Haushaltsdebatte: Wetterleuchten scharfer Angriffe

Ampel-Koalition streitet und streitet und streitet…

Als im Herbst 2021 die erste Drei-Parteien-Koalition eine Bundesregierung bildete, wurden große Töne gespuckt. Eine „Fortschrittskoalition“ werde man sein, die sich den großen Herausforderungen der Zeit, wie dem Klimawandel und der Digitalisierung, stelle und keine kleinen Brötchen backen werde. Davon ist nicht viel übrig geblieben. Stattdessen befindet sich die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Dauerstreit. Hinter diesem verbirgt sich mehr als nur unterschiedliche parteipolitische Positionen.

von Sascha Staničić, Sol-Bundessprecher

Der Verzicht auf die Vorlage von so genannten Haushalts-Eckwerten für die Beratung des Bundeshaushalts 2024 durch Finanzminister Lindner ist ein einmaliger Vorgang. Wünschen von siebzig Milliarden Mehrausgaben aus den einzelnen Ministerien steht die Schätzung eines Defizits von 14 bis 18 Milliarden Euro entgegen – sehr wohl ohne diese siebzig Milliarden.

Christian Lindner bereitet die Bevölkerung daher auf Ausgabenkürzungen vor: „Diese Haushaltslücke muss erwirtschaftet werden durch Verzicht. Wenn man dann noch zusätzliche Ausgabenschwerpunkte setzen will, zum Beispiel bei Verteidigung und Bildung, dann muss man umso mehr woanders kürzen.“ Den Ministerien hierfür keine Vorgaben zu machen, ist Ausdruck davon, zu welcher Zerreißprobe diese Haushaltsberatungen führen können und möglicherweise auch der Hoffnung, dass die für Mai erwartete Steuerschätzung ein etwas kleineres Defizit erwarten lassen könnte.

Schuldenbremse

Dabei drückt sich in der Debatte auch ein grundsätzlicher Konflikt innerhalb der Koalition aus. Während für Christian Lindner, und wohl auch Kanzler Olaf Scholz, die (Wieder-)Einhaltung der Schuldenbremse ein heiliger Gral ist, wird das in der SPD und bei den Grünen anders gesehen. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sagt dazu: „Wenn ich am Ende vor der Frage stehe, ob wir in Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und ökonomischen Aufbruch investieren oder uns an die Schuldenbremse klammern, dann habe ich da eine klare Priorität.“ Doch angesichts der steigenden Rekord-Staatsverschuldung von 2,5 Billionen Euro und der trüben wirtschaftlichen Aussichten, wird – auf kapitalistischer Basis – keine Regierung so weiter machen können, wie in den letzten Jahren, in denen sowohl die Große Koalition als auch die Ampel Milliarden zur Abfederung der Pandemie-Folgen, der Inflation und für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgegeben haben.

Deutlich höhere Einnahmen könnte es nur geben, wenn es entweder zu einem deutlichen Wirtschaftswachstum oder zu einer drastischen Besteuerung von privaten Gewinnen und Vermögen käme. Auch wenn selbst aus der CDU kürzlich Gedankenspiele zu einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes und einer Reform der Erbschaftssteuer geäußert wurden, ist beides mehr als unwahrscheinlich. Was bleibt? Staatliche Ausgaben kürzen. Darauf wird es auch früher oder später hinauslaufen. Und je später das kommt, desto drastischer werden die Kürzungen ausfallen. 

Prokapitalistische Prioritäten 

Der Streit um die zwölf Milliarden Mehrausgaben für die geplante Kindergrundsicherung steht hierbei symbolisch für die Prioritätensetzung der pro-kapitalistischen Regierung. Einhundert Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr (und damit für die Rüstungskonzerne!) wurden mit einem Federstrich beschlossen. Zwölf Milliarden für Kinder sind für den neoliberalen Einheizer Lindner nicht drin. Tatsächlich sind jedoch viele Milliarden mehr nötig, um das marode Gesundheits- und Bildungswesen wieder auf Vordermann zu bringen, den Klimawandel effektiv zu bekämpfen oder die Menschen, die auf das Bürgerhartzgeld angewiesen sind, aus der Armut zu holen. Eine prokapitalistische Regierung wird dieses Geld aber niemals mobilisieren, weil dazu nötig wäre, die enormen Gewinne und Vermögen der Unternehmen und Superreichen signifikant anzutasten – 2022 war das Dividenden-Rekordjahr für Aktionär*innen ….

So einig sich SPD, Grüne und FDP aber darin sind, die Reichen und Mächtigen nicht wirklich zur Kasse zu bitten, so real sind ihre Meinungsverschiedenheiten, die diese Regierung zu einer schwachen und instabilen Vertretung der herrschenden Kapitalist*innenklasse machen. Diese Differenzen drücken zum Teil unterschiedliche prokapitalistische Vorstellungen über den Umgang mit wirtschaftlichen Krisentendenzen aus, zum Teil die unterschiedliche soziale Basis der Parteien und die unterschiedlichen Kapitalfraktionen, die sie vertreten. Einen prinzipiellen Unterschied, in der Frage, welche Klasseninteressen sie vertreten jedoch nicht. 

Auf dem Rücken der Massen 

Da kann es nicht verwundern, wenn Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine Krankenhausreform proklamiert (und schönredet), die nichts Grundlegendes an der Gewinnorientierung für Krankenhäuser ändern wird und zudem noch zur Schließung vieler Kliniken führen kann. Oder wenn die Kultusminister*innen die Arbeitsbedingungen für Lehrer*innen verschlechtern wollen. Oder auch, wenn der Kassenärzte-Chef Andreas Gassen eine Gebühr für das Aufsuchen der Notaufnahme in Krankenhäusern fordert. Auch wenn dieser Vorschlag aus der Regierung zurückgewiesen wurde, weist er darauf hin, in welche Richtung die Weichen gestellt werden sollen: die Krisenlasten sollen auf dem Rücken der Masse der arbeitenden Bevölkerung abgeladen werden. In diesem Sinne ist die aktuelle Haushaltsdebatte ein Wetterleuchten für scharfe Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse in der Zukunft. Wann es dazu kommen wird, kann niemand sagen. Ob die Kapitalist*innen für solche Angriffe eine andere Regierung brauchen werden und die Ampel schon vor Ende der Legislatur auseinanderbrechen wird, auch nicht. Aber dass es früher oder später so kommen wird, ist sicher. 

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