Bilanz von 2019 und Ausblick auf 2020
Das Jahr 2019 endet mit einer explosiven Massenbewegung in Indien und den Massenstreiks gegen die Macron-Regierung in Frankreich. Diese Proteste reihen sich ein in eine lange Liste von Massenkämpfen, die die Welt 2019 erschüttert haben: Hongkong, Algerien, Sudan, Iran, Irak, Libanon, Chile, Kolumbien, Brasilien, Ecuador, Haiti … Wer nach diesem Jahr noch an der Existenz des Klassenkampfes zweifelt, zweifelt auch daran, dass die Erde keine Scheibe ist.
Von Sascha Staničić
Das Jahr 2019 war auch das Jahr, in dem die Sozialistische Organisation Solidarität (Sol) gegründet wurde. Wir haben uns als ehemalige Mitglieder der Sozialistischen Alternative (SAV) schweren Herzens zu diesem Schritt entschlossen, weil wir zu der Überzeugung gelangt waren, dass sich in der SAV die Unterstützung für einen Kurs durchgesetzt hatte, der die Organisation nicht auf die Ereignisse und Herausforderungen der Zukunft vorbereiten wird.
Dazu gehört eine faktische Abkehr von der Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse als zentraler Kraft im Kampf für eine sozialistische Gesellschaft. Das drückt sich in einer Unterbetonung von Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit bei einer gleichzeitig einseitigen Orientierung auf die Umwelt- und Frauenbewegungen aus, ein Verwässern des sozialistischen Übergangsprogramms und eine Akzeptanz von undemokratischen Methoden in anderen Sektionen der internationalen Organisation, der die SAV angeschlossen ist.
Die Massenbewegungen, die im Herbst 2019 in vielen Ländern der Welt ausgebrochen sind, stellen für uns eine Bestätigung unserer Perspektiven und unserer Orientierung dar. Durch die Klärung unserer Ideen und unseres Programms in der Fraktionsauseinandersetzung innerhalb der SAV und des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale waren wir gut auf diese Entwicklungen vorbereitet. Doch das gilt nicht nur für die internationale Ebene.
Deutschland
Die deutsche Wirtschaft ist im vierten Quartal nur knapp an einer so genannten „technischen Rezession“ vorbei gekommen, befindet sich aber unabhängig davon im Abschwung. Kaum ein Tag vergeht ohne neue Ankündigungen von Arbeitsplatzabbau oder gar Betriebsschließungen. Vieles spricht dafür, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession eintreten wird, es möglicherweise sogar zu einem Crash kommen wird, der die „Große Rezession“ von 2008/09 in den Schatten stellen könnte. Doch selbst wenn es nur zu einer Periode von Stagnation und leichtem wirtschaftlichen Rückgang kommen sollte, werden Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innenklasse zunehmen. Das wird, früher oder später, zu mehr Klassenkämpfen führen und macht die Frage des Kampfes um die Politik der Gewerkschaften zu einer zentralen Aufgabenstellung für Sozialist*innen. Dieser Aufgabe widmen wir uns in der Sol mit gestiegener Entschlossenheit. Indem wir auf den Seiten unserer Zeitung „Solidarität“ und unseres neuen Magazins „sozialismus heute“, sowie auf unserer Webseite solidaritaet.info ausführlich über Entwicklungen in Betrieben und Gewerkschaften berichten und Programmvorschläge für gewerkschaftliche Kämpfe entwickeln und diese unterstützen und in sie eingreifen, indem wir einen Beitrag zur „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ leisten und unsere Arbeit im „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ fortsetzen, indem wir im neuen Jahr ein Programm für die Autoindustrie veröffentlichen werden und indem wir begonnen haben unsere betrieblich und gewerkschaftlich aktiven Mitglieder regelmäßig zum Erfahrungsaustausch zusammen zu bringen. Ein Vergleich der von uns in diesem Bereich getätigten Aktivitäten und veröffentlichten Artikel mit den Publikationen und Aktivitäten der Rest-SAV seit der Spaltung zeigt, dass die beiden Organisationen in dieser Frage eine unterschiedliche Orientierung entwickelt haben.
