Protest in Berlin: Wo Spahn sonst Erklärungen abgibt…

Während einer von der Partei DIE LINKE organisierten Bundestagsfahrt verschafften sich Pflegekräfte im Bundesministerium für Gesundheit Gehör.

Dass Alten- und Krankenpfleger, Physiotherapeut*innen, Sozialarbeiter*innen, Laborassistent*innen und alle anderen Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegewesen nicht nur wenig begeistert über die Situation in der Pflege, sondern dass sie auch noch hoffnungslos überarbeitet sind, dürfte nach den Jahren des Kampfes für mehr Personal allen klar sein.

von Steve Hollasky, Dresden

Auch seit Jens Spahn (CDU) Bundesminister für Gesundheit ist, hat sich daran nicht viel geändert. Die Versprechungen zu Beginn seiner Amtszeit mögen dem einen oder der anderen Hoffnungen gemacht haben, doch von diesen Ankündigungen hört man immer weniger. Anlass genug für eine Reisegruppe, an der auch das Dresdner „Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus und in der Pflege“ beteiligt war, mal direkt im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nachzufragen.

Die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, die die etwa vierzig Gäste in Berlin empfing, war sehr bemüht freundlich und zielstrebig um jede Hürde herumzuschippern. Statt über die existierenden Probleme zu sprechen, versuchte sie die Struktur des BMG und den Weg bis zum Entstehen einer Gesetzesvorlage zu erklären. Allerdings sorgten die Nachfragen der Anwesenden sehr schnell dafür, dass die Strategie nicht so ganz aufging.

Schon bei der Frage bezüglich der bevorstehenden Reform der Fallpauschalen (DRGs) im Krankenhaus, geriet die Mitarbeiterin des BMG ins Schlingern. Die DRGs sind ein unter der rot-grünen Bundesregierung 2004 eingeführtes Krankenhausfinanzierungssystem. Anders als noch zuvor, als die Krankenhäuser anhand der realen Liegedauer eines Patienten und der Kosten für seine Behandlung von den Krankenkassen finanziert wurden, erhalten Krankenhäuser nun eine Pauschale laut Diagnose. Diese reichen häufig nicht aus, um die zu behandelnden Personen längere Zeit im Krankenhaus zu belassen, weshalb schnell, nicht selten zu schnell, entlassen wird. Zudem spezialisieren sich private Krankenhäuser auf Erkrankungen mit teuren Diagnosen. Je kürzer eine Patientin oder ein Patient in einer Klinik liegt und je weniger Pflegepersonal dort beschäftigt ist, desto höher ist der Profit. Diese Praxis wirkt sich in Form von Personalabbau, Arbeitshetze und verschlechterter Pflegequalität derart haarsträubend aus, dass Australien ein ähnliches Finanzierungssystem bereits wieder abgeschafft hat.

Auf diese Anmerkung einer Krankenschwester wusste die Referentin wenig zu erwidern. Ein Pfleger hakte gleich an dieser Stelle ein und fragte, wie denn nun die Pläne Spahns, die Personalkosten aus den DRGs herauszurechnen, genau aussehen würden. Noch immer gäbe es dazu allenfalls sehr ungenaue Informationen. Würden, so die Frage des Pflegers, die Kosten für die Pflegekräfte und die sonstigen Behandlungskosten einfach getrennt abgerechnet werden und somit in der Summe doch gleich bleiben? Was bedeuten würde, die Unterfinanzierung der Krankenhäuser und der Unterbietungswettkampf bei den Kosten würde weitergehen. Oder würde unter dem Strich ein Plus für die Krankenhäuser herauskommen? Auch hier musste die Referentin passen. Er solle, so der Rat der BMG-Mitarbeiterin, die Frage an anderer Stelle aufwerfen. Was der Pfleger mit der trockenen Entgegnung kommentierte, er sei doch schon im BMG. Wo solle er denn noch hin?

Ein Altenpfleger erklärte, dass die Dokumentation inzwischen derart viel Zeit verschlinge, dass er die zu pflegenden Personen kaum noch zu Gesicht bekomme. Und auf die Erklärung der Referentin, dass sich das BMG bei allen Gesetzesentwürfen stets große Mühe gebe, den fünf Millionen Beschäftigten in Pflege und Gesundheit gerecht zu werden, konterte ein Aktiver im Bündnis für Pflege: Alle Vorlagen des BMG seien am Ende Kabinettsvorlagen und gingen stets auch durch die Hand des Finanzministeriums. Dort spare man immer gern bei Sozialausgaben. Zudem würde das Wirtschaftsministerium bei jeder Vorlage nach mehr Konkurrenz rufen. Das Problem sei das grundlegende Herangehen. Es gehe stets um Effizienz, Ausrichtung auf den Markt und Profit und nicht um die bestmögliche Versorgung und die besten Arbeitsbedingungen. Schließlich meldete sich sogar der Busfahrer zu Wort und schlug vor, wer ein Gesetz mache, sollte besser vorher 14 Tage in der Pflege arbeiten, dann wisse er vielleicht eher, wovon er da rede.

Im Anschluss an das Gespräch wurde die Besuchergruppe noch in den überdachten Innenhof des BMG geführt. Dort gab es dann im Angesicht des Podiums, von dem aus sonst Spahn zur Presse spricht, spontan die Idee sich im BMG Gehör zu verschaffen. Die Besucher*innengruppe versammelte sich auf dem Podium und rief laut Parolen. Die Rufe „mehr von uns ist besser für alle!“ und „Profite pflegen keine Menschen“, hallten durch das Gebäude. Eines ist klar: Trotz aller Versprechungen wird man den Pflegekräften nichts schenken. Und so steht umso mehr die Frage, wie es in der Kampagne für mehr Personal in der Pflege nun weitergehen soll. Bisher scheint auch die ver.di-Führung keine echte Strategie entwickelt zu haben. Der häuserweise Kampf für Tarifverträge zur Entlastung hat zwar mehrere Erfolge gezeitigt, wie zuletzt in Jena. Doch oftmals bleibt auch dort die Durchsetzung und das Konsequenzenmanagement ein Problem. Welche Folgen sind festgeschrieben, wenn der Arbeitgeber sich nicht an den Tarifvertrag hält? Wie setzt man die vorgesehenen Neueinstellungen durch? Die Volksbegehren zur Schaffung einer gesetzlichen Personalbemessung wurden kurzerhand alle abgewiesen. Es bleibt also die bange Frage: wie weiter? Und genau hier wäre die ver.di-Führung in der Pflicht, eine Kampfstrategie zu entwickeln. Denn eines wird mehr und mehr Menschen klar, im Profitsystem kann man menschenwürdige Bedingungen für Pflegende und zu Pflegende kaum organisieren. Der Ruf nach einem öffentlichen Gesundheits- und Pflegewesen, finanziert durch die Profite der Konzerne, wird daher nicht nur im Dresdner Bündnis immer lauter. Auch darüber wäre es an der Zeit zu diskutieren.

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