Rojava verteidigen …

… und dabei nicht auf falsche Freunde verlassen!

Der Einmarsch der türkischen Armee in den Rojava genannten kurdischen Gebieten Nordsyriens hat schon hunderte Todesopfer gefordert und Zehntausende zu Geflüchteten gemacht. Einmal mehr werden die Kurdinnen und Kurden zum Spielball geostrategischer Kämpfe regionaler und imperialer Mächte. Rojava muss gegen Erdoğans Invasion verteidigt werden. Doch wenn der Kampf der kurdischen Bevölkerung eine Perspektive auf nationale und soziale Befreiung haben soll, müssen endlich die Lehren aus der verfehlten Politik der Führung der kurdischen Bewegung gezogen werden.

Von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher

Nachdem die USA unter Präsident Donald Trump ihre Versprechen gegenüber den Kurd*innen gebrochen haben und ihre Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion weitgehend abgezogen haben, konnte die türkische Armee vordringen und erste Städte und Dörfer besetzen. Ziel Erdoğans ist es, die kurdische Bewegung zu zerschlagen und in Nordsyrien bis zu zwei Millionen syrische Geflüchtete arabischer Abstammung anzusiedeln, um die ethnische Zusammensetzung der kurdischen Gebiete zu verändern. Getrieben ist er von den ökonomischen und politischen Problemen im eigenen Land, wo er und seine Partei AKP immer mehr an Unterstützung verlieren. Es ist leider ein nur allzu bekanntes Mittel türkischer Machthaber, Krieg gegen die Kurd*innen anzuzetteln, um „die Nation“ hinter sich zu sammeln. Skandalöserweise macht die sozialdemokratische Oppositionspartei CHP dieses Spiel mit und unterstützt Erdoğans Angriffskrieg.

Ergebnis dieser Invasion wird auch eine weitere Destabilisierung der Region und ein mögliches Wiedererstarken des Islamischen Staates (IS) sein. Schon jetzt soll in Rojava internierten IS-Kämpfern die Flucht gelungen sein und es erste Anschläge der rechts-islamistischen Terroristen gegeben haben. An der Seite der türkischen Armee kämpfen andere rechts-islamistische Truppen, die unter anderem eine kurdische Politikerin hingerichtet haben.

Dass Trump nun Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei verhängt und andere bürgerliche Politiker*innen, wie Merkel, kritische Äußerungen gegenüber Erdoğan tätigen, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die USA grünes Licht für den türkischen Angriff gegeben haben und die westlichen imperialistischen Staaten, allen voran auch die deutsche Rüstungsindustrie, Kompliz*innen des türkischen Staates sind.

Nun hat die Führung der kurdischen Selbstverteidigungskräfte YPG ein militärisches Abkommen mit Syriens Diktator Baschar al-Assad getroffen. Es ist nachvollziehbar, dass die YPG-Führung nach Mitteln und Wegen sucht, den Vormarsch der türkischen Armee zu stoppen und auf der Suche nach militärischer Unterstützung ist. Doch welchen Preis werden die Kurd*innen dafür zahlen müssen? Was bedeutet es, wenn man aus einem Bündnis mit einer kapitalistischen Macht – den USA – in ein Bündnis mit einer anderen – Syrien hinter dem Russland steht – wechselt? So wie die USA keine Freundin der Kurd*innen war, so sind es Assad und Putin auch nicht. Die Illusion, das kurdische Volk könne gemeinsame Interessen mit imperialistischen Mächten haben oder man könne sich auf diese verlassen, ist aber ein Faktor, der die jetzige Situation mit herbei geführt hat. Noch vor wenigen Monaten hat die YPG zum Beispiel Bunkeranlagen in der Grenzregion gesprengt, weil die türkische Regierung das gefordert hatte und die USA garantierten, es werde keinen Truppenabzug und keinen türkischen Einmarsch geben. Das zeigt, dass das Bündnis der kurdischen Führung mit den USA leider keine reine militär-taktische Absprache war, sondern Illusionen in die Redlichkeit Washingtons damit verbunden waren. Das geht auch aus Äußerungen des SDF-Oberkommandierenden Maslum Abdi in einem Artikel auf foreignpolicy.com hervor. Hier schreibt er unter anderem, dass das Bündnis mit den USA aus einem tiefen Glauben an die Demokratie entstanden sei und dass es von den USA abhänge, ob es zu einer politischen Lösung kommen kann. Nun bestätigt sich, worauf Sozialist*innen seit Jahren hingewiesen haben: auf die USA ist kein Verlass – und die YPG-Führung geht den nächsten Deal mit Assad ein. Dieser wird kaum bereit sein, eine kurdische Selbstverwaltung in Rojava zu akzeptieren. Es ist keine Frage, dass er die Kontrolle über die Region und ihre Ölquellen wieder herstellen will. Das Bündnis mit Assad mag die türkische Armee zurückschlagen (was alles andere als sicher ist), aber für den Befreiungskampf der Kurd*innen ist es ein politischer Rückschritt.