Die Kündigung von Beschäftigten der Ameos-Kliniken, weil sie sich an Streiks beteiligt haben, ist ein Wetterleuchten für die härtere Gangart, die die Kapitalisten in Zukunft einlegen werden. Boris Johnson hat in Großbritannien eine weitere Verschärfung der ohnehin schon sehr restriktiven Streikgesetzgebung angekündigt und in Deutschland bereitet sich Friedrich Merz darauf vor, die Spitze der CDU zu erobern und einen noch arbeiter*innenfeindlicheren Kurs durchzusetzen.
Parteien
Die Auseinandersetzungen innerhalb der CDU sind ein Hinweis darauf, dass die herrschende Klasse nach einer neuen Politik sucht, mit der sie die Interessen der Banken und Konzerne entschiedener durchsetzen kann, als in den letzten Jahren der so genannten Großen Koalition. Rufe nach einem höheren Renteneinstiegsalter oder einer Agenda 2020 aus dem Kapital-Lager sollen dafür den Boden bereiten. Das geht einer, mit Debatten in der herrschenden Klasse, den Krisentendenzen durch ein Aufgeben der Politik der „schwarzen Null“ und mehr staatliche Investitionen entgegenzuwirken. Hier lässt sich die Gewerkschaftsführung einmal mehr einbinden, wie die gemeinsame Erklärung von DGB und BDI (Industriellenvereinigung) zeigt. Maßnahmen dieser Art können aber mit Angriffen auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse einher gehen.
Dass sich in der SPD das vermeintlich linkere Kandidaten*innenpaar bei der Wahl zu den beiden Vorsitzenden-Positionen durchgesetzt hat, ist Ausdruck der tiefen Krise der Sozialdemokratie, wird aber keine wirkliche Wende der SPD-Politik bedeuten. Die Fortsetzung der Großen Koalition wird auch von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken betrieben und der rebellische Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat Kreide gefressen, seit er zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt wurde. An der Existenz eines prokapitalistischen Parteien-Einheitsbreis von SPD über Grüne, CDU/CSU, FDP bis hin zur AfD hat sich nicht geändert – und eine sozialistische Arbeiter*innenpartei ist nötiger denn je.
DIE LINKE
DIE LINKE steht mit einem Bein in diesem Einheitsbrei, mit dem anderen in den sozialen Bewegungen und gewerkschaftlichen Kämpfen. Sie ist heute immer noch der einzige Ort, in dem eine glaubhafte Debatte über Arbeiter*innenpolitik und Sozialismus stattfindet, die einen größeren Teil der Arbeiter*innenklasse und der aktiven Teile der Jugend und arbeitenden Bevölkerung erreichen kann. Im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen stellt sie einen Faktor auf Seiten der Arbeiter*innenklasse dar – ohne DIE LINKE im Bundestag und als unterstützenden Faktor für Bewegungen und Kämpfe, hätten es die Kapitalisten einfacher, die Gesellschaft in ihrem Interesse – und gegen die Interessen der Lohnabhängigen – umzubauen. Deshalb sind Sol-Mitglieder aktiv in der LINKEN und ihrem Jugendverband linksjugend [‘solid] und kämpfen darin für sozialistische Politik und eine kämpferische Praxis. Doch leider geht die Entwicklung der Partei in die falsche Richtung, was auch durch die erste Regierungsbeteiligung in einem westdeutschen Bundesland – Bremen – symbolisiert wird. Alle Erfahrungen zeigen, dass solche Regierungsbeteiligungen nicht zu dem versprochenen Politikwechsel nah links führen, sondern DIE LINKE immer wieder Prinzipien aufgibt, sich an Maßnahmen beteiligt, die nicht im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung sind und ihre Glaubwürdigkeit verliert.
