Großbritannien nach den Wahlen

Foto: Paul Mattson

Stellungnahme der Socialist Party von England und Wales

Die Tories haben eine deutliche parlamentarische Mehrheit erhalten. Boris Johnsons Siegesrede sprach davon, ein „Eine-Nation-Konservativer”1 zu sein und versprach, die Ausgaben für den NHS [staatlicher Gesundheitsdienst, d. Übers.] zu erhöhen. Das ist eine Lüge. Als Maggie Thatcher 1979 gewann, zitierte sie Franz of Assisi und versprach, Britannien Harmonie und Hoffnung zu bringen.

Stattdessen regierte sie rücksichtslos und griff die Arbeiter*innenklasse an. Johnson wird das Gleiche tun und nicht für die „ganze Nation”, sondern für die Milliardär*innen regieren. Sein Wahlprogramm versprach einen sofortigen Angriff auf das Streikrecht der Eisenbahner*innen. Dies, zusammen mit den jüngsten brutalen undemokratischen Gerichtsurteilen gegen die Postgewerkschaft CWU, gibt einen Vorgeschmack auf die kommenden Angriffe auf Arbeiter*innenrechte.

Aber Johnsons Angriffe auf Gewerkschaften und die Arbeiter*innenklasse als Ganze können zurückgeschlagen werden. Die scheinbare Stärke von Johnsons Regierung wird durch kommende Ereignisse erschüttert werden. 1987 hatte Margaret Thatcher eine Mehrheit von 102 Sitzen. Innerhalb von zwölf Monaten begann die massenhafte Zahlungsboykottkampagne gegen die Kopfsteuer (Poll Tax) unter der Führung von Militant, der heutigen Socialist Party. Sie verwandelte die Eiserne Lady in Eisenspäne und zwang sie 1990 zum Rücktritt. Heute ist die Tory-Partei weitaus schwächer als sie damals war. Sie ist bitter gespalten und Johnson konnte nur gewinnen, indem er sich von seiner eigenen Partei distanzierte und mit populistischer Rhetorik fälschlicherweise behauptete, dass er sich für „das Volk” einsetze.

Dies war eine „Momentaufnahme”, ein sehr flüchtiges Ergebnis, bei dem sogar Johnson anerkennen musste, dass die Arbeiter*innen ihm ihre Stimmen nur geliehen haben. In der Zeit unmittelbar nach der Wahl wird es bei Arbeiter*innen und Jugendlichen bittere Enttäuschung, ja sogar Verzweiflung geben, wenn sie sehen können, was eine Johnson-Regierung bedeuten wird.

Nichtsdestotrotz wird ihre Wut ein Ventil finden und Massenkämpfe – wie die in Frankreich, Chile und vielen anderen Ländern – werden nach Britannien kommen. Die Arbeiter*innenbewegung braucht dringend einen Kriegsrat, um einen Kampf gegen die Angriffe von Johnson zu planen, vor allem zur Unterstützung der derzeit im Arbeitskampf stehenden Post-, Eisenbahn- und anderen Arbeiter*innen, um den Zorn fruchtbar zu machen und ihm eine organisierte Form zu geben. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Widerstandes ist der Kampf für sozialistische Politik. Die kapitalistischen Politiker*innen und Kommentator*innnen sowie der rechte Flügel der Labour Party stehen bereits Schlange, um zu argumentieren, dass das schlechte Ergebnis von Labour durch Corbyns linkes Wahlprogramm verursacht worden sei. Das ist Unsinn. Tatsächlich erhielt Labour 10,2 Millionen Stimmen, das zweite Mal unter Corbyn hat es über zehn Millionen Stimmen erreicht, was Blair nach den Wahlen von 2001 nicht erreicht hat, was Brown oder Miliband niemals erreicht haben.

Die Mehrheit der politischen Vorschläge im Wahlprogramm von Corbyn hat eine überwältigende öffentliche Unterstützung, einschließlich der von ihm vorgeschlagenen Verstaatlichungsmaßnahmen. Die Blairist*innen behaupten, dass ein Wahlprogramm, das angeblich den 1970er Jahren entspricht, veraltet gewesen sei, aber es ist ihre Verehrung der kapitalistischen Elite, die veraltet ist.

Corbyns Politik eines Mindestlohns von 10 Pfund pro Stunde, massenhaftem kommunalen Wohnungsbau, der Beendigung von Null-Stunden-Arbeitsverträgen [Arbeit auf Abruf, d. Übers.], kostenloser Bildung und mehr wäre ein echter Schritt nach vorne für Millionen von Arbeiter*innen, die unter einem Jahrzehnt von sinkendem Lebensstandard gelitten haben.