Man wird uns entgegnen, es gehe jetzt um Leben und Tod, darum die türkische Invasion zurückzuschlagen und dies sei nicht die Zeit für grundsätzliche politische Überlegungen. Die Zeit und die politische und militärische Stärke, die die kurdische Bewegung in Rojava errungen hatte, wurde aber nicht genutzt, um eine unabhängige, multiethnische und sozialistische Arbeiter*innenbewegung in der Region voran zu bringen. Wann, wenn nicht jetzt, muss damit begonnen werden, die Lehren daraus zu ziehen?

Militärische Absprachen und temporäre Kompromisse sind auch mit des Teufels Großmutter möglich, wenn dies Teil einer auf politischer Unabhängigkeit und sozialistischer Perspektive beruhenden Strategie wäre. Basierend auf wechselnden Illusionen in imperialistische Kräfte, werden solche keinen Ausweg aufzeigen.

Dieser kann nur gefunden werden, wenn die kurdische Bewegung einen sozialistischen Kurs einschlägt, der darauf setzt die politische Autorität, die aus den fortschrittlichen Aspekten des Projekts Rojava erwachsen ist, dazu zu nutzen, die Arbeiter*innenklassen im Nahen und Mittleren Osten zum gemeinsamen Kampf gegen die gemeinsamen Feinde in der Region aufzurufen – egal ob sie Erdoğan, al-Assad, Trump, Putin oder Barzani heißen!

Forderungen der Sol

  • Für Antikriegsproteste von Gewerkschaften und linken Parteien international – Türkische Truppen raus aus Rojava!
  • Für Boykottmaßnahmen der Gewerkschaften und Streiks gegen die militärische Unterstützung der Türkei durch westliche Staaten
  • Bundeswehr raus aus dem Nahen und Mittleren Osten und von allen Auslandseinsätzen
  • Sofortiger Stopp aller Rüstungsexporte in die Türkei
  • Sofortige Aufhebung des Verbots der PKK und anderer kurdischer Vereine in der Bundesrepublik
  • Für den Aufbau demokratisch strukturierter, multiethnischer Selbstverteidigungsmilizen im Kampf gegen die Invasion der Türkei
  • Kein Vertrauen in imperialistische und kapitalistische Mächte – weder in Trump, al-Assad noch Putin
  • Für den Aufbau einer multiethnischen und konfessionsübergreifenden Arbeiter*innenbewegung in Rojava, Syrien, der Türkei und der gesamten Region, um den Kampf der Kurd*innen mit dem Kampf der Arbeiter*innen in der Türkei und anderen Ländern zu verbinden
  • Für volle demokratische und kulturelle Rechte für die Kurd*innen und alle nationalen Gruppen – für das Recht auf nationale Selbstbestimmung bis hin zu dem Recht, einen eigenen Staat zu bilden
  • Für ein sozialistisches Kurdistan als Teil einer freiwilligen sozialistischen Föderation der Länder des Nahen und Mittleren Ostens! Nur auf dieser Basis sind Frieden und soziale und wirtschaftliche Entwicklung möglich!

Flugblatt der Sol gegen Erdoğans Einmarsch hier.

Marxistische Analyse des Projekts Rojava hier.