Die Frage der Beteiligung an Regierungskoalitionen mit prokapitalistischen Parteien bleibt die Gretchenfrage für die Linkspartei, an der sich ihre Zukunft entscheiden wird. Leider hat der Widerstand gegen eine solche Politik der Mitverwaltung des kapitalistischen Notstands auf der Parteilinken immer weniger Gewicht, wie nicht zuletzt die Gründung der neuen innerparteilichen Strömung „Bewegungslinke“ ausdrückt, die explizit offen für eine solche Politik ist. Die Auseinandersetzungen innerhalb der LINKEN werden eine wichtige Rolle dabei spielen, wie die Arbeiter*innenklasse und die Linke im allgemeinen auf die anstehenden Angriffe und Klassenkämpfe vorbereitet sein wird. Dabei geben die gesellschaftlichen Entwicklungen – die herannahende kapitalistische Krise, der Niedergang der SPD, eine Zunahme von Arbeitskämpfen und die Radikalisierung in Teilen der Jugend – die Möglichkeit, ihre Stagnation hinter sich zu lassen, sozialistische Ideen zu popularisieren und sich aufzubauen. Dabei sollte sie sich zum Ziel setzen, die niedergehende SPD auf Wahlebene zu überholen.
In Partei und Jugendverband wollen wir uns nicht mit verbalen Bekenntnissen zum Sozialismus begnügen, wie sie seit geraumer Zeit von verschiedenen Seiten abgegeben werden. Denn das sind leere Phrasen, wenn das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft abstrakt bleibt, die Forderungen der Partei den sozialen Kämpfen hinterherhinken und man Regierungen mit SPD und Grünen bildet. Sol-Mitglieder werden sich, nicht zuletzt durch ihre Mitarbeit in der Antikapitalistischen Linken (AKL) und dem Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke (BAK RL), weiterhin gegen Regierungsbündnisse mit SPD und Grünen einsetzen – und damit gegen eine Politik von zum Beispiel Privatisierungen, wie sie der rot-rot-grüne Senat zur Zeit hinsichtlich der Berliner S-Bahn betreibt.
Jahr von Konflikten
2020 wird zweifellos ein Jahr von Konflikten sein. Für Millionen von Lohnabhängigen stehen Tarifrunden an. Im öffentlichen Dienst treten wir dafür ein, dass die Kolleg*innen nicht vor die Wahl zwischen Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung gestellt werden, sondern fordern eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und angemessene Lohnerhöhungen! In der Metallindustrie setzen wir uns dafür ein, dass die Tarifrunde nicht zur Verzichtsrunde wird und sagen, dass die Gewerkschaft offensiv gegen jede Form von Arbeitsplatzabbau, Betriebsschließungen und -verlagerungen kämpfen muss. Die Geschäftsbücher müssen geöffnet werden, um nachzuvollziehen, wo die satten Gewinne der letzten Jahre hingeflossen sind. Betriebe, die massenhaft Arbeitsplätze abbauen, Entlassungen vornehmen wollen oder Werke bzw. Werksteile schließen wollen, gehören enteignet und in öffentliches Eigentum überführt. Das gilt vor allem auch für die Autoindustrie, die von der globalen Krise der Branche betroffen ist und die dringend auf ökologisch nachhaltige und gesellschaftliche sinnvolle Produktion umgestellt werden muss – ohne dass Arbeitsplätze dabei verloren gehen oder Arbeitsbedingungen verschlechtert werden.
Besondere Bedeutung können die Tarifrunden im Nahverkehr und der Systemgastronomie erlangen. Bei ersterer besteht die Chance und die Herausforderung zu erklären, dass höhere Löhne nicht durch höhere Fahrpreise finanziert werden müssen, sondern der Nahverkehr als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge steuerfinanziert werden sollte. Das sollte die argumentative Grundlage dafür sein, offensiv einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr und die Wiedereingliederung der vielen privatisierten Bereiche zu fordern.
