Frankreich: Streikwelle gegen Macron

Arbeiterinnen und Arbeiter sind entschlossen zu kämpfen

Wir veröffentlichen hier Artikel und Berichte, die seit Beginn der Streikbewegung in Frankreich auf www.socialistworld.net, der Webseite des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale veröffentlicht wurden. Weitere Analysen werden im Januar 2020 folgen.

Während Umwälzungen und revolutionäre Bewegungen in der ganzen Welt ausgebrochen sind, hat im Herzen Europas ein großer Klassenzusammenstoß begonnen. Eine wütende Arbeiter*innenklasse in Frankreich steckt in einem gigantischen Streikkampf mit ihrer Regierung und dem verhassten ,Präsidenten der Reichen’, Emmanuel Macron. Nach fast der Hälfte seiner ersten Amtszeit hat Macron die Unterstützung von weniger als einem Drittel der Wähler*innen, während mehr als siebzig Prozent die Streikenden unterstützen.

Übersetzung von Artikeln von Clare Doyle und Gauche Révolutionnaire, 13. Dezember 2019

„Eine Revolution … brodelt von den Straßen herauf”, kommentiert die New York Times.

Nach einem Jahr kämpferischer Gelbwesten-Proteste, die kleine Zugeständnisse erzwangen, aber eine breite Bewunderung hervorriefen, tritt die berühmten französische Arbeiter*innenklasse millionenfach in Aktion. Trotz des nahenden Weihnachten baut sich diese massive Konfrontation immer noch auf.

Letzten Donnerstag, den 5. Dezember, gingen anderthalb Millionen auf die Straßen von Paris und anderen Städten, während Millionen im ganzen Land streikten. Viele kehrten am nächsten Tag nicht zur Arbeit zurück, und in dieser Woche haben weitere Millionen gestreikt.

Praktisch der gesamte Schienenverkehr ist zum Erliegen gekommen, ebenso die Pariser U-Bahn, und viele Flüge wurden gestrichen. Treibstoff- und andere Depots wurden blockiert, Schulen geschlossen und sogar Anwälte und Teile der Polizei verweigerten die Arbeit.

Nach einem weiteren Aktionstag am Dienstag, dem 10. Dezember, und fruchtlosen sogenannten „Verhandlungen” mit der Regierung bereiten sich die französischen Gewerkschaften auf einen weiteren nationalen Aktionstag am kommenden Dienstag, dem 17. Dezember, vor, und selbst, wenn eine Pause für die Ferienperiode ausgerufen wird, gibt es kaum Zweifel daran, dass der Kampf im Januar wieder aufgenommen wird. Die Hauptgewerkschaft bei der Bahn – die CGT – hat bereits gewarnt, dass es keine „Weihnachtswaffenruhe” geben werde.

Renten

Der Casus Belli [Kriegsgrund] ist eine vorgeschlagene „Reform” des französischen Rentensystems, für ndessen Erreichen und Verteidigung die Arbeiter*innen jahrzehntelange gekämpft haben. Gegen Ende 1995 konnte ein wochenlanger Streik im öffentlichen Sektor die Angriffe einer Juppé-Regierung mit Jacques Chirac als Präsident erfolgreich abwehren.

Zweifelsohne in Erinnerung daran hat die jetzige Regierung von Edouard Philippe relativ geringe Änderungen sowohl in Bezug auf die Rentenhöhe als auch auf das Rentenalter vorgeschlagen, und zwar nur für die nächste Generation! Aber der Angriff ist immer noch beträchtlich; große Teile der jungen und künftigen Arbeiter*innen stehen vor der Aussicht auf eine „Absenkung” ihres Renteneinkommens und müssen länger arbeiten, um eine volle Rente zu erhalten. Die Gewerkschaftsführer*innen sind sich der Reaktion der Mehrheit der Arbeiter*innen bewusst, wenn man ihnen sagt, dass ihr System „großzügig” sei. Sie haben das Gefühl, dass sie selbst schon zu lange großzügig gegenüber den Bossen und ihren Regierungen waren. Wenn man der gegenwärtigen ,Regierung der Reichen’ einen Finger gibt, nimmt sie die ganze Hand!

Philippe versuchte nach den Gesprächen am Mittwoch so zu tun, als ob er Zugeständnisse machen würde, aber sie wurden kurzerhand von den Gewerkschaftsführer*innen zurückgewiesen – vom Hauptgewerkschaftsbund, der CGT, aber auch, zögerlich, von der CFDT. Deren Generalsekretär Laurent Berger sagte am Mittwoch, mit der vorgeschlagenen Erhöhung des Renteneinstiegsalters auf 64 Jahre sei „eine rote Linie” überschritten worden.