Corbyns Wahlprogramm und vor allem der Enthusiasmus, den eine von Corbyn geführte Regierung hervorgerufen hätte, erschreckten die kapitalistische Klasse, die Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um Corbyn daran zu hindern, in [Downing Street] Nummer Zehn zu gelangen.

Eine bösartige Verleumdungskampagne gegen Corbyn wurde von den kapitalistischen Medien unerbittlich geführt, wahrscheinlich mehr als bei irgendeiner Wahl, seit Labour 1945 gewann, als Labour beschuldigt wurde, eine Gestapo einführen zu wollen, während es den NHS und andere Reformen einführte.

Wir sollten nichts anderes von den Massenmedien erwarten, die sich hauptsächlich im Besitz von Milliardären befinden oder, im Falle der BBC, ein Arm des kapitalistischen Staates ist, der letztlich immer seine Interessen verteidigt.

Schon zu Zeiten des Generalstreiks von 1926 behauptete er, „unabhängig” zu sein, und verbot Reden des Labour-Chefs und sogar des Erzbischofs von Canterbury – weil er als zu versöhnlich galt. Wie 1945 gezeigt hat, ist es jedoch mit einem klaren Kampfprogramm möglich, die Lügen der kapitalistischen Medien zu überwinden.

Blairistische Sabotage

Bei dieser Wahl hatte die kapitalistische Klasse einen weiteren wichtigen Verbündeten im Kampf für die Niederlage Corbyns: die Blairist*innen. 15 ehemalige Labour-Abgeordnete veröffentlichten am Tag vor der Wahl riesige Anzeigen in nördlichen Zeitungen, in denen sie die Menschen aufforderten, nicht für Corbyn zu stimmen.

Diese offene Sabotage ging nur einen Schritt weiter als die von vielen Abgeordnete, die in der Labour Party geblieben waren, aber Corbyn offen untergruben und ihn oder das Wahlprogramm in ihren Flugblättern nicht erwähnten.

Diese Wahl wird bereits mit der Niederlage von Labour unter Michael Foot im Jahr 1983 verglichen. Damals war es nicht das linke Wahlprogramm, sondern die rechten Verräter*innen – die SDP –, die die Labour Party verließen und die Stimmen spalteten, die der Hauptgrund für die Niederlage waren. Diesmal arbeiteten ihre Nachfolger*innen, die Blairist*innen, hauptsächlich daran, Corbyn von innerhalb der Partei aus zu besiegen.

Es waren jedoch die Kompromisse, die die Labour-Führung mit den Blairist*innen geschlossen hat, die der zentrale Grund für diese Niederlage waren, vor allem beim Brexit. Weite Bereiche der Arbeiter*innenregionen, die für den Austritt gestimmt hatten, sahen Labour als eine „Remain”-Partei an. Sogar der rechte Kommentator der Sunday Times, Dominic Lawson, erkannte dies letzte Woche an und erklärte: „Labours Zentristen haben das vermasselt, nicht ihr linker Führer”.

Lawson fuhr fort, das Offensichtliche zu sagen: „Es sind die Zentristen, unterstützt vom ehemaligen Labour-Chef Tony Blair und seinem ehemaligen Meinungsmacher Alistair Campbell, die die Partei aus ihrer Politik des Respektierens des Ergebnisses des Referendums 2016 herausgeholt haben”.

Er weist weiter darauf hin, dass Corbyn die EU nie unterstützt hat, er aber um die Pro-EU-Labour-Abgeordneten davon zu überzeugen, einem Schattenkabinett beizutreten, widerstrebend zustimmte, beim Referendum für einen Verbleib zu kämpfen, und seitdem Zugeständnisse um Zugeständnissen gemacht hat.

Zorn auf das System

Wie die Socialist Party immer wieder argumentiert hat, war das Votum der Arbeiter*innenklasse für den Brexit ein Schrei des Zorns gegen alles, was sie in einem Jahrzehnt der Kürzungspolitik erlitten hatten. Hätte Corbyn, wie wir es taten, eine andere Position im EU-Referendum eingenommen, hätten die rechten Tory-Nationalist*innen nicht den Raum gehabt, die Brexit-Kampagne so zu dominieren, wie sie es getan haben.

Er hätte 2016 für eine Stimmabgabe für den Brexit argumentieren sollen auf der Grundlage der Ablehnung der EU als Club der Bosse – mit seinen privatisierungsfreundlichen und arbeiter*innenfeindlichen Gesetzen – und stattdessen für eine neue Zusammenarbeit der Völker Europas auf sozialistischer Basis stehen sollen.