In der Systemgastronomie fordern die Beschäftigten von den Bossen von Burger King, McDonald’s und Co. einen Mindestlohn von zwölf Euro – diese haben bisher eine mickrige Lohnerhöhung von zwölf Cent angeboten. Hier könnten die Zeichen auf Sturm stehen – Die DGB Gewerkschaften und DIE LINKE sind aufgefordert eine effektive Solidaritätskampagne zu organisieren.
Weitergehen werden auch die Kämpfe um mehr Personal in den Krankenhäusern, wo im vergangenen Jahr zuletzt an den Universitätsklinika in Jena und Mainz Erfolge für die Beschäftigten erzielt werden konnten. Leider hat es die ver.di-Führung weiterhin versäumt eine bundesweit koordinierte Kampagne für eine Ausweitung der Arbeitskämpfe in diesem Bereich auf die Beine zu stellen. Eine solche Kampagne wird immer wichtiger, wenn man sich anschaut, wie sich die Situation in den bundesdeutschen Kliniken nochmal weiter verschlechtert hat. Umso bedeutender bleibt es hier, die Vernetzung der Aktivist*innen aus den Betrieben und Solidaritätsbündnisse weiter voran zu treiben.
Mieter*innenkämpfe
Auch die Mieter*innenkämpfe werden 2020 weiter gehen. In Berlin wird die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ in die zweite Runde ihres Volksbegehrens einsteigen und am 28. März findet ein bundesweiter Aktionstag mit Großdemonstrationen und Aktionen in vielen Städten statt. Dass der Druck von der Straße etwas bewirken kann, zeigt der vom Berliner Senat beschlossene Mietendeckel. Auch wenn dieser weit hinter dem ursprünglichen Referentenentwurf aus dem Haus der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher (DIE LINKE) zurück geblieben ist, markiert er einen ersten Erfolg der extrem aktiven Mieter*innenbewegung in Berlin. Die hysterische Reaktion der Immobilienlobby zeigt, wie sehr sie sich unter Druck fühlt und ihre Milliardenprofite gefährdet sieht. Sol-Mitglieder werden in diese Proteste eingreifen und neben der Forderung nach der entschädigungslosen (mit Ausnahme von Kleinaktionär*innen) Enteignung der Immobilienkonzerne unter anderem die Forderungen nach dem Bau von 250.000 öffentlichen Wohnungen zu einer maximalen Quadratmetermiete von fünf Euro und die gesetzliche Einführung einer reglementierten Kostenmiete propagieren.
Klimawandel
Zweifellos werden 2020 auch die Proteste gegen den Klimawandel – unter anderem in Form von Ende Gelände und den Fridays For Future – fortgesetzt werden. Nichts hat so viele, vor allem junge, Menschen auf die Straße gebracht, wie die großen internationalen Aktionstage für effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel. Auch wenn diese Bewegung möglicherweise ihren Zenit überschritten hat, bleibt dieses Thema in vielfältiger Form eines der wichtigsten politischen Themen der Gegenwart und Zukunft. „System Change not Climate Change“ ist zu einem Schlachtruf der Bewegung geworden, die jedoch gleichzeitig von Teilen bürgerlichen Establishment und der „Öko-Industrie“ umarmt wird. Sozialist*innen müssen dem geforderten „system change“ einen klaren sozialistischen Inhalt geben und gegen die in der Bewegung dominierenden Ideen von letztlich systemimmanenten und individualistischen Lösungsansätzen argumentieren. Vor allem müssen sie ein Programm vorschlagen, das den scheinbaren Widerspruch zwischen den Umweltinteressen und den sozialen und ökonomischen Interessen der Arbeiter*innenklasse aufhebt. Das muss zwingend eine Ablehnung jeder Art von CO2-Steuer und die Forderungen nach Arbeitsplatzgarantie bei gleichbleibenden Lohn- und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Energie- und Autokonzerne sowie nach der Überführung dieser Konzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung beinhalten, was auch die Grundlage für eine ökologisch nachhaltige Konversion der Produktion zu zu sinnvollen Produkten ist. Kaum ein Thema schreit geradezu so sehr nach sozialistischen Lösungen wie die Klimakrise und gleichzeitig besteht die große Gefahr, dass eine Keil zwischen die Arbeiter*innenklasse – insbesondere, wenn diese als Folge eines Wirtschaftsabschwungs ihre materielle Lage gefährdet sieht – und der Umweltbewegung getrieben wird. Diese muss sich dieser Gefahr endlich bewusst werden und eine Politik und Methoden entwickeln, die Beschäftigte nicht entfremden. Gleichzeitig muss in den Gewerkschaften der Kampf darum geführt werden, diese zu einem vorwärtstreibenden Teil der Bewegung für Klimagerechtigkeit zu machen.