Diese Arbeiter*innenvertreter*innen spüren in ihrem Rücken den aufgestauten Ärger von Millionen von Arbeiter*innen, die jetzt Feuer gefangen haben und eine kompletten Rückzug der Regierung wollen.

Den Streik verallgemeinern

Gauche Révolutionnaire (die französische Sektion des CWI) weist in einer Sonderbeilage ihrer Zeitung Égalité auf eine Bresche hin, die sich mit dem großen Streik vom 5. Dezember, gefolgt von einer „entscheidenden Woche”, geöffnet hat. Weitaus mehr private Arbeitsplätze sind einbezogen und junge Menschen, die vom Universitätszugang ausgeschlossen sind, finden einen Weg, ihre Unzufriedenheit mit einer Gesellschaft auszudrücken, die ihre Ambitionen blockiert.

Die entscheidende Frage ist, wie diese Kraftprobe mit einem entscheidenden Sieg für die französischen Arbeiter*innen enden kann. Die Égalité-Beilage weist auf die Notwendigkeit hin, den Streik durch systematische Besuche von Streikenden bei noch nicht betroffenen Arbeitsplätzen und durch Massenversammlungen in Fabriken, Schulen, Depots und Büros auszuweiten. Es besteht die klare Notwendigkeit, die Arbeiter*innen gewerkschafts- und berufsübergreifend auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu vernetzen.

Die Égalité-„Sondernummer” spricht von der Notwendigkeit, die Aktion zu einem verallgemeinerten landesweiten Streik auszuweiten, wobei sie sich auf die Streiks und Besetzungen von 1936 und 1968 in Frankreich beruft, die echte Fortschritte für Arbeiter*innen erzielten.

Programm

Kleine Zugeständnisse der Philippe/Macron-Regierung werden eine Arbeiter*innenklasse in Bewegung nicht befriedigen. „Wir hoffen, dass sie nachgeben”, sagte ein Bahnarbeiter auf einer Demonstration, fügte aber hinzu: „Das ist sowieso erst der Anfang!“

Es gibt eine klare Ablehnung sowohl dieses Angriffs als auch der gesamten prokapitalistischen Politik der Regierung und Macrons. Es ist den meisten Menschen sehr klar, dass dieser Angriff Teil eines umfassenderen Plans ist – eines des Abbaus aller Errungenschaften, für die die Arbeiter*innenklasse im 20. Jahrhundert heldenhaft gekämpft hat, um die Profite der Bosse zu steigern. Letztendlich wird in dieser Bewegung die kapitalistische Gesellschaft selbst in Frage gestellt.

Die Parole „Macron raus!”, die Gauche Révolutionnaire aufstellt, ist daher sehr eng damit verbunden, wie sich der Streik entwickeln könnte. Wenn er mächtig genug wird, um Macrons prokapitalistische Politik zu beenden, stellt sich sofort die Frage, diese Regierung rauszuschmeißen und durch eine Regierung von Vertreter*innen des arbeitenden Volkes zu ersetzen.

Eine Kampfpartei

Die Arbeiter*innenklasse und die Jugend brauchen eine Massenkampfpartei, die ihre eigenen Interessen und die der Mehrheit der Bevölkerung verteidigt und die die gesamte Opposition gegen Macron und die Parteien, die dem Kapitalismus dienen – von Marine Le Pens RN bis zur sehr falsch benannten „Sozialistischen” Partei (PS) – zusammenbringt. „France Insoumise” und ihr Vorsitzender Jean-Luc Melenchon, der bei den Präsidentschaftswahlen 2015 fast sieben Millionen Stimmen erhielt, haben ihre Stimme gegen Macron und seine Rentenpläne erhoben, machen aber keine konkreten Vorschläge, um für einen echten Kampf bis zum Ende zu mobilisieren.

Gauche Révolutionnaire argumentiert beständig für eine politische Alternative zur gegenwärtigen Herrschaft der Superreichen und legt ein umfassendes Programm von Forderungen vor, um die Arbeiter*innen von den Erfordernissen der Gegenwart zu der Notwendigkeit zu führen, die Gesellschaft entlang sozialistischer Linien umzugestalten.

Die Erfahrung des Massenstreiks, seiner Organisierung und seiner Ausweitung sind die beste Schulung für Arbeiter*innen und Revolutionär*innen in dem, was für den Sieg über die Bosse und über den Kapitalismus auf nationaler und internationaler Ebene notwendig ist.