Selbst nach diesem Fehler zeigte die vorgezogene Wahl 2017, wie vielversprechend es sein könnte, das EU-Referendum zu respektieren und einen Brexit im Interesse der Arbeiter*innen zu verhandeln, um Brexit-Unterstützer*innen aus der Arbeiter*innenklasse zu gewinnen. Mehr als eine Million Menschen, die zuvor für UKIP gestimmt hatten, wählten bei dieser Wahl Labour.

Diesmal jedoch ermöglichte es Corbyns Neutralität, verbunden mit Monaten, in denen er im Parlament mit prokapitalistischen Remai-Befürworter*innen – Jo Swinson, Ken Clarke & Co. – zusammenzuarbeiten schien, Johnson zu behaupten, er sei der einzige Kandidat, der den Brexit „erledigen könne”.

Eine beträchtliche Anzahl von den Brexit befürwortenden Arbeiter*innen und einige Remain-Befürworter*innen, die die Brexit-Lähmung satt hatten und sie nun „erledigen” wollten, liehen Johnson ihre Stimme und ballten dabei oft die Faust in der Tasche. Sie werden bitter enttäuscht werden.

Die kapitalistische Klasse, von der die Mehrheit so eng wie möglich mit der EU verbunden bleiben will, hofft wider besseres Wissen, dass Johnson – nachdem er eine klare Mehrheit gewonnen hat – nun unter Druck gesetzt werden kann, ein endgültiges Abkommen in ihrem Interesse auszuhandeln.

Es gibt mehr als 130 Remain-Untersützer*innen unter den Tory-Hinterbänkler*innen, die für diese Position kämpfen können. Johnson könnte ihren Wünschen folgen, was mit ziemlicher Sicherheit bedeutet, die Übergangsperiode über das Ende des nächsten Jahres hinaus zu verlängern. Das würde die Spaltung in der Tory-Partei wieder eröffnen und die Lüge zerschlagen, dass Johnson „den Brexit erledigen wird”.

Wie auch immer Johnson es spielen wird, sein Brexit-Abkommen ist ein bösartiges, Abkommen im Interesse der Großkonzerne, das die Rechte der Arbeiter*innen weiter untergräbt. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Wirtschaftskrise werden alle Illusionen, dass Johnson „für das Volk” steht, durch das Handeln der Regierung zerstört werden.

In den kommenden Turbulenzen wird es dringend notwendig sein, ein politisches Instrument zur Vertretung der Arbeiter*innenklasse zu finden: eine Arbeiter*innenmassenpartei. Labour unter Corbyn ist keine solche Partei geworden, sondern war bestenfalls „zwei Parteien in einer”: eine potenzielle Arbeiter*innenpartei um Corbyn und eine kapitalistische blairistische Partei. Corbyns Unterstützer*innen müssen dringend die Lehren aus dieser Niederlage ziehen.

Nicht nur beim Brexit untergruben Zugeständnisse an die Blairist*innen Corbyns Botschaft. Während dieses Wahlkampfes gab es eine Politik, die darauf abzielte, die Bilanz der früheren Labour-Regierungen nicht anzugreifen. Dies ermöglichte es Johnson beispielsweise zu behaupten, dass Labour für einen Großteil der Privatisierung im NHS verantwortlich sei. Corbyn – anstatt die Bilanz der Blairist*innen bei der PFI [Private Finanzinitiative] anzugreifen und darauf hinzuweisen, dass er dagegen gestimmt hat – ließ sich von der Bilanz von New Labour beschmutzen.

Überall im Land haben Labour-Gemeinderäte unter Corbyn weiterhin Kürzungsmaßnahmen umgesetzt mit der fadenscheinigen Begründung, dass sie „keine Wahl” hätten. Nach vierzig Jahren Verteidigung der Interessen der kapitalistischen Elite durch Regierungen – Tory und New Labour –, ist die Mehrheit zwangsläufig skeptisch gegenüber Behauptungen dieser Parteien, gegen Kürzungspolitik zu sein.

Wenn auch nur ein oder zwei Labour-Gemeinderäte, unterstützt von Corbyn und McDonnell, sich geweigert hätten, Kürzungen bei Arbeitsplätzen und öffentlichen Dienstleistungen vorzunehmen und ein massives kommunales Wohnungsbauprogramm begonnen hätten, hätten sie mehr getan, um Arbeiter*innen zu überzeugen, dass Labour gegen Kürzungspolitik steht, als tausend warme Worte.