Frauenkampftag
Auch 2020 wird der internationale Frauenkampftag am 8. März wieder zu Demonstrationen und Streikaufrufen führen, wobei letztere nur begrenzt sein können, da der Tag auf einen Sonntag fällt. In vielen Ländern hat der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit, gegen Sexismus und Lohndiskriminierung von Frauen, aber auch gegen die Diskriminierung von LGBTQ+-Menschen Massen mobilisiert. Sozialist*innen sind Teil dieser Bewegungen und tragen sozialistische Ideen in sie hinein.
Das Eintreten für gemeinsame Kämpfe von allen Teilen der Arbeiter*innenklasse spielt in der antisexistischen Bewegung ebenso eine Rolle wie in der antirassistischen Bewegung. Die Gewerkschaften sollten massiv und ernsthaft mit einem klaren Programm zu den Frauenkampftag-Demonstrationen und Streiaufrufen mobilisieren und ihre Kraft in die Waagschale werfen, um eine Bewegung von allen Lohbhängigen für die Rechte von Frauen und ein Ende sexistischer Benachteiligung aufzubauen.
Der als Identitätspolitik bekannte Gedanke, dass die verschiedenen Unterdrückungs- und Diskriminierungsphänomene unabhängig voneinander existieren und der Widerstand dagegen nur den betroffenen Gruppen obliegt, ist theoretisch falsch und gefährlich, weil er nicht die tatsächlichen Ursachen von Unterdrückung und Diskriminierung in den Blick nimmt und falsche Gegner*innengruppen definiert. Identitätspolitik verstärkt daher die Spaltungslinien innerhalb der Arbeiter*innenklasse, während gleichzeitig die Einheit der Arbeiter*innenklasse notwendige Voraussetzung dafür ist Unterdrückung und Diskriminierung an ihren Wurzeln zu packen – der kapitalistischen Klassengesellschaft. Die Frage nach dem Umgang mit Identitätspolitik und die Bedeutung davon, dieser zu widerstehen und ihr eine fundierte marxistische Alternative entgegenzustellen, war einer der Gründe für die Spaltung der SAV und des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale.
Wir weisen den uns entgegen gebrachten Vorwurf zurück, dass wir die Umwelt-, Frauen- und LGBTQ+-Bewegung geringschätzen würden und greifen energisch in diese ein und unterstützen ihre Forderungen (solange diese nicht in einem Widerspruch zu den Klasseninteressen der Lohnabhängigen stehen), aber tragen auch ein sozialistisches Programm in sie hinein. Die Sol wird 2020 ein frauenpolitisches und ein umweltpolitisches Programm veröffentlichen und ihre Positionen dazu ausführlich darlegen.
