soll ihn erlösen? Der Job. Er verliert ihn. Die Therapie. Wird gestrichen. Medikamente. Sind zu teuer. Seine Familie. Die Mutter ist ein Pflegefall. Stand-Up-Comedy. Er bleibt erfolglos. Der superreiche Ex-Chef der Mutter, der mächtigste Mann der Stadt, der Übervater. Der will ihn nicht. Weil es so nicht läuft.

JOKER hat wohltuend wenig Comicbuchhaftes an sich. Das Böse ist banal. Wir kennen es alle. Der Chef, der seine kleine Macht ausübt und seinem Angestellten mit einem Federstrich den Lebensunterhalt rauben kann. Die Stadtverwaltung, die Unterstützungen streicht. Die Comedians, die nach unten treten. Medien, die die Opfer ihrer Propaganda vorführen. Und die Erfolgreichen, die den Besitzlosen entgegenspucken: Selber schuld. Der Hass auf diese Verhältnisse ist nicht verrückt. Verrückt ist, wie viele sie widerspruchslos ertragen.

JOKER ist keine Anleitung zum Aufstand. Es enthält keine Lösung, weil der Film eine Individualbetrachtung ist. Individuell, vereinzelt geht es nicht. Das Verdienst des Films besteht einerseits in seiner Absolution für Hass, Aufbegehren und die gewaltsame Forderung von Handlungsmacht. Der Aufstand darf geschehen, er MUSS geschehen. Und andererseits zerpflückt der Film die Heilsversprechen unserer Comicbuchdekade. Wird ein Held uns retten? Nein. Werde ich entdecken, dass ich jemand besonderes bin? Nein. Werden eines Tages alle anderen erkennen, dass ich besseres verdiene? Nein. Werde ich aus eigener Kraft mein Leben verbessern können, während um mich herum alles bleibt, wie es ist? Nein.

Der Film sagt Nein und damit spricht er die Wahrheit.

Vergesst den Held und den Mythos der Erlösung. Es wird sie nicht geben. Vergesst den supercoolen Bösewicht, der Angst verbreitet. Denn er selbst hat Angst. Er ist nicht cool. Er leidet.

Geht auf die Straße, verflucht die Oligarchen, Eat the rich! Und dann geht rüber zum Müllarbeiterstreik. Da ist die Möglichkeit zur Veränderung.”

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