Stattdessen wurden allein in den West Midlands in den letzten zehn Jahren 20.000 kommunale Beschäftigte entlassen, hauptsächlich von Labour-Gemeinderäten.

Liverpooler Weg

Die positive Rolle von Anti-Kürzungs-Gemeinderäten ist eine Schlüssellehre aus dem Kampf des Stadtrats von Liverpool, in dem wir in den 1980er Jahren eine führende Rolle spielten. Indem wir es mit Thatcher aufgenommen und sie besiegt haben, 5000 kommunale Wohnungen gebaut und Arbeitsplätze geschaffen haben, verursachten wir eine Wähler*innenwanderung zu Labour, die – wenn sie bei den Parlamentswahlen 1987 auf nationaler Ebene wiederholt worden wäre – zu einer Labour-Mehrheitsregierung geführt hätte.

Die Labour-Linken machten auch in der nationalen Frage in Schottland schwerwiegende Fehler, was dazu führte, dass Labour wieder auf nur einen Sitz reduziert wurde, während die kapitalistische SNP zulegte.

Damit Corbyns Anti-Kürzungs-Programm in Schottland gehört worden wäre, hätte Labour das Recht des schottischen Volkes auf Selbstbestimmung unterstützen müssen. Angesichts der Dominanz der Tories in Westminster werden die Forderungen nach Unabhängigkeit in Schottland nun wahrscheinlich schnell zunehmen.

Im Gefolge der Niederlage fordert die Labour-Rechte bereits, dass Corbyn sofort abtritt. Es wäre ein großer Fehler für die Corbynistas, angesichts des Angriffs der Blairist*innen einen Rückzug zu machen. Stattdessen müssen sie dringend die Maßnahmen ergreifen, die die Socialist Party in den letzten vier Jahren gefordert hat.

Eine Konferenz der Arbeiter*innenbewegung – von all den Gewerkschaften und Sozialist*innen, die Corbyns Programm gegen die Angriffe der Blairist*innen verteidigen wollen – sollte unverzüglich einberufen werden, um über ein Programm zur Umwandlung von Labour in eine Arbeiter*innenpartei mit einem klaren sozialistischen Programm zu diskutieren.

Die Demokratisierung der Partei – einschließlich der Wiederherstellung der Rechte der Gewerkschaften, der Einführung der obligatorischen Wiederwahl [der Pflicht von Mandatsträger*innen, sich bei einer erneuten Kandidatur wieder einer innerparteilichen Wahl zu stellen, d. Übers.] und der Organisierung auf einer föderalen Basis, wobei die Socialist Party und anderen zur Angliederung ermutigt werden – wäre ein wichtiger Schritt.

Die wichtigste Maßnahme wäre jedoch, eine klare und feste Position einzunehmen, damit Labour eine echte Anti-Kürzungs-Partei in Wort und Tat wird, ohne Platz für Abgeordnete und Gemeinderät*innen, die Tory-Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse umsetzen. Leider war dies, zumindest in der Wahlnacht, nicht die Herangehensweise der Labour-Linken.

Sie müssen dringend ihren Rückzug stoppen und stehen und kämpfen. Selbst wenn sie es nicht tun, bleibt der brennende Bedarf nach einer Arbeiter*innenmassenpartei bestehen, und die Aufgabe, eine in der einen oder anderen Form zu schaffen, wird sich als Teil der gewaltigen Kämpfe, um die Johnson-Regierung zurückzuschlagen, stellen. Die Socialist Party wird eine Schlüsselrolle in diesem Kampf spielen.

  • Gewerkschaften müssen sich jetzt organisieren, um Maßnahmen zur Mobilisierung von Arbeiter*innen und jungen Menschen zum Schutz des NHS, der öffentlichen Dienste, der Umwelt, der Sozialleistungen und der Arbeiter*innenrechte gegen die Angriffe von Johnson zu planen.
  • Schuld tragen die Blairist*innen. Schmeißt die prokapitalistischen Saboteur*innen raus. Gründet Labour neu als eine demokratische Arbeiter*innenpartei mit sozialistischer Politik.
  • Schließt euch der Gegenwehr an! Tretet der Socialist Party bei!

1 In der 1840er Jahren bezeichnete der konservative Politiker Benjamin Disraeli Reiche und Arme als zwei verschiedene Nationen, die einander fremd seien und forderte, das zu überwinden. In dieser Tradition gab es eine sozialreformerische Strömung innerhalb der Tories, die seit dem Aufstieg Thatchers in den 1970er Jahren bedeutungslos ist. [d. Übers.]

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