Antirassismus
Ebenso wird für uns der Kampf gegen Rassismus, Nazis und Rechtspopulismus weiterhin einen großen Stellenwert haben. Die AfD hat sich parlamentarisch etabliert. Ob sie die Einheit zwischen rechtsextremen und national-konservativen Kräften aufrechterhalten kann, ist offen. Bisher waren beide Teile aufeinander angewiesen, die Orientierung von Teilen der AfD darauf, „Regierungsfähigkeit“ zu erlangen, wirft aber die Frage auf, ob der Druck steigen wird, quasi-faschistische Kräfte um Björn Höcke loszuwerden – was wiederum die Basis vor allem in Ostdeutschland untergraben würde. Auch wenn der Aufstieg der AfD das Gewicht faschistischer Kräfte auf Wahlebene hat zurück gehen lassen, nimmt die Bedrohung durch rechte Terrorgruppen, die sich teilweise im Staatsapparat organisieren, zu. Die Sol wird sich dafür einsetzen, dass der Gefahr von Rechts mit Massenmobilisierungen der Arbeiter*innenklasse und der Jugend und einem Programm begegnet wird, das die sozialen Ursachen für den Aufstieg der Rechten benennt, die wahren Verantwortlichen dafür anklagt und auch den staatlich betrieben Rassismus durch die etablierten Parteien zurück weist.
Für Sozialismus!
2019 brachte einen Aufschwung von Massenrevolten weltweit. Sie sind Ausdruck der Unfähigkeit des Kapitalismus, der Menschheit ein Leben in Würde und Sicherheit zu bieten. Es ist von höchster Bedeutung, dass diese Kämpfe vor dem Abgleiten der Weltwirtschaft in eine neue Krise stattfinden. Eine solche wird zwar nicht automatisch und unmittelbar Klassenkämpfe auslösen, aber zweifellos den Boden für weitere, größere Kämpfe bereiten und das Bewusstsein der Massen, das der objektiven Lage, also der Notwendigkeit einer sozialisischen Veränderung, noch hinterher hinkt, weiter radikalisieren. Diesen Kämpfen wird die Arbeiter*innenklasse mehr und mehr ihren Stempel aufdrücken und sie beinhalten das Potenzial, dass die Arbeiter*innenklasse von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich wird, also Klassenbewusstsein entwickelt und ihre eigenen neuen politischen Organsationen in Form von Arbeiter*innenparteien bildet. Sozialist*innen können diesen Prozess durch ein entschlossenes und klares Eingreifen in diese Kämpfe beschleunigen und die Herausbildung von sozialistischem Bewusstsein fördern. Bis zum November/Dezember fand dieses Aufbegehren der Massen vor allem in Teilen der neokolonialen Welt statt. Nun ist mit Frankreich auch eines der entwickelten imperialistischen Länder betroffen. In den USA nimmt die Unterstützung für sozialistische Ideen weiter zu, auch wenn darunter oftmals eher sozialdemokratische Konzepte verstanden werden, und die US-Arbeiter*innenbewegung befindet sich in einer zunehmenden Zahl von Streiks und im Prozess ihres Wiederaufbaus. In Italien geht die „Sardinen-Bewegung“ massenhaft auf die Straßen, in Katalonien reißen die Proteste für Unabhängigkeit und gegen staatliche Repression nicht ab und die Bewegung für Klimagerechtigkeit mobilisiert Hunderttausende. 2020 wird ein Jahr voller Gelegenheiten, sozialistische Ideen zu verbreiten und neue Mitstreiter*innen für den Kampf um eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft zu gewinnen. Dafür ist das offensive Vertreten eines sozialistischen Programms Voraussetzung. Die Sol wird ein solches, auch gegen die vielen Widerstände, die es dazu leider in der Linken und in den Gewerkschaften gibt, auf die Straße und in die Betriebe und Bildungseinrichtungen tragen. Wir sind uns sicher, dass die Offenheit und Unterstützung unter Arbeiter*innen und Jugendlichen dafür zunehmen wird.