Wie es die Égalité-Sondernummer ausdrückt: „Die Medienpropaganda verbringt ihre Zeit damit, uns zu sagen, dass wir nichts tun können und keine andere Wahl haben (als die Renten zu kürzen) … Wir sind dabei, das genaue Gegenteil zu beweisen!”

Weitere Streiks in ganz Frankreich, bei denen eine Million gegen Macrons Renten-“Reformen” auf die Straße gehen

von Reporter*innen von Gauche Révolutionnaire (CWI Frankreich), veröffentlicht auf www.socialistworld.net, 18. Dezember 2019

Mehr als 300.000 Menschen haben gestern in Paris demonstriert, als weitere Streiks, auch im Bildungssektor, gegen die Angriffe von Präsident Macron auf die Renten, den öffentlichen Dienst und auch wegen der mangelnden Zukunft für junge Menschen stattfanden. Weitere Massenproteste fanden in ganz Frankreich statt, bei denen die Zahl derjenigen, die auf die Straßen gegangen sind, auf eine Million geschätzt wird.

In der letzten Woche gab es eine eintägige Blockade der Häfen, unter anderem in Le Havre, Marseille und Rouen. Arbeiter*innen wollen morgen eine Renault-Fabrik blockieren. Versammlungen und Protestdemonstrationen finden weiterhin fast täglich statt.

Nach dem 17. Dezember geht es auf jeden Fall weiter!

von Leïla Messaoudi, veröffentlicht auf www.gaucherevolutionnaire.fr, 18. Dezember 2019

In weniger als zwei Wochen seit dem 5. [Dezember] haben Tausende von Arbeiterinnen und Arbeitern in vielen Sektoren durch Streiks und Aktionen den Kampf gegen die Abschaffung der Renten entwickelt. Es handelt sich um einen kämpferischen Streik, bei dem Hunderte von Menschen in jeder Stadt an der Aktivität der Popularisierung und Ausweitung der Bewegung beteiligt sind.

Alle verstehen nun, dass nur ein Massenstreik in der Lage ist, Philippe und Macron zum Rückzug zu bewegen. Der 17. ist eine neue Demonstration der Stärke, denn die Regierung spielt auf Zeit, hofft auf Erschöpfung, zeigt sich aber zunehmend zerbrechlich. Das Ende des Jahres ist nicht unbedingt ein „Alles oder Nichts”, im Gegenteil, es sind immer mehr Schichten von Arbeiterinnen und Arbeitern, die sich die Frage stellen, ob sie in Aktion treten sollen. Jedes Schlüsseldatum hat das Vertrauen in den Streik gestärkt.

Stärkung des Streiks

Wir sind uns bewusst, dass dies eine langgezogene Machtprobe ist. Und es gibt immer noch Mittel, andere Arbeiter*innen in den Kampf und den Streik gegen die Rentenabschaffung und ganz allgemein gegen diese Regierung zu bringen. Dafür können wir unseren Kampf durch die Fortsetzung der Aktionen sowohl mit Blick auf die Arbeiter*innen, die noch nicht streiken, als auch durch die Intensivierung der Diskussionen verstärken. Und es ist eine Frage der Integration der Forderungen nach richtigen Löhnen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen in unseren Kampf.

In den kommenden Tagen müssen alle Generalversammlungen, die Informationsstunden, die Diskussionen in der Pause zu Momenten werden, die den Kampf stärken.

Noch stärker im Januar!

Die Sektoren, die am solidesten im Streik sind, wie die Eisenbahner*innen oder die RATP [=Nahverkehr im Großraum Paris, d. Übers.], werden die Aktion während der Feiertage weiterführen. Unterstützungsaktionen, Straßenaktionen und öffentliche Versammlungen, alles muss in die Wege geleitet werden, um, wenn die Regierung vor den Feiertagen nicht nachgibt, zu zeigen, dass man im Januar noch stärker sein wird! Nun brauchen wir bis Ende der Woche einen neuen berufsgruppenübergreifenden Aufruf für einen nationalen Streiktag Anfang Januar, um allen einen Unterstützungspunkt zu geben, der uns ermöglicht, den wirklichen Generalstreik vorzubereiten und zu organisieren, den wir brauchen, um Macron zu stoppen und ihn zu vertreiben. Unsere Entschlossenheit, davon nicht abzulassen, ist intakt, sogar stärker als am 5. Dezember. Der Kampf wird weitergehen und auch im Januar nicht aufhören!

Print Friendly, PDF & Email